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Archiv "48-Stunden-Woche im Krankenhaus: Bedrohliche Konsequenzen in den chirurgischen Fächern" (10.05.2002)

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ie Gewerbeaufsichtsämter über- prüfen derzeit vermehrt die Ein- haltung des Arbeitszeitgesetzes (1) in den Krankenhäusern. In Nieder- sachsen wurden hierbei im letzten Jahr grobe Verstöße gegen das Arbeitszeit- gesetz dokumentiert. Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) wurde vom zuständigen Gewerbeaufsichtsamt aufgefordert, das Arbeitszeitgesetz bis zum 1. Juli 2002 komplett umzusetzen.

Bei einem Verstoß gegen das Arbeits- zeitgesetz droht zunächst ein Bußgeld für den Arbeitgeber, der in der Regel ver- sucht, die Verantwortung und damit auch die Haftung an die Chefärzte abzuschie- ben. Erste Bußgeldbescheide an einzelne Krankenhausleitungen und Chefärzte sind bereits zugestellt worden.

Der Marburger Bund drängt als In- teressenvertretung der Klinikärzte ener- gisch auf die Einhaltung des gelten- den Arbeitszeitgesetzes auch an den Universitätskliniken. Hingegen findet sich auf der Titelseite der Hannover- schen Allgemeinen Zeitung vom 19.

März 2002 die Schlagzeile „Spitzenärz- te an Uni-Kliniken fordern längere Ar- beitszeiten“. Vor diesem Hintergrund weisen die gewählten Assistentenver- treter im Zentrum Chirurgie der Medi- zinischen Hochschule Hannover darauf hin, dass eine rigorose und unkritische Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes ei- nen bisher kaum beachteten Ausbeu-

tungsmechanismus mit zahlreichen Im- plikationen für Forschung, Lehre und Krankenversorgung an den Univer- sitätskliniken erzeugt. Von den an chir- urgischen Universitätskliniken tätigen Assistenzärzten wird erwartet, dass die bisher bei ihnen üblichen Arbeitslei- stungen, die in der Regel mit einem Ar- beitsaufwand von 70 bis 80 Stunden pro

Woche für jeden einzelnen Arzt ver- bunden waren, jetzt in maximal 48 Stunden pro Woche erbracht werden.

Seit Beginn dieses Jahres wird in der Klinik für Unfallchirurgie der Medizini- schen Hochschule Hannover versucht, eine Klinikstruktur mit Teamsystem so zu verändern, dass eine Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes ermöglicht werden kann. Eingeführt wurde eine Viertage- woche mit einer täglichen Arbeitszeit von neun Stunden und 38 Minuten.

Nach den Bereitschaftsdiensten wird der fünfte arbeitsfreie Tag genommen.

Bei sechs Diensten im Monat kann auf diese Weise im 24-Wochen-Durchschnitt eine Viertagewoche erreicht werden.

Unter Berücksichtigung von Urlaub, Dienstreisen und Krankheit bei einem überdurchschnittlich niedrigen Kran- kenstand sind damit während der Kern- arbeitszeit weniger als die Hälfte der Mitarbeiter (48 Prozent) anwesend,

wenn – wie im Projekt ursprünglich vor- gesehen – keine Überstunden gemacht werden. Müssen zusätzlich phasenweise Überstunden gemacht werden, die auf- grund der gesetzlichen Vorgaben später in Freizeit ausgeglichen werden müssen, sind durchschnittlich weniger als 48 Pro- zent der Mitarbeiter in der Kernar- beitszeit anwesend. Die bisher gewon- nenen Erfahrungen zeigen, dass trotz kompromisslo- ser Umstrukturierung einer über Jahrzehnte gewach- senen und bisher überaus erfolgreichen Klinikstruk- tur eine Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes ohne deutliche Abstriche in der Qualität und Quantität der erbrachten Leistungen in Forschung, Lehre und Krankenver- sorgung nicht zu erreichen ist.

Die gesetzliche Forderung nach ei- ner drastisch verringerten Arbeitszeit hat an der weiterhin hohen Erwartungs- haltung der Öffentlichkeit bezüglich der Standards und der Qualität der Pa- tientenversorgung sowie der Lehre und der Forschung an einer universitären Einrichtung nichts geändert. Berechtig- terweise kann von der Gesellschaft er- wartet werden, dass sich auch die Medi- zin in Deutschland im Wettbewerb mit den weltweit führenden Gesundheits- und Ausbildungssystemen sowie den führenden Forschungsinstitutionen kon- kurrenzfähig zeigt. In diesem Span- nungsfeld ist zu erwarten, dass Ärzte sich zunehmend genötigt fühlen wer- den, gegen das Arbeitszeitgesetz zu ver- stoßen, um die unverändert hohen An- spruchshaltungen erfüllen zu können.

