A 2052 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 42|
16. Oktober 2009KOMMENTAR
Dr. med. Astrid Bühren, Ehrenpräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes
Ä
rztinnen wird in jüngster Zeit vermehrt die Verantwortung da- für zugeschoben, dass dem deutschen Gesundheitswesen der Nachwuchs fehlt – so auch beim Symposium der Bundesärztekammer (BÄK) „Demogra- phischer Wandel und ärztliche Versor- gung in Deutschland“ Ende August in Berlin. Dies fand seinen Niederschlag auch in den Berichten der Tageszeitun- gen: „Der Arztberuf wird zum Frauen- beruf. Ärztinnen arbeiten aber weniger als Ärzte, weil sie mehr Zeit für ihre Fa- milie haben wollen“, nannte beispiels- weise die „Berliner Morgenpost“ als„einen wichtigen Grund“ für den Ärzte- mangel. Der „Bonner Generalanzeiger“
schrieb: „Der Anteil der Frauen unter den Medizinern ist in 17 Jahren von gut 33 auf über 41 Prozent gestiegen, sie wollen aber oft Familie und Beruf unter einen Hut bringen und sind des- halb häufiger nur in Teilzeit tätig.“ BÄK- Präsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe sprach sich bei dem Symposium auch dafür aus, statt Abiturnoten das Los über die Zulassung zum Medizinstudi- um entscheiden zu lassen.
Die Teilzeitarbeit wird oft als we- sentlicher Faktor dafür genannt, dass das Gesundheitswesen mit den Ärztin- nen kapazitätsmäßig schlechter fährt.
Aus einer Studie im Deutschen Ärzte- blatt (Heft 36/2007) geht hervor, dass überhaupt insgesamt nur zehn Prozent der Ärzte und Ärztinnen in Deutschland in Teilzeit beschäftigt sind. Tatsache ist, dass nur Ärztinnen schwanger werden, dass nur sie den gesetzlichen Mutter- schutz in Anspruch nehmen können und dass sie häufiger die Erziehungsar- beit sowie die private Haushaltsführung leisten (müssen). Aber muss Teilzeit zwangsläufig als Defizit angesehen werden? Erfahrungen zeigen, dass ge- rade in Teilzeit meist hoch motiviert und effizient gearbeitet wird. Es gibt viele Ärztinnen (mit und ohne Kinder),
die mindestens genauso viele Arbeits- stunden leisten wie Ärzte.
Die zeitgemäß veränderte Einstel- lung der nachwachsenden männlichen und weiblichen Ärztegeneration zur Work-Life Balance ist schon länger evi- dent. Besonders für die Ärztinnen ist es wegen des seit 2008 veränderten Un- terhaltsrechts geradezu notwendig, dass die beruflichen Rahmenbedingungen familienfreundlich sind (wie zum Bei- spiel in den skandinavischen Ländern).
Auch mit der Verantwortung für Kinder- erziehung und privater Haushaltsfüh- rung muss es allen möglich sein, ein
adäquates Einkommen für die Lebens- führung zu haben und sich eine ausrei- chende Altersvorsorge aufzubauen.
Die Ärztekammern sollten es als Verantwortung ansehen, dass ihre zah- lenden Pflichtmitglieder nach dem sechsjährigen Studium möglichst alle unbelastet von privater Logistik kli- nisch tätig werden können. Die Presse- veröffentlichungen legen jedoch den Schluss nahe, dass leistungsstarke junge Frauen – als nicht voll einsatzbe- reit deklariert – vom Medizinstudium möglichst ferngehalten werden sollen, indem künftig durch einen reduzierten Numerus clausus mehr jungen Män- nern mit schlechteren Abiturnoten der Studienzugang erleichtert wird.
Unter den zum BÄK-Symposium ge- ladenen 13 Referenten war nur eine Frau. Zugegen, um die Sichtweise der Studierenden zu transportieren, war ein Student – aber keine Vertreterin der weiblichen Mehrheit unter den Studie- renden. Der Begriff der Feminisierung wurde in mehreren Beiträgen dieses Symposiums eklatant in einer defizitä- ren Bedeutung benutzt; entschuldigend wurde hinzugefügt, man habe leider keinen besseren Begriff. Einzig Dr.
med. Otmar Kloiber, Generalsekretär des Weltärztebundes, verwendete den Begriff „Feminisierung“ bewusst nicht,
weil darin eine Sündenbockfunktion der Frauen zum Ausdruck komme – und damit hat er recht. Diese Verwendung des Begriffs „Feminisierung der Medi- zin“, insbesondere mit Blick auf den Ärztemangel, sollte künftig obsolet sein. Was wir derzeit erleben, ist ein Normalisierungsprozess weg von der Maskulinisierung der Medizin hin zur Erlangung eines überfälligen und auch notwendigen zahlenmäßigen Gleichge- wichts von Ärztinnen und Ärzten.
Die jungen Frauen sind hoch moti- viert und leistungsbereit, im Geschlech- tervergleich haben sie die besseren
Abiturnoten. Nach jahrzehntelanger An- wendung des durchaus hinterfragbaren Numerus clausus wird nun plötzlich die Frage gestellt, ob hervorragende Abi- turnoten tatsächlich die geeignete Vor- aussetzung für den ärztlichen Beruf seien. Diese Diskussion des Numerus clausus im Zusammenhang mit der
„Feminisierung“, also dem Eintritt von mehr Medizinstudentinnen als Medizin- studenten in die ärztliche Laufbahn, er- weckt mehr als nur den Anschein einer Diskriminierung. Tatsächlich ist es so, dass genügend männliche und weibli- che Erstsemester antreten, aber eben zu wenige das Studium beenden und noch weniger in deutschen Kranken- häusern und Praxen tätig werden wol- len. Die Gründe hierfür sind bekannt:
Die derzeitigen Rahmenbedingungen ärztlicher Arbeit sind sowohl für Män- ner wie für Frauen hinsichtlich Zeitauf- wand, Bürokratie, Gehalt, Gestaltungs- möglichkeiten und der Erlangung von Lebenszeitpositionen unattraktiv. Hinzu kommt: Die biologische Besonderheit von Frauen, die Mutterschaft, wird in Deutschland nicht adäquat wertge- schätzt und unterstützt. Mehr noch, es gibt gesetzliche Mutterschutzbestim- mungen, die pauschale Tätigkeitsver- bote verordnen und keine individuellen Risikoreduktionen zulassen. ■ ÄRZTINNEN