DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Kassenärztliche Arzneitherapie
Vorschläge zur Verbesserung arzneitherapeutischer Effizienz und Wirtschaftlichkeit
Hans Friebel, Volker Dinnendahl,
Bruno Müller-Oerlinghausen und Hermann Overhoff
I)
as zweijährige Stu- dium des Verord- nungsverhaltens der im Dortmunder Raum niedergelasse- nen Ärzte zeigte — wie in den voraus- gehenden Kurzberichten (1) und an- derenorts (2, 3) dargestellt — eindeu- tig, daß dringend die therapeutische Wirksamkeit und Sicherheit der kas- senärztlichen Arzneibehandlung verbessert werden müssen; das Pro- blem der Verordnungkosten er- scheint demgegenüber als zweitran- gig. Wir möchten hierzu zusammen- fassend und abschließend einige Vorschläge machen:Die wichtigsten Träger der Be- mühungen um die notwendige Ver- besserung der Verordnungsrationali- tät sollten die medizinischen Fa- kultäten und die Akademien für ärzt- liche Fort- und Weiterbildung sein.
Die medizinischen Fakultäten sind gefordert, bei der Unterrich- tung der Medizin-Studenten in Kli- nischer Pharmakologie und Arz- neitherapie die Erfordernisse der arzneitherapeutischen Patientenver- sorgung — möglichst im Beisein nie- dergelassener Arzte — so realistisch und eindringlich in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen, daß sie dem Studenten während seiner spä- teren ärztlichen Tätigkeit trotz an- dersartiger Umwelteinflüsse unver- gessen bleiben. Den Dozenten sollte Gelegenheit gegeben werden, die Erfordernisse der arzneitherapeuti- schen Patientenversorgung in der Praxis niedergelassener Arzte ken- nenzulernen.
Auch bei der Fortbildung der niedergelassenen Ärzte ist für den
Die vorausgehenden zwei Be- richte über das Verordnungs- verhalten Dortmunder Kassen- ärzte in den Jahren 1984 bis
1986 werden in diesem Heft mit Vorschlägen zur Verbesserung der arzneitherapeutischen Effi- zienz und Wirtschaftlichkeit ab- geschlossen.
Erfolg angebotener klinisch-phar- makologischer Themen die Praxis- nähe der Programme ausschlagge- bend. Ausreichendes pharmakologi- sches Basiswissen und darauf auf- bauende Weiter- und Fortbildung sind unentbehrliche Voraussetzun- gen für rationale therapeutische Entscheidungen.
Auffallend ist ein partieller Ver- zicht vieler Ärzte auf eine natur- wissenschaftliche Fundierung ihrer Therapieentscheidungen. Verord- nungen von Arzneimitteln und The- rapieverfahren aus den Grenzberei- chen der wissenschaftlichen Medizin haben einen bemerkenswerten Stel- lenwert gewonnen. Eine Optimie- rung der Arzneitherapie wird aber nur dort möglich sein, wo der weite- ren Erosion ihrer wissenschaftlichen Fundierung entschieden entgegen- getreten wird. Der Bundesausschuß der Arzte und Krankenkassen und die Akademien für ärztliche Fort- und Weiterbildung sind gefordert, in dieser Hinsicht eindeutige und un- übersehbare Akzente zu setzen.
Im einzelnen läßt sich die Arz- neitherapie durch folgende Maßnah- men verbessern:
Der Arzt muß sein recht zu- fällig zustande gekommenes Arznei- mittel-Sortiment auf einen überseh- baren Bestand von etwa 200 Fertig- arzneimittel reduzieren.
Dieses Sortiment muß a) dem therapeutischen Fortschritt und b) sich ändernden Bedürfnissen der Klientel angepaßt werden. Das Tempo der Anpassung sollte von den seltenen Ereignissen echter the- rapeutischer Fortschritte und dem sich nur langsam ändernden Bild durchschnittlicher Morbidität be- stimmt werden. Von daher mag ein Austausch von maximal 20 Fertig- arzneimitteln pro Jahr noch plau- sibel erscheinen.
Die Umstellung der derzeiti- gen, zufällig zustande gekommenen, individuellen Arzneimittel-Sorti- mente auf ein persönlich geplantes, ständig überwachtes Sortiment mag jedem niedergelassenen Arzt ein bis zwei Jahre konsequenter Arbeit ab- verlangen.
Erfolgreich kann diese Um- stellung nur sein, wenn zugleich die wesentlichen Ursachen des derzeiti- gen Zustandes radikal beseitigt wer- den: Die unkritische Erfüllung von Verordnungswünschen und die Ab- gabe von Arztemustern an Patien- ten. Der niedergelassene Arzt muß lernen, in der Zusammenarbeit mit dem Patienten eine Position zu wah- ren, die auch eine kritische Einord- nung von Therapievorschlägen aus dem Krankenhaus und von anderer Seite in sein persönliches Verord- nungskonzept möglich macht. Die vielfach geäußerte Furcht vor Pa- tientenverlusten als Folge konse- A-2924 (72) Dt. Ärztebl. 85, Heft 42, 20. Oktober 1988
quenter Verordnungsrationalität ist nach den Erfahrungen beim Dort- munder Projekt unbegründet.
* Mit besonderer Zurückhal- tung sollte der Arzt bei der Planung seines persönlichen Sortiments den Mitteln begegnen, deren Wirksam- keit beziehungsweise Rationalität umstritten ist, wie zum Beispiel zahl- reichen fixen Kombinationen. Um- strittene Arzneimittel vermehren in jedem Fall das therapeutische Risi- ko, lindern aber nicht in jedem Fall die Beschwerden der Patienten und sind häufig unwirtschaftlich. Fixe Kombinationen lassen den Arzt ver- gessen, daß er seine Patienten den Risiken der Multimedikation aus- setzt, ganz besonders seine multi- morbiden älteren Patienten. Bei den älteren Patienten wird das Vermei- den von Arzneimitteln zweifelhafter Wirksamkeit und die Verordnung von Mono-Präparaten anstelle von entbehrlichen Kombinationsmitteln zur Pflicht.
• Zur Senkung des arznei- therapeutischen Risikos kann ferner die strikte Beachtung von Kontra- indikationen und von möglichen In- teraktionen beitragen. Die Quote nachgewiesener vermeidbarer Ver- ordnungsfehler könnte durch größe- re Verordnungssorgfalt problemlos gesenkt werden.
■ Die Suchtwahrscheinlichkeit kann gesenkt werden, wenn der ho- he Verordnungsanteil von Arznei- mitteln mit Abhängigkeit erzeugen- dem oder erhaltendem Potential re- duziert wird.
Neben der Sortimentpflege und Verordnungsrationalität ent- scheidet die Mitarbeit der Patienten über die therapeutische Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Arz- neitherapie. Die Nachprüfung der Patienten-Compliance, die Verbes- serung der Bestellpraxis, die Verein- fachung der Therapie, die Überprü- fung des Verstehens von Therapie- anweisungen bringen verbesserte Therapieerfolge und senken die Quote der Wiederholungsverord- nungen.
■ Aus wirtschaftlicher Sicht ist der Ersatz kostspieliger Fertigarz- neimittel durch billigere Zweitan- bieter-Präparate wünschenswert.
Schwierigkeiten bei der Verordnung
von Zweitanbieter-Präparaten las- sen sich vermeiden, wenn sie zur Ersteinstellung eines Patienten auf einen Wirkstoff verwendet werden und wenn für das gewählte Produkt Bioverfügbarkeits-Daten vorliegen.
■
Sollten in einer Praxis die Verordnungskosten so stark anstei- gen, daß Regreß befürchtet werden muß, gelingt die Entlastung des Budgets am einfachsten, schnellsten und wirksamsten mittels Reduktion der pro Patient ausgeschriebenen Rezepte und der je Rezept verord- neten Arzneimittel. Auswirkungen von Vergrößerung oder Verringe- rung des Verordnungsvolumens auf den Patientenbestand der Arztpra- xen haben sich nicht nachweisen las- sen.Die vorstehenden Vorschläge zur Verbesserung der Verordnungs- rationalität sollten von unseren nie- dergelassenen Kollegen daraufhin überprüft werden, ob sie für ihren Arbeitsbereich anwendbar und nutz- bringend sind. Im positiven Fall soll- te mit der Umsetzung der Vorschlä- ge in verbesserte Verordnungsratio- nalität nicht gezögert werden.
Literatur
1. Friebel, H. et al.: Kassenärztliche Arz- neitherapie — Schwachstellen rationaler Ver- ordnung; Dt. Ärztebl. 85, Heft 40/1988; Kas- senärztliche Arzneitherapie — Kritische Ver- ordnungssituationen; Dt. Ärztebl. 85, Heft 41/1988
2. Friebel, H.: Kassenärztliche Arzneiverord- nung — Ist sie rational?; Dt. Ärztebl. 85, Heft 27, 7. Juli 1988
3. Friebel, H. et al.: Arzneimitteltransparenz und -beratung in Dortmund; 1. bis 3. Mittei- lung; Pharmazeutische Zeitung 132 (1987) 14-23 und 1981-1989, 133 (1988) 680-690 und 932-940
Prof. Dr. Volker Dinnendahl, Arznei- mittelkommission der Deutschen Apotheker, Postfach 97 01 08, 6000 Frankfurt a. M. 97
Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerling- hausen, Labor für Klinische Psycho- pharmakologie, Psychiatrische Kli- nik und Poliklinik der Freien Univer- sität Berlin, Eschenallee 3, 1000 Ber- lin 19
Dr. med. Hermann Overhoff, Esse- ner Straße 31, 4630 Bochum
Korrespondenzanschrift:
Professor Dr. med. Hans Friebel Uferstraße 42
6900 Heidelberg
Ornithin-
Decarboxylase- Aktivität
als Marker für Kolontumoren
Screeninguntersuchungen sind wahrscheinlich nur bezahlbar, wenn sie sich auf Populationen mit hohem Krebsrisiko beschränken. Für das Kolonkarzinom gelten als Risiko- gruppen die hereditären Polypose- syndrome , die familiäre Kolonneo- plasie und eine Erkrankung an einem kolorektalen Karzinom im jugendli- chen Alter. Da bei Patienten mit ei- ner Adenomatosis coli die Ornithin- Decarboxylase-Aktivität in der Dickdarmschleimhaut erhöht ist, untersuchten die Autoren von der Wayne State University School of Medicine, Detroit, Schleimhaut- biopsien bei 47 Patienten im Alter von 50 bis 60 Jahren, die kolosko- piert wurden.
Bei 26 Patienten fand sich bei der Koloskopie kein Neoplasma, bei 20 Patienten ein bis drei Adenome und bei einem Patient ein Dukes-A- Karzinom. Die Schleimhautgewebs- proben wurden in einer Entfernung von 10 cm vom Anus entnommen und mußten mindestens 10 cm von der Neoplasie entfernt sein. Frauen wiesen eine höhere Ornithin-Decar- boxylase-Aktivität auf als Männer.
Bei allen Patienten mit einem Ade- nom oder Karzinom lagen die Orni- thin-Decarboxylase-Werte signifi- kant höher als bei den Patienten, bei denen keine Neoplasie gefunden wurde. Offensichtlich weist ein er- höhter Gehalt an Ornithin-Decar- boxylase auf eine allgemeine Prolife- rationstendenz hin, die nicht nur auf die tumortragende Region be- schränkt ist.
G. D. Luk, T. Desai, A. Bull, J. Kinzle,
R. Thompson, A. Silverman, J. Moshier:
Rectal mucosal ornithine decarboxylase activity as a marker for colonic polyps and cancers. (Digestive Disease Week, New Orleans, 1988)
Dt. Ärztebl. 85, Heft 42, 20. Oktober 1988 (75) A-2925