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ie weltweite Zunahme des Methicillin-resistenten Sta- phylococcus aureus (MRSA) rückt die Resistenzentwicklung bei Sta- phylokokken in den Fokus der Ärzte und der allgemeinen Öffent- lichkeit. Schon bei den „herkömm- lichen“ im Krankenhaus erwor- benen hospital acquired MRSA (haMRSA) ist eine Vermeidung der Ausbreitung bisher nicht flächen- deckend gelungen. Hinzu kommt die Gefahr, dass ambulant erworbe- ne (community-acquired MRSA, cMRSA) durch Träger in Kranken- häuser importiert werden und dort Mitarbeiter infizieren, die wieder- um ihre Angehörigen zu Hause an- stecken könnten. Wie soll mit diesen Problemen umgegangen werden?In den 27 Staaten der Europä- ischen Union erkranken jedes Jahr circa drei Millionen Patienten an MRSA-Infektionen mit 50 000 bis 100 000 Todesfällen. Der European Antimicrobial Surveillance System Report (1), in dem über den Anteil der MRSA an den S.-aureus-Isola- ten in Europa berichtet wird, belegt:
Länder mit landesweit koordinier- ten Aktivitäten, in die der ambulante Bereich integriert ist, haben Vor- bildcharakter in Bezug auf die MRSA-Raten. In den Niederlanden und Dänemark etwa liegt der Anteil der MRSA an den klinisch relevan- ten S.-aureus-Isolaten seit vielen Jahren stabil unter einem Prozent. In Slowenien hat eine nationale Kam- pagne zur Kontrolle der MRSA zur Verringerung der Infektionen in der Bevölkerung geführt.
In Deutschland infizieren sich jährlich circa 16 000 Menschen mit MRSA (MRSA-KISS [Krankenhaus-
Infektions-Surveillance-Systems]), ein bis zwei von 100 Patienten, die stationär aufgenommen werden, sind vermutlich bereits vor der Klinikauf- nahme mit MRSA infiziert. Einem aktuellen Bericht der Deutschen Ge- sellschaft für Krankenhaushygiene und der Allianz Versicherung zufol- ge sind zehn bis zwölf Prozent der S.-aureus-Isolate mehrfachresistent.
In den Krankenhäusern schwankt der Anteil der MRSA-Infektionen er- heblich und liegt einer Studie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft zufolge im Durchschnitt bei 22 Prozent.
Die Strategie
„Search and destroy“
Infektionen mit MRSA gehen be- kanntlich mit erhöhter Morbidität und Letalität einher, da die Möglich- keiten der Antibiotikatherapie einge- schränkt sind. Präventionsmaßnah- men zur Verhinderung von nosoko- mialen Infektionen sind ein wichti- ger Beitrag zur Patientensicherheit.
Außerdem wird die Vermeidung von
Kolonisation und Infektion durch MRSA während eines Klinikaufent- halts als Indikator für gute Behand- lungsqualität verstanden.
Die Niederlande und die skan- dinavischen Länder verfolgen im Kampf gegen MRSA die Strategie
„search and destroy“, was sich auch im ökonomischen Sinne auszahlt.
Kanerva et al. (2) beschreiben einen MRSA-Ausbruch in einem finni- schen Krankenhaus mit einem kon- sekutiven Belegungsstopp des Kran- kenhauses durch die Überwachungs- behörden. Die dadurch bedingten Einkommensverluste betrugen mehr als eine Million Euro – deutlich mehr, als ein präventives Screening gekostet hätte. Wernitz et al. (3) be- richten, dass im Einzugsgebiet Ber- lin ein Früh-Screening-Programm mit minimalem Aufwand und wirt- schaftlichem Nutzen etabliert wer- den konnte, da es MRSA-Infektio- nen während des stationären Aufent- halts verhinderte. Diller et al. (4) konnten zeigen, dass ein vorstationä- res Screening aller chirurgischen Patienten am Universitätsklinikum Münster nosokomiale MRSA deut- lich reduzieren konnte und – nach Abzug der Screeningkosten – noch eine Ersparnis von 20 000 Euro brachte. Vriens et al. (5) haben die finanziellen und logistischen Konse- quenzen des niederländischen Prä- ventionsprogramms untersucht. Auf der einen Seite wurden die notwen- digen Personalkosten, der Material- aufwand, die spezifische Medikati- on sowie die Maßnahmen zur not- wendigen Dekontamination darge- stellt, auf der anderen Seite die Er- lösausfälle durch Schließungen von Betten, ganzen Stationen sowie der Arbeitsausfall der kontaminierten Mitarbeiter gegenübergestellt. Die Autoren kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass sich die präventive Politik der Niederlande zur Reduk- tion der MRSA-Inzidenz auch unter ökonomischen Gesichtspunkten für den stationären Leistungserbringer rechnet.
