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Archiv "Gesundheitswesen in den USA: Debatte um das Recht auf würdevolles Sterben" (24.05.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 21

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24. Mai 2013 A 1033

H

eute ist Donnerstag“, sagt eine Frauenstimme, dazu fängt die Kamera Bilder einer al- ten Dame mit Rollator und Beat- mungsgerät ein. „Und am Sonntag werde ich diese Erde verlassen.“

Es ist eine der Einstiegsszenen ei- ner Dokumentation des US-Sen- ders Public Broadcasting Service, der Amerikas Bürger „in die ge- heime Welt des begleiteten Selbstmordes“ führt. Der Film lässt Angehörige von schwer er- krankten Menschen zu Wort kom- men, die mit und ohne ihre Hilfe aus dem Leben geschieden sind.

Die Macher des Filmes urteilen:

„Im ganzen Land warten Men- schen, die Hilfe beim Sterben su- chen, nicht darauf, dass sich die Gesetze ändern.“

Lediglich in den Bundesstaaten Oregon (seit 1997) und Washing- ton (seit 2009) an der Westküste ist Sterbehilfe legal. Das „Death with Dignity“-Gesetz zum frei- willigen Ableben gilt nur unter exakt definierten Bedingungen.

Schwer kranke Erwachsene mit einer diagnostizierten Lebenser- wartung von maximal sechs Mo- naten dürfen ihr Leben auf eige- nen Wunsch mit einer tödlichen Medikamentendosis beenden. Der Arzneicocktail muss ihnen von ei- nem Arzt verschrieben worden sein. Nach Angaben des Gesund- heitsministeriums in Oregon ha- ben seit Inkrafttreten des Gesetzes 1 050 Menschen Rezepte für die todbringenden Medikamente ver- schrieben bekommen, 673 davon

haben die Arzneimittel tatsächlich eingenommen. 255 Verschreibun- gen sind in Washington State do- kumentiert.

Noch ist die Möglichkeit zum begleiteten Ausstieg aus dem Leben eine Ausnahme. Doch: In den ver- gangenen Monaten ist das Interesse neu erwacht. Und das wohl auch deshalb, weil in den Vereinigten Staaten die Zahl der alten Men- schen rasant zunimmt und gleich- zeitig das Gesundheitssystem und die Versorgung am Lebensende zu- nehmend im Fokus der Öffentlich- keit stehen. Fast ein Dutzend Bun- desstaaten hat in jüngerer Vergan- genheit über Sterbehilfe diskutiert oder wird bald darüber entscheiden.

Darunter sind New Jersey, Kalifor- nien, Hawaii, New Hampshire, Maine, Kansas, Connecticut und Vermont.

Bevölkerung, Justiz und Politik sind gespalten. Die Bewohner von Massachusetts, als besonders liberal verschrien, entschieden sich Ende vergangenen Jahres gegen einen entsprechenden Vorstoß. Sie wähl- ten am 6. November nicht nur ihren Präsidenten, sondern urteilten an der Urne auch über den „Death with Dignity Act“, den verschiedene Or- ganisationen durch viel Einsatz auf die Stimmzettel gebracht haben. Die Entscheidung war knapp: 51 Pro- zent der Bürger waren dagegen, Sterbehilfe zu legalisieren.

In Montana, im mittleren Wes- ten, stemmte sich die Politik Mitte April in einer nicht minder knappen Entscheidung gegen einen Vorstoß, die ärztlich begleitete Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. Ärzten hätte bis zu zehn Jahren Gefängnis und 50 000 US-Dollar Strafe gedroht.

Montana ist ein Sonderfall. Der staatliche Supreme Court entschied im Jahr 2009, dass „assisted sui - cide“ nicht gegen bestehendes Recht verstößt. Ein neues Gesetz, das die Sterbehilfe offiziell legali- siert, ist jedoch bisher nie verab- schiedet worden. Ärzte bewegen sich deshalb in einer juristischen Grauzone, wenn sie Patienten dabei helfen, aus dem Leben zu gehen.

Zumindest die Position der Bevöl- kerung scheint in Montana eindeu- tig: 73 Prozent der Bewohner sind GESUNDHEITSWESEN IN DEN USA

Debatte um das Recht auf würdevolles Sterben

Nur in zwei US-Bundesstaaten ist ärztliche Sterbehilfe legal. Prozesse und Volksentscheide entfachen die Diskussion landesweit neu.

Foto: laif

T H E M E N D E R Z E I T

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A 1034 Deutsches Ärzteblatt

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24. Mai 2013 laut einer Studie der Global Strate-

gy Group der Ansicht, dass Ärzte straffrei bleiben sollten, wenn sie einen Freitod begleiten.

Im Zuge des zunehmenden Inter - esses an dem „Death with Dignity“- Gesetz führte die Seattle Cancer Care Alliance, eine Krebsklinik im Bundesstaat Washington, eine Stu- die zu ihrem Umgang mit dem Ster- behilfe-Programm durch. Sie wurde Mitte April im „The New England Journal of Medicine“ veröffent- licht. Das Resultat: Obwohl die Möglichkeit zum Suizid selten in Anspruch genommen werde, sei die Akzeptanz bei denen, die das Pro- gramm nutzen, groß. „Patienten und Familien waren dankbar, das Rezept erhalten zu haben, unabhän- gig davon, ob sie es nun gebraucht haben oder nicht.“ Das Programm sei von Patienten und Krankenhaus- ärzten breit akzeptiert.

Die organisierte Ärzteschaft po- sitioniert sich eindeutig gegen die

Sterbehilfe: „Von Ärzten begleite- ter Selbstmord ist grundlegend un- vereinbar mit der ärztlichen Rolle eines Heilers“, heißt es im Ethikko- de der American Medical Associa - tion. Eine solche Initiative sei schwierig oder gar nicht zu kontrol- lieren und führe zu gravierenden sozialen Risiken. Neben der organi- sierten Ärzteschaft zählen Kirchen- vertreter zu den schärfsten Gegnern des ärztlich begleiteten Sterbens.

Andere setzen sich dagegen dafür

ein, dass Patienten die Entschei- dungsfreiheit über ihren Tod gelas- sen wird. Compassion & Choices, die größte Sterbehilfe-Organisa - tion, zählt mehr als 40 000 Unter- stützer und ist in den öffentlichen Auseinandersetzungen sehr präsent.

Die Organisation berät Schwerst- kranke über die Möglichkeiten, dem Leben eigenständig ein Ende zu setzen. Es weist gar den Weg, wie entsprechende Medikamente zu beziehen sind.

Für Schlagzeilen sorgt die Orga- nisation Final Exit Network. Die Gruppe und ihre 3 000 Mitglieder bieten nicht lediglich Beratung zum Freitod an. Ihre „exit guides“ sind regelmäßig anwesend, wenn sich ein Patient entscheidet, aus dem Le- ben zu gehen. Was für viele maka- ber anmutet: Statt durch einen Me- dikamentencocktail wird der Tod im Fall von Final Exit Network durch einen mit Helium gefüllten Plastikbeutel herbeigeführt, den

sich die Kranken über den Kopf ziehen. Diese sei eine schmerzfreie und angenehme Art zu sterben, sa- gen die Befürworter der Initiative.

Noch dazu sei der Zugang zu Heli- um deutlich einfacher als zu Medi- kamenten.

In drei Bundesstaaten, Arizona, Georgia und Minnesota, standen Helfer der Organisation bereits vor Gericht, zuletzt im März dieses Jah- res. In allen drei Fällen wurden ge- gen die Helfer von Final Exit Net- work keine Gefängnisstrafen ver- hängt, wobei ein Prozess noch nicht beendet ist. Einer der führenden Köpfe des Netzwerkes, und Mitan- geklagter, ist der ehemalige Anäs- thesist Lawrence Egbert (85). Nach eigenen Angaben hat er in den ver- gangenen 15 Jahren 100 Suiziden selbst beigewohnt und 300 Bewer- bungen für den begleiteten Suizid akzeptiert, heißt es in Medienbe- richten. Einige sehen in Egbert den Nachfolger des umstrittenen Ster- behilfe-Verfechters Jack Kevor - kian, der vor zwei Jahren starb. Ke- vorkian, der des Totschlags für schuldig befunden wurde, hatte un- ter dem Beinamen Dr. Tod landes- weit Schlagzeilen gemacht.

Die vom Public Broadcasting Service dokumentierte Patientin war die schwer krebskranke Joan Butterstein (81) aus Colorado, wo Sterbehilfe nicht legal ist. Sie ent- schied sich, mit Unterstützung von Compassion & Choices ihr Leben zu beenden. Es sei „okay“, dass ihr Leben nun vorbei sei, sagte sie, als ihre Kräfte zunehmend schwanden.

Und weiter: Nicht ein einziges Mal habe sie ihre Entscheidung, freiwil- lig zu gehen, überdenken müssen.

Nicht ein einziges Mal.

Nora Schmitt-Sausen In Irland bleibt aktive Sterbehilfe weiterhin verbo-

ten. Das Oberste Gericht in Dublin wies Ende April die Klage einer Frau ab, die das Verbot als verfas- sungswidrig bezeichnet hatte. Die an multipler Sklerose erkrankte 59-Jährige wollte vor Gericht einen Zeitpunkt für eine legale Beihilfe zu ihrer Selbsttötung festlegen lassen, um „einen qualvol- len und würdelosen Tod“ zu vermeiden.

Das umfassende Verbot von Sterbehilfe in Irland schränke ihr Recht auf persönliche Unabhängig-

keit ein, das durch die Verfassung und durch die Europäische Menschenrechtskonvention gewähr- leistet sei, so ihre Argumentation. Der Oberste Gerichtshof hatte die Klage bereits im Januar ab- gewiesen, die 59-Jährige war daraufhin in Revi - sion gegangen. Das Gericht bestätigte mit seiner Entscheidung das frühere Urteil. Der Ehemann der Klägerin kündigte laut Medienberichten an, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschen-

rechte ziehen zu wollen. kna

IRLAND: VERBOT VON STERBEHILFE BESTÄTIGT

Von Ärzten begleiteter Selbstmord ist grundlegend unvereinbar mit der ärztlichen Rolle eines Heilers.

Ethikkode der American Medical Association

Der als „Dr. Tod“

bekannte Arzt und Sterbehilfe-Verfech- ter Jack Kevorkian wurde 1999 des Totschlags für schuldig befunden.

Mit Plakaten wur- de für das „Death with Dignity“-Ge- setz in Oregon ge- worben.

Foto: picture alliance

Foto: dpa

T H E M E N D E R Z E I T

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