ie Krankenhäuser stehen vor einer riskanten, unge- wissen Zukunft: Bei der Ge- sundheitsreform 2000 sollen sie nach dem Willen der Bundesregierung und vor allem auf Drängen der Sozi- aldemokraten in den Mittelpunkt der Kostendämpfungs-Maßnahmen gestellt werden. Für den besonders leistungsintensiven und fortschritts- innovativen Kliniksektor bedeuten das enger werdende Korsett sekto- raler Budgets, das strikte Gebot der Beitragssatzstabilität und die Vorga- ben für die Lohnsteigerungen ent- weder Leistungsabbau, Rationie- rung oder Personalentlassung.
Die kritische Ausgangslage vor Beginn der Budget- und Pflegesatz- runden 2000, die nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft noch nach altem Recht bereits in Kürze durchexerziert werden sollen (weil die Vorgaben des Reformgeset- zes 2000 jetzt noch nicht absehbar sind): Die Krankenhausbudgets dür- fen in den alten Bundesländern um höchstens 1,66 Prozent angehoben werden. Die Veränderungsrate in den neuen Ländern beträgt minus 0,48 Prozent. Darüber hinaus werden nach § 6 Abs. 3 der Bundespflege- satzverordnung (in der Fassung von 1995) tarifvertragliche lineare Er- höhungen und Einmalzahlungen, die über die Veränderungsrate hinausge- hen, nur in Höhe eines Drittels des Unterschieds bei den Budgets be- rücksichtigt. Für die Krankenhäuser, bei denen die Personalkosten zum Teil mehr als 70 Prozent des Gesamt- budgets ausmachen, bedeutet die auf
ein Drittel beschränkte Erstattung der Differenz zur diesjährigen Tarif- steigerung von 1,3 Prozent (BAT-Be- reich) automatisch eine Unterdek- kung der Betriebskosten und der Budgets. Diese Unterdeckung be- trägt in den Westbudgets 684 Millio- nen DM, in den ostdeutschen Kran- kenhäusern fehlen 360 Millionen DM. Dies entspricht der Vergütung für rund 18 000 Klinikbeschäftigte.
Präjudiz für Tarifparteien
Nach dem Gesetzentwurf der Reform 2000 (in der derzeitigen Fas- sung) sind bei der Vereinbarung der Erlösbudgets für die Krankenhäuser die Auswirkungen der von den Ta- rifvertragsparteien vereinbarten li- nearen Erhöhungen des Vergütungs- tarifvertrags nach dem BAT und einer vereinbarten Einmalzahlung so- wie in den neuen Bundesländern die Angleichung der Höhe der Vergü- tung an die im übrigen Bundesgebiet geltende Höhe nur zu berücksichti- gen, soweit dies erforderlich ist, um den Versorgungsvertrag des Kran- kenhauses zu erfüllen.
Die geplanten reglementieren- den Vorgaben für die Budgetanpas- sung präjudizieren weithin die Ta- rifabschlüsse, bedeuten nach Ein- schätzungen von ÖTV, DAG und Marburger Bund jedenfalls einen gra- vierenden verfassungswidrigen Ein- griff in die Tarifautonomie. Letzten Endes bräuchten sich die Tarifpar- teien nicht an den Verhandlungs- tisch setzen, wenn ohnedies der Ge-
setzgeber von außen bestimmt, was Sache im Krankenhaus ist und was als budget- beziehungsweise pflege- satzfähig toleriert wird. Nach der Rolle der Tarifvertragsparteien, die im Grundgesetz verankert ist, ver- handeln Arbeitgeber und Gewerk- schaften autonom über die Bestim- mungen über die regelungsbedürfti- gen Einzelheiten des Tarifvertrages.
Dazu zählen sämtliche Vereinba- rungen über Vergütungserhöhungen und manteltarifvertragliche Bedin- gungen und andere arbeitsrechtliche Vorschriften. Auf der Basis des Tarif- vertragsgesetzes werden Rechtsnor- men vereinbart, die die Mitglieder der Tarifparteien binden. Die tarif- lichen Regelungen sind Mindestbe- dingungen; abweichende Vereinba- rungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.
Da das Selbstkostendeckungs- prinzip bei der Klinikfinanzierung spätestens seit 1995 suspendiert wurde und geplant ist, § 6 Abs. 3 der Bundespflegesatzverordnung zu kippen, würde es dem Tarifpartner Bundesrepublik Deutschland ermög- licht, in die grundgesetzlich veran- kerte Vertragsebene einzugreifen und die Entscheidung über die Tarif- abschlüsse auf eine zusätzliche, in der Rechtssystematik bisher nicht vorgesehene Vertragsebene zwischen Krankenkassen und Krankenhaus- trägern zu verlagern. Die Kranken- kassen könnten bei Inkraftsetzen solcher Regelungen jede Tariferhö- hung im öffentlichen Dienst nach- A-2329
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 38, 24. September 1999 (17)
Arbeitsplatz Krankenhaus
Freisetzung programmiert
Die fehlende hundertprozentige Refinanzierung der Personalkosten für die Beschäftigten in den rund 2 250 Krankenhäusern führt zu einer Vernichtung Tausender Arbeitsplätze. Zudem wird es immer schwieriger,
die Auflagen des Arbeitszeitgesetzes umzusetzen.
D
verhandeln und nach Belieben über eine Annahme entscheiden. Die Kran- kenkassen wären unter Berufung auf das Gesetz in der Lage, sich bei den Budgetzugeständnissen auf die restrik- tiven Rahmenvorgaben zu berufen.
Falls die Krankenhäuser die tarif- lich bedingten Personalkosten nicht zu hundert Prozent im Budget vergütet erhalten, bleiben die Personalkosten untergedeckt, oder die erhöhten Per- sonalkosten gehen auf Kosten der Substanz. Dieser Automatismus führt dazu, daß gerade Krankenhäuser mit hoher Personaleffizienz und nachge- wiesener Wirtschaftlichkeit besonders betroffen sind, da keine Sparreserven mehr mobilisiert werden können. Die Folge: Abbau von Stellen, bei Inkraft- treten des Reformgesetzes ab dem Jahr 2000 mindestens 19 000, bis zum Jahr 2008 (der Umstellung der duali- stischen auf monistische Finanzie- rung) rund 100 000 Personalstellen.
Mit Recht verweisen die Kran- kenhausträger ebenso wie Klinikärz- te- und Pflegepersonal-Organisatio- nen darauf, daß bereits heute der Streß am Klinikbett das Personal überfordert und die Personaldecke bereits so dünn geworden ist, daß ein medizinisch notwendiger Versor- gungsstandard nicht mehr gewährlei- stet werden kann. Zudem könnte be- reits kurzfristig die Tariflandschaft im Krankenhaus grundlegend verändert werden.
Schon jetzt treten immer mehr Krankenhausträger aus den Arbeitge- berverbänden aus, um sich der Tarif- bindung zu entziehen, um eine „Flexi- bilisierung“ und damit einen Trend zum Haustarif zu erreichen. Die Fol- ge: Die Arbeits- und Einkommensbe- dingungen der Beschäftigten werden sich weiter verschlechtern, die Umset- zung von Vorschriften des Arbeits- zeitgesetzes und anderer arbeits- schutzrechtlicher Vorschriften auf die lange Bank geschoben. Die Qualität der Versorgung wird abnehmen. Un- ter dem Kostendruck greifen jetzt schon viele Krankenhäuser zum nur palliativ wirkenden Mittel des Out- sourcing und wollen sich über verti- kale Dienstleistungserweiterung auch im Pflegebereich und in der Reha ret- ten. Dies sind aber Aktionsfelder, die längst von Mitkonkurrenten besetzt
sind. Dr. Harald Clade
A-2330
P O L I T I K LEITARTIKEL/AKTUELL
(18) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 38, 24. September 1999
ie Mechanismen des freien Wettbewerbs gewinnen auch im Gesundheitswesen immer mehr an Bedeutung. Im Kranken- hausbereich haben sich bereits eine Vielzahl von überregionalen Träger- verbünden gebildet. Sind Fusionen und Konzentrationen wie in der freien Wirtschaft auch im Klinikbereich ein geeignetes Rezept?
„Nur bedingt“, meint Dr. Rudolf Kösters, Sprecher der Geschäfts- führung der Hospitalgesellschaften der Mauritzer Franziskanerinnen in Münster. Zwar ließen sich durch eine Trägergesellschaft viele positive Syn- ergieeffekte und Einsparungen erzie- len (beispielsweise durch Einkaufs- verbünde, interne Betriebsvergleiche oder gemeinsame Mitarbeiterschu- lungen). Doch bestehe bei großen Trägergesellschaften die Gefahr, ei- ne „kritische Masse“ zu erreichen.
„Steuerungsprobleme, an denen sol- che Organisationen oftmals zu schei- tern drohen, lassen sich nur durch mitwachsende, sich anpassende Lei- tungsstrukturen bewältigen“, sagte Kösters.
Joachim Bovelet, Geschäftsfüh- rer der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe, sieht weniger in den Einsparpotentialen als vielmehr in einem größeren politi- schen Gewicht gegenüber den Ko- stenträgern den Vorteil von Trägerge- sellschaften. Rudolf Kruse, Hauptge- schäftsführer der Barmherzigen Brü- der in Trier, faßt seine Erfahrungen folgendermaßen zusammen: „Nicht die Größe des Unternehmens allein schafft langfristige strategische Wett- bewerbsvorteile, sondern die Klar- heit, die Kommunikation, die gemein-
same strategische Zielsetzung und die Einbeziehung der Mitarbeiter sind notwendige Erfolgsparameter.“ Die Bedeutung eines klaren Leitbildes für große Trägergesellschaften betonten auch Werner Conrad, Geschäftsführer der Deutsch-Ordenswerke, Weyarn, und Hans Berger, stellvertretendes Vorstandsmitglied der Josefs-Gesell- schaft, Köln.
Christliche Identität als Unternehmensphilosophie
Dr. Georg Rüter, Geschäftsfüh- rer der Katholischen Hospitalvereini- gung Ostwestfalen, sieht die katholi- schen Krankenhausträger prinzipiell in einer guten Wettbewerbssituation:
„Die Unternehmen in der freien Wirtschaft versuchen mit viel Auf- wand, eine eigene Unternehmensphi- losophie aufzubauen, um die Mitar- beitermotivation zu stärken. Bei den katholischen Trägern ist dies nicht notwendig: Unsere Philosophie ist die christliche Identität.“ Auch Schwester Basina Kloos, Vorsitzende des Auf- sichtsrates der St. Elisabeth GmbH in Neuwied, betrachtet die christliche Identität als den entscheidenden Plus- punkt ihrer 55 Kliniken: „Bei uns wird der Patient nicht zum Kunden. Dies spürt der Patient.“
Angesichts der „harten Linie“ der Gesundheitsreform erwartet Volker Odenbach, Direktor des Caritasver- bandes für das Erzbistum Paderborn, rapide Veränderungen in der Trä- gerlandschaft: „Der Konzentrations- druck steigt. Besonders kleine und mittlere Krankenhäuser bleiben auf der Strecke.“ Jens Flintrop