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Archiv "Mammographie-Screening: Das „Wie“ spaltet die Fachwelt" (15.02.2002)

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u beneiden ist Dr. Margrit Reichel derzeit nicht. Die Radiologin leitet das Mammographie-Projekt in Wiesbaden, eines von drei Modell- projekten, deren Ziel es ist, eine „qua- litätsgesicherte“ Mammographie-Früh- erkennung ins deutsche Gesundheits- wesen einzupassen. Bislang wird die Röntgenuntersuchung hierzulande nur halblegal als „graues“ Screening zur Früherkennung von Brust- krebs eingesetzt. Weil Qualitäts- sicherung fehlt, schreibt der Sachverständigenrat dieser Pra- xis jährlich 100 000 unnötige Biopsien zu.

Reichel soll im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen in Wiesbaden testen, ob sich sol- che Mängel durch Qualitätssi- cherung und Kooperation ab- stellen lassen. Doch derzeit er- lebt das Wiesbadener Projekt heftigen Gegenwind: Letzte Wo- che sind zwei von vier beteiligten Kliniken mit massiver Kritik aus der Kooperation ausgestiegen (DÄ, Heft 6/2002). Dabei hatte das Modellprojekt in Wiesbaden gut angefangen.

Seit Juli letzten Jahres werden Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren in das Screening-Center in der Wiesbadener Innenstadt eingeladen, 55 000 Frauen sollen in den nächsten zwei Jahren angesprochen werden. Nach den ersten Auswertungen, die Reichel letzte Woche der Presse vorstellte, be- wegt sich die Reihenuntersuchung in den Qualitätskorridoren, die sich an Europäi- schen Richtlinien orientieren. Von den bis Ende Dezember eingeladenen 6 104 Frauen haben 47 Prozent die Einladung angenommen, sagt Reichel: „Damit sind wir vorerst zufrieden.“ Am Ende soll die

Rate über 70 Prozent liegen. Eines der kritischen Qualitätskriterien ist die Rate der durch die Röntgenuntersuchung ent- deckten „auffälligen Befunde“: Doppel- befundung soll sicherstellen, dass sie – entsprechend der EU-Leitlinien – nicht über sieben Prozent liegt. Bislang wurden von 3 408 untersuchten Frauen 6,4 Pro- zent zur weiteren Abklärung erneut in das

Screeningzentrum eingeladen. 67 Frauen unterzogen sich einer Biopsie; bei 28 Frau- en fanden die Ärzte ein Karzinom. Damit entdeckt das Programm bislang einen Tu- mor pro 2,4 Biopsien – das ist drei- bis vier- fach treffsicherer als der deutsche Durch- schnitt. 28 Prozent der im Screening ent- deckten Karzinome waren unter einem Zentimeter groß, 61 Prozent maximal 1,5 Zentimeter; drei von vier Frauen hatten keinen Befall der Lymphknoten.

„Diese ersten Daten muss man noch mit Zurückhaltung bewerten, doch sie

zeigen in die richtige Richtung“, sagt der Gynäkologe Dr. Volker Heyl, Chef- arzt der Asklepios-Paulinen-Klinik in Wiesbaden. Seine Abteilung ist zu- sammen mit der Deutschen Klinik für Diagnostik in das Modellprojekt einge- bunden.

Dennoch sind die Ansichten über die Qualität des Früherkennungspro- gramms geteilt. Auch wegen Zweifel an der Qualität waren die Dr.-Horst- Schmidt-Klinik und das St. Josefs-Hos- pital Ende Januar aus dem Modellpro- jekt ausgestiegen. Beim näheren Hinse- hen zeigt sich, dass sich die Unzufrie- denheit der beiden nicht gegen die Qualität der Mammographien richtet.

„Die zweifele ich nicht an“, sagt Dr.

Andreas du Bois, Chefarzt der Frau- enklinik an der Dr.-Horst-Schmidt-Kli- nik. Seine Kritik bezieht sich auf Frau- en, die trotz tastbarer Knoten im Rah- men des Modellprojekts untersucht worden waren. Die Hälfte der in seiner Klinik abgeklärten Tumoren seien

„tastbar“ gewesen: „Solche Frauen gehören nicht in ein Screening-Pro- gramm“, sagt du Bois. Reichel entgeg- net: „Diese Zahlen bezweifele ich.“

Hinzu kamen Meinungsunterschiede über die Transparenz der Daten. Du Bois hatte im Januar Begründungen verlangt zu „fünf“ offenen Biopsien.

„Die Erklärungen sind mir verweigert worden“, sagt er; „stattdessen wurde mir mit rechtlichen Schritten gedroht, falls ich Daten in der Öffentlichkeit tra- gen würde.“

Für Reichel sind die von du Bois ge- schilderten Fälle Ausnahmen, die sie der Anlaufphase des Projekts zuschreibt. Die Frauen erhalten mit der Einladung eine Broschüre und ein Beiblatt, in dem sie darauf hingewiesen werden, bei Sympto- men oder Vorerkrankungen nicht zum Screening, sondern zum Arzt zu gehen.

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 7½½½½15. Februar 2002 AA407

Mammographie-Screening

Das „Wie“ spaltet die Fachwelt

Ist ein umfassenderes Programm zur Früherkennung von Brustkrebs effektiver als ein reines Mammographie- Screening-Programm?

Mammographie eines Brusttumors Foto: Novartis Medizinreport

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Auch in den offenen Biopsien sieht sie keinen Mangel. Eine Überprüfung der offenen Biopsien hat gezeigt, dass es le- diglich vier gegeben habe, zwei davon sei- en in den beiden ausgestiegenen Kliniken erfolgt. „Bei allen vieren gab es medizini- sche Gründe, die gegen Stanzen oder Va- kuumbiopsien sprachen“, sagt Reichel.

Auch die Kritik an mangelnder Transparenz weist Reichel zurück: „Es gab im letzten halben Jahr 14 Konfe- renzen, auf denen alle diese Fälle mit den beteiligten Kliniken besprochen wurden“, sagt die Radiologin: Nur an dreien dieser 14 Treffen habe ein Arzt aus du Bois’ Klinik teilgenommen, er selbst sei nicht ein einziges Mal gekom- men. „Wenn die Kliniker an den ent- scheidenden Konferenzen nicht teil- nehmen, sollen sie sich hinterher nicht darüber beklagen, dass sie nicht gut in- formiert sind“, sagt Reichel.

Auch international weitet sich die Kontroverse aus

Das Ausscheiden der beiden Kliniken gefährde das Projekt nicht, solange die beiden anderen weiter kooperieren.

Doch auch deren Ärzte stehen unter gehörigem Druck durch die Kollegen.

Deutlich ist, dass hinter der Wiesba- dener Auseinandersetzung auch eine deutschlandweit geführte innerärztliche Kontroverse steht: Eine Allianz aus 17 Fachgesellschaften, darunter die Deut- sche Röntgengesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Senologie und die Deut- sche Krebsgesellschaft versucht derzeit, ein eigenes Brustkrebs-Früherkennungs- konzept durchzusetzen (Deutsches Ärz- teblatt, Heft 42/2000).

Dessen Kernforderung ist, die Mam- mographie-Früherkennung durch Tast- untersuchungen zu erweitern und – vor allem – sie in den Händen von Ärzten zu lassen. Bezeichnend ist, dass die we- sentlichen Forderungen der beiden aus- gestiegenen Kliniken identisch sind mit diesem Konzept der Fachgesellschaf- ten. Volker Heyl: „Beim Ausstieg der beiden Kliniken ist eine ganze Menge Politik im Spiel. Das halte ich nicht für gut.“ Allerdings geben sich sowohl Rei- chel als auch du Bois gesprächsbereit.

Während die Modellprojekte lokale Widerstände zu überwinden versuchen,

braut sich erheblich schwerwiegenderer Ungemach für Screening-Befürworter zusammen. International dehnt sich die Kontroverse darüber aus, ob denn Mam- mographie-Früherkennung für Frauen überhaupt eine lohnende Option ist.

Dänische Wissenschaftler haben in den letzten zwei Jahren die Studien neu analysiert, auf denen die Schätzung be- ruht, dass Frauen durch die regelmäßi- ge Teilnahme am Mammographie-Scre- ening ihr Risiko, an Brustkrebs zu ster- ben, um 30 Prozent verringern können.

Sie halten fünf der sieben Studien für so fehlerhaft, dass deren Daten nicht ver- wendet werden können (Deutsches Ärz- teblatt, Heft 43/2001).

Ein Hauptvorwurf lautet, dass in den Studien die Todesursachen nicht zuver- lässig erfasst wurden. Frauen aus der Screening-Gruppe scheint dann, wenn mehrere Ursachen infrage kamen, sel- tener Brustkrebs als Todesursache atte- stiert worden zu sein als Frauen in der Vergleichsgruppe. Der vermeintliche Vorteil des Screenings wäre demnach das Ergebnis einer systematischen Ver- zerrung der Studien. Und es sieht nicht so aus, als könnten die Argumente der Dänen leicht entkräftet werden. Scree- ning-Befürworter widersprechen der Argumentation und werfen den Kriti- kern ihrerseits Fehler vor. Die Arbeits- gemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztli- che Bundesvereinigung haben „Zweifel an der Wirksamkeit des Mammogra- phie-Screenings“ bereits letztes Jahr

„zurückgewiesen“.

Während die deutschen Krankenkas- sen und Ärzte die Analyse als „Außen- seitermeinung“ betrachten, findet sie auch prominente Zustimmung. So hat sich ein Beratergremium des National Cancer Instituts der USA der Kritik der Dänen weitgehend angeschlossen – und widerspricht damit sogar der offiziellen Empfehlung seines Auftraggebers (The Lancet 2002; 359: 409).

Auch Klaus-Dieter Schulz, Brust- krebsexperte an der Universität Mar- burg und Präsident der World Society for Breast Health, stützt die Ergebnisse der dänischen Analyse. Es gebe keine Beweise, dass die Mammographie allein das Risiko verringern könne, an Brust- krebs zu sterben: Er sieht damit auch die Forderung der Allianz der Fachgesell-

schaften, der Schulz ebenfalls angehört, bekräftigt, Frauen ein umfassenderes Früherkennungsprogramm anzubieten.

Auch jüngste Publikationen zur Be- wertung des Mammographie-Scree- nings sind widersprüchlich. US-For- scher ziehen aus der Analyse einer En- de der 80er-Jahre abgeschlossenen schwedischen Studie den Schluss, dass in dieser Studie nur deshalb kein Vor- teil durch Mammographie zu erkennen ist, weil sie nach elf Jahren zu früh ab- gebrochen wurde (Lancet 2002; 359:

404). Ab dem siebten Jahr zeichne sich ein Trend zugunsten der Mammogra- phie ab.

Kanadische Forscher bestätigen hin- gegen Zweifel, ob die Angaben über To- desursachen in Screening-Studien zuver- lässig sind (Journal of the National Can- cer Institute 2002; 94: 167). Sie haben in zwölf Screening-Studien beispielsweise Veränderungen der Brustkrebsmorta- lität mit Verschiebungen der Gesamt- sterblichkeit verglichen. Dabei gab es in sieben Studien auffällige Divergenzen:

Während beispielsweise in der Scree- ninggruppe die Brustkrebsmortalität im Vergleich zur Kontrollgruppe abgenom- men hatte, war gleichzeitig die Gesamt- sterblichkeit gestiegen. Möglich ist zwar, dass diese gegenläufigen Trends Zufall sind, doch die Autoren glauben, dass sol- che Abweichungen auf systematischen Verzerrungen in der Beurteilung der To- desursachen hindeuten.

Neuauswertung gefordert

Angesichts der Meinungsverschieden- heiten fordert eine wachsende Zahl von Experten jetzt, dass die Daten der alten Mammographie-Studien von einer un- abhängigen Gruppe neu ausgewertet werden. Ob diese Forderung erfüllt wird, hängt vor allem von der Haltung Schwedens ab, wo in den 70er- und 80er- Jahren drei der sieben kritisierten Studi- en stattgefunden haben. Auch in Schwe- den, wo man als eines der ersten eu- ropäischen Länder ein nationales Mam- mographie-Screening-Programm einge- führt hat, ist man durch die neue Kon- troverse um die Mammographie verun- sichert. Mitte Februar wird dort das Brustkrebs-Screening-Programm einer Evaluation unterzogen. Klaus Koch P O L I T I K

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A408 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 7½½½½15. Februar 2002

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