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Archiv "Mammographie: Kontroverse um das Screening" (20.10.2000)

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er derzeit mit deutschen Fach- leuten über die Brustkrebs- früherkennung sprechen muss, ist nicht zu beneiden. Einige der Damen und Herren sind geladen. Der Grund, warum die Nerven bloßliegen, liegt im Streit um die Frage, ob und in welcher Form man den Frauen in Deutschland eine Mammographie-Reihenuntersu- chung als Teil einer regelmäßigen Brust- krebsfrüherkennung anbieten sollte.

Manche fordern ein solches Screening- Programm seit 15 Jahren. Und wie der Streit ausgehen wird, ist durchaus offen, denn jede der drei Hauptfraktio- nen hat gute Argumente.

Die erste Gruppe, die der

„Zweifler“, ist zahlenmäßig klein, und noch ist offen, ob sie sich durchsetzt: Sie bestreiten, dass der Nutzen des Screenings ausrei- chend zuverlässig belegt sei, weil nach ihrer Ansicht einige der in den 70er-Jahren durchgeführ- ten Studien sich bei näherem Hin- sehen als unzuverlässig erwiesen (siehe folgenden Artikel).

Die Mehrheit der Fachleute je- doch, inklusive der des Bundesmi- nisteriums für Gesundheit, hat zu- mindest bei Frauen zwischen 50 und 70 Jahren keine Zweifel am Sinn eines Mammographie-Scree- nings. „Eine qualitätsgesicherte Mam- mographie ist das Beste, was man diesen Frauen zur Risikoverminderung anbie- ten kann“, sagt Dr. Hans Junkermann, Leiter des Bremer Brustkrebs-Scree- ning-Programms, das noch dieses Jahr als eines von drei Modellprojekten star- ten soll. Mit den Projekten wollen Kran- kenkassen und Kassenärztliche Bundes- vereinigung erproben, wie sich Scree- ning in Deutschland etablieren lässt.

„Der Anspruch an die Mammogra- phie ist hoch“, sagt Junkermann: „Es

geht nicht nur darum, Tumoren frü- her zu entdecken. Ein Screening-Pro- gramm lohnt sich nur dann, wenn es tatsächlich die Brustkrebs-Sterblichkeit verringert.“ Die Grundlage dieser Hoffnung sind Studien aus den 70er- Jahren, vor allem aus Schweden. Die Bilanz hat Prof. Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg ausgerech- net: Von 1 000 Frauen im Alter zwi- schen 50 und 70 Jahren, die alle zwei Jahre zur Mammographie gehen, ster- ben nach schwedischen Studien in den nächsten zehn Jahren etwa drei an

Brustkrebs. Bei 1 000 Altersgenossin- nen, die auf die Röntgenuntersuchung verzichten, sind es vier. Der „absolute“

Unterschied betrug in den Studien also eine Frau pro 1 000 in zehn Jahren. Dar- aus errechnet sich eine „relative“ Re- duktion des Sterberisikos um 25 bis 30 Prozent.

Manche Befürworter der Mammo- graphie argumentieren daher, dass sich mit der Methode die Zahl von derzeit etwa 18 000 bis 19 000 Toten pro Jahr durch Brustkrebs „um ein Drittel“ re-

duzieren lasse. Dass das unrealistisch ist, zeigt das Beispiel der Niederlande, wo man 1990 ähnlich wie in Schweden, Großbritannien und USA ein landes- weites Mammographie-Screening für Frauen zwischen 50 und 70 Jahren ein- geführt hat. In Holland will man bis 2003 eine 16- bis 17-prozentige Reduk- tion der Brustkrebs-Sterblichkeit errei- chen, ansonsten wird das Screening- Projekt wieder beendet.

Doch auch innerhalb der Ärzte- Gruppen, die unter diesen epidemiolo- gischen Voraussetzungen die Mam- mographie für lohnend halten, herrscht Dissens. Auf der einen Seite steht der „Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen“.

Er hat 1996 beschlossen, anhand von Modellprojekten zu überprü- fen, ob sich ein Röntgen-Screening in die dezentralen Strukturen des deutschen Gesundheitswesens ein- passen lässt. Das Zentralinstitut für Kassenärztliche Versorgung hat drei Modellprojekten den Zuschlag gegeben: In Bremen, Wiesbaden und Weser-Ems soll die Frage in fünf Jahren beant- wortet werden; in Bremen sol- len noch dieses Jahr die Einla- dungen an die Frauen verschickt werden.

Das am weitesten fortgeschrittene Bremer Projekt ist eng an das holländi- sche Vorbild angelehnt, wo Screening in spezialisierten Zentren stattfindet.

Die Logik dieses Vorgehens: Von 1 000 Frauen, die zum Screening kommen, haben 997 keinen Tumor, sind also ge- sund. Bei dieser Überzahl gesunder Frauen sei es nicht angemessen, sie mit mehr Medizin als nötig zu kon- frontieren, glaubt man in Holland.

Auch Junkermann ist überzeugt: „Die meisten Frauen wollen nur die Mam- P O L I T I K

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A2760 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000

Mammographie

Kontroverse um das Screening

Ob und in welcher Form man den Frauen in Deutschland eine Mammographie-

Reihenuntersuchung als Teil einer regelmäßigen Brustkrebsfrüherkennung anbieten sollte, wird zwischen Ärztekammern, Fachgesellschaften und Krankenkassen kontrovers diskutiert.

Medizinreport

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mographie und kein Gespräch mit ei- nem Arzt.“

Die Teilnahmerate in Holland spricht zumindest nicht gegen das Argument:

Sie liegt bei 80 Prozent. Die Schaffung von Mammographie-Zentren habe zu- dem den „entscheidenden Vorteil“, sagt Junkermann, „dass sich Qualität leich- ter sichern lässt. Und die entscheidet über Sinn und Unsinn eines solchen Programms.“ Kontrolle der Geräte, Positionierung, Befundung und die Pla- nung eventuell nötiger weiterer Unter- suchungen liegen in den Händen von Mammographie-Spezialisten, die nichts anderes machen.

Allerdings haben die Pläne von Kas- senärztlicher Bundesvereinigung und Krankenkassen, die niedergelassenen Radiologen und Gynäkologen am Scree- ning nicht zu beteiligen, eine heftige Gegenreaktion ausgelöst. Das Ergebnis ist, dass sich gegen die Modellprojek- te eine Allianz aus 17 Fachgesellschaf- ten und Berufsverbänden gebildet hat, darunter die Deutsche Röntgengesell- schaft, die Deutsche Gesellschaft für Senologie und die Deutsche Krebsge- sellschaft.

Sie wollen, dass die Frauen zur Rönt- gen-Früherkennung in die Praxis eines Arztes kommen. „Die Mammographie alleine reicht für eine optimale Früher- kennung nicht aus“, ist Prof. Klaus-Die- ter Schulze von der Universität Mar- burg überzeugt. Erst zusammen mit ei- ner Tastuntersuchung durch den Arzt und der Erläuterung der Selbstuntersu- chung seien die Chancen optimal, so we- nig Tumoren wie möglich zu übersehen.

Gesetzesinitiative zur Qualitäts- verbesserung gefordert

Allerdings betont auch die „Allianz der 17“, dass sich ein Mammographie-Scree- ning an strenge Qualitätsvorschriften halten muss, wenn es nützlich sein soll.

„Wie fordern eine Gesetzesinitiative zur Qualitätsverbesserung der Mam- mographie“, sagt Prof. Ulrich Mödder, der Vorsitzende der Röntgengesell- schaft. Weil ein „Mammographie-Ge- setz“ wohl noch Jahre dauern würde, will die Allianz der Fachgesellschaften in den nächsten drei Jahren stufenweise eine freiwillige Zertifizierung der Ärzte

einführen, die sich an Europäischen Mammographie-Richtlinien orientier- ten soll.

Prof. Sylvia Heywang-Köbrunner, Vorsitzende des Ausschusses Mammo- graphie des Berufsverbandes der Deut- schen Radiologen (BDR), wird deut- lich: „Der Nachweis hoher Qualität wird in Zukunft als einziges Kriteri- um darüber entscheiden, welcher Arzt mammographieren darf. Wer den Nach- weis nicht liefert, wird ausgeschlossen.“

Langfristig, damit rechnen aber auch die Fachgesellschaften, wird der Zwang zur Qualität dazu führen, dass sich auch in Deutschland auf Screening speziali-

sierte „Mammazentren“ herauskristal- lisieren werden.

