Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 41⏐⏐12. Oktober 2007 A2773
P O L I T I K
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raurige Verstimmung, Freud- losigkeit, Interesselosigkeit, Schlafstörungen, Angst und Suizid- gedanken – das sind die typischen Symptome einer Depression. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe seines Lebens an einer Depression zu er- kranken, beträgt etwa fünf bis 15 Prozent. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. In Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen an einer Depression. Auffällig ist das hohe Suizidrisiko: Zehn bis 15 Prozent der Patienten mit rezidivierenden schweren Depressionen sterben durch Selbsttötung. Die WHO geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 die Depression in den Industrie- nationen die führende Krankheits- ursache neben Herz-Kreislauf-Er- krankungen sein wird.Informationsdefizite sollen ausgeglichen werden
Dieser Entwicklung will die European Depression Association (EDA) etwas entgegensetzen: Zum vierten Mal wurde am 4. Oktober der Europäische Depressionstag ausgerufen. Ziel der EDA – die in Deutschland von Prof. Dr. Detlef Dietrich, Abteilung Klinische Psy- chiatrie und Psychotherapie der Me- dizinischen Hochschule Hannover (MHH) koordiniert wird – ist es, das Bewusstsein für diese Erkrankung bei Ärzten, Patienten, Angehörigen und Pflegekräften zu erhöhen. Infor- mationsdefizite sollen ausgeglichen, auf wirksame Therapien soll verwie- sen werden, um schließlich die Ver- sorgung zu verbessern.
Auf die Ursachen der Depression wies Prof. Dr. med. Arnd Barocka, Direktor der Klinik Hohe Mark, bei einer Pressekonferenz der EDA hin.
Er sieht einen Zusammenhang zwi- schen Depression und Einsamkeit als Resultat von gescheiterten oder brüchigen Beziehungen. Funktio- nierende soziale Strukturen (Familie, Partnerschaft, Arbeitswelt) schützen vor Depressionen, während dys- funktionale Familienstrukturen und Arbeitslosigkeit mit einem höheren Risiko für Depressionen einhergehen.
„Der Anstieg depressiver Erkran- kungen hängt auch mit dem Zerfall der sozialen Strukturen zusammen“, sagte Barocka. In vielen Fällen gehe einer depressiven Episode ein „kri- tisches Lebensereignis“ voraus, also ein Todesfall, eine Scheidung, ein Umzug, Arbeitslosigkeit, aber auch eine Beförderung in eine höhere be- rufliche Position. All dies führe zu einer Verarmung an Beziehungen.
Auch bei Alleinlebenden sei die Tendenz zu Depressionen höher.
Wird eine Depression rechtzeitig erkannt und behandelt, kann in der Regel auch ein Suizid verhindert werden. „Doch obwohl Antidepres- siva und wirksame psychotherapeu- tische Maßnahmen zur Verfügung stehen, wird nur eine Minderheit der Erkrankten optimal behandelt“, kritisierte Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der Universität Leipzig. Hegerl ist auch Sprecher des Kompetenznetzes „Depression/
Suizidalität“, ein vor acht Jahren gestartetes Forschungsprojekt mit dem Ziel, die Versorgungssituation zu verbessern (www.kompetenz netz-depression.de).
Ein Teilprojekt davon sind die
„Bündnisse gegen Depression“, die es inzwischen an 36 Orten in Deutschland gibt. Durch Fortbildung von Hausärzten und Informations- kampagnen sollen die Suizidraten ge-
senkt werden. Nach den Erfolgen des Modellprojekts 2002 in Nürnberg, wo die Suizidrate um 24 Prozent ge- senkt werden konnte, wähnt man sich damit auf dem richtigen Weg. „Die Bündnisse haben inzwischen die eu- ropäische Ebene erreicht“, berichtete Hegerl. 16 Länder sind schon an Bord der „European Alliance Against De- pression“ (www.eaad.net).
Noch schlechter als depressiv Er- krankte werden Patienten mit bipo- laren Störungen versorgt. Prof. Dr.
Peter Bräunig, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Vivantes Depressionszentrum Ber- lin, schätzt, dass höchstens jeder vierte Manisch-Depressive einen Arzt aufsucht und eine angemesse- ne Therapie erhält. „Oftmals wird die richtige Diagnose erst nach acht bis 15 Jahren gestellt, weil das Krankheitsbild sehr variiert.“
Manisch-Depressive haben ein höheres Suizidrisiko
Die meisten bipolar Erkrankten er- lebten als erste Episode eine De- pression, weshalb sie oft falsch be- handelt würden. Manisch-Depressi- ve haben ein hohes Suizidrisiko.
„Mindestens jeder Vierte unter- nimmt einen Suizidversuch, oft schon in den ersten Erkrankungs- jahren“, sagte Bräunig. Ein hoch spezialisiertes, sehr effektives Be- handlungsangebot stellte Dr.
Berthold Müller, Münster Klinik Zwiefalten, vor: die Depressionssta- tionen. Bundesweit gibt es inzwi- schen 90 solcher Stationen an Fach- krankenhäusern und an einigen Uni- versitätskliniken. Behandelt werden dort zumeist schwerst Depressive und Patienten mit Suizidverdacht.
Die Therapie erfolgt nach einem multimodalen Therapiekonzept, ei- ner Kombination aus Psychophar- makologie, Psychotherapie, Sport, und Soziotherapie.
„Auf normalen Stationen kann man diesen Patienten nicht gerecht werden“, sagte Müller. Depressi- onsstationen bieten in einem spezi- ell auf diese Patienten ausgerichte- ten fürsorglichen, strukturierenden und aktivierenden Milieu eine Ver- dichtung aller therapeutischen Mög-
lichkeiten. I
Petra Bühring