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Archiv "Ärztinnen: Überall und immer mehr" (03.08.1992)

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Ärztinnen:

THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

er Weg der Frauen in die Medizin war beschwerlich und zu Beginn auch außeror- dentlich kämpferisch. Die beiden er- sten namhaften Medizinstudentin- nen und später promovierten Ärztin- nen finden wir 1849 in den USA (Eli- zabeth Blackwell) und 1869 in Edin- burgh (Sophia Jex-Blake). Auf dem europäischen Kontinent gab es für studierwillige Frauen in den 60er und 70er Jahren lediglich in Zürich die Möglichkeit, ein Medizinstudium zu beenden und zu promovieren.

Preußen tat sich im Gegensatz dazu besonders schwer. „Noch bis weit in die 90er Jahre hinein erregte die Erwähnung des weiblichen Arz- tes im Reichstag ungeheure Heiter- keit", so die erste deutsche Ärztin der Neuzeit, Franziska Tiburtius, die 1876 in Zürich promovierte, in ihren Lebenserinnerungen. Es dauerte noch weitere zehn Jahre, bis die Zu- lassung zum Medizinstudium auch in Preußen erkämpft war. Zwar been- dete der trockene Satz: „Als Studie- rende der Landesuniversitäten wer- den vom Wintersemester 1908/1909 an auch Frauen zugelassen" formal den jahrzehntelangen leidenschaftli- chen Streit, nicht aber die Anfein- dungen und Vorbehalte aus der Ärz- teschaft. Der Medizinhistoriker Juli- us Pagel entdeckte gar „eine gewisse Depression des akademischen Le- bens," seitdem „Haarnadeln hier und da auf dem Vorhof der Berliner Universität zu finden sind."

Im katholischen Italien konnte Maria Montessori als erste Italiene- rin mit dem Medizinstudium erst be- ginnen, nachdem der Papst durch ei- ne zustimmende Erklärung allen Protesten ein Ende bereitete.

Unter größten Schwierigkeiten und Inkaufnahme hämischer Kom- mentare und zum Teil auch bösarti-

Magdalena Heuwing

Überall und immer

mehr

ger persönlicher Angriffe bereiteten die ersten Frauen den Weg, der in den nächsten Jahrzehnten von einer zwar wachsenden, insgesamt aber dennoch kleinen Zahl von Frauen beschritten werden sollte. Der Anteil weiblicher Ärzte pendelte bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts um einen Wert von 20 Prozent. Erst die letzten 15 Jahre brachten den Durchbruch: Weltweit sind derzeit knapp 40 bis 50 Prozent der Medi- zinstudenten weiblich, der Anteil be- rufstätiger Ärztinnen schwankt zwi- schen 35 und 70 Prozent.

Beispiel Frankreich: Bis 1945 zählte man unter 100 Medizinstu- denten lediglich fünf Frauen. Noch im Jahr 1980 durfte eine Medizinstu- dentin das Studium nach ihrer Hei- rat nur dann fortsetzen, wenn der Ehemann schriftlich seine Zustim- mung gab. Inzwischen sind von den rund 166 000 berufstätigen französi- schen Ärzten über 30 Prozent weib- lich. Experten prognostizieren für

das Jahr 2000 einen Frauenanteil von 50 Prozent.

In Großbritannien stieg die Zahl der Ärztinnen erst in nennenswer- tem Umfang, nachdem 1970 die be- sondere Zulassungsquote (nur 22 Prozent weibliche Medizinstuden- ten) und die spezifischen Zulas- sungskriterien für Frauen (sie muß- ten zum Beispiel bessere Abschluß- noten vorweisen als männliche Stu- dienbewerber) infolge einer entspre- chenden Gesetzgebung abgeschafft wurden.

Auch die USA — in nahezu allen Bereichen Vorreiter und Trendset- ter für Entwicklungen, die wenig später nach Europa dringen — haben erstaunlich lange auf weibliche Arzt- tätigkeit in größerem Umfang ver- zichtet. Erst seit Erlaß des Equal Opportunity Act im Jahr 1971 sowie einiger ergänzender Förderungs- maßnahmen entwickelte sich der Anteil der Medizinstudentinnen be- ziehungsweise Ärztinnen an der Ge- samtzahl der Studenten und Ärzte in nennenswertem Umfang. Waren es 1970 noch magere 8,4 Prozent Anteil an den Absolventen der Medical Schools, so erreichte dieser Wert 1990 bereits die 35-Prozent-Marke — mit weiter steigender Tendenz.

Bescheiden erscheinen diese Werte allerdings im Vergleich zu den Zahlen, die seit Jahren aus den osteuropäischen Ländern, etwa der Tschechoslowakei oder der Sowjet- union gemeldet werden. Hier sind 60 bis 70 Prozent aller Ärzte weiblich.

Dies scheint jedoch kein Zeichen für eine besser gelungene Gleichstellung der Frauen, eher schon ein Symbol mangelnden weiblichen Karriere- strebens zu sein, berichten doch Kenner der Verhältnisse, daß der Arztberuf in der Sowjetunion zu den weniger beliebten akademischen Be- rufen mit niedrigem sozialen Anse- hen gehört. Da zudem Ärzte sehr schlecht bezahlt werden, wird dieses Feld den Frauen offensichtlich gern überlassen und von ihnen auch reichlich beackert.

Daß die Medizin mit ihren viel- fältigen Anforderungen an Qualifi- kation und Persönlichkeit, vor allem aber mit ihren streng begrenzten Möglichkeiten, sich zeitlich limitiert in den Beruf einzubringen, nur

Überall auf der Welt faszinierte die Vorstellung, Arzt zu werden, in den letzten Jahren immer mehr Frauen. Die Zahlen gleichen sich verblüffend: Von der Sowjetunion bis zu den USA, von Schweden bis nach Italien stieg die Zahl derjenigen, die ein Medizinstudium begannen, es erfolgreich beendeten und eine berufliche Tätigkeit als Ärztin anstreben, spürbar. Erstmals haben sich in der Schweiz 1991 mehr Frauen als Männer für das Studium der Humanmedizin angemeldet. Selbst ein Land wie Brasilien - sicherlich kein Vor- reiter in Sachen Frauenförderung - meldet den gleichen Trend.

I In Osteuropa mehr- heitlich Ärztinnen

A1-2610 (26) Dt. Ärztebl. 89, Heft 31/32, 3. August 1992

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In ihrer umfassenden Langzeit- studie über die Karriereverläufe von Ärztinnen und Ärzten im britischen National Health Service (NHS) geht Isabell Allen der Frage nach den Gründen für das „Steckenbleiben"

von Ärztinnen auf unteren Karriere- stufen nach. Ihre Antwort: Zu einem großen Teil werden Karrieren ge- macht durch individuelle „Partner- schaft" oder „Sponsorenschaft" von älteren für jüngere Ärzte. Persönli- che und fachliche Führung, Ansporn und Unterstützung erfahren junge Ärzte vor allen Dingen durch ihre Chefs, die wiederum das sattsam be- kannte Old Boy Network zu nutzen wissen. Wer dagegen hat je schon einmal etwas von einem „Old Girl Network" gehört?

Umfassende Strategien zur Ver- besserung der Situation von Ärztin- nen sind kaum zu finden. Am weite- sten scheinen noch die Bemühungen des britischen National Health Ser- vice gediehen zu sein. In einem Be- richt über „Ärztinnen und ihre Kar- riere", der 1991 im Auftrag des NHS erarbeitet wurde, schreibt die briti- sche Gesundheitsministerin Virginia

I

Strategieprogranune für die Karriere

Tendenz

steigend steigend schwer mit Familienpflichten verein-

bart werden kann, ist bekannt. So verwundert es auch nicht, wenn so- wohl die Probleme als auch die Stra- tegien von Ärztinnen überall auf der Welt identisch sind. In wesentlich größerem Maße als ihre männlichen Kollegen müssen Ärztinnen Abstri- che von beruflichen Idealen und Wunschvorstellungen machen, was im Ergebnis dazu führt, daß sie

> weniger ambitionierte Fach- gebiete mit kürzeren Weiterbil- dungszeiten wählen,

> auf weniger aussichtsreiche und angesehene Arbeitsplätze aus- weichen,

> Halbtagsstellen oder stun- denweise Beschäftigungen überneh- men,

> für begrenzte Zeit oder auf Dauer aus dem Beruf ausscheiden.