Das Hauptreservoir für MRSA im Krankenhaus ist der kolonisier- te oder infizierte MRSA-Patient.
Durch die stetige Zunahme von MRSA-tragenden Patienten muss die Strategie in der raschen Identifi-
METHICILLIN-RESISTENTE STAPHYLOKOKKEN
Frühes Screening senkt die Zahl der Infektionen
Die Rate der MRSA-Infekte in Deutschland ist relativ hoch.
Andere Länder, aber auch nationale Modellregionen zeigen, welche Strategien erfolgreich sind – Vorbilder für dringend benötigte,
übergreifende Programme.
Staphylococcus aureus:Multiresis- tente Stämme sind längst ein überre- gionales Problem, und zwischen sta- tionärem und am- bulantem Bereich ist ein „Drehtür- effekt“ bekannt.
Foto:Aktion Meditech
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zierung MRSA-positiver Patienten liegen, die dann adäquat isoliert und behandelt werden können.
Mit der PCR ist eine schnelle Diagnose, die den Klinikbetrieb nicht wesentlich beeinträchtigt, in- nerhalb von vier Stunden möglich.
Am Universitätsklinikum Greifs- wald wurden – in Anlehnung an das niederländische Programm „search and destroy“ – folgende Maßnah- men umgesetzt:
PCR-Screening an verschiede- nen Stellen des Körpers bei jeder Neuaufnahme von Risikopatienten und bei allen Neuaufnahmen auf Risikostationen (Intensivtherapie, Neonatologie, Transplantation) mit prophylaktischer virtueller bezie- hungsweise räumlicher Isolierung bis zum Vorliegen des PCR-Ergebnisses
einmaliges Screening von Patienten mit Kontakt zu MRSA- Trägern mit Anlegen einer Kultur
Screening des Personals vor Neueinstellungen, nach Entlassung von MRSA-Patienten und routine- mäßig einmal pro Jahr mithilfe einer Kultur
Ausdehnung des MRSA- Screenings auf Schüler, Auszubil- dende, Zivildienstleistende sowie Medizinstudierende, insbesondere nach Auslandstätigkeit
Vorverlegung des Screenings in den Bereich der einweisenden Ärzte bei Risikopatienten
bei positivem Befund Isolie- rung und Sanierung.
MRSA-Risikopatienten sind sol- che mit:
chronischer Pflegebedürftigkeit liegendem Katheter wie Harn- blasenkatheter, PEG-Sonde
Dialysepflichtigkeit
Hautulcus/Gangrän/chronischen Wunden/tiefen Weichteilinfektionen
im Ausland dialysierte oder dort länger als 24 Stunden hospitalisierte beziehungsweise chirurgisch behan- delte oder mit Drainage oder Katheter versorgte Patienten (außer Däne- mark, die Niederlande, Slowenien)
Patienten nach Verlegung aus anderen Krankenhäusern und aus Einrichtungen mit wahrscheinlichem endemischen MRSA-Vorkommen
vorherige stationäre Aufent- halte des Patienten innerhalb der letzten drei Monate in anderen
Krankenhäusern (sofern kein Test mit negativem Befund)
Patienten aus Ländern mit ho- her MRSA-Prävalenz
Wiederaufnahme mit bekann- ter MRSA-Anamnese und
Beschäftigte aus Schweine- mastbetrieben.
Während das Robert-Koch-Insti- tut das Screening erst bei Vorliegen von zwei Risikofaktoren empfiehlt, hat das Universitätsklinikum Greifs- wald aufgrund der MRSA-Zunah- me entschieden, bereits bei nur ei- nem Risikofaktor zu screenen. Ent- scheidend für den Präventionserfolg ist die Isolierung des Patienten bis zum Vorliegen des PCR-Befunds, die rasche Übermittlung des Ergeb- nisses binnen zwei Stunden und die Einbeziehung des Behandlungsteams in das Screening. Die bisherige Aus- wertung zeigt – im Gegensatz zu einer in den Maßnahmen nicht ganz vergleichbaren Studie der Universi- tätsklinik Genf (6) – in Greifswald eine Reduktion der MRSA-Infekti- onsrate um mehr als 50 Prozent in Risikobereichen. Außerdem wurde am Universitätsklinikum die Umset- zung einer rationalen Antibiotikastra- tegie einheitlich geregelt (7).
Als Basishygienemaßnahme zur Verhinderung von Kreuzinfektionen wird die Multibarrierenstrategie der Infektionsprävention im gesamten Klinikum konsequent umgesetzt mit den Schwerpunkten Desinfekti- on (Hände, Geräte, patientennahe Umgebungsflächen, Betten), zertifi- zierte Aufbereitung von Medizin- produkten, Distanzierung durch Schwarz-Weiß-Trennung und Was- sersicherheitsplan.
