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Archiv "Wann ist eine Studie gut?" (20.10.2000)

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A2764 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000

riert, mastektomiert und chemothera- piert worden. Das Tor zur Katastrophe war für viele der Frauen eine „Vorsor- ge“-Mammographie. „In Essen“, sagt Dr. Ingrid Schreer, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Senologie,

„haben sich auf fatale Weise persönli- che Fehler mit grundlegenden Mängeln des deutschen Systems der Brustkrebs- früherkennung verknüpft.“

Bislang gibt es wohl keinen Arzt in Deutschland, der seine persönliche Mammographie-Bilanz kennt. Auch weiß niemand, wie viele falsch negative oder falsch positive Diagnosen sich hin- ter den drei Millionen „grauen“ Mam- mographien in Deutschland verbergen.

Mödder schätzt, dass hierzulande nur eine von sechs Biopsien tatsächlich ei- nen Tumor findet – in Holland sind es zwei von drei.

In den grenznahen holländischen Kliniken hat man sich mittlerweile dar- an gewöhnt, dass Frauen aus Deutsch- land anrufen, weil sie sich lieber im Nachbarland mammographieren lassen wollen. Weil die Kliniken die Nachfrage nicht decken können, führen sie Listen mit deutschen Ärzten, die sie den Frau- en empfehlen können.

Dass es nun zumindest weitere drei Jahre dauern soll, bis auch in Deutsch- land internationale Qualitätsstandards

„auf freiwilliger Basis“ zur Regel wer- den, wirkt gerade dann unbefriedigend, wenn man einen Blick ins Ausland wirft. Die Europäischen Qualitätsricht- linien sind mittlerweile acht Jahre alt.

In Holland hat man bereits Mitte der 80er-Jahre – also 15 Jahre früher als in Deutschland – Konsequenzen aus den Qualitätsproblemen gezogen. Hen-

driks: „Unsere Verhältnisse waren da- mals ähnlich schlecht wie heute in Deutschland.“

Auch das von der Allianz der Fach- gesellschaften vorgeschlagene Konzept einer „Zertifizierung“ stammt aus dem Ausland. Die USA haben 1992 ein Mammographie-Gesetz (mammogra- phy quality standards act) erlassen, um ähnliche Qualitätsmängel wie in Deutschland abzustellen. Seitdem müs- sen sich Institute akkreditieren und jährlich inspizieren lassen. In den USA hatte das Gesetz zur Folge, dass mehr als die Hälfte der Ärzte auf Anhieb die Qualitätsansprüche nicht erfüllen konnte. Doch die Drohung, das Rönt- gen-Screening einstellen zu müssen, wirkte Wunder: Innerhalb eines Jahres hatten fast alle Zentren ihre Mängel be-

hoben. Klaus Koch

Auf diese Nachricht hatte man in Holland gewartet. 1998 scheint das na- tionale Brustkrebs-Screening-Programm erstmals die vorhergesagte Auswirkung auf die Sterblichkeit an Brustkrebs er- reicht zu haben. Als das Mammogra- phie-Programm 1990 startete, war als Ziel vorgegeben, bis 2003 die nationale Brustkrebs-Sterblichkeit um 16 Prozent zu senken. „1998 hat sich die Mortalität erstmals signifikant vermindert“, sagt Jan Hendriks, der leitende Radiologe des Programms.

Doch absolut sicher, dass der Rück- gang wirklich dem Screening zuzu- schreiben ist, kann auch Hendriks nicht sein. Das liegt an der Wahl der Ver- gleichsgruppen. Den Einfluss des Scree- nings auf die Sterblichkeit an Brust- krebs versucht man in Holland anhand der Frauen unter 50 Jahren abzuschät- zen, denen das Screening nicht angebo- ten wird. In dieser Altersgruppe ist die Rate der Brustkrebsopfer in den letzten Jahren etwa konstant geblieben – hin- gegen in den Altersgruppen, denen Mammographie angeboten wird, um zwölf bis 20 Prozent gesunken. „Daran scheint das Screening-Programm einen

Anteil zu haben“, glaubt Hendriks.

Ähnliche Interpretationen liefert auch das britische Screening-Programm (BMJ 2000; 321: 665). Hendriks räumt jedoch ein, dass die Wahl der Vergleichsgruppe die Schlussfolgerung schwächt: „Wir können nicht genau sagen, wie stark an- dere Faktoren, wie etwa verbesserte Therapien, die unterschiedliche Ent- wicklung der Sterblichkeit in den Al- tersgruppen beeinflusst haben.“

Dennoch werden die Analysen aus Holland und England auch für die Be- fürworter eines deutschen Screening- Programms ermutigend gewesen sein.

