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Archiv "Hessen: Gesundheitspolitik auf dem Weg zu einer korrumpierten Medizin" (14.04.1977)

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Kostendämpfung durch Selbstverantwortung

Dr. Otfrid Schaefer eröffnete als Sprecher der Aktionsgemeinschaft die Veranstal-

tung in Frankfurt-Höchst Fotos: Mehrens

Die Information:

Bericht und Meinung

An die 2000 Teilnehmer hatte eine gesundheitspolitische Informations- veranstaltung unter dem Motto „Ko- stendämpfung durch Selbstverant- wortung aller Beteiligten", zu der die von acht ärztlichen Verbänden in Hessen getragene Aktionsgemein- schaft hessischer Ärzte am Mitt- wochnachmittag, dem 30. März 1977, in die Jahrhunderthalle in Frankfurt/Main-Höchst eingeladen hatte. Die teilnehmenden Ärzte bil- ligten — durch Unterschrift — eine Resolution, in der die Ablehnung des Gesetzentwurfes der Bundesre- gierung zur „Kostendämpfung" in der Krankenversicherung begründet wird. In der Resolution wird an die Verantwortlichen appelliert, eine Kostendämpfung im Gesundheits- wesen zu erreichen, ohne die Quali- tät der Patientenversorgung zu min- dern, ohne Dauerkonflikte ins ärzt- liche Sprechzimmer zu tragen und ohne eine neue Welle der Regle- mentierung und Bürokratisierung auszulösen.

Die Teilnehmer an der Veranstal- tung, die in einer betont sachlichen Atmosphäre verlief, wurden begrüßt von dem Sprecher der Aktionsge- meinschaft, Dr. Otfrid Schaefer, Kas- sel, der kurz den Stand des Gesetz- gebungsverfahrens (wenige Tage nach Abschluß der Sachverständi- genanhörung in den Bundestags- ausschüssen) darstellte. Schaefer forderte dazu auf, die Diskussion um die Einkommen der Ärzte zu ver- sachlichen, damit man sich mehr darauf konzentrieren könne, vor den Gefahren des Gesetzentwurfes zu warnen, die man nur mit tiefer Sorge um den Fortbestand des Gesund- heitswesens beobachten könne.

Solche Warnungen seien Aufgabe der ärztlichen Verbände (etwa durch derartige Informationsveranstaltun- gen, von denen man hoffen müsse, daß sie in Presse, Rundfunk und Fernsehen angemessenen Nieder- schlag finden); die Warnungen seien

aber auch Aufgabe jedes einzelnen Arztes.

Seine „persönlichen Ansichten als Wissenschaftler und politisch den- kender Bürger dieses Landes" zum Verhältnis zwischen Ärzten und Krankenkassen als „Kooperation oder Dauerkonflikt?" stellte der Or- dinarius für Soziologie an der Uni- versität Konstanz, Prof. Dr. med.

Horst Baier, zur Diskussion. Prof.

Baier machte in zum Teil drastischer Ausdrucksweise die wirklichen Ge- fahren deutlich, welche eine Ver- wirklichung der Gesetzentwürfe der Bundesregierung mit sich bringen würde. Nach Baier sind sie eindeutig

„ein Anschlag auf das gegliederte, auf Gleichgewicht angelegte System der sozialen Sicherung" und jeden- falls „ein untaugliches, ja dilettanti- sches Mittel, die Kostenentwicklung in der Krankenversicherung und die Defizite in der Rentenversicherung in den Griff zu bekommen."

Mit starkem Beifall aufgenommen wurde Baiers Metapher, in der er das Vorgehen der Regierung mit einem Billardspiel verglich: die erste Kugel soll gleichsam noch ursächlich vom Gesetzgeber angestoßen werden, die weiteren Impulse sollen dann aber einen Selbstlauf auslösen und die Aufmerksamkeit der Zuschauer vom ersten Impulsgeber ablenken.

Die Folge werde sein, daß die weite- ren Maßnahmen wie Geschosse mit hoher Geschwindigkeit wirken, die die bisherigen Sicherungen und

Barrieren im Krankenversicherungs- wesen und zwischen seinen Selbst- verwaltungskörperschaften durch- schlagen werden.

Die Therapiefreiheit und das Ver- hältnis zwischen Patient und Arzt würden durch den vorgesehenen Arzneimittelhöchstbetrag und durch die Transparenzlisten ernsthaft ge- fährdet. Die Folge werde unter ande- rem eine Vertrauenskrise zwischen den Vorständen der Kassenärztli- chen Vereinigungen und den Kas- senärzten sein: Die Vorstände wür- den nämlich unter dem Zwang ihrer körperschaftsrechtlichen Vertre- tungsverpflichtung ihre Autorität si- chern und zu Sanktionen gegenüber Kassenärzten greifen müssen; die Kassenärzte wiederum würden ihre Vorstände als Büttel einer sachfrem- den, irrationalen Sozialpolitik an- greifen. Auf die Dauer gesehen, wür- den die Selbstverwaltungskörper- schaften der Kassenärzte durch eine solche Entwicklung korrumpiert und

„liquidierungsreif gemacht" wer- den.

Als übelste Folge des üblich gewor- denen „Denkens in Institutionen"

sieht Baier die Tatsache, daß der Bürger, etwa als Patient oder als Rentner, nur noch als „Auslöser von Sozialleistungen" gesehen wird;

keine politische Partei raffe sich zu der Einsicht auf, daß man dem mün- digen Staatsbürger heute eine sozial gestaffelte Selbstbeteiligung durch- aus zumuten könne.

AUS DEN BUNDESLÄNDERN

HESSEN

Gesundheitspolitik auf dem Weg zu einer korrumpierten Medizin

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 15 vom 14. April 1977 989

(2)

Blick auf das Podium mit Vertretern der acht Verbände, aus denen die hessische Aktionsgemeinschaft besteht (Berufsverband der Praktischen Ärzte und Ärzte für Allgemeinmedizin; Kassenarztverband; Verband der Niedergelassenen Ärzte;

Hartmannbund; Fachärztliche Berufsverbände; Verband der leitenden Kranken- hausärzte; Ärztinnenbund; Marburger Bund)

Die Information:

Bericht und Meinung

AUS DEN BUNDESLÄNDERN

Aus der Sicht des niedergelassenen Arztes untersuchte Dr. Gerhard Lö- wenstein, Frankfurt/Main, Erster Vorsitzender der KV Hessen, warum und wie der Gesetzentwurf einen Schritt in Richtung auf die Soziali- sierung des Gesundheitswesens be- deutet. Als Beispiele für diese ideo- logische Zielsetzung nannte Löwen- stein die Ermächtigung für die Kas- sen, die Krankheitsfälle vor allem in Hinblick auf die entstandenen Ko- sten zu überprüfen (was zusammen- hängt mit Mitgliederverzeichnissen, Zentraldatei und Versicherten-Aus- weis, also mit enormen zusätzlichen Verwaltungskosten); die pauschale Begrenzung der Arzneiverordnun- gen; den unleugbaren Trend zur Einheitsversicherung.

Dies alles müsse ganz eindeutig Dis- sonanzen zwischen Patient und Arzt

mit sich bringen, sagte Löwenstein und konstatierte:

„Die Verantwortung für all das, was der Gesetzgeber da aushecken will, trägt er beileibe nicht selbst, son- dern schiebt sie in die Verantwort- lichkeit des Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen und — hat

den traurigen Mut, das dann noch Stärkung der gemeinsamen Selbst- verwaltung zu nennen!"

Zu den vorgesehenen Regelungen über die Honorarfindung erklärte Dr.

Löwenstein, ein freier Beruf müsse natürlich den Wettbewerb mit Neu- niederlassungen hinnehmen. Es sei jedoch „einfach grundgesetzwid- rig", die Leistungsbedarfssteige- rung als Kriterium bei der Honorar- findung völlig fortfallen zu lassen

und zu verlangen, daß die Honorar- ansprüche von — lauthals geforder- ten — neu niedergelassenen Ärzten aus dem „zugemachten Topf" be- friedigt werden. Löwenstein schloß:

„Es ist keine Weißkittelüberheblich- keit, wenn ich sage, daß gerade der Arzt als Freiberufler im letzten Jahr- zehnt so heftig ins Schußfeld ge- kommen ist, weil man in ihm ein wichtiges Bollwerk gegen die Sozia- lisierung unseres Gesellschaftssy- stems beseitigen will. Und diesem Willen müssen wir uns mit allen Kräften entgegenstellen, nicht nur in unserem, sondern auch im Interesse unseres freiheitlichen Gesundheits- systems."

Dr. Wolfgang Furch, Marburger Bund, betonte die „Solidargemein- schaft" der Ärzteschaft angesichts der Gefährdung der freiberuflichen Tätigkeit. Wenn der Staat durch Be- grenzung der Gesundheitsausgaben nach nichtmedizinischen Kriterien zum Wegbereiter einer korrumpier- ten Medizin werde, bei der sich kranke Menschen schließlich eine bessere ärztliche Versorgung zu- sätzlich erkaufen müßten, wäre es für einen Arzt ehrenrührig und kor- rumpierend, in einem solchen Sy- stem zu leben — die Patienten und Bürger hätten ein solches System jedoch noch weit mehr zu fürchten als die Ärzte.

Dr. Furch kritisierte an dem Gesetz- entwurf für den Krankenhaussektor besonders den zu befürchtenden Druck auf die Pflegesätze, die Ge- fährdung der freigemeinnützigen Krankenhäuser durch die vorgese- hene Selbstaufbringung der Investi- tionen und die damit verbundene Gefährdung von Arbeitsplätzen in diesen Häusern sowie den Wider- spruch zwischen der angestrebten

Förderung der Ermächtigung von Krankenhausfachärzten zur ambu- lanten Versorgung und von beleg- ärztlicher Tätigkeit einerseits und den vorgeschlagenen vorstationä- ren und nachstationären Maßnah- men durch das Krankenhaus ande- rerseits.

Dieser klare Systembruch im Ge- setzentwurf sei darauf zurückzufüh- ren, sagte Furch, daß die einander entgegenstehenden Grundkonzep- tionen der beiden Koalitionspartner nebeneinander in die Entwürfe hin- eingeschrieben werden sollten.

Die berufspolitische Zielsetzung müsse bleiben, den Fachärzten von innen und außen, insbesondere in den Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung, die Möglich- keit zur stationären Behandlung zu erwirken. Wenn die angestellten Ärzte dieses Ziel nicht zusammen mit den Ärztekammern und KVen er- reichen, „laden wir uns die Last auf, berechtigte Interessen der Bürger aus zum Teil fadenscheinigen Grün- den nicht zu respektieren." gb

990 Heft 15 vom 14. April 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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