Dies läßt sich aus dem hohen Anteil an Ärzten mit „sonstigen Tä- tigkeiten" und der hohen Zahl nicht berufstätiger Ärztinnen ablesen, ebenso an der Zahl und der Struktur der erworbenen Weiterbildungsab- schlüsse oder etwa der Zahl der Chefärztinnen beziehungsweise Ärz- tinnen in leitenden Positionen. In nahezu allen untersuchten Ländern sind es vor allem die Gebiete Psych- iatrie, Anästhesie, Pädiatrie, in de- nen Ärztinnen eine Nische gefunden haben. Kaum Fortschritte konnten dagegen in den operativen Fächern Chirurgie, Orthopädie und in der Urologie erreicht werden Ähnliches gilt für Ärztinnen in leitender Stel- lung. Verblüffend auch hier der Gleichklang der Daten aus aller

Bundesrepublik Deutschland Frankreich

Großbritannien Schweiz

UdSSR USA

Welt: Zwischen drei und fünf Pro- zent schwankt der Anteil derjenigen, die es bis an die Spitze geschafft ha- ben, und dies auch in den sozialisti- schen Ländern mit einem Ärztinnen- anteil von 60 bis 70 Prozent.

1985 1989 Prozent Prozent

30 31

steigend steigend 69

steigend'

Bottomley: „Wenn es nicht gelingt, ausreichend die Bedürfnisse von Ärztinnen zu berücksichtigen, ver- zichtet der NHS auf eine wesentliche Hilfe und Ressource."

Als besondere Strategien wer- den in diesem Bericht angeführt:

Teilzeitweiterbildungsmodelle, Teil- zeittätigkeit auf allen Funktionsebe- nen, Trainingsprogramme für Frau- en in chirurgischen Fächern und Wiedereingliederungsprogramme für Ärztinnen mit Kindern.

Aufsehen in der britischen Öf- fentlichkeit erregte vor allem das so- genannte WIST (Women in Surgical Training)-Programm, das der Staatli- che Gesundheitsdienst gemeinsam mit dem Royal College of Surgeons of England durchführt und in dessen Rahmen zum Beispiel Teilzeitstellen eingerichtet und ein Netzwerk von Personen aufgebaut wird, die Frauen in chirurgischen Fächern beraten, stützen und fördern.

Ob diese und ähnliche Program- me ihr Ziel erreichen, ist ungewiß.

Sicher ist jedoch nach Ansicht von Vertreterinnen des Women in Medi- cine Project der American Medical Association, daß Frauen auf Grund ihrer wachsenden Zahl in alle Felder und Funktionen des Medizinbetrie- bes „diffundieren" werden.

Frauen und Medizinberuf - ein weltweit interessantes Phänomen al- so, dessen soziologische Strukturen noch wenig erforscht sind und des- sen Auswirkungen auf die Medizin und den Medizinbetrieb zu einigen Spekulationen Anlaß geben. Anlaß aber auch, über eine stärkere Zu- sammenarbeit von Ärztinnen auf in- ternationaler, vor allem auf europäi- scher Ebene nachzudenken und eine bessere Vertretung ärztinnenspezifi- scher Interessen und Themen zu for- dern.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1-2810-2611 [Heft 31/32]

Anschrift der Verfasserin:

Dr. rer. pol. Magdalena Heuwing Geschäftsführerin

Marburger Bund (Verband der angestellten und beamteten Ärzte Deutschlands e. V.) Riehler Straße 6

W-5000 Köln 1 Land

Tabelle: Anteil der Frauen an der Zahl berufstätiger Ärzte Jahr

1980 Prozent

23

22 16 65 11

23 28

25

28

15 19

70 22 22 30

steigend

Dt. Ärztebl. 89, Heft 31/32, 3. August 1992 (27) A1-2611

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