Die Information:
Bericht und Meinung Ärzte befragen Ärzte
Mehrheit richtig sein (dafür gibt es in der Medizingeschichte Beispie- le genug). Mit dieser Vorbemer- kung sei jedenfalls darauf hinge- wiesen, daß mit "Ärzte befragen Ärzte" nicht sosehr Fakten ermit- telt werden, sondern vielmehr Mei- nungen und Einstellungen.
Eine der Befragungen, deren Er- gebnisse in unregelmäßigen Ab- ständen veröffentlicht werden, galt im Januar/Februar den vermu- teten Gründen für das vielbe- schriebene relativ geringe Interes- se von Studenten und jungen Ärz- ten an der Allgemeinmedizin, und zwar aus der Sicht der niederge- lassenen Ärzte für Allgemeinmedi- zin/Praktischen Ärzte und der nie- dergelassenen Internisten. Auf die offene Frage nach den Gründen gab es differenzierte und sponta- ne Äußerungen, die nachstehend geschildert sind; die Stellungnah- men zu einer Liste vorgegebener Gründe erlaubte eine interessante Skalierung.
Meinungen zum
Nachwuchsproblem in der Allgemeinmedizin
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe für das relativ geringe In- teresse von jungen Medizinern an der Allgemeinmedizin?
Die wichtigsten Gründe sind aus der Sicht der niedergelassenen Ärzte für Allgemeinmedizin/Prakti- schen Ärzte und Internisten (spon- tane Nennungen, also ohne Ant- wortvorgabe; vgl. die Tabelle):
..,. Die hohe Arbeitsbelastung und zeitliche Inanspruchnahme ("zu- viel Arbeit, keine 40-Stunden- Woche"); diese Ursache nennen 29 v. H. der befragten Ärzte (31 v. H. der Allgemeinmediziner und 24 v. H. der Internisten).
..,. Die hohen fachlichen Anforde- rungen ("Umfang des benötigten Fachwissens"); diesen Grund se-
Tabelle: Prozentuale Verteilung der Antworten zur Frage "Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe für das relativ geringe Interesse von · jungen Medizinern an der Allgemeinmedizin?" (Offene Frage) (Grundgesamtheit: Alle niedergelassenen Ärzte für Allgemeinmedizin/
Praktischen Ärzte und Internisten in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin)
gesamt Allgemeinärzte/ Internisten Praktische Ärzte
V. H. V. H. V. H.
Allgemein nicht mehr interessant 5 5 5
Umfang des benötigten Fachwis- 18 15 27
sens; für alles dazusein
Angst vor Verantwortung 8 8 6
Härte der Arbeit, größerer Einsatz 10 10 10 als anderswo
Zuviel Arbeit, keine 40-Stunden- 29 31 24 Woche
Zu sehr gebunden, ständige Prä- 8 10 3
senzpflicht, unregelmäßiger Dienst
Scheu vor Bereitschaftsdienst, Wo- 9 9 9
chendienst, Notfalldienst
Scheu vor Hausbesuchen 8 10 2
Bequemlichkeit 7 9 -
Ausbildung an Krankenhäusern und 13 10 21
Uni zu wenig beachtet
Arbeit auf dem Lande, Stadtnähe 3 3 5
fehlt
Neigung zu Spezialisierung in Wis- 13 9 25 sen und Beruf
Spezialisten, Fachärzte sind attrak- 9 10 5
tiver, Patient geht zum Facharzt, besseres Image des Facharztes
Geringes Sozialprestige, Regierung 10 11 8
wertet Beruf ab
Geringe Honorierung im Vergleich 14 15 11
Arbeit/Zeit
Genngerer Verdienst im Vergleich 10 10 9
zum Facharzt-Kliniker
Abstnche/Arger mit der Kassenver- 2 2 1
rechnung
Schlechte Berufsaussichten, insbe- 1 1 -
sondere in der Stadt
Habe nicht den Eindruck (der Fra- 3 2 6
gestellung), kein fehlendes lnteres- se der Jungmediziner
Keine Angabe 4 3 5
(Keine Addition, da Mehrfachnennungen!)
800 Heft 17 vom 23. April1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT
hen 18 v. H. der Ärzte, relativ häu- fig (27 v. H.) die lnterniste.~, weni- ger dagegen (15 v. H.) die Arzte für Allgemeinmedizin/Praktischen Ärzte, selbst.
..,.. Die Vernachlässigung dieses Gebietes an Krankenhäusern und Hochschulen; auch diese Mei- nung findet sich besonders ausge- prägt bei den Internisten (21 v. H.) gegenüber 10 v. H. bei den Allge- meinmedizinern (Gesamtdurch- schnitt 13 v. H.).