Obwohl also de facto sowohl die Modellprojekte als auch die Pläne der Fachgesellschaften letztlich auf Scree- ning-Zentren hinauslaufen, könnte die innerärztliche Konfrontation derzeit kaum ärger sein. Eine Kostprobe liefert Dr. Jürgen Fischer, der Vorsitzende des BDR: „Die Modellprojekte sind nur inszeniert, um sie scheitern zu lassen“, wirft er indirekt auch der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung vor. Und man macht keinen Hehl daraus, dass der von den Fachgesellschaften vorgelegte Dreijahresplan darauf abzielt, das Kon- zept des Bundesausschusses zu unter- laufen: Er soll Tatsachen schaffen, be- vor die Modellprojekte in fünf Jahren Ergebnisse liefern werden.

In ihrem Streit vernachlässigen die Ärzte allerdings einen Aspekt: Sie

überlassen die Frauen in Deutschland weitere drei Jahre der aktuellen Versi- on des „Mammographie-Screenings“, die ohne verlässliche Qualitätskontrol- le stattfindet. International herrscht Ei- nigkeit, dass diese Praxis sogar schlech- ter ist als überhaupt kein Screening.

Schon seit Jahren empfehlen Ärzte den Frauen das Verfahren, obwohl die Mam- mographie zur Früherkennung, die „dia- gnostische“ Mammographie, derzeit keine Kassenleistung ist.

Doch was die Kassen zahlen, ist eine

„kurative“ Mammographie, wenn be- sondere Risiken vorliegen oder ein Ver- dacht abgeklärt werden muss. Und weil Verdacht und Risiko dehnbare Begriffe sind, ist es auch in Deutschland kein Problem, eine Screening-Mammogra- phie auch bei Kassenpatientinnen abzu- rechnen. Mit Duldung der Kassen fin- den in Deutschland somit pro Jahr zwi- schen drei und fünf Millionen Mammo- graphien als „graues“ Screening statt.

Die Folge dieser Praxis: Da es offizi- ell kein Screening gibt, existieren auch keine ausreichenden Qualitätsrichtlini- en. Bisherige Versuche, solche Kriteri- en durchzusetzen, würden zudem durch die zersplitterte rechtliche Situation er- schwert, weil Regelungskompetenzen zwischen Bund, Ländern und Ärzte- kammern verteilt sind, schildert Möd- der. Die Folge ist, dass es neben guten Mammographie-Zentren auch solche Ärzte gibt, deren Röntgengeräte ei- gentlich auf der Stelle versiegelt werden müssten. Dazu Dr. Helmut Altland, stellvertretender BDR-Vorsitzender:

„Es ist inakzeptabel, dass es sehr unter- schiedliche Qualitätsniveaus gibt.“

Das Problem: Weder Patientinnen noch Ärzte wissen, wie gut oder schlecht ihre Arbeit eigentlich ist. Jan Hendriks, der Chefradiologe des Holländischen Screening-Pogramms, hält das für fatal:

„Die Bilanz ist schon bei guter Qualität heikel. Ohne Qualitätssicherung ist ein Screening für die Frauen aber mit Si- cherheit gefährlich.“

Was Frauen im deutschen System im Extremfall zustoßen kann, zeigt der Es- sener Brustkrebsskandal: Bis zu seinem Selbstmord im Sommer 1996 hatte ein Pathologe bei möglicherweise mehre- ren Hundert Frauen Brustkrebs dia- gnostiziert, obwohl die meisten kernge- sund waren. Viele sind grundlos ope- P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000 AA2761

Kranio-kaudale Mammographie eines duktalen

Karzinoms Foto: Archiv

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riert, mastektomiert und chemothera- piert worden. Das Tor zur Katastrophe war für viele der Frauen eine „Vorsor- ge“-Mammographie. „In Essen“, sagt Dr. Ingrid Schreer, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Senologie,

„haben sich auf fatale Weise persönli- che Fehler mit grundlegenden Mängeln des deutschen Systems der Brustkrebs- früherkennung verknüpft.“

Bislang gibt es wohl keinen Arzt in Deutschland, der seine persönliche Mammographie-Bilanz kennt. Auch weiß niemand, wie viele falsch negative oder falsch positive Diagnosen sich hin- ter den drei Millionen „grauen“ Mam- mographien in Deutschland verbergen.

Mödder schätzt, dass hierzulande nur eine von sechs Biopsien tatsächlich ei- nen Tumor findet – in Holland sind es zwei von drei.

In den grenznahen holländischen Kliniken hat man sich mittlerweile dar- an gewöhnt, dass Frauen aus Deutsch- land anrufen, weil sie sich lieber im Nachbarland mammographieren lassen wollen. Weil die Kliniken die Nachfrage nicht decken können, führen sie Listen mit deutschen Ärzten, die sie den Frau- en empfehlen können.

Dass es nun zumindest weitere drei Jahre dauern soll, bis auch in Deutsch- land internationale Qualitätsstandards

„auf freiwilliger Basis“ zur Regel wer- den, wirkt gerade dann unbefriedigend, wenn man einen Blick ins Ausland wirft. Die Europäischen Qualitätsricht- linien sind mittlerweile acht Jahre alt.

In Holland hat man bereits Mitte der 80er-Jahre – also 15 Jahre früher als in Deutschland – Konsequenzen aus den Qualitätsproblemen gezogen. Hen-

driks: „Unsere Verhältnisse waren da- mals ähnlich schlecht wie heute in Deutschland.“

Auch das von der Allianz der Fach- gesellschaften vorgeschlagene Konzept einer „Zertifizierung“ stammt aus dem Ausland. Die USA haben 1992 ein Mammographie-Gesetz (mammogra- phy quality standards act) erlassen, um ähnliche Qualitätsmängel wie in Deutschland abzustellen. Seitdem müs- sen sich Institute akkreditieren und jährlich inspizieren lassen. In den USA hatte das Gesetz zur Folge, dass mehr als die Hälfte der Ärzte auf Anhieb die Qualitätsansprüche nicht erfüllen konnte. Doch die Drohung, das Rönt- gen-Screening einstellen zu müssen, wirkte Wunder: Innerhalb eines Jahres hatten fast alle Zentren ihre Mängel be-

hoben. Klaus Koch

Auf diese Nachricht hatte man in Holland gewartet. 1998 scheint das na- tionale Brustkrebs-Screening-Programm erstmals die vorhergesagte Auswirkung auf die Sterblichkeit an Brustkrebs er- reicht zu haben. Als das Mammogra- phie-Programm 1990 startete, war als Ziel vorgegeben, bis 2003 die nationale Brustkrebs-Sterblichkeit um 16 Prozent zu senken. „1998 hat sich die Mortalität erstmals signifikant vermindert“, sagt Jan Hendriks, der leitende Radiologe des Programms.

Doch absolut sicher, dass der Rück- gang wirklich dem Screening zuzu- schreiben ist, kann auch Hendriks nicht sein. Das liegt an der Wahl der Ver- gleichsgruppen. Den Einfluss des Scree- nings auf die Sterblichkeit an Brust- krebs versucht man in Holland anhand der Frauen unter 50 Jahren abzuschät- zen, denen das Screening nicht angebo- ten wird. In dieser Altersgruppe ist die Rate der Brustkrebsopfer in den letzten Jahren etwa konstant geblieben – hin- gegen in den Altersgruppen, denen Mammographie angeboten wird, um zwölf bis 20 Prozent gesunken. „Daran scheint das Screening-Programm einen

Anteil zu haben“, glaubt Hendriks.

Ähnliche Interpretationen liefert auch das britische Screening-Programm (BMJ 2000; 321: 665). Hendriks räumt jedoch ein, dass die Wahl der Vergleichsgruppe die Schlussfolgerung schwächt: „Wir können nicht genau sagen, wie stark an- dere Faktoren, wie etwa verbesserte Therapien, die unterschiedliche Ent- wicklung der Sterblichkeit in den Al- tersgruppen beeinflusst haben.“

Dennoch werden die Analysen aus Holland und England auch für die Be- fürworter eines deutschen Screening- Programms ermutigend gewesen sein.

Denn für sie hatte das Jahr mit heftigem Gegenwind begonnen. Im Januar hatte Lancet (2000; 355: 129) eine Arbeit von Peter Götzsche und Ole Olsen vom Nordic-Cochrane-Center in Kopenha- gen abgedruckt: Die Dänen hatten jene acht Studien unter die Lupe genom- men, auf die sich die Hoffnung stützt, dass die Mammographie zumindest ei- ner von 1 000 Frauen das Leben rettet.

Bei sechs der acht Studien hatten sie aber Indizien gefunden, dass die Studi- en den Nutzen der Mammographie möglicherweise überschätzen. Und in

den beiden Studien, die nach den Krite- rien der Dänen verlässlich sind, hatte das Mammographie-Screening keinen Vorteil ergeben. Die neuen Zweifel am Sinn der Mammographie hatten damals ein breites Medienecho ausgelöst; auch das WDR-Fernsehmagazin Monitor hatte die Thematik erneut aufgegriffen.

Allerdings hat die Berichterstattung bei Mammographie-Befürwortern hef- tige Kritik provoziert. Lancet selbst hat auf sechs Seiten Leserbriefe abge- druckt, die den Dänen ihrerseits Fehler vorwerfen (2000; 355: 747). Das Zen- tralinstitut (ZI) der Kassenärzte hat ei- ne elfseitige Stellungnahme zu dem Pa- pier erstellt. Deren Kurzfassung (sie- he auch www.g-k-v.com) schildert Dr.

Lawrence von Karsa, Leiter der Mam- mographie-Screening-Planungsstelle des ZI: „Die Analyse der Dänen kann man ignorieren.“ Doch das scheint noch nicht das letzte Wort zu sein.

Derzeit arbeiten Götzsche und Ol- son an einer neuen, ausführlicheren Kritik der Mammographie-Studien. Ih- re Schlussfolgerungen wollen sie in den nächsten Monaten als „Cochrane-Re- view“ veröffentlichen – was bedeutet, dass sie sich einer strengen Begutach- tung der Cochrane-Collaboration un- terwerfen müssen. Und falls die als se- riös anerkannte Organisation der neu-

Wann ist eine Studie gut?

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en Analyse der Dänen ihr Gütesiegel gibt, wird sich die Kritik nicht einfach abtun lassen.

Kaum beachtet wird in Deutschland auch das Argument, dass man 20 Jahre alte Mammographie-Studien nicht oh- ne weiteres auf die heutige Zeit über- tragen kann. Der Grund dafür ist die Zunahme der Hormonersatztherapie (HRT) bei Frauen in und nach den Wechseljahren. „Es gibt starke Hinwei- se darauf, dass bei Frauen unter Hor- monersatztherapie die Mammographie an Schärfe verliert“, sagt Hendriks:

„Das halte ich für ein unterschätztes Problem.“ In den Mammographie-Stu- dien der 70er-Jahre haben etwa neun Prozent der Frauen Hormone genom- men, heute sind es in den Industrielän- dern 30 bis 50 Prozent der Frauen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren.

Eine Reihe von Studien zeigt aber, dass die HRT die Güte von Mammogra- phie-Programmen verschlechtern kann.

Bei manchen Frauen nimmt unter Hor- mongabe die Dichte des Brustgewebes zu, sodass die Auswertung der Röntgen- bilder schwieriger ist – und die Rate der Fehlbefunde ansteigen könnte. Möglich ist zudem auch, dass unter HRT Mamm- akarzinome schneller wachsen, sodass mehr Tumoren nicht beim Screening, sondern zwischen zwei Einladungen entdeckt werden. Diese Einflüsse müs- sen zwar nicht unbedingt schlechtere Heilungsraten für Frauen unter HRT bedeuten, aber sie würden die Trefferra- te (Sensitivität und Spezifität) der Mam- mographie verringern.

Alle zwei Jahre schriftliche Einladung zur Mammographie

Eine Analyse des australischen Mam- mographie-Programms bestätigt, dass das keineswegs nur theoretische Überle- gungen sind (Lancet 2000; 355: 270). In Australien können Frauen ab 40 Jahren am Mammographie-Screening teilneh- men, Frauen zwischen 50 und 69 erhal- ten alle zwei Jahre eine schriftliche Ein- ladung. Die Gruppe um Anne Kavanagh und Graham Giles von der La Trobe University in Melbourne hat die Befun- de von knapp 104 000 Frauen analysiert, die 1994 ihre erste Screening-Mammo- graphie hatten.

Dabei haben sie die Resultate ge- trennt nach Frauen mit und ohne HRT ausgewertet. Bei den 27 Prozent der Frauen unter HRT schnitt die Mammo- graphie deutlich schlechter ab: Bei ihnen kamen auf jeden richtigen Befund 13 falsch-positive Mammographien; bei Frauen ohne Hormongabe lag die Rate nur bei neun zu eins. Auch die Zahl der Tumoren, die das Screening „überse- hen“ hatte, lag deutlich höher: Bei Frau- en unter HRT wurde jeder dritte Tumor (35 Prozent) nicht durch das Screening, sondern zwischen zwei Mammographie- runden entdeckt, bei Frauen ohne HRT lag diese Rate bei 22 Prozent.

