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ichael Angelo Morales sollte durch die Giftspritze sterben.Der heute 46-Jährige war 1983 der Vergewaltigung und des Mordes an der 17-jährigen Terri Winchell für schul- dig befunden und zum Tode verurteilt worden. Wenige Wochen vor dem Hin- richtungstermin am 21. Februar versuch- ten seine Anwälte eine letzte Offensive.
Auf ihren Antrag hin traf Bundesrichter Jeremy Fogel Mitte Februar in San Fran- cisco eine Entscheidung, die das US- amerikanische Strafrecht nachhaltig be- einflussen könnte. Fogel wies die Lei- tung des nahen San-Quentin-Gefängnis- ses an, bei Morales Exekution „über- mäßige Qualen zu vermeiden“.
Die Anwälte hatten ein bekanntes Ar- gument von Gegnern der Todesstrafe an- geführt. Bei der Verabreichung der töd- lichen Giftinjektion sei nicht auszu- schließen, dass der Verurteilte schmerz- voll stirbt. Bei der Methode, die in 36 der 38 US-Bundesstaaten zur Anwendung kommt, in denen die Todesstrafe prakti- ziert wird, werden drei Injektionen ver- abreicht. Nach einer ersten Dosis des Barbiturats Natriumthiopental wird ein Muskelrelaxantium injiziert. Der Tod wird schließlich durch eine dritte Injekti- on Kaliumchlorid herbeigeführt. Weil aber umstritten ist, ob die verurteilte Per- son durch das Barbiturat bis zum Herz-
tod ohne Bewusstsein bleibt, stellte Rich- ter Fogel eine Bedingung: Während der gesamten Prozedur müssten zwei Anästhesisten in der Todeskammer an- wesend sein. Sie könnten eingreifen, wenn Morales wider Erwarten erwache.
Doch die beiden Ärzte lehnten ab. In ei- ner schriftlichen Erklärung gaben sie an, eine Assistenz bei der Hinrichtung nicht mit ihrem ärztlichen Auftrag in Einklang bringen zu können. Auch weigerten sich die Mediziner, Morales eine tödliche Do- sis Natriumthiopental zu verabreichen.
Diese zweite Option hatte der Richter zugestanden. Inzwischen ist nicht nur die Hinrichtung von Morales auf unbe- stimmte Zeit verschoben.
Verstoß gegen ärztliche Ethik
Die Ethikrichtlinien des US-amerikani- schen Ärztebundes (American Medical Association) lassen keinen Raum für In- terpretationen: Ärzte dürfen nicht an Hinrichtungen teilnehmen, heißt es dort.
Der kalifornische Ärztebund CMA hat sogar eine Initiative gestartet, um dort die bislang unverbindlichen Richtlinien gesetzlich zu verankern. Der Medizin- ethiker David Magnus von der Univer- sität Stanford beschreibt das Paradoxon:
„Der Staat ist verpflichtet, Exekutionen
schmerzlos und human zu gestalten“, er- klärt er die jüngste Entscheidung des Richters. „Auf der anderen Seite verletzt es grundlegende ethische Prinzipien, wenn Ärzte gegen den Willen der Pati- enten Euthanasie praktizieren.“
Auf den Widerspruch weisen auch Vertreter der US-Bürgerrechtsbewe- gung hin. „Wir Amerikaner wollen Men- schen hinrichten“, sagt Bryan Stevenson von der Initiative „Gleiches Recht für al- le“ in Alabama, „aber wir wollen diese Praxis nicht als ,böse‘ oder ,unerfreulich‘
erscheinen lassen.“ Dabei gebe es kei- nen bequemen Weg, Menschen zu töten,
„die weder sterben wollen, noch sterben müssen, weil sie schließlich für nieman- den mehr eine Gefahr darstellen“.
Eine ähnliche Haltung nehmen Ver- treter von Ärzteorganisationen ein. „Das Gericht hat im Fall Morales medizinethi- sche Standards außer Acht gelassen“, sagt Corey Weinstein, der im Auftrag der American Public Health Association die Richtlinien für den Strafvollzug mitent- wickelt hat. Dem Staat sei an der bisheri- gen 3-Injektionen-Praxis gelegen, weil sie ein sauberes Bild von der Todesstrafe vermittele und schnell gehe. Während Weinstein davon ausgeht, „dass sich oh- nehin kein Mediziner findet, der eine Hinrichtung vollzieht“, ist Stevenson we- niger zuversichtlich. Gerade in den Süd- staaten Texas, Alabama und Virginia sei eine solche Mithilfe auch von Ärzten denkbar, warnt der Bürgerrechtler.
Tatsächlich haben US-Medien in der aktuellen Debatte auf die bestehende Mitwirkung von Ärzten bei der Voll- streckung der Todesstrafe hingewiesen.
Im November 2001 hatte ein solcher Fall im US-Bundesstaat Georgia Aufsehen erregt. Damals konnten die Henker bei der Vorbereitung einer Hinrichtung die Vene des Todeskandidaten nicht finden.
Ein herbeigerufener Arzt setzte den Ka- theter unter dem Schlüsselbein und er- möglichte die Exekution. In Connecticut beglaubigen Ärzte die Qualifikation der Henker. In Missouri legen Ärzte die Zu- gänge in einer Beinarterie. In Kalifornien stellen unmittelbar nach dem Ableben der Verurteilten Ärzte den Tod fest. Alle diese schleichend eingeführten Hilfestel- lungen von Medizinern werden voraus- sichtlich im Mai vor Gericht thematisiert.
Dann soll eine Anhörung zum Fall Mora- les stattfinden. Harald Neuber
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A610 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 10⏐⏐10. März 2006
Todesstrafe in den USA
Ärzte stoppen Exekution
Mit ihrer Weigerung zur Beihilfe haben zwei Anästhesisten die Hinrichtungspraxis in den USA infrage gestellt.
Foto:laif