Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 11|
15. März 2013 A 477D
er Marburger Bund (MB) hat seine Mitglieder nach ihren Arbeitszeiten befragt. An der Online- Erhebung zu Jahresbeginn 2013 beteiligten sich 3 309 Ärztinnen und Ärzte. Drei Viertel von ihnen erklären, dass ihre Wochenarbeitszeit inklusive Überstunden und Bereitschaftsdiensten im Durchschnitt über 48 Stunden liege (47 Prozent: 49 bis 59 Stunden, 24 Prozent: 60 bis 79 Stunden, drei Prozent: mehr als 80 Stunden). Dabei geben 57 Prozent der Ärzte an, dass sie es vorziehen würden, „nur“ 40 bis 48 Stunden je Woche zu arbeiten.Lediglich elf Prozent wollen mehr als 48 Wochenstun- den arbeiten. Viele Klinikärzte arbeiten also mehr, als ihnen lieb ist, und würden ihr Pensum gerne reduzieren.
Eine Studie der Fachhochschule Münster zeigt zu- dem, dass eine geringere Arbeitsbelastung mit weniger Überstunden den Klinikärzten selbst dann wesentlich wichtiger ist, wenn die Überstunden voll erfasst und bezahlt werden: „Der finanzielle Ausgleich der Über- stunden hat einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Arbeitszeitengestaltung“, betont Prof. Dr. Holger Buxel im Titelaufsatz „Was Ärzte zufriedener macht“ in diesem Heft.
Davon, dass alle Überstunden in den Krankenhäu- sern erfasst und vergütet werden, kann allerdings noch längst keine Rede sein, wie wiederum die MB-Umfrage zeigt: Mehr als die Hälfte der Klinikärzte verneint hier die Frage, ob ihre sämtlichen Arbeitszeiten systema- tisch erfasst werden. Jeder fünfte Arzt erklärt sogar, dass seine Überstunden weder vergütet noch mit Frei- zeit ausgeglichen werden. „Faktisch gehen 30 000 Ärz- te im Volldienst regelmäßig leer aus, wenn sie Mehrar- beit leisten“, rechnet der MB-Vorsitzende Rudolf Hen- ke hoch: „Das empört uns.“
Das Unvermögen, beziehungsweise die Weigerung von Klinikarbeitgebern, die Überstunden der Ärzte adäquat zu erfassen und zu vergüten – oder besser noch in Freizeit auszugleichen –, ist gerade in Zeiten eines Ärztemangels nicht nachvollziehbar. Im Wettbewerb um die „Ressource Arzt“ müsste ein intelligentes Per- sonalmanagement für den Arbeitsplatz Krankenhaus
doch genau hier ansetzen, sollte man meinen. Letztlich ist es eine Frage des Respekts, geleistete Arbeit auch zu vergüten. Und wer sich respektlos behandelt fühlt, der hält Ausschau nach alternativen Arbeitgebern. Apro- pos: Von den 2 117 Klinikärzten, die sich an der Buxel- Umfrage beteiligten, denken 40 Prozent öfter daran, den Arbeitgeber zu wechseln, und knapp 70 Prozent ha- ben sich in den letzten drei Monaten aktiv über offene Stellen informiert.
Überlange Arbeitszeiten machen aber nicht nur un- zufrieden, weil das Privatleben leidet, sondern in vielen Fällen sogar krank. So haben knapp drei Viertel der Be- fragten in der MB-Umfrage das Gefühl, dass sich die Gestaltung der Arbeitszeiten negativ auf ihre Gesund- heit auswirkt, zum Beispiel in Form von Schlafstörun- gen und häufiger Müdigkeit. Davon fühlen sich 89 Pro- zent der Ärzte auch in ihrer Leistungsfähigkeit beein- trächtigt. „Das ist ein alarmierender Befund“, betont Henke: „Ärzte sind dafür da, kranken Menschen zu hel- fen und sie zu heilen. Wenn sie durch die Arbeit selbst krank werden, können sie dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen.“ Notwendig seien deshalb eine bessere Organisation der Arbeit in den Krankenhäusern und Ar- beitszeitmodelle, die dem Wunsch der Ärzte nach we- niger Stress Rechnung tragen.
Letzteres dürfte auch den Patienten zugutekommen.
ARBEITSPLATZ KRANKENHAUS
Eine Frage der Zeit
Jens Flintrop
Jens Flintrop Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik