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Archiv "Zwischen Leben und Sterben: berühmte Ärzte beobachten sich" (25.11.1983)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Zahnärzte-Ausbildung

dentenzahl verhindere zuneh- mend eine qualitativ hochwertige Vorbereitung für den Zahn- arztberuf.

Schon für den heutigen Bedarf würden derzeit mindestens 600 Zahnärzte pro Jahr mehr ausge- bildet als aus dem Beruf ausschei- den (zur Zeit sind fast rund 35 900 Zahnärzte beruflich aktiv).

Bewerber für das Studium der Zahnmedizin sollen ein Praktikum in einer zahnärztlichen Praxis mit den Tätigkeitsmerkmalen der Zahnarzthelferin, der Zahntechnik und/oder einen Krankenpflege- dienst ableisten (Bundeswirt- schaftsminister Dr. Otto Graf Lambsdorff hat sich übrigens erst kürzlich vor der Hauptversamm- lung des Hartmannbundes für ei- ne sechsmonatige Krankenpfle- gedienstzeit vor Beginn des Hu- man- und Zahnmedizinstudiums ausgesprochen).

Die Kapazitätsverordnungen der Länder sollten auf ihre Aktualität für das Studienfach hin überprüft und den qualitätsbedingten An- sprüchen entsprechend restriktiv angepaßt werden, fordert der FVDZ in einem weiteren Be- schluß.

Als Zulassungsvoraussetzung für das Zahnmedizinstudium soll ein spezifisch fachbezogener Eig- nungstest mit höherer Gewich- tung vorgeschrieben werden.

Die von interessierter politischer Seite und neuerdings auch von den Ersatzkassen geforderte Be- schränkung der freien Kassenzu- lassung wird vom „Freien Ver- band Deutscher Zahnärzte" als ein ungeeignetes Mittel gegen Überfüllung apostrophiert.

Regionale Überversorgungen könnten durch entsprechende Aufklärung der niederlassungswil- ligen Zahnärzte beeinflußt wer- den. Eine totale Zulassungsbe- grenzung sei weder verfassungs- rechtlich noch politisch wie mora- lisch vertretbar. EB

Wir besitzen mehrere Schilderun- gen von berühmten Ärzten, die ih- re Erlebnisse aufgezeichnet ha- ben in Grenzsituationen, in denen sie sich dem Ende nahe glaubten.

Am weitesten bekannt sind wohl die Aufzeichnungen des großen Klinikers und Herzspezialisten Hermann Nothnagel während sei- nes schweren und letzten Angina- pectoris-Anfalls.

Nothnagel (1841 bis 1905) hatte ei- ne ausgedehnte Privatpraxis. Aus allen Teilen der Welt kamen die Patienten zu ihm.

„Anfälle mit

äußerst heftigen Schmerzen"

Seit drei oder vier Jahren fühlte er bei Anstrengungen zunächst ei- nen leichten, später zunehmend immer deutlicheren Druck auf dem Herzen. Anfälle mit starken Schmerzen traten erst fünf oder sechs Tage vor seinem Ende auf.

Am 6. Juli 1905, spät abends im Bett, befielen ihn drei heftige An- fälle. Seine Beobachtung — nüch- tern und exakt — notierte er auf ei- nen Zettel, den sein Diener mor- gens auf dem Nachttisch gefun- den hat. Darauf war verzeichnet:

„Anfälle mit äußerst heftigen Schmerzen, Puls im Anfall ganz verschieden, einmal langsam, zir- ka 56 bis 60, ganz regelmäßig, stark gespannt, dann wieder be- schleunigt 80 bis 90, ziemlich gleich — und regelmäßig, endlich bald beschleunigt, bald langsa- mer mit ganz wechselnder Span- nung ... geschrieben am 6. Juli 1905 abends spät, nachdem ich soeben drei heftige Anfälle ge- habt habe." Hier enden die Auf- zeichnungen, wohl, weil der Tod

ihm den Bleistift aus der Hand ge- nommen hat.

Welche Gefühle ein Ertrinkender durchlebt, schildert Jakob Lau- renz Sonderegger (1825 bis 1896), Leiter des Gesundheitswesens im Kanton St. Gallen. Er badete in ei- nem See, schwamm, bekam einen Wadenkrampf, sank, tauchte auf, sank wieder. Dabei sah er flam- mende Blitze, hörte Donner, Brau- sen und Krachen und gewärtigte mit einer eigenartigen Apathie sein Ende. Er wird gerettet und schreibt dieses Erlebnis auf.

„Mußt die Sektion machen lassen, mein lieber Sohn"

Über einen Kollegen berichtet Ja- kob Laurenz Sonderegger, der sein Sterben fühlt und seine Be- obachtungen seiner Umgebung mitteilt. Es heißt: „Jetzt muß ich die Arme zum Atmen anstemmen.

Die Lähmung des Darmes ist kom- plett, das Zwerchfell außer Funk- tion. Ich kalte. Mein Puls flattert — ist weg. Mußt die Sektion machen lassen, mein lieber Sohn. Es ist ein Loch im Dickdarm; wird inter- essant." Die Sektion bestätigte die Diagnose, die der alte, erfah- rene Praktiker bei sich gestellt hatte.

