Die Information:
Bericht und Meinung AUS EUROPA
ÖSTERREICH
Kreisky
in der Defizit-Klemme
Gescheitert sind in Österreich die Verhandlungen zwischen den Par- teien um eine einvernehmliche Sa- nierung der Krankenhäuser. Bun- deskanzler Kreisky wird nun versu- chen müssen, mit Hilfe seiner knap- pen absolut9n sozialistischen Mehr- heit im Parlament eine Regelung zu finden, die er auch in den Ländern durchsetzen kann. Die Situation ist ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland: in der Länderkammer haben die von der konservativen Volkspartei ÖVP gestellten Regie- rungen die Mehrheit.
Eine weitere Schwierigkeit kommt hinzu: die Krankenhäuser sind in Österreich ebenfalls Sache der Län- der — und meist sind auch die Län- der mehr oder weniger stark als Krankenhausträger engagiert. Und mit Hilfe von Ländergesetzen kön- nen die Landesregierungen die Pfle- gesatzzahlungen der Krankenkas- sen selbst regulieren.
Die Idee, mit der man aus der In- teressenklemme herauszukommen suchte, war eine Sondersteuer, die sogenannte „Spitalsteuer", deren Ertrag in einen zentralen Fonds flie- ßen sollte. Aus diesem Fonds sollten dann die Defizite der Krankenhäuser abgedeckt werden. Es hat einige Monate gedauert, bis sich die Volks- partei zu einer einheitlichen Haltung in dieser Frage durchringen konnte.
Denn zunächst gab es auch in den Bundesländern, die von ihr regiert werden, durchaus Befürworter einer solchen Abgabe — allerdings wurde dazu verlangt, daß diese neue Bela- stung durch eine Reform der Lohn- steuer ausgeglichen werden müsse, weil auch in Österreich durch die Lohnentwicklung immer mehr Lohnempfänger in die Progres- sionsstufen hinein„wachsen". Hier- für aber war der Finanzminister nicht zu haben.
Ungeschickte Äußerungen von Bun- deskanzler Kreisky haben nun dazu
geführt, daß die Volkspartei den Ge- danken einer Spitalsteuer zu den Akten gelegt hat. Dies hat nun noch nichts zu bedeuten, da sie ja nicht die Mehrheit hat — jedoch haben mehrere von der Volkspartei gestell- te Landesregierungen nunmehr an- gekündigt, daß sie ihre Landesge- setze über die Spitalfinanzierung ändern werden: Statt bisher 60 sol- len in Niederösterreich, in Salzburg, möglicherweise auch in Tirol die Krankenkassen 80 Prozent der Pfle- gesätze zahlen. Bundessozialmini- ster Weissenberger hingegen, der mit solchen Gesetzen das „finanzi- elle Chaos" bei den Krankenkassen voraussieht, denkt an ein Bundesge- setz, mit dem die Krankenhausaus- gaben der Krankenkassen auf 27 Prozent ihrer Einnahmen begrenzt werden sollen. Damit würde er aller- dings bei seinen eigenen Partei- freunden anecken: der ebenfalls der sozialistischen Partei angehörende Gesundheitsreferent der Kärntener Landesregierung, Gallob, hat bereits angekündigt, daß er ein solches Ge- setz vor dem Verfassungsgerichts- hof anfechten werde.
Es ist zu erwarten, daß das Defizit aller österreichischen Krankenan- stalten im Jahr 1977 etwa 5,5 Milliar- den Schilling (775 Millionen DM) be- tragen wird. Davon entfallen aller- dings allein 3,09 Milliarden Schilling (435 Millionen DM) auf das Bundes- land Wien, das allein von der SPÖ regiert wird. Auch dies erklärt die harte Haltung der Volkspartei: Sol- len doch — so sagen ihre Politiker — die „Roten", in deren Bereich das größte Defizit vorkommt, selber se- hen, wie sie damit fertig wer- den...
NIEDERLANDE
Medizin soll
zum Menschen kommen
Für eine Dezentralisierung der Ge- sundheitsversorgung in den Ent- wicklungsländern hat sich die dies- jährige Generalversammlung der in- ternationalen Organisation für medi-
zinische Zusammenarbeit „Medicus Mundi" ausgesprochen. Die Ver- sammlung fand Ende Mai im Tro- penmedizinischen Institut der Uni- versität Amsterdam statt. Bis heute ist, so wurde auf dieser Tagung be- richtet, weiterhin in den Ländern der
„dritten Welt" die ambulante Kran- kenbehandlung, die vom Umfang her an sich die weitaus größte Auf- gabe darstellt, übermäßig stark in den wenigen Krankenhäusern zen- tralisiert. Dadurch werde aber eine medizinische Hilfe für sehr viele Kranke nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar, die Krankenhäuser wer- den außerdem mit Aufgaben überla- stet, für die sie eigentlich nicht ge- dacht sind. Gerade die großen Kran- kenhäuser — oft in bester Absicht von wohlmeinenden ausländischen Geldgebern gestiftet — verschlingen einen unverhältnismäßig hohen An- teil des Gesundheitsbudgets der Entwicklungsländer, doch kommen ihre Dienste nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugute. 90 Prozent der Krankheitsfälle brauchen nicht im Krankenhaus behandelt zu wer- den; die Krankenhauskapazitäten und damit auch die Mittel des Ge- sundheitswesens werden aber so zu einem großen Teil für die ambulante Behandlung der in unmittelbarer Nähe des Krankenhauses lebenden Menschen fehlgeleitet, während ein größerer Teil der Bevölkerung kei- nen Zugang zu Gesundheitsleistun- gen hat.
Wenn aber die Gesundheitsdienste in der „dritten Welt" wirksamer wer- den sollen, dann müsse „die Medi- zin lernen, zu den Menschen zu ge- hen" — dies erfordere aber gerade in den Entwicklungsländern oft die Be- reitschaft zum Umdenken und zum Aufgeben mancher liebgewordener Vorstellungen.
An der Generalversammlung nah- men 250 Delegierte teil, darunter 50 Teilnehmer aus mehr als 20 Ent- wicklungsländern: Gesundheitsmi- nister, hohe Regierungsbeamte oder prominente Vertreter kirchlicher und staatlicher Organisationen. Der deutsche Zweig von „Medicus Mundi" war mit 60 Teilnehmern in Amsterdam besonders stark vertre- ten. ar
1946 Heft 31 vom 4. August 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT