Die Information:
Bericht und Meinung MARBURGER BUND
Die angestellten und beamteten Ärzte, insbesondere die am Kran- kenhaus tätigen, haben erneut ih- re Bereitschaft unterstrichen, die Bemühungen zur Kostendämp- fung und zur Verbesserung der Ef- fizienz im Gesundheitswesen aktiv zu unterstützen. Der Marburger Bund (MB) ließ anläßlich seiner 52.
Hauptversammlung vom 4. bis 6.
November 1977 in Köln indes kei- nen Zweifel daran, daß die Maß- nahmen zur Dämpfung der Kosten im Gesundheitswesen und struk- turelle Änderungen nicht zu La- sten der Krankenhausärzte gehen dürfen. Vielmehr sollten die längst überfällige Reform der inneren Krankenhausstrukturen und deren Anpassung an heutige Erforder- nisse bewußt in die Kostendäm- pfungsbemühungen einbezogen werden.
Ärztliche Kooperation
Obwohl die Vorschläge des Mar- burger Bundes seit Verabschie- dung der Saarbrücker Leitsätze (1971) starke Beachtung in den meisten ärztlichen Organisationen und im öffentlichen Bewußtsein gefunden haben, sind diese bisher nur in geringerem Umfang in die tägliche Praxis umgesetzt worden.
Dies gilt insbesondere für die vom Marburger Bund entwickelten Vorschläge zur Verbesserung der Strukturen des krankenhausärztli- chen Dienstes und zur Ablösung der Hierarchien durch eine Kolle- gialverfassung im ärztlichen Be- reich. Eine Grundthese des Mar- burger Bundes lautet bekanntlich:
Ein Team mehrerer kooperativ tä- tiger Fachärzte (Teamärzte) ist in der Lage, eine Krankenhausabtei- lung kostengünstiger und patien-
tengerechter zu versorgen als das gegenwärtige System, das zu we- nig geeignet ist, qualifizierten Fachärzten eine Lebensstellung am Krankenhaus zu garantieren.
Dr. med. Karsten Vilmar (Bremen), der Erste Vorsitzende des Marbur- ger Bundes, kritisierte, daß gegen- wärtig nur zehn Prozent der Kran- kenhausärzte die Chance besä- ßen, dort eine Lebensaufgabe zu finden. Kein anderer gesellschaft- licher Bereich (etwa Schulen, Be- hörden) könne es sich leisten, daß 90 Prozent seines Personals ihn nach kostenaufwendiger Aus- und Weiterbildung nach relativ kurzer Zeit wieder verlassen — hier also:
zum Nachteil der Krankenhausver- sorgung sehr schnell in die freie Praxis wechseln, ohne dort etwa alle Lücken in Mangelbereichen auffüllen zu können. Wer eine gute Krankenhausmedizin bieten und für mehr Wirtschaftlichkeit sorgen wolle, müsse endlich, betonte Vil- mar, entsprechende Eigeninitiati- ve, Eigenverantwortung und Be- zahlung gewähren, um zu errei- chen, daß die Mitarbeiter des Krankenhauses sich mit ihrem Aufgabenbereich identifizierten und besser für rationelle und me- dizinisch effiziente Leistungen motiviert werden könnten.
Der MB-Vorsitzende setzte sich dafür ein, eher größere Arbeitsein- heiten im Krankenhaus zu schaf- fen, in der sämtlichen Fachärzten Arbeitsmöglichkeiten in selbstän- digen, integrierten Funktionsbe- reichen offenstehen.' Und im Hin- blick auf manche „autoritäre Strukturen", die mehr auf Bevor- mundung als auf freien Gedanken- austausch und Kooperation orien- tiert sind, konstatierte Dr. Vilmar:
„Verantwortung und Kompetenz, Rechte und Pflichten müssen ...
wieder in ein angemessenes Ver- hältnis gebracht werden. Ein le- benslanges Lehrer-Schüler-Ver- hältnis wird dieser Notwendigkeit nicht gerecht." Vilmar machte zu- gleich klar, daß das geforderte Kollegialsystem nicht mit einer er- weiterten Mitbestimmung ver- wechselt werden dürfte. Mitbe- stimmung sei auf das Verhältnis von Arbeitnehmer zu Arbeitgeber gerichtet. Die vom MB geforderten Änderungen richteten sich auf ei- ne Verbesserung der Information und Motivation qualifizierter Mit- arbeiter und somit vielmehr auf die Verbesserung des Verhältnisses von Mitarbeitern zu Patienten. Un- abweisbar seien Strukturreformen allein schon deswegen, weil es sonst nicht zu verhindern sei, daß immer wieder einmal Intoleranz gegenüber abweichenden Mei- nungen, Ausschluß des Wider- spruchs, subtile Nadelstichpolitik und massive Disziplinierungsver- suche, die bis zu finanziellen Sanktionen und einem an Berufs- verbot erinnernden Arbeitsentzug reichten, das Arbeitsklima vergif- ten und die Versorgung der Pa- tienten beeinträchtigen können.
Kostenneutral
und patientenfreundlich
Die vom MB geforderten Struktur- reformen brächten überdies keine zusätzlichen finanziellen Bela- stungen für die Krankenhausträ- ger, weil in aller Regel die Stellen- pläne nicht erweitert werden müß- ten. Wegen der rationelleren Nut- zung und der größeren personel- len Kontinuität beim Übergang zum Kollegialsystem seien sogar Kosteneinsparungen zu erzielen.
Daß der Marburger Bund seine Strukturreformvorschläge nicht im luftleeren Raum konzipiert hat, zeigen die Beispiele der Nieder- lande oder durchaus akzeptable Realisierungsversuche in der Bun- desrepublik wie in der Paracelsus- Klinik in Osnabrück, im Kranken- haus Erding oder in den Städti-
Die Effizienz
der Krankenhaus-Medizin verbessern!
Marburger Bund bekräftigt seine gesundheitspolitischen Essentials
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 46 vom 17. November 1977 2729
Kostendämpfung
Um die begrenzten finanziellen Mittel im Krankenhaus rationel- ler einzusetzen und um zur Ko- stendämpfung beizutragen, for- dert die MB-Hauptversamm- lung:
schrittweise Ablösung des Chefarztsystems durch das Teamarztsystem;
fachkundige Analyse der Ko- sten und Leistungen der Ar- beitsbereiche ärztlicher Dienst, pflegerischer Dienst, Wirtschaft und Verwaltung;
Entwicklung aussagekräftiger Parameter für die Effizienzkon- trolle der Leistungsstellen am Krankenhaus;
ausreichende und realistische Bedarfsanalysen für das Kran- kenhaus.
Freiberufliche Prinzipien Bei der Novellierung der Zulas- sungsordnung für Kassenärzte sollten Regelungen vermieden werden, die nicht durch das Ge- setz (§ 368 ff RVO) gedeckt sind. Eine Überschreitung des Gesetzesauftrages wäre die Einführung einer Regelfrist von sechs Monaten für den Verzicht auf die Zulassung. In Berei- chen, in denen die Sicherstel- lung nicht gefährdet sei, müsse ein Grundrecht des freien Beru- fes gewahrt bleiben, nämlich diesen uneingeschränkt nach eigenem Entscheid auch been- den zu können.
Vorbereitungszeit
Die tatsächliche Beteiligung von Krankenhausfachärzten an der ambulanten Versorgung dürfe nicht dadurch einge-
schränkt werden, daß von ihnen sämtliche Voraussetzungen ge- fordert werden, die für eine Vollkassenzulassung vorgese- hen sind (insbesondere die Ab- leistung einer sechsmonatigen Vorbereitungszeit als Vertreter oder als Assistent bei einem frei praktizierenden Kassenarzt).
Diese Voraussetzungen könne der Krankenhausfacharzt aber nur in Ausnihmefällen erfüllen.
Weiterbildungsdauer
Die bisher geltenden Weiterbil- dungszeiten sollen in denjeni- gen Gebieten kritisch überprüft werden, wo die EG-Richtlinien überschritten werden. Überlan- ge Weiterbildungszeiten sollten vermieden werden. Die Länge der Weiterbildungszeiten müs- se zudem auf die in Zukunft ge- ringeren Weiterbildungskapazi- täten abgestimmt werden.
Europäische Harmonisierung Die ärztliche Aus- und Weiter- bildung muß auf europäischer Ebene zielbewußt harmonisiert werden. Die Weiterbildung soll durch eine freizügige berufli- che Tätigkeit in Ländern der Europäischen Gemeinschaft er- möglicht werden.
Freizügigkeit
Die Zusammenarbeit der Ver- bände der Krankenhausträger und Krankenhausärzte auf eu- ropäischer Ebene ist eine we- sentliche Voraussetzung dafür, um sowohl die Freizügigkeit der Gesundheitsberufe zu ver- bessern und die Arbeitsbedin- gungen anzugleichen. Einseitig errichtete Sprachbarrieren dürften nicht dazu benutzt wer- den, die europäische Gesetzge- bung über die Freizügigkeit der Ärzte auszuhöhlen. HC Die Information:
Bericht und Meinung Krankenhaus-Medizin
schen Krankenanstalten Biberach und anderen Modellen. Die Reali- sierung sollte nicht daran schei- tern, so das Petitum des Vorsitzen- den, daß die übliche Verwaltungs- hierarchie und das Tarifgefüge be- rührt werden könnten. Auch kön- ne nicht die Fiktion weiter vertre- ten werden, daß allein der Chefarzt die für alles verantwortliche und allwissende Instanz sein könne.
Daß das Kollegialsystem auch ein patientenfreundliches Ordnungs- prinzip im Krankenhaus sein kann, unterstrich der Marburger Bund mit dem Argument, es könne end- lich auch für Krankenhauspatien- ten das Recht auf freie Arztwahl verwirklichen. Zudem könne bei entsprechender Beteiligung oder Ermächtigung durch Kassenärztli- che Vereinigungen eine lückenlo- se ärztliche Versorgung für schwerkranke oder schwer dia- gnostizierbare Patienten durch ein und denselben Arzt sowohl im sta- tionären als auch im ambulanten Bereich erfolgen.
Dr. Vilmar beklagte, daß die Pla- nungen im Krankenhausbereich immer noch ohne ausreichende Bedarfsanalysen erfolgen. Es fehl- ten bundeseinheitliche Leistungs- kriterien, die, gegliedert nach Lei- stungskategorien und einzelnen Fachgebieten, die Leistungseffi- zienz sichtbar machen könnten.
Für die Bedarfsplanung seien Morbiditäts- und Mortalitätsstati- stiken ebenso unerläßlich wie die Analyse der Verkehrsströme und Untersuchungen darüber, wo und aus welchen Gründen der „medi- zinische Bedarf" bei einzelnen Be- völkerungsgruppen gedeckt wird.
Auch im Hinblick auf die anste- hende Novellierung des Kranken- hausfinanzierungsgesetzes (KHG) sprach sich der Marburger Bund für mehr Kooperation und Koordi- nation der Krankenhäuser unter- einander aus. Vor allem müsse auch die Planung über die Länder- grenzen hinweg erfolgen. Dies dürfe jedoch nicht zu einem Trend allgemeiner Kommunalisierung der Krankenhausträger führen. Im Gegenteil, die Pluralität der Trä-
gerschaft habe sich bisher be- währt und müsse erhalten bleiben.
In Zukunft müßten Überkapazitä- ten vermieden und festgestellte Bettenüberhänge abgebaut oder
einer anderen Verwendung zuge- führt werden (Stichwort: Umwid- mung von Akutbetten für Pflege- fälle). Der Gesetzgeber in Bund und Ländern dürfe aber nicht
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Bericht und Meinung
Effizienz- und Kostenprobleme im Gesundheitswesen, Probleme der Reform der inneren Strukturen der Krankenhäuser und aktuelle berufs- sowie tarifpolitische Fragen standen im Mittelpunkt der 52. Hauptversammlung des Verbandes der angestell- ten und beamteten Ärzte Deutschlands (Marburger Bund) e. V. vom 4. bis zum 6. November im Kölner Gürzenich Foto: Zellerhoff
durch gesetzliche Maßnahmen in die innere Struktur der Kranken- häuser hineinregieren. Dies dürfe andererseits nicht dazu führen, daß bisherige fortschrittsfeindli- che Strukturen festgeschrieben werden. Als einen Weg zur Verbes- serung der Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus und zur Beschleuni- gung der Arbeitsabläufe empfahl der MB, den Krankenhäusern und den leitenden Organen mehr rechtliche und organisatorische Selbständigkeit zu geben. Zu lan- ge Dienst- und Entscheidungswe- ge könnten dann wirksam abge- kürzt werden.