Der Psychiater Alfred Noche (1865 bis 1943) erzählt von seinem Leh- rer in der Kinderheilkunde, Pro- fessor Theodor von Dusch, der mit der Gelassenheit eines Philoso- phen starb, folgendes: Der alte Dusch erkrankte schwer an einer Grippepneumonie. Am Tag vor seinem Ende versammelte er alle Assistenten, an seinem Bett und gab, wie in der Vorlesung, eine Epikrise seines Zustandes mit der zeitlich richtigen Voraussage sei- nes Todes.

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Zwischen Leben und Sterben:

berühmte Ärzte beobachten sich

Hermann Dietsch

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 47 vom 25. November 1983 105

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Die letzte Niederschrift Hermann Nothna- gels über seine stenokardischen Anfälle

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Aus den Lebenserinnerungen Ho- ches entnehme ich ein Beispiel dafür, wie die weise Gelassenheit plötzlich dahinschwindet, wenn es ums Ganze geht.

„Knauff hat mich aufgegeben, verfluchte Schweinerei"

Der Augenarzt Otto Becker hatte seinem Freund, dem Professor Franz Knauff (Hygiene), das Ver- sprechen abgenommen, daß er ihm sagen würde, wenn es bei ei- ner Krankheit einmal bedenklich stehen würde. Eines Tages war es so weit, Knauff erfüllte seine Zusa- ge in vorsichtigen Wendungen.

Becker schwieg, ließ seine Frau rufen, sagte: „Knauff hat mich aufgegeben, verfluchte Schwei- nerei", drehte sich wütend zur Wand und sprach kein Wort mehr.

„Ein Gefühl von plötzlichem Freierwerden, Wohlsein"

Seinen Dämmerzustand bei einer Pneumonie schildert der große Kliniker Bernhard Naunyn (1839 bis 1925). „Von Minute zu Minute

wurde ich schwächer, endlich kam mir die Vorstellung, daß es aus sei. Dabei hatte ich eine ei- genartige Empfindung am Her- zen; sie war durchaus angenehm.

Ein Gefühl von plötzlichem Freier- werden, Wohlsein. Ich konnte nur noch schnell meine Frau rufen lassen; sie setzte sich neben mich; ich gab ihr die Hand und wurde sofort vollkommen bewußt- los ... wenn ich auch nicht ge- storben bin, so habe ich durchge- macht, wie einem Sterbenden zu Mute sein kann."

Die schmale Zone zwischen Le- ben und Tod schildert auch Theo- dor Billroth (1829 bis 1894) an- schaulich bei seiner Lungenent- zündung. „Ich lag längere Zeit in einem nicht unangenehmen Halb- schlummer, manchmal wohl da- bei ärztlich mich beobachtend, wie die Atemzüge immer rasseln- der, immer flacher wurden, mein Geist zu wandern schien, das alles war so milde und schön; ich schwebte und sah die Erde und meine Freunde so ruhig und freundlich unter mir." Man rüttel- te ihn empor, er mußte auf Kom- mando tief atmen. „Ich bat: Laßt

mich! mir ist so gut! ... mein Schlaf hatte wohl zu große Ähn- lichkeit mit seinem Zwillingsbru- der."

„ ... immer tiefer und tiefer in einen engen Schlund ... "

J. Marion Sims (1813 bis 1883), der Begründer der operativen Gynä- kologie, erkrankte an einer schweren Malaria. Er glaubte ster- ben zu müssen und schildert sei- nen Zustand mit folgenden Wor- ten:

„Ich fühlte, daß es mit mir zu Ende ging ... Als ich so auf dem Rük- ken lag, wurde alles kleiner vor meinen Augen, meine Frau und meine Kinder schienen immer weiter von mir weg zu schwinden.

Mir schien, als sinke ich immer tiefer und tiefer in einen engen Schlund ... und obgleich dieser Zustand nur einen Augenblick dauerte, schien er mir doch wie eine Ewigkeit zu sein. Ich blickte aufwärts und sah meine Freunde aus einer Entfernung von 30 Fuß.

Ich hörte ihre Stimme deutlich und verstand genau, was sie sag- 106 Heft 47 vom 25. November 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Leben und Sterben

ten, aber es schien mir . . . sie 100 Fuß über mir zu sehen ... wurde schwächer und schwächer und mir kam es vor, als ob ich meine Augen schlösse und die Meinen nie wieder sehen würde ... Ich hatte die wirklichen Todesgefühle gehabt." Sims bekam Chinin und genas.

„Dem reinsten, vollkommensten Lebensgenuß verwandt"

Wilhelm Wundt (1832 bis 1919), der Begründer der experimentel- len Psychologie, war von einem heftigen Blutsturz überrascht wor- den. Er schreibt: „Niemals in mei- nem Leben habe ich aber später den Eindruck einer so vollkomme- nen Ruhe empfunden wie in die- sen Stunden. Das Gefühl abge- schlossen zu haben mit allem, was das Gemüt . beunruhigen kann, mit allem Streben und Wol- len, ist vielleicht dem anderen des reinsten, vollkommensten Le- bensgenusses verwandt. Es setzt allerdings voraus, daß das Ende ein schmerzloses sei . . Diese Ruhe des Sterbens einmal erlebt zu haben, schätze ich für einen Gewinn, dem nichts anderes gleichkommt... um keinen Preis möchte ich dieses Leben verlas- sen, außer mit vollem Bewußtsein, diesen Akt selbst erlebt zu ha- ben."

„Diesmal gibt es kein Pardon"

Der französische Chirurg Renä Leriche (1879 bis 1955) hatte 1935 ein Lungenödem gut überstanden und sich seit dieser Zeit durchaus wohl gefühlt. Am 28. Dezember 1955 hatte er nach dem Abendes- sen mit seiner Frau eine Partie Domino gespielt und sich danach an den Schreibtisch gesetzt, um Briefe zu schreiben. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, überfiel ihn Unwohlsein, er rief seine Frau, ging ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Als ihm klar wurde, daß er ein akutes Lungenödem hatte (das zweite nach einer Ope- ration 1953) sagte er zu seiner

Frau: „Zwei überlebt man nie.

Diesmal gibt es kein Pardon. Es ist vorbei." Er hatte seine Situation klar erkannt, er drehte seinen Kopf zur Seite und ging hinüber.

„Zu spät, es ist Agonie"

Albrecht von Graefe (1828 bis 1870), der Begründer der moder- nen Augenheilkunde, starb mit 42 Jahren an Lungentuberkulose.

Zwei Monate vor seinem Tod schrieb er „...daß ich mir als ver- ständiger Mensch und Arzt keine übertriebene Hoffnung mache, versteht sich von selbst, allein Be- schäftigung bis zum letzten Au- genblick scheint mit das Beste und hält jedenfalls von unnötigem Grübeln ab." Als sein Zustand be- denklich wurde, rief man den be- rühmten Kliniker Leyden (1832 bis 1910) an sein Krankenbett. Als dieser in der Tür erschien, hauch- te Graefe ihm mit letztem Stimm- aufwand entgegen: „zu spät, es ist Agonie" drehte den Kopf zur Seite und verschied.

Heinrich Quincke (1842 bis 1922), der Entdecker der Lumbalpunk- tion, schrieb eine Stunde vor sei- nem Tod: „Ich fühle mich in der letzten Zeit nicht mehr sehr frisch, ein plötzlicher Gefäßverschluß wäre mir lieber als eine langsame Atrophie." Am 19. Mai abends sie- ben Uhr fand man ihn tot auf ei- nem Stuhl sitzend in seiner Biblio- thek.

Virchow sah sein Ende voraus Rudolf Virchow (1821 bis 1902) hatte 1902 einen Oberschenkel- bruch ausgeheilt, ging zur Nach- kur nach Teplitz, bearbeitete dort anthropologische Fragen, suchte dann Harzburg auf und hatte sich gut erholt. Überraschend stellte sich eine nicht zu überwindende Appetitlosigkeit ein, deren ernst- hafte Bedeutung dem großen Pa- thologen völlig klar wurde. Er wollte sein Leben in seinem Heim beenden und ließ sich nach Berlin zurückbringen. Er hatte völlig

richtig vorausgesehen, am 5. Sep- tember 1902 nahm ihn ohne wei- teres Leiden ein sanfter Tod aus dem Kreis der Lebenden.

Bei fünfhundert Sterbenden fand der große englische Kliniker Wil- liam Osler (1849 bis 1919) nur vier- zig, die dabei Schmerzen äußer- ten, und nur zwei von diesen hat- ten wirkliche Angst. Die letzte Stunde, die uns aus dem Licht des Lebens hinüberleitet in das ewige Schweigen des Nichtseins, bleibt uns Menschen ein geheimnisvol- les Problem Die Umnebelung der Auffassung durch die Krankheit ist in den meisten Fällen so stark, daß die Schlußphase in ihrer Be- deutung nicht erkannt wird.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hermann Dietsch Crayerstraße 14

8450 Amberg

Almanach 1984 deutscher

Ärzte-Schriftsteller geplant

Der Herausgeber von zwölf Anthologien deutscher Ärz- te-Schriftsteller, Armin .Jüngling, beabsichtigt, 1984 wieder einen Almanach her- auszugeben. Die Beteili- gung setzt nicht die Mit- gliedschaft im Bundesver- band Deutscher Schriftstel- ler-Ärzte voraus; es sind vielmehr alle schriftstelle- risch tätigen Ärzte, Zahnärz- te und Tierärzte eingeladen, sich durch Einsendungen von Lyrik, Essays und Kurz- geschichten zu beteiligen.

Einsendungen mit frankier- tem Rückumschlag erbittet bis zum 1. Februar 1984 Dr.

med. Armin Jüngling, 8211 Unterwössen. Ferner erbit- tet er von den Schriftsteller- kollegen die bibliographi- schen Angaben ihrer in den Jahren 1982 und 1983 er- schienenen belletristischen Werke. AJ

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 47 vom 25. November 1983 109

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