Bei ambulanten Patienten ist konsequente Sanierung nötig
Das in Greifswald umgesetzte Mul- tibarrierenkonzept hilft, MRSA- Übertragungen im stationären Sek- tor zu vermeiden, löst jedoch die Problematik der hohen MRSA- Prävalenz in der Bevölkerung nicht.Die konsequente weitere topisch an- tibiotische und antiseptische Sanie- rung – auch im ambulanten Sektor – erfolgt in Deutschland nicht, der da- durch entstehende Drehtüreffekt ver- hindert eine substanzielle Lösung des Problems. Diese Hürde könnte
sich mithilfe der Bildung regionaler Netzwerke überwinden lassen, wie das Beispiel des grenzübergrei- fenden EUREGIO-MRSA-net in Twente/Münsterland zeigt. Diesbe- züglich hat das Universitätsklinikum Münster eine klare Vorreiterrolle auch über die Grenzen Deutschlands hinaus. Aufbauend auf diesen Erfah- rungen hat unser Klinikum hausin- tern und in der Region Pommern be- gonnen, auf der Basis einer Projekt- partnerschaft mit dem EUREGIO- MRSA-net in Münster in einem eige- nen regionalen Netzwerk Daten zu erheben und die regionale Umset- zung der eigenen Präventionsmaß- nahmen zu evaluieren.
Nationales Kontrollprogramm für MRSA
Es gibt also dringenden Bedarf für die übergeordneten Gesundheitsbe- hörden, ein nationales MRSA-Kon- trollprogramm zu verabschieden.
Das könnte – analog zum Vorgehen in Großbritannien, Schweden, Däne- mark und Irland – als ersten Schritt die Einführung einer Labormelde- pflicht für MRSA in Blutkulturen be- inhalten. Weiterhin müsste entschie- den werden, wie mit nicht erfolgrei- chen Sanierungsbemühungen bei den ärztlichen und anderen Berufs- gruppen im Krankenhaus umgegan- gen werden soll. MRSA-positiv ge- testetes medizinisches oder pflege- risches Personal sollte aus Sicher- heitsgründen möglichst nicht oder situationsbedingt nur unter strengen Schutzmaßnahmen arbeiten.
Nur durch eine gebündelte Stra- tegie kann die MRSA-Rate in der Bundesrepublik Deutschland auf ein Niveau wie in Dänemark und den Niederlanden gesenkt werden.
Da vor allem im südeuropäischen Bereich die MRSA-Rate noch höher ist als im Norden Europas, müssten die Aktivitäten konsequenterweise auch auf europäischer Ebene koor-
diniert werden.
Prof. Dr. med. Claus Bartels Prof. Dr. med. Ralf Ewert Prof. Dr. med. Ivo Steinmetz Prof. Dr. med. Axel Kramer Direktorium Universitätsklinik Greifswald
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1308
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LITERATUR
1. EARSS Annual Reoport unter: www.rivm.
nl/earss/images/EARSS%202005 tcm61- 34899.pdf.
2. Kanerva M, Blom M, Tuominen U, Kolho E, Anttila VJ, Vaara M, Virolainen-Julkunen A, Lyytikainen O: Costs of an outbreak of meti- cillin-resistant Staphylococcus aureus. J Hosp Infect 2007; 66(1): 22–8.
3. Wernitz MH, Keck S, Swidsinski S, Schulz S, Veit SK:. Cost analysis of a hospital-wide selective screening programme for methicil- lin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA) carriers in the context of diagnosis related groups (DRG) payment. Clin Microbiol Infect 2005; 11(6): 466–71.
4. Diller R, Sonntag AK, Mellmann A, Grevener K, Senninger N, Kipp F, Friedrich AW: Evi- dence for cost reduction based on pre-ad- mission MRSA screening in general sur- gery. Int J Hyg Environ Health 2007, Aug 8.
S1438–4639.
5. Vriens M, Blok H, Fluit A, Troelstra A, Van Der Werken C, Verhoef J: Costs associated with a strict policy to eradicate methicillin- resistant Staphylococcus aureus in a Dutch University Medical Center: a 10-year sur- vey. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2002;
21(11): 782–6.
6. Harbarth S, Fankhauser C, Schrenzel J et al.: Universal screening for methicillin-resi- stant Staphylococcus aureus at hospital admission and nosocomial infection in sur- gical patients. JAMA. 2008; 299(10):
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7. Cook P P, Catrou P, Gooch M, Holbert D: Ef- fect of reduction in ciprofloxacin use on prevalence of methicillin-resistant staphy- lococcus aureus rates within individual units of a tertiary care hospital. Journal of Hospital Infection 2006; 64: 348–51.