A2760 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 41⏐⏐12. Oktober 2007
A K T U E L L
ENDOKARDITIS-PROPHYLAXE
Paradigmenwechsel
Nachdem die American Heart As- sociation (AHA) bereits im April ih- re Leitlinien zur Endokarditis-Pro- phylaxe verändert hatte, wurde nun auch in Deutschland das Ru- der radikal herumgeworfen: Nur noch Patienten mit hohem Risiko werden bei bestimmten medizini- schen Eingriffen mit Antibiotika versorgt, um einer Entzündung der Herzinnenhaut vorzubeugen, wie der Vorstand der Deutschen Gesell- schaft für Kardiologie (DGK) auf ihrem Jahreskongress in Köln be- kanntgab.
Bisher gehörte es zum medizini- schen Goldstandard, einer großen Zahl von Patienten vor allem bei zahnärztlichen, aber auch bei urolo- gischen, gynäkologischen, internis- tischen, dermatologischen, ortho- pädischen oder herzchirurgischen Eingriffen 30 bis 60 Minuten zu- vor Antibiotika zu verabreichen – eine Maßnahme, deren Erfolg bis- her lediglich in Tierexperimenten belegt werden konnte. Das neue Po- sitionspapier empfiehlt eine Pro- phylaxe nunmehr nur noch bei Pati- enten mit künstlichen Herzklappen oder mit einer Endokarditis in der Anamnese, bei Patienten mit be- stimmten angeborenen Herzfehlern oder bei Patienten nach einer Herz- transplantation, die Klappenfehler entwickeln.
Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Naber vom Westdeutschen Herz- zentrum Essen, der federführend für das neue Positionspapier verant- wortlich ist, spricht von einer „Re- volution in der Endokarditis-Pro- phylaxe“. Es handele sich um eine sinnvolle Neubewertung der exis- tierenden Daten.
Der Bedeutung der Mundhygiene zur Vorbeugung einer infektiösen Endokarditis kommt im neuen Posi- tionspapier eine besondere Bedeu- tung zu. „Aus unseren Registern wis- sen wir, dass 80 Prozent der Endo- karditis-Patienten keinen operativen Eingriff vor dem Auftreten der Er- krankung hatten. Die Bakterien müs- sen also auf andere Weise ins Blut gelangt sein“, erläuterte Naber. „Eine Möglichkeit ist, dass die Bakterien aufgrund eines schlechten Zahnsta- tus bereits bei alltäglichen Aktivitä- ten wie dem Kauen ins Blut gelan- gen. Davor können wir nicht mit Me- dikamenten schützen. Es macht da- her Sinn, kranke Zähne rechtzeitig solide zu sanieren und Karies und Parodontose effektiv zu behandeln.“
Die Autoren des Positionspapiers bemängeln das Fehlen prospektiver randomisierter und placebokontrol- lierter Studien zur medikamentösen Endokarditis-Prophylaxe und for- dern, ein entsprechendes Studien- projekt auf den Weg zu bringen. Das Positionspapier ist in Kürze unter www.dgk.org unter „Leitlinien“ ab-
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Zahl der Woche
350 Millionen
Euro betrug das Defizit der gesetzlichen Pflegeversicherung im ersten Halbjahr 2007. Die Ausgaben lagen bei rund neun Milliarden Euro.
ARZNEIRABATTVERTRÄGE
AOK kann derzeit keine Zuschläge erteilen
Die AOK kann derzeit keine Arznei- rabattverträge für 2008 und 2009 mit Pharmaunternehmen unterzeichnen.
Das bestätigte die AOK Baden- Württemberg, die Verhandlungs- führerin für die Allgemeinen Orts- krankenkassen ist. Der Grund hierfür sei, dass einzelne Fir- men Anträge auf Nachprü- fung des Vergabeverfahrens bei verschiedenen Vergabe- kammern gestellt hätten. Der AOK zufolge beziehen sich die Anträge auf alle der 83 ausgeschriebenen Wirkstoffe.
Die Pharmafirmen vertre- ten die Ansicht, dass bei Rabattver- trägen zwischen gesetzlichen Kran- kenkassen und Pharmafirmen das Vergaberecht gilt. Ein Rechtsgut- achten, das der Bundesverband der Arzneimittelhersteller in Auftrag gegeben hatte, stützt diese Auffas-
sung. Auch das Bundeskartellamt hatte entschieden, dass die Kassen öffentliche Auftraggeber sind. Das bedeutet, dass Aufträge europaweit ausgeschrieben werden müssen.
Aus Sicht der AOK sind die Ein- wände der Hersteller aus der Luft ge- griffen. „Die Vorschriften des Kar- tellvergaberechts sind auf die Aus- schreibung von Arzneimittel-Rabatt-
vereinbarungen nicht anwendbar“, sagte der stellvertretende Vorstands- vorsitzende der AOK Baden-Würt- temberg, Christoph Hermann. Die Kassen seien weder öffentliche Auf- traggeber, noch liege ein öffentlicher
Auftrag vor. HK
Für Patienten mit künstlichen Herz- klappen wird weiterhin eine Endokarditispro- phylaxe bei operativen Eingriffen empfohlen.
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