A 650 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 12|
25. März 2011 sentlichen im Rahmen der Palliativ-medizin an Ärzte herangetragen werden. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass sich diese An- sinnen deutlich von denjenigen un- terscheiden, die an Organisationen wie Dignitas herangetragen werden.
Es gibt in unserem Lande sehr wa- che und reflektierte Menschen, die ein Suizidbeihilfe-Ansinnen an eine Organisation herantragen, die sich nicht in einem Spätverlauf einer zum Tode führenden Erkrankung befinden. Sie wenden sich an eine Organisation, weil sie nach zum Teil vieljähriger Beschäftigung mit dem Thema der Überzeugung sind, ein begründetes Anliegen auch anderen Menschen mitteilen zu können. Nach bisher 99 allgemein ärztlichen und psychiatrischen Be- gutachtungen für Dignitas und Ster- beHilfeDeutschland zur Frage der selbstbestimmten Urteilsfähigkeit müssen die von Lipp/Simon ge- nannten praktischen Probleme an- ders beurteilt werden:
– In einem mehrstufigen Beurtei- lungsprozess einschließlich einer formalen gutachtlichen Untersu- chung innerhalb einer Organisation lässt sich die Authentizität der Wil- lensbildung sicher beurteilen. Nur in vereinzelten Fällen war die Palliativ- medizin beziehungsweise das Hos- piz vom Krankheitsbild her eine Op- tion, sie wurde jedoch von den Be- troffenen zugunsten einer Lebensbe- endigung nachdrücklich abgelehnt.
– In den intensiven Gesprächen fan- den sich nicht die geringsten Anzei- chen von Fremdbeeinflussung – al- lerdings die entschiedene, durch Miterleben begründete Meinung, den Weg in ein Altenheim nicht zu wollen.
– Wenn die individuell ärztliche oder organisierte Suizidbeihilfe un- missverständlich am eigenen, kri- tisch geprüften Willen des Nachsu- chenden orientiert wird: Welche Dammbruchgefahren sollten dann drohen? Wie sollte das jetzt oft nicht nur fürsorglich, sondern auch
fremdbestimmend erlebte Bild der Ärzte beeinträchtigt werden? Das teilweise ausschließlich patriarcha- lische Selbstverständnis der Ärzte müsste sich in der Tat ändern – sol- len wir das als moralisch verwerf- lich ansehen? Auch bei der Abtrei- bung gibt es Ärzte, die diese Leis- tung nicht anbieten – der Dissens zwischen Befürwortung und Ableh- nung ist gesellschaftlich etabliert.
Können wir ein ausschließlich am Lebensschutz orientiertes Berufs- recht – mit Nachordnung des in un- serer meinungspluralen Gesell- schaft grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmungsrechtes – im Ernst vertreten?
Der Schlusssatz von Lipp/Simon muss nachdrücklich betont werden:
Berufsrechtliche Konsequenzen mögen von relevanten Mehrheiten vertreten werden. Sie sind mora- lisch nur illiberal fremdbestimmend zu rechtfertigen!
Priv.-Doz. Dr. med. Johann Friedrich Spittler, 45711 Datteln
PA TIENTENRE CHTE
Ob ein eigenes Ge- setz tatsächlich Ver- besserungen für die Praxis bringt, ist un- ter Experten um- stritten (DÄ 5/2011:
„Anhörung zum Pa- tientenrechtegesetz: Fehlende Gutach- ter, lange Prozesse“ von Heike E. Krü- ger-Brand).
Mehr Zeit für Patienten
Zu Ihrem interessanten Beitrag: Der Patientenbeauftragte will die Pa- tientenrechte, insbesondere die der Opfer von Behandlungsfehlern, stärken, die SPD will sie erweitern.
Soweit ich sehen kann, sind die Rechte der Patienten, auch der be- handlungsbedingt geschädigten, nicht eingeschränkt. Die ordentli- che Gerichtsbarkeit in Arzthaft- pflichtsachen wird in Deutschland ergänzt und fühlbar entlastet durch die von unseren Ärztekammern ein- gerichteten Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen. Deren Verfahren sind für die Patienten
kostenfrei, sie erfordern keinen eigenen Rechtsbeistand und keinen großen Aufwand des Patienten.
Tausende Patienten, die einen feh- lerverursachten Behandlungsscha- den bei sich annehmen, veranlassen im Vertrauen auf die Neutralität und den Sachverstand dieser Stellen je- des Jahr dort Verfahren. Diese be- enden in den meisten Fällen den Patient-Arzt-Streit, ihre Dauer ist in der Regel kürzer als die von Ge- richtsprozessen. T. S. Jost, ein Rechtsprofessor aus den USA, hat diese Einrichtungen evaluiert und festgestellt, dass Deutschland auf diesem Gebiet der alternativen Streitbeilegung in Arzthaftungsfäl- len, an dem man in Amerika schei- terte, durchaus erfolgreich ist. – Dem Kölner Ordinarius für Medi- zinrecht Professor Katzenmeier zu- folge gelangten mehrere Untersu- chungen zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik „mit den bestehen- den Patientenrechten mit erhebli- chem Vorsprung eine Spitzenstel- lung in den Ländern der EU“ inne- hat. Auch dem Europaabgeordneten Dr. Liese zufolge hat Deutschland
international in diesbezüglichen Rankings immer vordere Plätze ein- genommen (beides Ärztetags-Vor- träge 2009/10).
Viele Kranke und Verletzte kom- men jedoch in der Realität unseres Versorgungssystems deshalb nicht zu ihrem vollen Recht, weil ihren Ärzten die Zeit für ihre eigentliche ärztliche Arbeit zu sehr beschnitten wird: durch Arbeitsverdichtung und durch Überlastung mit büro- kratischen Pflichten. Man würde sicherlich das behandlungsbedingte Fehler- und Schadensrisiko min- dern, wenn man den Ärzten und Pflegekräften wieder genügend Zeit gäbe, um ihre Arbeit an den Patienten ordentlich und in Ruhe zu tun . . .
Aber in einem politischen Klima, in dem die ärztliche Diagnoseerfas- sung durch Gesetz geregelt ist und Mandatsträger die Kodifizierung sogar der Terminvergabe in Arzt- praxen planen, werden Vernunft- gründe möglicherweise das Patien- tenrechtegesetz nicht verhindern.
Literatur beim Verfasser
Prof. Dr. Klaus D. Scheppokat, 30989 Gehrden
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