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Archiv "Folteropfer: „Wo waren die Ärzte?“" (14.07.2008)

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A1530 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 28–2914. Juli 2008

S

teven Miles wollte genau hin- schauen. Schließlich hatten bereits viel zu viele einfach weg- gesehen, dachte sich der Professor für Innere Medizin am Center for Bioethics der University of Minneso- ta Medical School/USA. Ärzte und Sanitäter in den US-Militärgefäng- nissen Abu Ghraib und Guantanamo hatten weggeschaut, als Insassen ge- foltert wurden, fand Miles im Zuge seiner Recherchen heraus. Sie hatten es unterlassen, die Gefolterten im Anschluss ärztlich zu versorgen. Der Professor wertete Berichte von Er- mittlungsbehörden der US-Army, des FBI, Zeugenaussagen von Ge-

fangenen, Krankenakten sowie Au- topsieberichte aus – und fasste die Ergebnisse in seinem Buch „Verrate- ner Eid: Folter, Komplizenschaft me- dizinischen Personals und der Krieg gegen den Terror“ zusammen.

Quälerei trotz UN-Verbot Vor dem Hintergrund der Antifolter- konvention der Vereinten Nationen sind Miles Rechercheergebnisse umso erschreckender: Dem 1984 beschlossenen Abkommen zufolge dürfen Kriegsgefangenen keine kör- perliche oder seelische Folter oder andere Zwangsmaßnahmen zuge- fügt werden, um Informationen jeg-

licher Art zu beschaffen. Eine hu- mane Behandlung ist oberstes Ge- bot. 145 Staaten haben die Konven- tion ratifiziert, darunter auch die USA. Doch sowohl im Irak als auch in Afghanistan und Guantanamo kam es Miles Untersuchungen zu- folge zu Foltermaßnahmen – darun- ter Schläge, Elektroschocks, sexuel- le Demütigung und Schlafentzug.

Die politische Linie der USA war von vornherein eindeutig. So erließ das Weiße Haus ein Memorandum, in welchem „keine der Bestimmun- gen der Genfer Konvention anzu- wenden sind, da Al-Qaida keine Ver- tragspartei des Abkommens ist“. Es gehöre allerdings zu den politischen Grundsätzen der Vereinigten Staaten von Amerika, dass die US-Streit- kräfte Gefangene „human und in dem Umfang, wie es die militä- rischen Notwendigkeiten gestatten und in Übereinstimmung mit diesen behandeln“. US-Verteidigungsminis- ter Donald Rumsfeld genehmigte sogenannte Harsh Counter Resist- ance Techniques in Verhören, nach denen die Genfer Konvention mili- tärischen Notwendigkeiten unter- geordnet wird. Diese militärischen Notwendigkeiten machten auch me- dizinische Fachkenntnisse erforder- lich, wie Rumsfeld befand. In Verhören von Gefangenen müssten deren „physische Stärken und Schwächen“ berücksichtigt werden, weshalb ein spezifisch ausgearbeite- ter Verhörplan medizinisches Fach- wissen unumgänglich mache. Ärzte hatten also im Vorfeld darüber zu entscheiden, wie lang ein Schlafent- zug dauern darf, welche Positionen Stress für die Gefangenen bedeuten oder wie lange sie Kälte oder Hitze ausgesetzt sein dürfen. Auch verhal- tenspsychologisch entwickelte Ver- hörpläne kamen zum Tragen, fand Miles heraus. Ein Arzt gestand spä- FOLTEROPFER

„Wo waren die Ärzte?“

Für sein Buch über die Mittäterschaft von Militärärzten und Sanitätspersonal in US-Gefängnissen wertete Steven Miles mehr als 3 500 Dokumente aus.

Was der Arzt und Professor für

Medizinische Ethik herausfand, ist eine Schmach für die Profession.

Foto:dpa

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 28–2914. Juli 2008 A1531

P O L I T I K

ter ein, dass das ärztliche Einver- ständnis zu Verhörplänen zum Pro- blem wurde, weil es die Ärzte weit von der ganz normalen Fürsorge für Gesundheit und Wohlergehen ent- fernt habe. „Wo waren die Ärzte?“, fragt Miles bei der Vorstellung sei- nes Buchs in Berlin. „Selbst wenn sie nicht anwesend waren – sie ha- ben die Folgen gesehen.“

Besonders erschreckend findet Miles daher das Verhalten der Pa- thologen. Schließlich hätten sie re- gelmäßig verweigert, Todesbeschei- nigungen bei Tod durch Folter her- auszugeben. Sie schwiegen, wenn Beamte des Pentagons wahrheits- widrig verlautbarten, dass Gefange- ne, die zu Tode geprügelt worden waren, eines natürlichen Todes ge- storben seien. Diese Ärzte, erbost sich Miles, habe niemand für ihre Taten belangt – und dies habe zum

„Bruch der medizinischen Ethik in den USA“ geführt.

