ach Einführung der Praxisbud- gets nähmen die Krankenhaus- einweisungen wieder zu, er- klärte Dr. med. Eckard Weisner, Spre- cher des Vorstands der Stiftung Zen- tralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), anläßlich der Kura- toriumssitzung des ZI am 17. Novem- ber in Berlin. Dies sei zwar „eine ver- ständliche Reaktion der Vertragsärz- te, aber versorgungspolitisch kontra- produktiv“. Die Analyse von Panel- daten des Instituts für Medizinische Statistik in Frankfurt/Main für 1998 vor und nach der Einführung der Pra- xisbudgets war eines der Projekte, die der ZI-Vorstandssprecher in seinem Jahresbericht vorstellte.
Im gastroenterologischen Be- reich könnten theoretisch Ausgaben in Höhe von 2,4 Milliarden DM einge- spart werden, wenn Patienten statt im Krankenhaus in Schwerpunktpraxen diagnostiziert und therapiert würden.
Das ZI stellte hierzu ein betriebswirt- schaftliches Modell vor, das für die
Gastroskopie und die Koloskopie auf einer Kalkulation der Gebührensätze zwischen 154 und 252 DM beruht.
„Diese sind zwar höher als die gegen- wärtigen EBM-Bewertungen, ver- sprechen aber eine deutliche Entla- stung“, erklärte Weisner.
Einkommensrückgang
Ein weiteres Projekt analysierte die Kostenstruktur in Arztpraxen. Be- zogen auf die vergangenen drei Jahre, ließe sich ein Rückgang der Einnah- men von 2,7 Prozent feststellen. Dra- matischer seien allerdings die Umsät- ze aus vertragsärztlicher Tätigkeit, die bei 21 Prozent aller Ärzte in West- deutschland und 27 Prozent in Ost- deutschland unter 80 000 DM jährlich vorSteuern lägen. Ohne Privatumsät- ze käme jeder fünfte Arzt auf weniger als 3 000 DM netto monatlich; Alters- vorsorge und Krankenversicherung sind dabei bereits abgezogen.
Das ZI hat im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein ein „Arztpanel“ aufge- baut, aus dem sich Behandlungsprofi- le ermitteln lassen. Damit „können wir besser als bisher beweisen, für welche Bevölkerungsgruppen und welche Krankheiten Ärzte Leistun- gen erbringen“, sagte Weisner. Daten von 600 000 Patienten mit rund zwei Milliarden Diagnosen liegen je Quar- tal vor. So litten beispielsweise in der Altersgruppe der 60- bis 69jährigen bei Allgemeinärzten 44 Prozent an Hypertonie; einschließlich der Ne- bendiagnosen entfielen 30 Prozent
der Behandlungskosten und 25 Pro- zent der Ausgaben für Arzneimittel allein auf Hypertoniker. In bezug auf den Datenschutz sei das Projekt, das ausgebaut werden soll, allerdings
„nicht problemlos“.
Polypen-Früherkennung
Gemeinsam mit der KV Bayerns und der Arbeitsgemeinschaft der Ver- bände der bayerischen Krankenkas- sen hat das ZI den Modellversuch
„Kolonkarzinom-Screening“ wissen- schaftlich begleitet. Ein aus dem Krebsfrüherkennungsprogramm aus- gelagertes Screening auf Okkultblut- test habe zu einer Polypen-Ent- deckungsrate geführt, die fünfmal so hoch war wie die der Kolonkarzino- me. Weisner unterstützt daher die Forderung der Studienbetreiber, den Okkultbluttest zur Polypen-Früher- kennung in die Routineprogramme aufzunehmen.
Ziel der Planungsstelle Mammo- graphie-Screening im ZI ist es, die Mortalität bei Brustkrebs um bis zu 36 Prozent zu senken. Im September die- ses Jahres erhielt eine Projektgruppe aus Bremen den Zuschlag für ein Mo- dellprojekt, das nach internationalem Standard Mammographie-Screening durchführen soll.
Bessere Versorgung der Diabetiker
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeiten des Zentralinstituts ist die wissenschaftliche Begleitung der Strukturverträge der KVen zur besse- ren Diabetikerversorgung. Am weite- sten fortgeschritten ist die Begleitung des Strukturvertrages in der KV Nordrhein. Das System funktioniere inzwischen so gut, daß die Ärzte be- reits sechs Wochen nach Quartalsen- de die Ergebnisse ihrer Patienten im Vergleich zum Gesamtkollektiv aller am Strukturvertrag beteiligten Ärzte und Patienten erhielten. Würden fest- gelegte Normwerte überschritten, müsse der Hausarzt an eine Schwer- punktpraxis überweisen. Inzwischen sei deutlich geworden, daß bei 75 Pro- zent aller Diabetiker eine Überwei- sung erforderlich ist. Das ZI bietet A-3224 (16) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 50, 17. Dezember 1999
P O L I T I K AKTUELL
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung
Hüter von Qualität
und Wirtschaftlichkeit
Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die
die Berufsausübung des Kassenarztes unterstützen, und die wissenschaftliche Überwachung
der Qualität in der ambulanten Versorgung werden zur Zeit vorrangig im Zentralinstitut bearbeitet.
N
Einige Projekte des Zentralinstituts
• Arzneimittelinformationssystem (AMIS)
• ICD-10- Diagnosethesaurus
• Investitions- und Kostenbera- tungsmodell (INKO)
• Schnittstellen für elektronische Kommunikation
• wissenschaftliche Schriftenreihe
• Beratungsservice für Ärzte
• Gutachten
• Publikationen
außerdem seit zehn Jahren Schu- lungsprogramme für Diabetes Typ 1 und 2 an, in denen rund 15 000 Ärzte geschult wurden. Ein analoges Schu- lungsprogramm für Hypertonie sei fertig und werde zur Zeit im Bereich der KV Westfalen-Lippe als Modell- versuch eingesetzt.
Ferner führt das ZI eine Studie durch, die den Einsatz leitlinienge- stützter Behandlung zur Verbesse- rung der Behandlungsqualität unter- sucht. Überprüft wird – zusammen mit der Techniker Krankenkasse und dem Institut für Sozialökonomie und klinische Epidemiologie der Univer- sität zu Köln –, ob der Einsatz im am- bulanten Bereich zu einer Steigerung des Aufwandes bei gleichzeitiger Sen- kung der Gesamtkosten führt. Ärzte in Bonn, Köln, Aachen und Düssel- dorf behandeln in dem Projekt leitli- niengestützt Hypertonie-Patienten.
In einer Kontrollgruppe wird die Hy- pertonie-Behandlung nach herkömm- lichen Methoden durchgeführt.
Psychotherapiebedarf
Das ZI hat in diesem Jahr ein Dreijahres-Projekt zur Planung des Bedarfs in der psychotherapeutischen Versorgung abgeschlossen. Die Er- gebnisse des vom Bundesgesundheits- ministerum und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung finanzierten Pro- jektes zeigten, „daß der Psychothera- piebedarf, so wie er heute festgelegt ist, weit unterschätzt wird“, so Weisner.
Als „wichtigstes Ergebnis“ im Bereich Kommunikationstechnologie bezeichnet der Vorstandssprecher die Spezifikation zum elektronischen Arztausweis. Dieser soll in Zukunft den herkömmlichen Arztausweis er- setzen. Die Spezifikation steht in eng- lischer Sprache auf der Webseite des ZI international zur Verfügung. Im deutsch-französischen Grenzgebiet ist das ZI an dem Projekt NETLINK be- teiligt. Französischen Patienten soll der Zugang zu deutschen Dialysezen- tren mit einem elektronisch gespei- cherten Berechtigungsausweis in ih- rer Patientenkarte „Sesam vitale“ er- möglicht werden. In Deutschland müßten die Voraussetzungen zur Ver- arbeitung der Daten noch geschaffen
werden. Petra Bühring
A-3226
P O L I T I K AKTUELL
(18) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 50, 17. Dezember 1999
„Es ist notwendig, daß wir die Kommission und ihre pharmakologi- sche Kompetenz bei den niedergelas- sen Ärzten und bei der Politik stärker bekanntmachen“, lautete der Appell von Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oer- linghausen an die Mitglieder der Arz- neimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), einem Fachaus- schuß der Bundesärztekammer. Der AkdÄ-Vorsitzende zog anläßlich der Mitgliederversammlung dennoch ei- ne positive Bilanz: „Wir sind in die- sem Jahr einen deutlichen Schritt nach vorne gegangen.“ Es sei der Kommission gelungen, aus dem „El- fenbeinturm“ herauszukommen. Das von der AkdÄ herausgegebene Ta- schenbuch „Arzneiverordnungen in der Praxis“ beispielsweise richte sich vornehmlich an Hausärzte und könne diesen eine wichtige Hilfe beim sinn- vollen Umgang mit ihren begrenzten Budgets sein. „So kann eine vernünf- tige, praxisorientierte Positivliste aus- sehen“, resümierte Müller-Oerling- hausen mit Blick auf die geplante Ge- sundheitsreform – oder das, was von ihr übrigbleibt. Im Gegensatz zur Po- litik stehe die Kommission nicht im Sperrfeuer interessierter Kreise, son- dern könne wissenschaftlich kompe- tent und industrieunabhängig agieren:
„Das Heil kommt nicht aus der Grün- dung immer neuer Institute, die das Rad immer wieder neu erfinden.“
Pharma-unabhängig
Praxisorientiert und wissenschaft- lich fundiert, so der Vorsitzende der AkdÄ, seien auch die von der Kom- mission herausgegebenen Therapie- empfehlungen. 13 solcher Leitlinien für eine „optimierte Pharmakothera- pie“ existieren bislang. Angesichts der Budgetzwänge sieht Müller-Oerling- hausen vor allem bei den niedergelas- senen Ärzten großen Beratungsbe- darf. Daher plane die Kommission mit
einzelnen Kassenärztlichen Vereini- gungen Gespräche über eine Koope- ration im Bereich der Arzneimittelbe- ratung. Zudem versuche sie, gemein- sam mit den Landesärztekammern die Fortbildung in der Arzneimittel- therapie zu verbessern. Ein besonde- rer Dorn im Auge ist Müller-Oerling- hausen die Pharmaabhängigkeit von Arzneimittelinformationen. Heftig kritisierte er deshalb den Bundesver- band der Allgemeinärzte Deutsch- lands, der sich seine Therapieleitlini- en von der Pharmaindustrie bezahlen lasse: „Das schadet der Glaubwürdig- keit der Ärzteschaft.“
Was Positivliste und Therapieleit- linien betrifft, war sich die Arzneimit- telkommission bemerkenswert einig mit Dr. med. Hermann Schulte-Sasse vom Bundesministerium für Gesund- heit. Auch er vertritt die Ansicht, daß die Ärzte Anleitung brauchen, um ihre Patienten qualitativ hochwertig und effizient versorgen zu können. Hier setze die Positivliste an, die – trotz ge- genteiliger Behauptungen – kein In- strument der Kostensenkung sei, son- dern der Qualitätssicherung diene.
Auf die Frage: „Wie gehe ich mit ge- sundheitlichen Problemen der Patien- ten um?“ gebe eine Positivliste aller- dings keine Antwort. Um Verord- nungsnotwendigkeiten zu bestimmen, seien Leitlinien ein wichtiges Instru- ment. Dabei möchte Schulte-Sasse Leitlinien nicht als Richtlinien mißver- standen wissen. Leitlinien bewegten sich nicht im Rahmen von „richtig oder falsch“, sondern von „geeignet im Sinne des Nutzwertes“, um dem Arzt Raum für die eigene therapeutische Entscheidung zu geben. Schulte-Sasse ließ jedoch keinen Zweifel daran, daß er eine ökonomische Steuerung der Arzneimittelausgaben mit Hilfe von Budgets für unverzichtbar hält. „Arz- neimittelverordnungen sind nicht im- mer medizinisch begründet. Das kann nicht strittig sein.“ Die Frage sei nicht das „Ob“, sondern das „Wie“. HK