Christian Andree: Rudolf Vir- chow. Leben und Ethos ei- nes großen Arztes. Langen Mül- ler, Herbig Verlagsbuchhandlung, München, 2002, 304 Seiten, 21 Fo- tos, gebunden, 22,90 A
Am Abend des 4. Januar 1902 brach sich Rudolf Virchow auf dem Weg zu ei- ner Sitzung der Gesellschaft für Erdkunde beim Absprin- gen von der Straßenbahn – er war zu diesem Zeitpunkt be- reits 81 Jahre alt – den Ober- schenkelhals und starb acht Monate später am 5. Sep- tember 1902, nicht ohne vorher den Versuch ge- macht zu haben, „wieder in regelmäßige Arbeit zu treten“. Sowohl der Sprung von der Straßen- bahn auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Sitzung als auch der Ver- such, vom Krankenlager wieder die gewohnte Arbeit aufzunehmen, charakterisieren die- sen rastlosen, vielseiti- gen Mann, der als Arzt, Politiker und An- thropologe weit über seine Zeit hinaus wirkte.
Zum 100. Todestag er- schien jetzt eine neue Biogra- fie Rudolf Virchows, verfasst von dem Medizinhistoriker Christian Andree, der als Herausgeber einer auf mehr als 70 Bände angelegten Ge- samtausgabe der Werke Ru- dolf Virchows wie kein zwei- ter als Virchow-Biograf legi- timiert ist. In Vorbereitung der noch nicht abgeschlos- senen Gesamtausgabe hatte Andree unzählige hand- schriftliche Notizen, Briefe und Aufzeichnungen Vir- chows zu entziffern, und – dies macht den Reiz der vor- liegenden Virchow-Biografie aus – Andree lässt Virchow umfangreich selbst zu Wort kommen.
Das Buch ist gegliedert in drei Teile: eine kurz gefasste Wirkungsgeschichte, die ei- gentliche Biografie mit der
spannenden Darstellung auch des Politikers Virchow (be- schrieben wird unter ande- rem die in einer Duell- forderung gipfelnde Ausein- andersetzung mit Bismarck) sowie Ausführungen zum Ethos dieses vielseitigen Arz- tes und Forschers. Dieser drit- te Teil enthält lesenswerte Abschnitte, zum Beispiel zu den Themen: Medizin – eine
janusköpfige Wissenschaft, Versuche am Menschen, ärzt- liche Standesdisziplin, die epidemische Krankheit als soziales Problem, der ärztli- che Kunstfehler.
Die ethische Grundhal- tung Virchows wurde früh ge- formt durch seine Erfahrun- gen anlässlich der 1848 in Oberschlesien ausgebroche- nen „Typhus“-Epidemie (in Wirklichkeit eine Fleckfie- ber-Epidemie). Hier lernte Virchow die sozialen Hinter- gründe von Erkrankungen kennen, die in seine – wie ein Cantus firmus sein Leben und seine Arbeit durchzie- hende – Forderung nach „Bil- dung und ihren Töchtern Freiheit und Wohlstand“
mündete.
Diesem gelungenen Rück- blick auf Leben und Werk Ru- dolf Virchows sind viele Leser zu wünschen. Burkhard Madea
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A3176 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4722. November 2002 B Ü C H E R
Biografie