Mit diesen Erwartungen und mit hohen P O L I T I K

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A1268 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 19½½½½10. Mai 2002

48-Stunden-Woche im Krankenhaus

Bedrohliche Konsequenzen in den chirurgischen Fächern

Eine unkritische Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes könnte sich

negativ auf Forschung, Lehre und Krankenversorgung an den Universitäts- kliniken auswirken. Die Autoren plädieren für ein alternatives Modell.

Autoren: Dr. med. Harald Schrem, Viszeral- und Trans- plantationschirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Jürgen Klempnauer); Dr. med. Lutz Mahlke, Unfallchirurgie (Di- rektor: Prof. Dr. med. Christian Krettek); Dr. med. Stefan Machtens, Urologie (Direktor: Prof. Dr. med. Udo Jonas);

Dr. med. Christian Hagl, Thorax-, Herz- und Gefäßchirur- gie (Direktor: Prof. Dr. med. Axel Haverich), Zentrum Chirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover

Medizinische Hochschule Hannover: Ärztekonzept sorgte für

Schlagzeilen. Foto: MHH

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Erwartungen an die eigenen Leistun- gen haben sich engagierte Ärzte an Universitätskliniken bereits bei der ei- genen Berufswahl, die oft als Berufung erfahren wird, weitgehend identifiziert.

Unter den aktuellen Bedingungen eines zu eng gesteckten zeitlichen Korsetts folgt als Konsequenz hieraus, dass ent- weder die Identifikation mit diesen Erwartungen weitgehend aufgegeben werden muss (mit dem damit verbunde- nen Abschied von Idealen und wesent- lichen beruflichen Motivationen), oder es muss aus Überzeugung gegen das

Arbeitszeitgesetz verstoßen werden.

Letzteres führt nicht nur zu einer illega- len und unbezahlten Mehrarbeit, son- dern auch in eine versicherungsrechtli- che Grauzone. Es ist zu befürchten, dass eine subtile und gefährliche Aus- beutungssituation von dramatischem Ausmaß unter Ausnutzung der Lei- stungsbereitschaft und der Motivation engagierter Ärzte erzeugt wird, die bis- her nicht beachtet wurde.

Die in den letzten drei Jahren zu be- obachtende Änderung der Arbeits- marktlage für Ärzte mit inzwischen 5 000 unbesetzten Arztstellen in Deutschland hat dazu geführt, dass eine Ausbeutung von Assistenzärzten durch Klinikchefs nicht mehr wie früher, als häufig von einer „Ärzteschwemme“ ge- sprochen wurde, existiert beziehungs- weise toleriert werden muss. Es hat be- reits ein zunehmender Wettbewerb um die ärztliche Arbeitskraft begonnen, so- dass anzunehmen ist, dass sich künftig weniger Ärzte unattraktiven Arbeits- bedingungen ausliefern werden. Die Assistenten und Oberärzte der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie sowie der Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie des Zen- trums Chirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover haben vor die- sem Hintergrund bereits vor Wochen dem Vorstand der Medizinischen Hoch-

schule Hannover schriftlich ihren kol- lektiven Arbeitnehmerwillen mitge- teilt, dass sie mehrals 48 Stunden pro Woche arbeiten wollen. Hiermit wurde von den Assistenten und Oberärzten dieser Kliniken schriftlich die Bereit- schaft dokumentiert, auch weiterhin die erforderliche und zu bezahlende Mehr- arbeit zur Sicherung der hohen Qualität in der Patientenversorgung, in der For- schung und in der Lehre neben der Facharztausbildung zu leisten.

Es ist erforderlich, dass die bestehen- den gesetzlichen Sonderregelmöglich- keiten nach § 7 des Arbeitszeitge- setzes (ArbZG) und möglicher- weise auch § 14 ArbZG entspre- chend genutzt werden, um eine Kriminalisierung dieser notwen- digen Mehrarbeit zu verhindern.

Weiterhin muss durch eine deut- lich verbesserte Vergütung, unter Ausgleich der schon jetzt inad- äquaten Bezahlung, diese Lei- stungsbereitschaft honoriert werden.

