Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1616. April 2004 AA1049
S E I T E E I N S
F
ür nicht unbeträchtliche Auf- regung sorgte wenige Tage vor Ostern ein fraktionsübergreifender Gesetzesantrag auf Initiative des SPD-Abgeordneten Rolf Stöckel, der fordert, die Selbstbestimmung am Ende des Lebens zu erleichtern.Auch FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt forderte, den Wunsch von unheilbar kranken Patienten nach einem würdevollen Sterben zu ak- zeptieren. Dies stieß auf scharfe Kri- tik bei beiden Kirchen sowie Politi- kern von Union und Grünen. Auch der Präsident der Bundesärztekam- mer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, lehnt die Gesetzesinitiative strikt ab. Das Verbot der Tötung auf Verlangen dürfe nicht angetastet werden. Wenn auch in dem Papier von aktiver Sterbehilfe nicht aus- drücklich die Rede ist, soll das Straf-
gesetzbuch um folgenden Passus ergänzt werden: „Ein Unterlassen oder Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen, der auf Wunsch der/
des Verstorbenen beruhte, ist nicht rechtswidrig, wenn dieser Verzicht von der/dem Gestorbenen ausdrück- lich oder durch eine gültige Patien- tenverfügung erklärt ist.“ Das klingt zwar relativ unverfänglich. Dennoch sind die Proteste berechtigt.
Pikant ist, dass Stöckel auch Prä- sident des Humanistischen Ver- bands in Nordrhein-Westfalen ist.
Bereits 2003 hatte der Humanisti- sche Verband mit dem Gesetzes- antrag fast gleich lautende Eck- punkte vorgelegt. Darin heißt es:
„Niemandem kann auferlegt wer- den, mit schwersten Beschwerden und Schmerzen noch länger leiden zu müssen.“ Solche Forderungen be-
legen, dass bei Stöckel die Unter- schiede zwischen erlaubter passiver und verbotener aktiver Sterbehilfe verschwimmen. Doch wird dem Wil- len todkranker Patienten bereits schon heute hinreichend Folge gelei- stet. Wenn ein einwilligungsfähiger Patient die weitere Behandlung ver- weigert, dann muss der behandelnde Arzt dies respektieren. Für den Fall, dass Patienten nicht mehr einwilli- gungsfähig seien, könnten sie vorab eine Willenserklärung unterschrei- ben, sagte Hoppe. Doch aktive Ster- behilfe ist und soll verboten bleiben.
Der Antrag verdeutlicht letztend- lich, dass immer noch eine große Unwissenheit über Palliativmedizin besteht, die mithilfe von Schmerzlin- derung und persönlicher Begleitung solche Forderungen überflüssig ma- chen könnte. Gisela Klinkhammer
Sterbehilfe
Bedenklicher Vorstoß
Nach 100 Tagen
Schönreden B
isher ist die Gesundheitsreformeine ziemliche Pleite – jedenfalls in der Wahrnehmung der Betrof- fenen und der Öffentlichkeit. Für ei- ne Zwischenbilanz ist es aber noch viel zu früh. Dennoch hat Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt nach hundert Tagen schon mal bilan- ziert. Positiv natürlich und voreilig.
So bewertet sie den Rückgang der Arztbesuche als Erfolg. Dabei dürf- te der Rückgang wesentlich auf den Ankündigungseffekt zurückzufüh- ren sein. Die Arztkontakte könnten sich demnächst wieder einpendeln.
Dank des von Schmidt vermute- ten dauerhaften Rückgangs der Arzt- besuche, aber auch wegen Sinkens der Arzneimittelausgaben der Kran- kenkassen verspricht die Ministerin einen Beitragssatz von unter vierzehn Prozent. Man erinnere sich, dass sie vor der Reform mit einem Beitrags-
satz von unter dreizehn Prozent ge- worben hatte. Und die vierzehn Pro- zent, die jetzt verheißen werden, können auch nur deshalb erreicht werden, wenn den Kassen verwehrt wird, ihre Schulden abzubauen. Die belaufen sich, wenn die jüngste In- formation des „Spiegels“ stimmt, auf fast fünfzehn Milliarden Euro, das sind rund zehn Prozent der Jahres- einnahmen der Krankenkassen.
Ein auf vierzehn Prozent redu- zierter Beitragssatz bedeutet für den normalen Versicherten übrigens ei- ne monatliche Entlastung von 1,5 bis zwei Euro. Sobald der Versicherte Patient wird, kommen auf ihn Kosten zu durch die Praxisgebühr und durch erhebliche Zuzahlungen (bis hin zur kompletten Kostenübernahme) bei Arzneimitteln. So wird aus der Bei- tragsermäßigung für den Patienten eine Beitrags- und Kostenerhöhung.
Lediglich die ominösen Lohnzusatz- kosten sinken.
Neben dem Schönreden betreibt das Ministerium Schadenbegren- zung durch Draufschlagen. Dafür steht das „Schwarzbuch gegen die Gesundheitsreform“, ein Machwerk.
Es hat lediglich den Sinn, die schlechte Stimmung gegen die Re- form den Leistungserbringern, vor allem den Ärzten, anzulasten. Denn was da aufgelistet ist, ist Schnee von gestern, zu erklären aus den Un- sicherheiten der ersten Zeit, aber auch aus hilfloser Wut über eine Re- form, die über die Köpfe von Ärzten und Patienten gemacht wurde.
Um aber nicht selbst schönzure- den: Ärzte, die Patienten Leistungen vorenthalten (der Vorwurf steckt auch in dem „Schwarzbuch“), um so besser igeln zu können, schaden der Ärzteschaft. Norbert Jachertz