Als ein Hindernis auf dem Wege zu mehr Leistungseffizienz und wirt- schaftlicher Verhaltensweise be- zeichnete der Marburger Bund die Pauschalierung der Pflegesätze (eine These, die vom Sprecher des Bundesverbandes der Ortskran- kenkassen, Prof. Dr. Edwin H.
Buchholz, heftig bestritten wurde).
Pauschalierte Pflegesätze behin- derten die Berücksichtigung indi- vidueller, im Einzelfall sehr unter- schiedlicher physischer oder psy- chischer Faktoren. Die Praxis zei- ge, daß die Pauschalierung weder Leistungsanreiz biete, noch zu ei- ner wirtschaftlichen Verhaltens- weise führe. Dr. Vilmar ist der Auf- fassung, daß ein nach einzelnen Kostenarten gegliederter Pflege- satz (Unterbringung und Verpfle- gung, pflegerische Leistung, ärzt- liche Leistung, medizinisch-tech- nische Leistung usw.) zumindest die Transparenz und die Ver- gleichbarkeit zwischen den Kran- kenhäusern verbessern könne.
Das Pro und Contra des pauscha- lierten Pflegesatzes war Gegen- stand einer lebhaften Debatte zwi- schen Sprechern und Ortskran- kenkassen, der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft und den De- legierten des Marburger Bundes, ohne daß dabei ein Konsensus er- zielt werden konnte. Zumindest war man sich darin einig, daß ein differenzierter Pflegesatz und eine verbesserte Kostenarten- und Ko- stenstellenrechnung als Instru- ment wirtschaftlicher Betriebsfüh- rung eingesetzt werden könne.
Beteiligung begrüßt
Wenn auch die mit großer Eile durchgepeitschten Gesetze zur Krankenversicherungs-Weiterent- wicklung (KVWG) und zur Kosten- dämpfung in der Krankenversiche- rung (KVKG) zu massiver Kritik An- laß gaben, so verbuchte der Mar- burger Bund dennoch auf der Er- folgsseite, daß über die bisher be- reits mögliche Beteiligung leiten- der Krankenhausärzte an der kas- senärztlichen Versorgung hinaus auch andere Krankenhausfachärz- te mit nicht leitender Funktion in die ambulante Versorgung einge- schaltet werden könnten. Dies wertete der Verband als einen be- deutenden Schritt in Richtung der angestrebten Strukturverbesse- rungen; allerdings könnten diese Regelungen notwendige Refor- men der inneren Strukturen nicht ersetzen. Je nach regionaler oder fachlicher Gegebenheit seien indi- viduelle Strukturverbesserungen anzustreben. In jedem Fall müssen nach Ansicht des MB Fehlent-
scheidungen oder Fehlentwick- lungen, die sich ohne langfristige Konzeption lediglich jeweils an ei- ner Legislaturperiode orientieren, vermieden werden. Dazu müßten Ärzte, Manager, Volks- und Be- triebswirte zusammenarbeiten.
Mit einigem Stolz verbuchte der Marburger Bund anläßlich seines dreißigjährigen Jubiläums die mit anderen Organisationen seit Jah- resfrist in Gang gesetzte Tarifge- meinschaft im öffentlichen Dienst.
Der Tarifgemeinschaft ist es in der Tat gelungen, in Vergütungstarif- verhandlungen mit den öffentli- chen Arbeitgebern das Prinzip der leistungsbezogenen Vergütungs- regelung durchzusetzen und ei- nen auf „Nivellierung und Versok- kelung" ausgerichteten „lei- stungsfeindlichen" Tarifkurs der Gewerkschaft ÖTV zu verhindern.
Zusammen mit der Deutschen An- gestellten-Gewerkschaft (DAG) und der „Gewerkschaft der Ge- meinschaften und Verbände des öffentlichen Dienstes" (GGVöD) kämpft der MB für ein leistungsbe- zogenes Tarifsystem. Der Marbur- ger Bund bekräftigte seine Ab- sicht, seine konsequente gewerk- schaftliche Marschrichtung auch in Zukunft fortzusetzen. Denn: Die Erhaltung eines individuellen Ge- staltungsfreiraums ist Grundvor- aussetzung für eine „möglichst gute ärztliche Versorgung der Be- völkerung". Nivellierung und insti- tutionelle Zwänge sind ein Hemm- schuh beim Streben nach mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz in allen Bereichen des Gesundheits- wesens. Dr. Harald Clade
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 46 vom 17. November 1977 2731