Karikatur aus „Die Zeit", unterschrie-
Die Information:
Bericht und Meinung
werden kann. Man hat es geschickt verstanden, den Konflikt auf die Ebene der Vertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und ihren Partnern zu verlagern. Entweder es gelingt den Krankenkassen, die Ver- tragspartner, also Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Apotheker ein- schließlich der Pharmaindustrie, zu schröpfen; dann können die Beiträ- ge stabil bleiben. Oder es werden die Beiträge erhöht; dann gehen Versicherte und Arbeitgeber auf die Barrikaden. Es mag der Phantasie des einzelnen überlassen bleiben, in welche Richtung die Entwicklung gehen wird.
Aber damit nicht genug. Mit dem Gesetz soll ein Traumziel erreicht werden: der Weg zur Einheitskran- kenkasse wird unverhüllt eröffnet.
Die Ersatzkassen werden total aus- gehöhlt und nivelliert; was von ih- nen übrigbleiben würde, wäre nur noch der Name. Hoffentlich merken aber auch die Betriebs-, Innungs- und Landwirtschaftlichen Kranken- kassen, daß ihnen das gleiche Schicksal blüht. Die gegliederte Krankenversicherung ist mehr als nur Ausdruck kleindeutschen Indivi- dualistentums. Sie ist in Wirklichkeit Symbol für ein freiheitliches Ge- sundheitswesen, wie es einer frei- heitlichen Gesellschaftsordnung entspricht. Wer das zerstört, legt die Axt an die Wurzeln unserer Gesell- schaftsordnung. Neben Ärzten, Zahnärzten und Apothekern sollten deshalb auch die Versicherten, vor allem die 15 Millionen Betreuten der Ersatzkassen, in der Abwehrfront stehen.
Der geplante Anschlag auf unsere gegliederte Krankenversicherung, auf die freie Arztwahl, auf die freie Entscheidung des einzelnen Bür- gers darf nicht gelingen! Wer den ehrlichen Willen hat, die Rentenver- sicherung zu sanieren, kann mit un- serer Hilfe rechnen. Wer die Kosten- entwicklung in der Krankenversi- cherung steuern will, findet uns an seiner Seite. Wer dies zum Vorwand nimmt, um Systemveränderung zu betreiben, wird auf unseren uner- bittlichen Widerstand stoßen."
Professor Dr. Sewering
ben: Radikaltherapie
„Maßnahmen zum
Schaden des Patienten"
„ ... Die Verlagerung des Defizits wird die Rentenversicherung nicht sanieren. Sie wird aber die gerade — nicht zuletzt aufgrund der maßvol- len Honorarpolitik der Ärzte — kon- solidierte Krankenversicherung ge- fährden. Darüber hinaus wird der vorliegende Gesetzentwurf des Bun- desarbeitsministers unser bewähr-
tes Krankenversicherungssystem grundlegend ändern.
Für die Ersatzkassen sollen in Zu- kunft dieselben Regelungen gelten wie für die Orts-, Betriebs- und In- nungskrankenkassen. Es ist nur eine Frage der Zeit — wenn wir auf diesem Wege weiter marschieren, und es gibt genügend Kräfte, die dazu ent- schlossen sind —, daß es nur noch eine Einheitskrankenkasse gibt. Der Versicherte wird dann nicht mehr die Wahl haben, wem er sich anver- traut. Die Krankenkasse wird sich nicht mehr um ihre Mitglieder bemü- hen müssen, weil die Konkurrenz fehlt. Der Bürger wird machtlos ei- ner riesigen Krankenversicherungs- anstalt gegenüberstehen — oder der
DIE WELT
Bürokratie eines staatlichen Ge- sundheitsdienstes, der teurer und schlechter sein wird!
Der Kassenarzt wird nicht mehr alle Medikamente zu Lasten der Kran- kenkassen verschreiben dürfen, ob- wohl die Beiträge zur Krankenversi- cherung steigen werden. Nur, weil ein Defizit nicht dort bereinigt wer- den soll, wo es aufgetreten ist, näm- lich in der Rentenversicherung selber.
Die Ärzte sollen das Loch in der Rentenversicherung mitbezahlen.
Sie sollen insgesamt nur noch einen Pauschalbetrag von den Kranken- kassen bekommen, ganz gleich, ob mehr Ärzte mehr Leistungen für mehr Versicherte erbringen oder nicht. Wenn die Patienten Medika- mente über bestimmte Beträge hin- aus benötigen, sollen die Ärzte diese Kosten auch noch aus ihrer Hono- rarpauschale bezahlen.
Alle vorgesehenen Maßnahmen wer- den sich letztlich zum Schaden des Patienten auswirken.
Das wäre alles nicht nötig, wenn man den von Fachleuten allein für richtig gehaltenen Weg gehen würde: Anhebung des Rentenversi- cherungsbeitrags von 18 auf 19 Pro- zent. Das wäre bitter. Es wäre aber
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Heft 9 vom 3. März 1977 561Die Information:
Bericht und Meinung
PRESSESTIMMEN
die Konsequenz aus dem sich so un- günstig entwickelnden Zahlenver- hältnis zwischen den arbeitenden Jahrgängen und den Rentnern und unumgänglich, wenn der heute Ar- beitende seine eigene Rente auf Dauer sichern will.
Für den objektiven Betrachter muß sich die Frage stellen, ob nicht et- was ganz anderes hinter dem ge- planten Referentenentwurf steht?
Das Rentendefizit wird lediglich als Aufhänger benutzt, um in der Kran- kenversicherung den Weg ins Kol- lektiv zu beschreiten. Der Staat mißt jedem zu, was er beanspruchen darf: der Patient an Medikamenten, der Arzt an Honorar. Die Kranken- versicherung und die Ärzteschaft werden dann aber nur der Anfang für eine allgemeine Sozialisierung auch anderer privatwirtschaftlicher Wirtschaftszweige sein. Die über- wiegende Mehrheit der Bürger will aber keine Sozialisierung, die den einzelnen seiner persönlichen Rechte beraubt, sondern sie will den sozialen Staat, der die Rechte des einzelnen achtet..."
Dr. med. Jens Doering
Angestelltengewerkschaft lehnt das Konzept ab
„Die Deutsche Angestellten-Ge- werkschaft (DAG) lehnt fast das ganze Konzept der Bundesregie- rung zur Sanierung der Rentenversi- cherung ab und schlägt statt dessen eine Erhöhung des Beitrags zur
RHEINISCHE POST
Rentenversicherung uni 0,8 Prozent sowie die Wiedereinführung des Zwei-Prozent-Beitrags von Rent- nern in ihre Krankenversicherung vor. Vor der Presse betonte der DAG-Vorsitzende Hermann Brandt, wenn die politischen Parteien über den Zeitpunkt der Rentenanpassung vor den Wahlen ,unsinniges Zeug' geredet hätten, könne das doch nicht bedeuten, nun auch unsinnige
Entscheidungen zu treffen. Die ,Ver- niedlichung der tatsächlichen Pro- bleme' nannte Brandt ,ebenso unse- riös und verantwortungslos' wie das Erwecken des Eindrucks, daß die Sanierung der Rentenfinanzen so- wohl die berufstätigen Angestellten und Arbeiter als auch die Rentenbe- zieher unberührt lassen könne. Die Vorlage des Arbeitsministeriums lehne er ab, weil sie das System der gegliederten Sozialversicherung aushöhle und die Selbstverwaltung einschränke." Kurt Naujeck
Nichts überstürzen
„Solche Gesetze im Eilverfahren durch die Mühlen des Gesetzgebers zu schleusen, ist abenteuerlich. Die Koalition steht nicht unter so star- kem Zeitdruck, wie sie vorgibt, da erst die übernächste Rentenanpas- sung um ein halbes Jahr verschoben werden soll. Die Verlagerung der
'birantritrterAllgemeine
Kosten von der Rentenversicherung zur Krankenversicherung wäre not- falls auch auf dem Verordnungsweg zu erreichen. Wichtig ist, daß richtig entschieden wird. Die Regierung versucht, die überfällige Sanierung der Sozialversicherung mit einer Fülle von Problemen zu belasten.
Vordringlich ist es, die Rentenfinan- zen in Ordnung zu bringen. Dies setzt zuallererst Abstriche an den Leistungen voraus. An dem Versuch, dies den Bürgern verständlich zu machen, hat es bislang völlig ge- fehlt. Statt dessen wird versucht, die Weichen in Richtung Einheitsversi- cherung zu stellen, den privaten Krankenhäusern den Garaus zu ma- chen, die Ärzte einem fragwürdigen Steuerungssystem zu unterwerfen und den Krankenhäusern die Mög- lichkeit der ambulanten Behandlung zu eröffnen. Es geht heute nicht darum, ob Ehrenberg „umfällt", oder ob er die Ärztelobby „besiegt".
Rentner und Beitragszahler müssen wieder Gewißheit haben, daß ihre Al- tersversorgung in guten Händen liegt. kg
Ein zu hoher Preis
„Walter Arendt wollte als erster Ar- beitsminister der sozialliberalen Koalition ,mehr wohlfahrtsstaatliche Elemente' in das soziale Siche- rungssystem der Bundesrepublik einbauen: Weniger Leistungsbezo- genheit, mehr Dotation und Zuwei- sung ohne Rücksicht auf die Bei- tragsaufwendungen des Versicher- ten. Herbert Ehrenberg, sein Nach- folger, sieht noch stärker auf eine Systemveränderung in der sozialen Sicherung, wie sie sozialdemokrati- scher Politik von Anfang an vor- schwebte. Die sich anbahnende De- formation des sozialen Sicherungs- systems aber wiegt auf die Dauer schwerer als manches Opfer, das Beitrags- und Steuerzahler den dun- kelroten Defiziten der Sozialversi- cherung bringen müssen. Mit seinen Sanierungsprogrammen für Renten- versicherung und Gesundheitswe- sen bringt der neue Arbeitsminister auf Anhieb mehr wohlfahrtsstaat- liche Elemente und staatlichen Ein- fluß in die gewiß schon lange weit- gehend reglementierte soziale Si- cherung hinein, als es Walter Arendt in sechs Jahren schaffte ... Der So- lidität des sozialen Sicherungssy- stems alles andere als förderlich ist die Vorliebe, mit der unter dem Si- gnum der ‚Solidarität' Finanzausglei- che zwischen den einzelnen Zwei- gen der Sozialversicherung instal- liert werden. Bundesarbeitsminister Ehrenberg findet seine Idee, die Ar- beitslosenversicherung für die Ar- beitslosen Rentenbeiträge bezahlen zu lassen, weil diese als Rentner dann ungeschmälerten Anspruch auf Rente haben, ausgesprochen
;logisch'. Es erhebt sich hier nur die
Bayerische Staatszeitung
und Bayerischer s Staatsanzeiger
Frage, warum im gleichen Atemzug die Krankenversicherung dazu ver- donnert wird, einen noch höheren Teil der Krankenkosten der Rentner zu bezahlen? Wenn man schon vom Verursacherprinzip ausgeht, dann müßte hier doch die Rentenversi- cherung geradestehen. Statt dessen
562 Heft 9 vom 3. März 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT