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Archiv "Suizidalität bei Ärzten: Kein Tabuthema mehr?" (23.11.2001)

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ie Frage psychiatrischer Morbi- dität und Suizidalität bei Ärzten gewinnt besonders angesichts der Veränderungen im Gesundheitswesen zunehmend an Bedeutung. Ärztliche Tätigkeit impliziert hohe Verantwor- tung für das Leben anderer. Am Berufs- anfang stehen oft Ängste vor einem möglichen Versagen, später eine jahre- lange Konfrontation mit der Endlich- keit ärztlichen Handelns. Der ärztliche Berufsstand ist in der Meinung der Be- völkerung immer noch mit viel Aner- kennung verbunden. Zunehmend wird jedoch teilweise Sozialneid spürbar.

Gesundheitspolitische Veränderungen führen dazu, dass das Berufsbild des Arztes nicht mehr die Wunschliste der Berufsziele junger Menschen anführt.

Aufgrund der naturwissenschaftli- chen Basis der ärztlichen Ausbildung ist die Konfrontation mit Sterben und Tod zwar berufsimmanent, jedoch sind die wenigsten Ärzte ausreichend emo- tional auf diese Inhalte vorbereitet. Ge- sundheitsstrukturelle Veränderungen der letzten Jahre, die teilweise existen- zielle Bedrohungen für viele Ärzte im- plizieren (befristete Verträge, Mobbing in Kliniken, Regressdrohungen in der niedergelassenen Praxis), beeinflussen die Ausübung des Berufes negativ.

Es stellt sich deshalb die Frage, in- wieweit diese Einflüsse zu einem erhöh- ten Risiko psychischer Erkrankungen bei Ärzten führen. Validierte Studi- energebnisse zur Frage psychiatrischer Morbidität und Suizidalität von Ärzten sind im deutschen Sprachraum eher sel- ten. In einer Promotionsarbeit wurden im Zeitraum von 1963 bis 1979 Suizide von Ärzten in Oberbayern untersucht (1). Eine Übersichtsarbeit Anfang der

90er-Jahre schätzte die Suizidrate der deutschen Ärzte zwischen 1,3 bis 1,6fach höher als die Suizidrate der All- gemeinbevölkerung (8). In Bayern sui- zidierten sich die 30- bis 50-jährigen Ärzte sowie die über 50-jährigen Ärz- tinnen signifikant häufiger.

Risikofaktor für Frauen:

Doppelbelastung

Im angloamerikanischen und skandina- vischen Sprachraum haben sich in den 90er-Jahren verschiedene Forschungs- gruppen der Thematik zugewandt (4, 5, 7, 10). Bereits in den späten 70er-Jahren wurden in der so genannten Landmark- Studie 111 Ärztinnen mit einer Kon- trollgruppe von berufstätigen Frauen in St. Louis (USA) verglichen (4). 57 Pro- zent der Ärztinnen erfüllten die Kriteri- en für eine psychiatrische Diagnose, am häufigsten fanden sich depressive Syn- drome. Das vergleichsweise häufigere Auftreten psychiatrischer Erkrankun- gen bei Ärztinnen

im Vergleich zur Allgemeinbevölke- rung (57 Prozent versus 30 bis 47 Pro- zent) wurde unter- schiedlich erklärt.

Vor allem die Dop- pelbelastung durch

Beruf und Mutterrolle wurde als we- sentlicher Faktor genannt.

Das Gefühl des zunehmenden Kon- trollverlustes am Arbeitsplatz sowohl in der Klinik als auch in der Praxis schien in den USA eine häufigere Rolle, insbe- sondere vor Suizidversuchen, zu spielen als beispielsweise in Skandinavien. 51,1 Prozent (von 1 063 befragten norwegi- schen Ärzten) schilderten im Lebens- verlauf Gefühle von Lebensmüdigkeit;

1,6 Prozent hatten Suizidversuche un- ternommen (5, 7). Risikofaktoren wa- ren hier seltener die Probleme am Ar- beitsplatz (5), sondern vor allem das Alleinleben, weibliches Geschlecht, de- pressive Syndrome sowie persönliche und familiäre Probleme.

Rund 35 von 10 000 Ärzten sterben jährlich in den Vereinigten Staaten durch Suizid, wobei die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher geschätzt wird. Im Unterschied zu den Ergebnissen in Bay- ern (1) schien die Häufigkeit von Suizi- den unter männlichen Ärzten mit dem fünften Lebensjahrzehnt zu korrelieren, während Suizidalität bei Ärztinnen häu- figer in früheren Lebensdekaden beob- achtet wurde. Als Suizidmethoden do- minierten die Intoxikation durch Ta- bletten oder durch Medikamentenzube- reitungen mit hoher Toxizität, auf die leicht zugegriffen werden konnte (zum Beispiel kardiologische oder anästhesio- logische Medikamente) (7).

Ein depressives Syndrom mit dem psychopathologischen Kriterium der Hoffnungslosigkeit, einer hinzukom- menden akuten Krise, fehlender sozialer Einbindung und einer weiteren psych- iatrischen Komorbidität (Panikstörung, Substanzabhängigkeit) erhöhen das Sui- zidrisiko drastisch. Der Substanzabusus bei Ärzten wird in der Regel noch später diagnostiziert als primäre Depressionen.

Häufig ist auch der Abusus von Benzo- diazepinen beziehungsweise in anglo- amerikanischen Untersuchungen von Amphetaminen (4, 9). Mehr als ein Drittel der Ärztin- nen mit Alkohol- problemen lebte allein oder mit ei- nem alkoholab- hängigen Partner zusammen (4).

Die Frage, ob die Charakterei- genschaften eines jungen Menschen die Motivation zur Auswahl des Arztberu- fes maßgeblich beeinflussen, war in ver- schiedenen Studien Gegenstand der Diskussion. Mehrere Forschungsgrup- pen beschrieben, dass Medizinstuden- tinnen häufiger depressiv waren als männliche Kommilitonen. 22,1 Prozent der skandinavischen Ärzte und 25,9 Prozent der Ärztinnen hatten eine Vor- geschichte von Suizidgedanken oder T H E M E N D E R Z E I T

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A3110 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 47½½½½23. November 2001

Suizidalität bei Ärzten

Kein Tabuthema mehr?

Die Prävalenzrate psychiatrischer Erkrankungen sowie die Suizidrate von Ärzten liegt über der der Allgemein- bevölkerung. Ärztinnen sind besonders gefährdet.

Der Beitrag ist Herrn Prof. Dr. med. V. Faust, Ravensburg, zum 60. Geburtstag gewidmet.

Die Konfrontation mit Sterben und Tod ist zwar berufsimmanent, jedoch sind

die wenigsten Ärzte aus- reichend emotional auf diese

Inhalte vorbereitet.

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-versuchen (5, 7). Jedoch gibt die Lite- ratur keine klare Antwort darauf, in- wieweit sich Studenten in der Wahl des Arztberufes oder des späteren Fachge- bietes bereits in einer persönlichen Vul- nerabilität bewegen, die durch Stresso- ren später in eine manifeste psychiatri- sche Störung münden kann.

Die Häufigkeit von Suizidversuchen ist in der weiblichen Allgemeinbevölke- rung zwei- bis dreifach höher als in männlichen Vergleichsgruppen. In der bisher umfangreichsten amerikani- schen Stichprobe von 4 500 befragten Ärztinnen (women physicians ill study, 4) wurde ein Fragenkatalog ausgewertet.

Als Ergebnis fand sich ein Lebenszeit- Risiko für eine schwere Depression zwischen sieben und 25 Prozent. Von Interesse erscheint auch die Frage, wel- che Facharztgruppen besonders häufig Suizidversuche oder Suizide unternah- men. In einer deutschen Übersichtsar- beit Anfang der 90er-Jahre vertrat der Autor die These, dass eine gewisse psy- chische Labilität die Suizidgefährdung von Psychiatern erklären würde (8).

Dieses Postulat wird seit Ende der 90er-Jahre im internationalen Vergleich relativiert. Zunehmend erscheinen Facharztgruppen gefährdet, deren all- tägliche Berufsverpflichtungen durch einen hohen emotionalen Stress ge- kennzeichnet sind. So war in der ameri- kanischen Studie die Suizidrate von Ärztinnen, die notfallmedizinisch in interdisziplinären Notfallaufnahmen (Emergency Rooms) als Chirurgin, In- ternistin oder Anästhesistin tätig waren, mit 5,8 Prozent deutlich höher als die Suizidrate von Gebietsärztinnen für Neurologie, Psychiatrie und Dermato- logie mit einer Suizidrate von 0,6 Pro- zent. Chirurgische Tätigkeit sowie die Anstellung im öffentlichen Gesund- heitsdienst, in den USA, stellten Risiko- facharztgruppen für suizidales Verhal- ten dar. Skandinavische Anästhesisten berichteten signifikant häufiger über manifeste Suizidabsichten als andere Gebietsärzte (5).

Die Rate von manifesten behand- lungsbedürftigen Depressionen war bei US-Ärztinnen für Psychiatrie mit 34,6 Prozent sehr hoch, während ihre Suizid- versuchsrate mit 2,1 Prozent eher als gering anzusehen war. Einer der Grün- de hierfür könnte sein, dass Fachärzte

mit psychiatrischen Grundkenntnissen oder Nervenärzte sich auch im Falle ei- ner psychischen Erkrankung optimaler mit Antidepressiva oder Neuroleptika behandeln können als andere Facharzt- gruppen. Soziale Faktoren, die immer im Zusammenhang mit Suizidalität von Ärzten diskutiert wurden, sind fehlende Partnerschaft, affektive Erkrankungen, Berufsunzufrieden-

heit und das subjek- tive Gefühl von Kontrollverlust im Berufsalltag. Unter- suchungen in den USA zufolge waren bei Ärztinnen die Faktoren sexueller

Missbrauch in der Biografie, ethnische Zugehörigkeit und der Besitz von Feu- erwaffen nicht zu vernachlässigen (3).

Trotz methodischer Unschärfen wa- ren sich sowohl die großen US-ameri- kanischen Studien als auch die europäi- schen Autoren einig, dass die Präva- lenzrate von manifesten psychiatri- schen Erkrankungen, insbesondere von Depressionen, Suchtmittelabhängig- keit bei Ärzten sowie die Suizidrate über der der Allgemeinbevölkerung zu liegen scheint.

Das Thema Suizidalität ist oft schambesetzt

Wie kann Suizidalität bei Ärzten vorge- beugt werden? Seelische Probleme bei Kollegen sind grundsätzlich ernst zu nehmen und ohne Stigmatisierung durch eine Vertrauensperson zu bespre- chen. Suizidale Krisen und Suizidalität sind auch beim ärztlichen Kollegen be- handelbar und bei schwerer Ausprä- gung durch stationäre Kriseninterventi- on zu behandeln. In der Regel gehen be- handelnde Ärzte mit ihren suizidalen Kollegen scheuer und schonender um als mit anderen Patienten (8). Dieses Thema erscheint häufig schambesetzt und somit einer offenen Diskussion (zum Beispiel in Fortbildungsveranstal- tungen) schwer zugänglich. Andere po- sitive Beispiele wiederum zeigen, dass Dienstvorgesetzte in Kliniken oder ärzt- liche Kollegen dieser Thematik vielfach offen und solidarisch gegenüberstehen.

Die Thematisierung von Depressivität,

Angstzuständen, Schlafstörungen, Sucht- problemen und konsekutiver Suizi- dalität bei Ärztinnen und Ärzten be- darf eines großen Respekts vor der indi- viduellen Lebenswirklichkeit. Die Dis- kussion von möglicher eigener Suizida- lität, die deutlich wird durch Gegenüber- tragungsgefühle bei Kontakt mit suizida- len Patienten, sollte bereits im Studium, spätestens jedoch in der Facharztausbil- dung beginnen (6).

Negative Gegen- übertragungsgefüh- le zum Beispiel von Intensivmedizinern während des Kon- takts zu Suizidenten sind vielfach beschrieben und kennzeich- nen psychodynamisch die Abwehr in Form von Rationalisierung und Verleug- nung (11).

Die begrüßenswerte Diskussion über Mobbing (DÄ, Heft 18/2001) und über die Situation von Assistenzärzten in der Klinikhierarchie auf dem 107. Deutschen Ärztetag in Ludwigshafen (DÄ, 22/2001) zeigen, dass frühere Tabuthemen öffent- lich gemacht werden. Wünschenswert wäre, dass auch die Prophylaxe von Sui- zidalität bei Berufskollegen künftig in diesen Themenkreis aufgenommen wird.

Zum Erhalt der psychischen Stabilität ist es für den Arzt wichtig, seine Psychohy- giene zu verbessern, beispielsweise durch Schaffung von sozialen Freiräumen, fle- xiblen Arbeitszeitmodellen, einem kon- tinuierlichen Finanz- und Zeitmanage- ment und vertrauensvollen Sozialbezie- hungen. Ärzten in psychischer Not ist un- bedingt zu empfehlen, sich an einen kompetenten Kollegen zu wenden sowie psychotherapeutische und psychophar- makologische Behandlungsmöglichkei- ten zu nutzen – insbesondere wenn sich zunehmende Suizidgedanken ent- wickeln. Die oft befürchtete psychiatri- sche Stigmatisierung ist heute durch rechtzeitige Inanspruchnahme diskreter Versorgungsangebote vermeidbar.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Dr. med. Frank König

Sanitas Klinik Ludwigsbad, Fachklinik für Psychosomatik und orthopädische Rehabilitation

Seidlpark 10, 82418 Murnau am Staffelsee E-Mail: fkoenig.ludwigsbad@sanitas-kliniken.de T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 47½½½½23. November 2001 AA3111

Zunehmend erscheinen Fach- arztgruppen gefährdet, deren alltägliche Berufs- verpflichtungen durch einen

hohen emotionalen Stress

gekennzeichnet sind.

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