Ohne diese Anpassungen ist es unum- gänglich, dass das Arbeitszeitgesetz zu einem weiteren Attraktivitätsverlust des Berufsbildes des Arztes im Wettbewerb mit anderen Berufszweigen führen wird und damit die schon jetzt katastrophale Nachwuchssituation weiter verschärft.

Die Weiterbildung in einem operati- ven Fach erfordert neben einer umfang- reichen klinischen Erfahrung eine inten- sive manuell-technische Schulung zur kompetenten Durchführung der Eingrif- fe. Ein Schichtdienst mit Schichtwechsel der Operateure ist dafür nicht förderlich.

Um eine glaubhaft hohe und reprodu- zierbare Qualität der Eingriffe zu ermög- lichen und um die Verantwortlichkeit für den Ausgang größerer Operationen in der Hand zu konzentrieren, der sich der Patient anvertraut hat, ist es erforderlich, dass die Operateure ihre Eingriffe mög- lichst vollständig selbst durchführen oder

zumindest selbst überblicken. Das „ge- hetzte“ Operieren mit dem Blick auf die Uhr, um einen zu eng gesteckten gesetzli- chen Rahmen einhalten zu können, wird den Anforderungen an eine verantwor- tungsvolle Chirurgie nicht gerecht.

Patientenversorgung beeinträchtigt

Es ist zu befürchten, dass sich die Pa- tienten zunehmend einer „entseelten“

Chirurgie ohne persönliches Gesicht aus- geliefert fühlen – mit scheinbar beliebi- ger Austauschbarkeit der ärztlichen Ak- teure bei Indikationsstellung, Operation und postoperativer Nachsorge. Eine Stechuhrmentalität mit zeitlich begrenz- ten Zuständigkeiten der behandelnden Ärzte führt zu Informationsverlusten bei den Dienstübergaben und zum Gefühl des „Verlassenseins“ bei den Patienten – besonders dann, wenn postoperativ Komplikationen auftreten. Wer über- nimmt die Verantwortung, wenn ver- schiedene Ärzte bei Indikationsstellung, Operation und postoperativer Nachsor- ge tätig sind? Wie kann in einem solchen Umfeld die Kunst der Indikationsstel- lung und die Übernahme ärztlicher Ver- antwortung im Rahmen der Facharzt- weiterbildung vermittelt und erlernt wer- den? Wie kann sich ein Patient unter sol- chen Bedingungen einem Arzt anver- trauen? Eine gesichtslose und unpersön- liche operative Medizin droht, die ein ge- schultes und tragendes Verantwortungs- gefühl des einzelnen Arztes vermissen lässt. Will man diese Qualitäts- einbußen vermeiden, kann dies unter den Bedingungen der en- gen Auslegung des Arbeitszeit- gesetzes nur über eine bewusste Einschränkung der Leistungs- qualität und -quantität erfolgen.

Die Patientenklientel einer operativen Abteilung eines Uni- versitätskrankenhauses zeichnet sich bereits heute zu einem we- sentlichen Teil durch schwerstkranke, multimorbide, komplikationsreiche und teilweise auswärts erfolglos vorthera- pierte Patienten aus und erfordert ein Ausmaß an chirurgischem Engagement und ärztlicher Betreuung, das in der Regel nicht in 48 Wochenstunden zu lei- sten ist. In dem derzeitigen gesundheits- P O L I T I K

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A1270 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 19½½½½10. Mai 2002

Die Assistenten und Oberärzte haben schriftlich mitgeteilt, dass sie mehr als

48 Stunden pro Woche arbeiten wollen.

Eine Stechuhrmentalität führt zu Informations- verlusten bei den Dienst- übergaben und zum Gefühl

des „Verlassenseins“ bei

den Patienten

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politischen Umfeld mit anstehender Einführung der DRGs ist damit zu rechnen, dass mehrere Hundert Kran- kenhäuser in Deutschland aus ökono- mischen Gründen geschlossen werden müssen. Weiterhin ist damit zu rechnen, dass künftig besonders schwere, kom- plizierte und ökonomisch riskante Fälle noch häufiger an größere Kliniken überwiesen werden. In der Regel führt dies zu erschwerten Arbeitsbedingungen und vermehrten zeitlichen Arbeitsbela- stungen für die Ärzte. Die genannten Fälle sind darüber hinaus in der Regel ungeeignet für die operative Ausbildung von Anfängern in der Facharztweiterbil- dung. Wenn nun diese Kliniken zur Auf- rechterhaltung einer hohen Qualität in den operativen Fächern ihre Leistungs- quantität einschränken müssen, so ist mittelfristig mit einem Versorgungseng- pass für die Bevölkerung zu rechnen.