Kavanagh vermutet, dass die Zunah- me der Hormontherapie erklärt, warum die Rate der Intervalltumoren in Au- stralien deutlich höher liegt als in den älteren schwedischen Studien – in denen waren nur 13 Prozent der Tumoren beim Screening übersehen worden. Die Autoren können nicht ausschließen, dass Frauen unter HRT sich noch durch andere Faktoren von Frauen ohne HRT unterscheiden. Dennoch ist ihre Schluss- folgerung beunruhigend: In Ländern, in denen die Hormongabe weit verbreitet ist, könnte „sie das Potenzial bevölke- rungsweiter Screening-Programme un- tergraben, die Sterblichkeit durch Brustkrebs zu verringern“. Für Hen- driks ist diese Analyse ein weiteres Ar- gument, dass Mammographie-Scree- ning nur dann zu verantworten ist, wenn es strengen Qualitätskriterien genügt.

Die Diskussion um Qualität kennt auch Anthony Miller vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zur Genüge. Denn es wird immer wieder gegen die von ihm geleitete „Canadian National Breast Screening Study-2“ ver- wendet, deren jüngste Auswertung im Journal des National Cancer Institute veröffentlicht ist (2000; 92: 1490). Die randomisierte Studie ist die weltweit einzige, die die Mammographie gegen regelmäßige Tastuntersuchungen ver- glichen hat. „Und in dem Vergleich er- wies sich die Mammographie als nicht überlegen“, sagt Miller.

Das kanadische Projekt hatte 1980 begonnen: Bis 1985 hatten die Forscher 39 400 Frauen zwei Früherkennungs- strategien zugelost. Die eine Gruppe erhielt einmal jährlich eine Mammogra- phie, die andere stattdessen eine inten-

sive Tastuntersuchung durch den Arzt.

Zusätzlich wurden alle Frauen im Selbstabtasten der Brust unterrichtet.

Dann haben die Forscher verfolgt, wie es den Probandinnen in den folgenden elf bis 16 Jahren ergangen ist.

Das Ergebnis: Bis Mitte 1996 waren von den etwa 19 694 Frauen, die nur an den Tastuntersuchungen teilgenommen hatten, 105 an einem Mammakarzinom gestorben; von den 19 711 Probandin- nen, die zusätzlich eine Mammographie erhalten hatten, waren es 107. Die Schlussfolgerung: „In der Altersgruppe der Frauen zwischen 50 und 59 hat eine jährliche Mammographie zusätzlich zur Tastuntersuchung keinen Einfluss auf die Brustkrebssterblichkeit.“ Zwar wa- ren durch die Mammographie entdeck- te Tumoren kleiner, doch der Zeitge- winn schlug sich nicht in besseren Über- lebensraten nieder.

Selbstuntersuchung oder Screening?

Allerdings herrscht Streit, was die Er- klärung angeht: Während Miller weite- re Studien für sinnvoll hält, ob Tast- untersuchungen eine Alternative zum Mammographie-Screening sein könn- ten, werfen Kritiker seiner Studie Qua- litätsmängel vor. Miller bestreitet das:

Die Kritik beruhe vor allem darauf, dass anfangs neben kranio-kaudalen auch medio-laterale Mammographien ge- nommen wurden, „aber erst 1985 haben wir die Oblique-Technik zum Standard gemacht“. Gutachter hätten dann 1989 die älteren Filme generell als „unbefrie- digend“ eingestuft. Dass der Wechsel der Technik jetzt als Argument gegen die Studie verwendet werde, sei Messen mit zweierlei Standards, sagt Miller: Denn in der 1977 begonnenen schwedischen

„Two-County“-Studie sei nur die Ob- lique-Technik eingesetzt worden. Gera- de auf dieser 1977 begonnenen Studie ruhen die heutigen Hoffnungen auf dem Nutzen des Mammographie-Screenings.

In der Studie wurde allerdings nicht Röntgen-Screening gegen Tastuntersu- chung verglichen, sondern gegen Nichts- tun. Das ist das Problem des Streits um die Brustkrebsfrüherkennung. Für jedes Ergebnis gibt es zumindest zwei mögli- che Erklärungen. Klaus Koch P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000 AA2765

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