Läßt mim die Ärzte verschiedene im Interview listenartig vorgegebe- nen Begründungen beurteilen, so ergibt sich ein ähnliches Bild (vgl.
die grafische Darstellung):
C> Als wichtigste Ursache für das
mangelnde Interesse junger Medi- ziner an der Allgemeinmedizin gilt die Arbeitsbelastung ("harter Be- ruf, wenig Freizeit, viel Arbeit, Nachtdienst");
C> an zweiter Stelle wird das "zu
umfassende Tätigkeitsgebiet" ge- nann;
C> die Internisten vermuten als
weitere wichtige Ursache, daß der Facharzt dem Arzt für Allgemein- medizin/Praktischen Arzt überle- gen sei- eine These, die die Allge- meinmediziner verständlicherwei- se seltener unterstützen;
C> ein erheblicher Teil der Ärzte
sieht eine weitere Ursache darin, daß die Praxis für Allgemeinmedi- zin häufig in einem unattraktiven Gebiet liegt;
C> die Internisten äußern beson-
ders h~ufig die Vermutung, der Allgemeinarzt habe zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten.
..,.. Interessant ist, daß der finan- zielle Aspekt als eher sekundär ge- sehen wird.
Wie ist dies bei Ihnen persönlich:
Wenn Sie heute nochmals die Entscheidung zu treffen hätten, würden Sie sich wieder als Arzt
Die Information:
Bericht und Meinung Ärzte befragen Ärzte
Darstellung: Mögliche Gründe für das relativ geringe Interesse jun- ger Mediziner an der Allgemeinmedizin (Skalierung)
Trifft nicht zu
2 3 4
Trifft sehr zu
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Harter Beruf, wenig Freiz eit, viel Arbeit, Nachtdienst
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Geringes Sozial-Prestige
Ärzte gesamt (Durchschnitt
Ärzte für Allgemeinmedizin I Praktische Ärzte Internisten
für Allgemeinmedizin/Praktischer Arzt niederlassen?
..,.. 80 v. H. der Allgemeinärzte würden sich heute wieder für die- se Fachrichtung entscheiden ("wenn wir heute noch mal zu wählen hätten") und geben spon- tan (ohne Antwortvorgaben) fol- gende Begründungen:
C> "Habe ein breites Arbeitsge-
biet, abwechslungsreich, vielsei- tig" (45 v. H.).
C> "Patientenbindung, Patienten-
kontakt" (28 v. H.).
C> "habe mich dafür entschieden,
ist mein Wunsch, bin Idealist" (19
V. H.).
C> "bin verantwortungsbewußt,
fühle mich berufen" (15 v. H.).
C> "Beruf macht mir Spaß" (16
v. H.).
..,.. 20 v. H. würden heute eine an- dere Entscheidung treffen und würden lieber Krankenhausarzt oder niedergelassener Fach-(Ge- biets-)arzt sein, denn
C> als Klinikarzt hätte man "weni-
ger Arbeit und mehr Freizeit" und zudem "eine gute Honorierung":
C> als Facharzt hätte man "besse-
re diagnostische Möglichkeiten",~
"weniger StreB", und zudem gäbe es "einen Trend zum Facharzt".
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 17 vom 23. April1981 801
Die Information:
Bericht und Meinung Ärzte befragen Ärzte
Die Ärzte in kleinen Praxen (weni- ger als 800 Scheine) wären heute weniger bereit, sich wieder für die gleiche Fachrichtung zu entschei- den (37 v. H.).
Weiterbildung
in Allgemeinmedizin oder in den Fachgebieten?
Rund zwei Drittel (64 v. H.) der Ärzte für Allgemeinmedizin/Prakti- sche Ärzte würden einem Kollegen heute raten, eine Weiterbildung•in Allgemeinmedizin (und nicht in anderen Gebieten) anzustreben, ein Fünftel würde zu einer Weiter- bildung auf einem anderen Gebiet als der Allgemeinmedizin raten.
Für die Alternative „Allgemeinme- dizin" spricht aus der Sicht der Ärzte vor allem die „sehr komple- xe, umfangreiche, interessante, abwechslungsreiche Tätigkeit".
Die Empfehlung steht auch im Zu- sammenhang mit der Praxisgröße des befragten Arztes: Je größer die Praxis des Arztes (ab 1200 Scheine), desto eher würde die Empfehlung für die Allgemeinme- dizin ausgesprochen werden.
Eine Weiterbildung in einem ande- ren Gebiet (21 v. H.) begründen die Ärzte vor allem mit den „allgemei- nen Vorteilen der Spezialisierung, der geringeren Arbeitsbelastung und dem höheren Einkommen".