Ein solcher Kapazitätsabbau des Ge- sundheitswesens mit den daraus resultie- renden Folgen für die Versorgungslage muss den Wählern im Wahljahr vermit- telt werden. Es ist deshalb erforderlich, den Menschen zu erklären, dass eine gesetzlich verordnete Arbeitszeit von durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich zu erheblich längeren Wartezeiten bei elektiven Operationen führen wird. Den Patienten muss verdeutlicht werden, dass dann auch bei einem bösartigen Tu- mor eine eilbedürftige Operation nicht mehr in der gebotenen Zeit durchge- führt werden kann und dass in der Folge damit zu rechnen ist, dass dies zum wei- teren Wachstum eines Tumors führt – mit einer früher oder später dann festzu- stellenden Irresektabilität. Dieses Sze- nario konterkariert die aufwendigen wis- senschaftlichen Bemühungen, die Über- lebenschancen bei Tumorerkrankungen zu verbessern. Eine Flut von gerichtli- chen Auseinandersetzungen bezüglich eines Organisationsverschuldens zwi- schen Patienten und Angehörigen einer- seits und Krankenhausträgern anderer- seits ist in derartigen Fällen absehbar.

Darüber hinaus ist mit einem Patien- tentourismus in andere Länder zu rech- nen. Dass es sich bei diesem Szenario nicht um eine Fiktion handelt, zeigt sich an der aktuellen Situation des National Health Service (NHS) in Großbritanni- en. Die zunehmende Verknappung der ärztlichen Arbeitskraftressource ist ein

europaweites Problem. Bei einer Um- setzung des europäischen Arbeitszeit- rechts mit einer maximalen wöchentli- chen Arbeitszeit von dann nur noch 40 Stunden (mit im Gegensatz zu bisheri- gen Regelungen in Deutschland dann vollständiger Anrechnung der Bereit- schaftsdienstzeiten auf die Arbeitszeit- konten) ist mit weiter ver- schärften Problemen in der Pa- tientenversorgung zu rechnen.

Die Umsetzung des euro- päischen Arbeitszeitrechts für Krankenhausärzte wird in ei- nem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (vom 3. Okober 2000) und in einem Urteil des Landesarbeitsgerichts in Ham- burg bereits gefordert. Es stellt sich so- mit die brisante Frage, wohin in Zukunft die Patientenströme aus Ländern, wie zum Beispiel Großbritannien und später auch Deutschland, ziehen sollen, wenn es aufgrund des europäischen Rechts kein Zielland mehr in Europa gibt?

Qualität der Facharzt- Weiterbildung nimmt ab

Die Patienten auf den Wartelisten zur Herz-, Lungen-, Nieren-, Pankreas- oder Lebertransplantation müssen unter den Bedingungen eines strikt umgesetzten Arbeitszeitgesetzes mit verlängerten Wartezeiten für lebensnotwendige Transplantationen rechnen. Hierdurch wird der „Tod auf der Warteliste“ zuneh- men. Es werden Transplantationen aus- fallen müssen, die bisher unter Missach- tung des Arbeitszeitgesetzes durchge- führt wurden. Die Ziele des Transplan- tationsgesetzes, das jedem Betroffenen ein Recht auf eine Transplantation ga- rantiert (3), gehen von einer jederzeit handlungsbereiten und qualifizierten Transplantationschirurgie aus. Intensive wissenschaftliche Bemühungen und die bisher erreichten Fortschritte, die das Überleben nach Organtransplantatio- nen deutlich verbessern, werden durch die Inkaufnahme einer Zunahme des Todes auf der Warteliste in unerträgli- cher Weise ad absurdum geführt.

Der Arzt in Weiterbildung braucht in einem operativen Fach eine ausreichen- de klinische Exposition und operative Erfahrung unter der Anleitung eines

erfahrenen Arztes. Erfahrungsgemäß ist die Operationsdauer bei Durch- führung durch den lernenden Assi- stenzarzt erheblich länger (2, 4). Bei unkritischer Umsetzung des Arbeits- zeitgesetzes wird es häufig weniger Ver- ständnis für längere Operationen durch einen lernenden Arzt geben, und die

Bereitschaft im Alltag, unter Zeitdruck Fachärzte weiterzubilden, wird abneh- men. Dies führt zu einer Verschärfung des Fachärztemangels, wobei die ange- stellten Ärzte wegen gesetzlicher Be- stimmungen seltener eingesetzt werden können. Eine Kürzung der für den Er- werb des Facharztstatus notwendigen Operationskataloge wäre eine inakzep- table Scheinlösung

Früher war es möglich, auch durch gezielte Freistellungen für Forschung aufwendigere wissenschaftliche Projek- te zu realisieren, die häufig auch in re- nommierten internationalen Zeitschrif- ten publiziert wurden. Hierdurch konn- te neben den wissenschaftlichen Fort- schritten auch ein Klima des intellektu- ellen Austauschs innerhalb der Hoch- schulen und auf nationalen und interna- tionalen Kongressen der Fachgesell- schaften erreicht werden. Hiervon ha- ben auch wir durch den internationalen Austausch von Ideen profitiert. Die Frage erscheint berechtigt, wie in der Zukunft Freistellungen für wissen- schaftliche Projekte unter den Bedin- gungen des Arbeitszeitgesetzes möglich sein sollen, da jede Freistellung Mehr- arbeit für die anderen ärztlichen Kolle- gen bedeutet. Diese ist jedoch aufgrund der inflexiblen und engen zeitlichen Li- mitierung der wöchentlichen maxima- len Arbeitszeit wegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht zu realisieren.

Im weltweiten Wettbewerb wird es un- ter diesen Bedingungen immer schwie- riger für die deutsche universitäre Me- dizin, in der Forschung konkurrenz-

fähig zu bleiben. ✁

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Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 19½½½½10. Mai 2002 AA1271

Die Patienten auf den Wartelisten müssen mit verlängerten Wartezeiten

für lebensnotwendige

Transplantationen rechnen.

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Es wird deutlich, dass es zunehmend erforderlich wird, den ärztlichen Beruf für Studenten und künftige Generatio- nen junger Mediziner wieder attraktiver zu machen. Hierfür ist eine hohe Qua- lität des praktischen Studentenunter- richtes, der zum großen Teil von den As- sistenzärzten durchgeführt wird, beson- ders wichtig. An der Medizinischen Hochschule Hannover stellt für die chir- urgischen Fächer das Praktikum Chirur- gie im siebten und achten Semester die zentrale Lehrveranstaltung dar. Zurzeit beginnt diese um 16.30 Uhr, nach dem Ende der regulären Arbeitszeit für Assi- stenzärzte. Die Vergangenheit hat ge- zeigt, dass ein früherer Termin oft zum Ausfallen der Praktika geführt hat, da die zuständigen Ärzte noch im OP ein- gesetzt waren. Dies hat zu Unzufrieden- heit und Frustration bei den Studenten geführt und einen erheblichen Qua- litätsverlust der Ausbildung zur Folge gehabt. Häufig kollidierte der Unter- richt in der Praxis auch mit den klini- schen Erfordernissen der Stationsar- beit. Nach Auskunft des Lehrbeauftrag- ten des Zentrums Chirurgie der Medizi- nischen Hochschule Hannover haben die späteren Praktikazeiten um 16.30 Uhr die Zufriedenheit der Studenten

mit der Ausbildung gesteigert. Hierzu hat auch das Angebot von freiwilligen Lehrveranstaltungen zur Vertiefung des regulären Curriculums beigetragen, die von Assistenzärzten, die besonders in der Lehre engagiert sind, neben der Re- gelarbeitszeit angeboten werden.

Bei einer strengen Auslegung und Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes oh- ne Schaffung von Sonderregelungen für die Lehre sind erhebliche Probleme in der Durchführung der Lehrveranstal- tungen zu erwarten. Eine Abwägung der Prioritäten im Spannungsfeld zwi- schen Patientenversorgung und For-

schung und klinischer Lehre wird dazu führen, dass die Lehre und damit die studentische Ausbildung vernachlässigt werden muss.