Denn für sie hatte das Jahr mit heftigem Gegenwind begonnen. Im Januar hatte Lancet (2000; 355: 129) eine Arbeit von Peter Götzsche und Ole Olsen vom Nordic-Cochrane-Center in Kopenha- gen abgedruckt: Die Dänen hatten jene acht Studien unter die Lupe genom- men, auf die sich die Hoffnung stützt, dass die Mammographie zumindest ei- ner von 1 000 Frauen das Leben rettet.

Bei sechs der acht Studien hatten sie aber Indizien gefunden, dass die Studi- en den Nutzen der Mammographie möglicherweise überschätzen. Und in

den beiden Studien, die nach den Krite- rien der Dänen verlässlich sind, hatte das Mammographie-Screening keinen Vorteil ergeben. Die neuen Zweifel am Sinn der Mammographie hatten damals ein breites Medienecho ausgelöst; auch das WDR-Fernsehmagazin Monitor hatte die Thematik erneut aufgegriffen.

Allerdings hat die Berichterstattung bei Mammographie-Befürwortern hef- tige Kritik provoziert. Lancet selbst hat auf sechs Seiten Leserbriefe abge- druckt, die den Dänen ihrerseits Fehler vorwerfen (2000; 355: 747). Das Zen- tralinstitut (ZI) der Kassenärzte hat ei- ne elfseitige Stellungnahme zu dem Pa- pier erstellt. Deren Kurzfassung (sie- he auch www.g-k-v.com) schildert Dr.

Lawrence von Karsa, Leiter der Mam- mographie-Screening-Planungsstelle des ZI: „Die Analyse der Dänen kann man ignorieren.“ Doch das scheint noch nicht das letzte Wort zu sein.

Derzeit arbeiten Götzsche und Ol- son an einer neuen, ausführlicheren Kritik der Mammographie-Studien. Ih- re Schlussfolgerungen wollen sie in den nächsten Monaten als „Cochrane-Re- view“ veröffentlichen – was bedeutet, dass sie sich einer strengen Begutach- tung der Cochrane-Collaboration un- terwerfen müssen. Und falls die als se- riös anerkannte Organisation der neu-

Wann ist eine Studie gut?

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en Analyse der Dänen ihr Gütesiegel gibt, wird sich die Kritik nicht einfach abtun lassen.

Kaum beachtet wird in Deutschland auch das Argument, dass man 20 Jahre alte Mammographie-Studien nicht oh- ne weiteres auf die heutige Zeit über- tragen kann. Der Grund dafür ist die Zunahme der Hormonersatztherapie (HRT) bei Frauen in und nach den Wechseljahren. „Es gibt starke Hinwei- se darauf, dass bei Frauen unter Hor- monersatztherapie die Mammographie an Schärfe verliert“, sagt Hendriks:

„Das halte ich für ein unterschätztes Problem.“ In den Mammographie-Stu- dien der 70er-Jahre haben etwa neun Prozent der Frauen Hormone genom- men, heute sind es in den Industrielän- dern 30 bis 50 Prozent der Frauen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren.

Eine Reihe von Studien zeigt aber, dass die HRT die Güte von Mammogra- phie-Programmen verschlechtern kann.

Bei manchen Frauen nimmt unter Hor- mongabe die Dichte des Brustgewebes zu, sodass die Auswertung der Röntgen- bilder schwieriger ist – und die Rate der Fehlbefunde ansteigen könnte. Möglich ist zudem auch, dass unter HRT Mamm- akarzinome schneller wachsen, sodass mehr Tumoren nicht beim Screening, sondern zwischen zwei Einladungen entdeckt werden. Diese Einflüsse müs- sen zwar nicht unbedingt schlechtere Heilungsraten für Frauen unter HRT bedeuten, aber sie würden die Trefferra- te (Sensitivität und Spezifität) der Mam- mographie verringern.

Alle zwei Jahre schriftliche Einladung zur Mammographie

Eine Analyse des australischen Mam- mographie-Programms bestätigt, dass das keineswegs nur theoretische Überle- gungen sind (Lancet 2000; 355: 270). In Australien können Frauen ab 40 Jahren am Mammographie-Screening teilneh- men, Frauen zwischen 50 und 69 erhal- ten alle zwei Jahre eine schriftliche Ein- ladung. Die Gruppe um Anne Kavanagh und Graham Giles von der La Trobe University in Melbourne hat die Befun- de von knapp 104 000 Frauen analysiert, die 1994 ihre erste Screening-Mammo- graphie hatten.

Dabei haben sie die Resultate ge- trennt nach Frauen mit und ohne HRT ausgewertet. Bei den 27 Prozent der Frauen unter HRT schnitt die Mammo- graphie deutlich schlechter ab: Bei ihnen kamen auf jeden richtigen Befund 13 falsch-positive Mammographien; bei Frauen ohne Hormongabe lag die Rate nur bei neun zu eins. Auch die Zahl der Tumoren, die das Screening „überse- hen“ hatte, lag deutlich höher: Bei Frau- en unter HRT wurde jeder dritte Tumor (35 Prozent) nicht durch das Screening, sondern zwischen zwei Mammographie- runden entdeckt, bei Frauen ohne HRT lag diese Rate bei 22 Prozent.

Kavanagh vermutet, dass die Zunah- me der Hormontherapie erklärt, warum die Rate der Intervalltumoren in Au- stralien deutlich höher liegt als in den älteren schwedischen Studien – in denen waren nur 13 Prozent der Tumoren beim Screening übersehen worden. Die Autoren können nicht ausschließen, dass Frauen unter HRT sich noch durch andere Faktoren von Frauen ohne HRT unterscheiden. Dennoch ist ihre Schluss- folgerung beunruhigend: In Ländern, in denen die Hormongabe weit verbreitet ist, könnte „sie das Potenzial bevölke- rungsweiter Screening-Programme un- tergraben, die Sterblichkeit durch Brustkrebs zu verringern“. Für Hen- driks ist diese Analyse ein weiteres Ar- gument, dass Mammographie-Scree- ning nur dann zu verantworten ist, wenn es strengen Qualitätskriterien genügt.

Die Diskussion um Qualität kennt auch Anthony Miller vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zur Genüge. Denn es wird immer wieder gegen die von ihm geleitete „Canadian National Breast Screening Study-2“ ver- wendet, deren jüngste Auswertung im Journal des National Cancer Institute veröffentlicht ist (2000; 92: 1490). Die randomisierte Studie ist die weltweit einzige, die die Mammographie gegen regelmäßige Tastuntersuchungen ver- glichen hat. „Und in dem Vergleich er- wies sich die Mammographie als nicht überlegen“, sagt Miller.

Das kanadische Projekt hatte 1980 begonnen: Bis 1985 hatten die Forscher 39 400 Frauen zwei Früherkennungs- strategien zugelost. Die eine Gruppe erhielt einmal jährlich eine Mammogra- phie, die andere stattdessen eine inten-

sive Tastuntersuchung durch den Arzt.

Zusätzlich wurden alle Frauen im Selbstabtasten der Brust unterrichtet.

Dann haben die Forscher verfolgt, wie es den Probandinnen in den folgenden elf bis 16 Jahren ergangen ist.

Das Ergebnis: Bis Mitte 1996 waren von den etwa 19 694 Frauen, die nur an den Tastuntersuchungen teilgenommen hatten, 105 an einem Mammakarzinom gestorben; von den 19 711 Probandin- nen, die zusätzlich eine Mammographie erhalten hatten, waren es 107. Die Schlussfolgerung: „In der Altersgruppe der Frauen zwischen 50 und 59 hat eine jährliche Mammographie zusätzlich zur Tastuntersuchung keinen Einfluss auf die Brustkrebssterblichkeit.“ Zwar wa- ren durch die Mammographie entdeck- te Tumoren kleiner, doch der Zeitge- winn schlug sich nicht in besseren Über- lebensraten nieder.

Selbstuntersuchung oder Screening?

Allerdings herrscht Streit, was die Er- klärung angeht: Während Miller weite- re Studien für sinnvoll hält, ob Tast- untersuchungen eine Alternative zum Mammographie-Screening sein könn- ten, werfen Kritiker seiner Studie Qua- litätsmängel vor. Miller bestreitet das:

Die Kritik beruhe vor allem darauf, dass anfangs neben kranio-kaudalen auch medio-laterale Mammographien ge- nommen wurden, „aber erst 1985 haben wir die Oblique-Technik zum Standard gemacht“. Gutachter hätten dann 1989 die älteren Filme generell als „unbefrie- digend“ eingestuft. Dass der Wechsel der Technik jetzt als Argument gegen die Studie verwendet werde, sei Messen mit zweierlei Standards, sagt Miller: Denn in der 1977 begonnenen schwedischen

„Two-County“-Studie sei nur die Ob- lique-Technik eingesetzt worden. Gera- de auf dieser 1977 begonnenen Studie ruhen die heutigen Hoffnungen auf dem Nutzen des Mammographie-Screenings.

In der Studie wurde allerdings nicht Röntgen-Screening gegen Tastuntersu- chung verglichen, sondern gegen Nichts- tun. Das ist das Problem des Streits um die Brustkrebsfrüherkennung. Für jedes Ergebnis gibt es zumindest zwei mögli- che Erklärungen. Klaus Koch P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000 AA2765

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