Wenn Sie, sehr verehrte Frau Kol- legin, sehr geehrter Herr Kollege, Fragen zu „Ärzte befragen Ärzte"
vorschlagen wollen, können Sie direkt an Infratest-Gesundheitsfor- schung, Landsberger Straße 338, 8000 München 21, zu Händen von Frau Asta-Karin Deibl, schreiben.
Gewiß haben Sie Verständnis da- für, wenn nicht für alle Fragen Er- hebungen durchgeführt und nicht alle Ergebnisse auch veröffent- licht werden können. Das Institut wird jedoch auf jeden Fall reagie- ren. DÄ
NACHRICHTEN
Bundesärztekammer gegen Zwangsernährung von Menschen
im Hungerstreik
Gegen eine zwangsweise Ernäh- rung von Strafgefangenen im Hun- gerstreik hat sich der Vorstand der Bundesärztekammer Mitte April in Köln ausgesprochen. Ihr Präsi- dent, Dr. Karsten Vilmar, verwies im Zusammenhang mit der in der Öffentlichkeit geführten Diskus- sion um die Zwangsernährung von Häftlingen auf die immer noch gül- tige Entschließung des Präsidiums der Bundesärztekammer vom 7.
Dezember 1974, wonach die Ver- pflichtung des Arztes zur Hilfe dort ihre Grenzen finde, wo ein eindeu- tiger, auf freier Willensbildung be- ruhender Beschluß des einzelnen vorliege, die ärztliche Behandlung abzulehnen bzw. sich ihr sogar ak- tiv zu widersetzen.
Eine Expertenkommission des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer hatte 1975 auf eine Anfrage des damaligen Generalbundesanwalts eine Stel- lungnahme zu Fragen der Zwangsernährung von Häftlingen abgegeben. Zwar sei, so hieß es dort, eine künstliche Ernährung von Patienten mittels einer Ma- gensonde unbegrenzt möglich, Voraussetzung sei aber die Mitwir- kung des Patienten. Diese sei im Fall hungerstreikender Häftlinge aber nicht gegeben. Bei einer den- noch durchgeführten Zwangser- nährung könnten sich erhebliche Gefahren für den Patienten erge- ben. So können zwangsweise ein- geführte Magensonden zu Verlet- zungen des Nasen-Rachen-Rau- mes, der Speiseröhre und des Ma- gens führen.
Es kann auch vorkommen, daß z. B. durch gewollte Kopfbewe- gungen des Inhaftierten sich die Magensonde in die Luftröhre ver- lagert und es auf diese Weise zum Eindringen von Nahrung in die Luftröhre bzw. Lunge kommt. Dies kann schwere Lungenentzündun-
gen zur Folge haben, die oft auch mit einer antibiotischen Behand- lung nicht mehr zu beherrschen sind.
Auch bei größter ärztlicher Sorg- falt könnten solche Verletzungen und Gesundheitsstörungen nicht vermieden werden. Abschließend heißt es in der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer: „Wenn ein Gefangener über die Gefährdung durch mangelnde Ernährung aus- reichend aufgeklärt ist, trotzdem jegliche Nahrungszufuhr verwei- gert und sich der künstlichen Er- nährung widersetzt, dann wird es auf die Dauer nicht möglich sein, ihm gegen seinen Willen ausrei- chend Nahrung zuzuführen. Somit muß der konsequent aktiv durch- gehaltene Hungerstreik trotz aller ärztlicher Bemühungen zwangs- läufig zum Tode führen."
Die Bundesärztekammer hat auf der Grundlage dieser Stellungnah- me ihres Wissenschaftlichen Bei- rates vergeblich versucht, im Ge- setzgebungsverfahren eines Straf- vollzugsgesetzes eine eindeutige Regelung gegen die Zulässigkeit einer Zwangsernährung zu errei- chen. Sie hält die aufgrund des Gesetzes ausgesprochene Ver- pflichtung eines Arztes, gegen sei- ne ärztliche Überzeugung eine Zwangsernährung durchzuführen, nicht für zumutbar. BÄK
Zentrale
für Querschnittgelähmte:
Neue Rufnummer
Die Anlaufstelle für die Vermitt- lung von Betten für Querschnitt- gelähmte ist in das Querschnittge- lähmten-Zentrum des Berufsge- nossenschaftlichen Unfallkran- kenhauses Hamburg integriert worden. Wie der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenos- senschaften e. V., Bonn, mitteilt, ist die Anlaufstelle „rund um die Uhr" unter einer einheitlichen Ruf- nummer, und zwar 040/73961548, zu erreichen. EB 802 Heft 17 vom 23. April 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT