Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 10⏐⏐6. März 2009 A437
P O L I T I K
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u viel getrunken hat die 49- jährige Chirurgin schon län- ger. Schichtarbeit, überlange Ar- beitszeiten, Zeitdruck und die Dop- pelbelastung von Beruf und Familie ließen sich so besser ertragen. Erst als sich vor fünf Jahren der Ehemann umbrachte, ein Chefarzt, der eben- falls Probleme am Arbeitsplatz hatte, gab es für sie kein Halten mehr. Das Trinken gehörte seitdem zum Alltag, so lange, bis es nicht mehr ging und die Ärztin selbst zur Patientin wurde.Ärzten falle es schwerer als An- gehörigen anderer Berufsgruppen, eine Erkrankung und erst recht ei- ne Suchterkrankung anzuerkennen.
Viele hielten sich für unverwundbar, meint Prof. Dr. med. Götz Mundle, Chefarzt an der Oberbergklinik Schwarzwald. Dabei würden die enormen Belastungen im Job an der Gesundheit vieler Kollegen zehren.
Vom Fall der suchtkranken Chir- urgin berichtete der Psychiater bei einer von der Bundesärztekammer (BÄK) in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hanno- ver und der Ludwig-Maximilians-Uni- versität München organisierten Ta- gung unter dem Titel „Arbeitsbedin- gungen und Befinden von Ärztin- nen und Ärzten“. Dabei wurde deut- lich, dass immer mehr Ärzte in Kli- nik und Praxis über schlechte Ar- beitsbedingungen, Zeitdruck und Bürokratie klagen.
Druck am Arbeitsplatz führt zu Depression und Burn-out
„Vor allem Klinikärzte in Weiterbil- dung berichten von häufigen Arbeits- unterbrechungen, hohem Zeitdruck sowie einer ausgeprägten Arbeits- menge“, erläuterte Dr. med. Peter Angerer. Der Arbeitsmediziner von
der Ludwig-Maximilians-Univer- sität leitet das Forschungsprojekt
„ÄsQuLAP“ (Ärzte steigern Qua- lität und Leistung durch Arbeits- freude mit Patienten). Für die von der Bundesärztekammer im Rahmen ih- rer Förderinitiative zur Versorgungs- forschung in Auftrag gegebene Un- tersuchung befragten die Forscher mehr als 500 Ärzte zu ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation. Das Ergeb- nis: Jeder zehnte Arzt in Weiterbil- dung neigt zu Depression. Burn-out, Angstzustände und Suizidgedanken kommen ebenfalls häufig vor.
Fuchs: Die ökonomischen Rahmenbedingungen ändern
Prof. Dr. Eberhard Ulich vom Insti- tut für Arbeitsforschung und Orga- nisationsberatung in Zürich wies darauf hin, dass die Arbeitssituation von Ärzten nicht nur negativ gese- hen werden dürfe. Viele junge Men- schen entschieden sich für den Be- ruf, weil er nach wie vor ein hohes Ansehen genieße und hohe fachli- che Anforderungen verlange. Aller- dings kollidierten die positiven Rol- lenerwartungen, die Patienten ihren Ärzten entgegenbrächten, mit den begrenzten zeitlichen Möglichkei- ten der Mediziner. Die Folge: Fast jeder dritte Arzt glaube, er könne auch unter Stress noch gut arbeiten.Tatsächlich führten überlange Ar- beitszeiten im Medizinbetrieb zu hohen Risiken, ohne dass dadurch Kosten gesenkt würden.
Für den Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med.
Christoph Fuchs, wird anhand der Forschungsergebnisse deutlich, „wie sehr die ökonomischen Rahmenbe- dingungen einen negativen Einfluss auf die Berufsausübung und die Pa-
tient-Arzt-Beziehung haben“. Diese Rahmenbedingungen seien jedoch veränderbar.
Die BÄK arbeitet bereits daran, die Situation zu verbessern. So wird im Rahmen des ÄsQuLAP-Projekts anhand eines Modellkrankenhauses untersucht, wie die angespannte Ar- beitssituation entschärft werden kann.
Gemeinsam mit Ärzten und Patien- ten analysierten die Forscher Schwach- stellen und bauten ärztliche Qua- litätszirkel auf, in denen Fragen der Arbeitsgestaltung und Organisations- entwicklung diskutiert werden. Zu- dem entwickelten die Wissenschaft- ler Trainings, um die Kommunika- tion von Ärzten mit Patienten zu verbessern. Die Angebote seien gut angenommen worden, so Angerer.
Verhältnis von Arbeit und Freizeit neu austarieren
Auch Ulich betonte, nur wenn die„Work-Life-Balance“, also das Ver- hältnis zwischen Arbeitszeit und Frei- zeit, gut austariert werde, steige die Attraktivität des Arztberufs. „Für junge Ärzte ist vor allem wichtig, dass sie Familie und Beruf mitein- ander in Einklang bringen können.
Geld und Karriere sind dem nach- geordnete Ziele“, sagte Ulich.
Das Projekt der BÄK soll der Po- litik beim Umsteuern helfen. So ist das Thema „Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten“
eines der drei großen Felder, die die Bundesärztekammer im Rahmen ihrer Förderinitiative zur Versor- gungsforschung ausgeschrieben hat.
Sämtliche Symposiumsbeiträge werden im zweiten Band des „Re- ports Versorgungsforschung“ veröf-
fentlicht. I
Samir Rabbata