Arbeitszeitmodell „48 + 12“

An der Medizinischen Hochschule Han- nover wird von den Assistenten aus dem Zentrum für Chirurgie angestrebt, gemeinsam mit dem Vorstand der MHH eine Ausnahmeregelung für ein Arbeitszeitmodellprojekt im Zentrum Chirurgie zu erreichen. Unter dem Schlagwort „48 + 12“ sind demnach in Anlehnung an das gültige Arbeitszeitge- setz 48 Stunden pro Woche für die re- guläre Patientenversorgung vorgesehen.

Zusätzlich sollen zwölf Stunden pro Wo- che für die speziellen Anforderungen in der Versorgung der universitären Patien- ten (zum Beispiel Transplantationschir- urgie) sowie für Forschung und Lehre er- laubt und mit einem entsprechenden Sondertarif entgolten werden. Dieses Konzept beinhaltet auch, dass nach dem Nachtdienst keine Patientenversorgung mehr stattfinden darf und somit eine Ge- fährdung der Patienten ausgeschlossen wird. Bezüglich der Erlangung einer Son- derregelung in der Anwendung des Arbeitszeitgesetzes werden für dieses Konzept vonseiten der Assistenten des Zentrums Chir- urgie der MHH bereits Ge- spräche mit dem Vorstand ge- führt. Inwieweit für die spezielle Situation der Transplantations- chirurgie zur Aufrechterhaltung einer umfangreichen und erfolg- reichen Transplantationstätig- keit weitere Regelungen erfor- derlich werden, muss die Auswertung dieses Arbeitszeitmodells zeigen.

Als Voraussetzung für das Konzept wäre eine effektive Entlastung von nichtärztlichen Tätigkeiten sowie eine weitere Arbeitsprozessoptimierung er- forderlich – zum Beispiel Einstellung von speziell geschultem Dokumentati- onspersonal für die DRG-Dokumentati- on, Übernahme der Routineblutentnah- men durch Arzthelferinnen und so wei- ter. Nur hierdurch wäre eine Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit von 70 bis 80 Stunden pro Woche auf insgesamt 60 Stunden pro Woche zu erzielen, ohne

Abstriche in der Patientenversorgung, Forschung oder Lehre in Kauf nehmen zu müssen. Innerhalb eines Jahres soll die Effektivität dieser Umstrukturierun- gen und der entlastenden Maßnahmen von einer unabhängigen Stelle überprüft werden. Eine umfangreiche Einstellung weiterer Ärzte wäre erforderlich. Auf- grund der derzeitigen Arbeitsmarktsi- tuation ist dies im erforderlichen Um- fang jedoch unrealistisch. Mittels einer verbesserten Grund- und Überstunden- vergütung muss auch deshalb dem zu- nehmenden Verlust der Attraktivität des Arztberufes im Wettbewerb mit ande- ren Berufsgruppen begegnet werden.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass sich dieser Vorstoß für eine Sonder- regelung auf die Ausführungen des Ar- beitszeitgesetzes zur Regelarbeitszeit in den chirurgischen Bereichen an Univer- sitätskliniken bezieht. Die deutschen gesetzlichen Vorschriften zum Bereit- schaftsdienst und den vorgeschriebenen Ruhezeiten werden im Sinne einer ver- antwortungsvollen Patientenversorgung breit unterstützt. Es muss eine legale Lö- sung für die universitäre Chirurgie ge- funden werden, die ein Ende macht mit der versteckten Illegalität der Ar- beitsleistung akademischer Chirurgen einschließlich ungedeckter und unbe- zahlter Überstunden. Eine solche Aus- nahmeregelung kann jedoch nicht zum Maßstab für alle Kliniken und angestell- te Ärzte werden, sondern muss vielmehr besonderen Situationen vorbehalten bleiben, um das von vielen abhängig an- gestellten Ärzten gewünschte und in sei- ner Umsetzung eingeforderte Arbeits- zeitgesetz nicht komplett auszuhebeln.

Literatur

1. Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Bundesgesetzblatt: BGBl I 1994, 1170.

2. Byrne JJ: What is a surgical teaching programme? Am J Surg (1980); 139: 815–816.

3. Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG). Bun- desgesetzblatt: BGBl I 1997, 2631.

4. Hamdorf JM, Hall JC: Acquiring surgical skills. Br J Surg 2000; 87: 28–37.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Harald Schrem

Viszeral- und Transplantationschirurgie OE 6220

Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover E-Mail: harald_schrem@yahoo.de P O L I T I K

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Mittels einer verbesserten Grund- und Überstunden-

vergütung muss dem zunehmenden Verlust der Attraktivität des Arztberufes

begegnet werden.

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