Neue Deklaration erforderlich Das Geschehene sei nicht zu revi- dieren. Allerdings ist es nach An- sicht von Miles an der Zeit, die ein- zelnen, über unterschiedliche Men- schenrechtsdokumente verstreuten Inhalte zusammenzufassen und ein

„Nachfolgedokument der Deklara- tion von Tokio“ zu entwickeln. Die- ses soll die Gefängnisärzte in den Mittelpunkt stellen. In der „Er- klärung von Tokio“ hatte der Weltärztebund 1975 Richtlinien für Ärzte hinsichtlich Folter und anderer Formen grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung in Verbindung mit Gefangenschaft aufgestellt. Der von Miles vorgeschlagene Entwurf einer neuen Deklaration gibt Hinweise zum Verhalten von Ärzten in Ver- hörsituationen, zum Umgang mit Krankenakten und zur Meldung von Folter. Darüber hinaus legt Miles dar, was Zulassungsorgane wie Ärztekammern zu tun haben, wenn eine ärztliche Mittäterschaft be- steht (siehe auch Hamburger Ärzte- blatt 3/2008, Forum). I Martina Merten

Z

um Standardvokabular im ver- balmoralischen Rüstzeug jedes korrekten Gesundheitspolitikers gehört der Begriff „Transparenz“, mit dem beispielsweise die Verständlich- keit und Nachvollziehbarkeit von Rechtsnormen eingefordert wird. Ob diesem Anspruch bei der Formulie- rung des SGB V durchgängig in wün- schenswertem Umfang Rechnung ge-

tragen wurde, sei dahingestellt. Er- freulich klar jedenfalls erscheint der abstrakt formulierte Richtlinienauftrag des § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V, mit dem der Gemeinsame Bundesaus- schuss (G-BA) ermächtigt wird, den Leistungsumfang der Arzneimittelver- sorgung von gesetzlich Krankenversi- cherten mit verbindlicher Wirkung für diese, die Leistungserbringer und die Krankenkassen zu regeln; er kann sich dabei der Hilfe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge- sundheitswesen bedienen.

Genau dies hat der G-BA bei sei- ner Entscheidung über einen Verord- nungsausschluss von Clopidogrel als Monotherapie zur Prävention athero- thrombotischer Ereignisse bei Patien- ten mit Herzinfarkt, ischämischem Schlaganfall oder nachgewiesener peripherer arterieller Verschluss- krankheit getan, und er hat das mit der wünschenswerten Eindeutigkeit getan, nachdem ein Vergleich des teuren Clopidogrels mit der preiswer- ten Acetylsalicylsäure zur Feststellung der Unwirtschaftlichkeit und der feh- lenden medizinischen Notwendigkeit einer Verordnung des neuen Präparats geführt hatte.

Der insofern transparente und leicht verständliche Beschluss des G-BA wurde erstaunlicherweise im Rahmen des normalen Prüfverfahrens vom Bun- desministerium für Gesundheit gerügt.

Zwar spricht das ministerielle Schrei-

ben von einer Nichtbeanstandung, ver- bindet diese aber (Achtung: Wir bewe- gen uns hier in Grenzbereichen der Se- mantik) mit einer Auflage. Der zufolge ist in den Richtlinientext eine „Klarstel- lung“ aufzunehmen, dass sich der Aus- schluss der Monotherapie beim An- wendungsgebiet „Prävention athero- thrombotischer Ereignisse mit akutem Koronarsyndrom“ nicht auf eine Kom-

binationstherapie von Clopidogrel und Acetylsalicylsäure bezieht.

Das Ministerium begründet seine Auflage mit der Feststellung, der Leis- tungsausschluss stütze sich nur auf eine Nutzenbewertung der Monothera- pie mit Clopidogrel, während diejenige für verwandte Anwendungsgebiete noch ausstehe. „So ist es“, möchte man dem Verfasser des Briefs zuru- fen, „deshalb wird die Kombinati- onstherapie in der Richtlinie des G-BA auch nicht erwähnt!“, und hinzufügen, dass sich der G-BA bei seiner klaren Formulierung vom Bild des mündigen, verständigen Bürgers leiten ließ und deshalb dem ministeriellen Redun- danzbegehren nicht nachgeben konnte (wodurch die historische Bedeutung der letzten G-BA-Sitzung vor der an- stehenden Strukturreform noch eine kleine Steigerung erfuhr).

Was wird nun folgen? Wenn deutsch sein heißt, eine Sache um ih- rer selbst willen zu tun, wird die Rechtsaufsicht nicht ruhen, bis ihre Forderung nach der – mutmaßlich pharmagetriggerten – Aufblähung der beanstandeten Richtlinie in irgendei- ner Form umgesetzt wurde. Sollte da- mit dann ein Präjudiz geschaffen wor- den sein, ist eine drastische Zunahme des Umfangs künftiger Rechtsnormen programmiert: Denn dass ein mal eins gleich eins ist, dies aber nicht für zwei mal eins gilt, kann man immer

vermerken. I

KOMMENTAR

Dr. med. Till C. Spiro

CLOPIDOGREL

Alles klar, oder?

Weitere Informationen:

Aktionsnetzwerk Heilberufe von Amnesty International;

www.ai-aktionsnetz-heilberufe.de

@

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