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Archiv "Ärztliche Schweigepflicht — ein Recht des Patienten" (25.06.1982)

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Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 25 vom 25. Juni 1982

Ärztliche Schweigepflicht ein Recht des Patienten

Karsten Vilmar*)

Referat bei der Eröffnungsveranstaltung des 85. Deutschen Ärztetages in Münster

Zu Beginn des 85. Deutschen Ärztetages in Münster hielt Dr.

Karsten Vilmar als Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages ein vielbe- achtetes Referat, das grundsätz- lich das Konfliktfeld zwischen ärztlicher Schweigepflicht, Da- tennutzung und Datenschutz auslotet. Die Ausführungen Vil- mars ergänzte der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Dr.

Gustav Osterwald, mit einem Korreferat über „Datenschutz in der ärztlichen Praxis", dessen Wortlaut im nächsten Heft doku- mentiert werden wird.

Zu den wichtigsten Grundlagen in der Beziehung zwischen Patient und Arzt gehört die Verpflichtung des Arztes, über alles zu schwei- gen, was ihm in Ausübung seines Berufes vom Patienten bekannt wird. Verschwiegenheit ist das Fundament für Vertrauen.

Ohne Vertrauen ist gute Zusam- menarbeit zur Verwirklichung ge- meinsamer Ziele kaum denkbar.

Bei jeder engeren menschlichen Bindung oder Gemeinschaft sind Vertrauen und Verschwiegenheit unabdingbare Voraussetzungen, wenn sich ein Mensch an seinen Nächsten wenden, sich ihm „an- vertrauen" will. Vertrauen und Verschwiegenheit ermöglichen es, Hoffnungen und Erwartungen, Sorgen und Ängste zu bespre- chen, sich etwas Bedrückendes von der Seele zu reden und einen Vertrauten bei Entscheidungen um Rat zu fragen, die für das wei- tere Leben von Bedeutung, viel- leicht sogar „lebensentschei- dend" sind.

Um wieviel wichtiger sind Vertrau- en und Verschwiegenheit, wenn jemand von Schmerzen gequält wird, sich krank und elend, sogar existentiell bedroht fühlt oder es tatsächlich ist und sich deshalb einem Arzt anvertrauen und ihn um Rat und Hilfe zur Befreiung von Pein und Lebensangst bitten muß. Um wieviel mehr darf und muß ein Kranker erwarten und

darauf vertrauen, daß sein Arzt verschwiegen ist, damit seine Not-

lage, seine Abhängigkeit und Hilf- losigkeit nicht allgemein bekannt werden. Andernfalls müßte er über körperliches Leiden und seelische Bedrängnis hinaus wegen seiner dann offenkundigen Schwäche Nachteile und Schäden für sich befürchten. Ohne das sichere Wis- sen um die Verschwiegenheit des Arztes könnten sich viele Kranke mit Sorgen und Beschwerden, de- ren Konsequenzen sie selbst nicht immer in allen Ausmaßen über- blicken können, kaum einem Arzt anvertrauen. Manche dringend nötige Behandlung könnte allein aus diesem Grunde verschleppt werden; zu einem früheren Zeit- punkt noch möglich gewesene wirksame ärztliche Hilfe käme dann oftmals zu spät.

Aus dem Wissen um die Gefahren für Leben und Gesundheit des ein- zelnen und der Gemeinschaft und aus ethischen Gründen sind des- halb schon frühzeitig Verhaltens- normen und moralische Pflichten für den Arzt entwickelt und kodifi- ziert worden. Wichtigstes und heute noch maßgebendes Zeugnis dafür ist der im Corpus Hippocrati- cum überlieferte hippokratische Eid aus dem 4. Jahrhundert vor Christi Geburt. Schon im antiken

*) Dr. med. Karsten Vilmar, Unfallchirurg in Bremen, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 25 vom 25. Juni 1982 57

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Ärztliche Schweigepflicht

Griechenland ist darin neben der Verpflichtung für den Arzt, Leben zu erhalten, Leiden zu lindern, dem Kranken nicht zu schaden und niemandem ein tödliches Mit- tel zu geben — auch dann nicht, wenn darum gebeten wird —, das Versprechen verankert: „Was ich bei der Behandlung oder auch au- ßerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheim- nis bewahren."

Diese für den Arzt grundlegenden Verpflichtungen finden sich auch in anderen Kulturkreisen, in Ägyp- ten ebenso wie in Indien, in Rom oder später im arabisch-islami- schen Bereich. In ihrer Kernaussa- ge haben sie sich über Jahrhun- derte und Jahrtausende erhalten.

In Form der Selbstverpflichtung des Arztes und des ärztlichen Be- rufsstandes haben sie sich über Kriegswirren und wechselnde Wertvorstellungen hinweg in un- terschiedlichen Glaubensrichtun- gen, Religionen und politischen Systemen als Richtschnur und zu- verlässiger Maßstab bewährt. Sie haben zeitlose Gültigkeit und wer- den daher auch in Zukunft ärztli- ches Handeln bestimmen.

Stets jedoch stand und steht die Arbeit des Arztes auch im Span- nungsverhältnis zwischen den In- teressen des einzelnen Menschen und denen gesellschaftlicher Mehrheiten, der Gesellschaft ins- gesamt, des Staates, die keines- wegs immer kongruent, im Krank- heitsfall sogar häufig diametral entgegengesetzt sind. Aus den verschiedenen gesetzlichen Rege- lungen zur Umschreibung von Schweigepflicht und Auskunfts- recht, die im deutschen Sprach- raum seit rund 300 Jahren erfolgt sind, läßt sich ablesen, ob jeweils dem einzelnen Individuum oder der Gemeinschaft mehr Bedeu- tung beigemessen wurde.

Die Pflicht zur Verschwiegenheit ist im hippokratischen Eid als ethisch-moralische Selbstver- pflichtung des Arztes formuliert

worden, also noch nicht als Recht des Patienten. Jahrhunderte spä- ter wurde sie als Pflicht zur Wah- rung der Amtsverschwiegenheit oder des Berufsgeheimnisses be- zeichnet und geregelt. Damit hatte sie formal und de jure nur etwa gleiche Qualität wie z. B. die Wah- rung von Betriebs- oder Fabrika- tionsgeheimnissen — eine Bewer- tung, die allerdings nur mit jenem Teil des hippokratischen Eides in Einklang zu bringen ist, der die Weitergabe ärztlichen Wissens auf einen genau umschriebenen Per- sonenkreis begrenzt. Darüber hin- aus verlangt der Eid des Hippokra- tes aber ausdrücklich eine ethi- sche Selbstverpflichtung des Arz- tes zur Verschwiegenheit über alle den Patienten betreffenden Dinge und droht für einen Verstoß sogar Sanktionen an. Vor diesem Hinter- grund wird verständlich, wenn die ärztliche Schweigepflicht im Ge- spräch mit einzelnen Patienten, aber auch in der öffentlichen Dis- kussion oftmals dem „Standes- recht" zugeordnet wird — leider meist mit einem Unterton, als ob es sich dabei um eine antiquierte, überholte Angelegenheit handele.

Schweigepflicht — eine zeitlose Norm

Wie wenig antiquiert und überholt aber die Beachtung ethischer Grundnormen und damit auch der ärztlichen Schweigepflicht ist, sollte besonders nach den Erfah- rungen mit der nationalsozialisti- schen Diktatur, gerade in Deutsch- land, eigentlich jedermann klar sein. Auch damals gab es zwar die in der Berufsordnung niederge- legte Verpflichtung für den Arzt,

„ein fremdes Geheimnis, das ihm bei Ausübung seines Berufes an- vertraut ist oder zugänglich ge- worden ist, als ärztliches Geheim- nis zu hüten, das heißt, darüber zu schweigen oder es nicht unbefugt zu offenbaren". Im folgenden Ab- satz wird aber sogleich deutlich, daß diese Schweigepflicht so ernst nicht gemeint war, denn dort ist zu lesen: „Unbefugt ist die Of- fenbarung eines fremden Geheim- nisses nicht, wenn der Arzt für den

Einzelfall von der Schweigepflicht entbunden ist oder wenn er ein solches Geheimnis zur Erfüllung einer Rechtspflicht oder sittlichen Pflicht oder sonst zu einem nach gesundem Volksempfinden be- rechtigten Zweck offenbart und wenn das bedrohte Rechtsgut überwiegt."

Mit dem auslegungsfähigen Be- griff „nach gesundem Volksemp- finden" wurde dem Mißbrauch da- mals Tür und Tor geöffnet und die Erwartung an den Arzt gerichtet, Geheimnisse preiszugeben, wenn dies „einem nach gesundem Volksempfinden berechtigten Zweck" dient. Glücklicherweise hat die große Mehrheitder Ärzte in Deutschland damals nicht die In- teressen des einzelnen Kranken den nationalsozialistisch be- stimmten, meist nur angeblichen

Interessen des Volkes und schon gar nicht „dem gesunden Volks- empfinden" untergeordnet. Die weit überwiegende Mehrheit der Ärzte hat sich damals unverändert an die für ärztliches Handeln zeit- los gültigen ethischen Normen des hippokratischen Eides ge- halten.

Zu Recht genießen in der Bundes- republik Deutschland die Persön- lichkeitsrechte durch die Veranke- rung des Schutzes der Menschen- würde in Artikel 1 und des Rechtes auf freie Entfaltung der Persön- lichkeit in Artikel 2 des Grundge- setzes einen starken Schutz. Der hohe Rang der Persönlichkeits- rechte wird durch die Regelung der Grundrechte insgesamt am Anfang des Grundgesetzes zusätz-

lich unterstrichen.

Die Strafrechtsreform vom 1. Ja- nuar 1975 brachte eine Neurege- lung der ärztlichen Schweige- pflicht, jetzt als Recht des Patien- ten. Die Bestimmungen im § 203 Absatz 1 des Strafgesetzbuches lauten: „Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich ge- hörendes Geheimnis oder ein Be- triebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart, das ihm als

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1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apo- theker oder Angehörigen eines an- deren Heilberufes, der für die Be- rufsausübung oder die Führung einer Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung er- fordert,

2 . ...

anvertraut oder sonst bekannt ge- worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geld- strafe bestraft."

Und weiter: .. Den in Absatz 1 Ge- nannten stehen ihre berufsmäßig tätigen Gehilfen und die Personen gleich, die bei ihnen zur Vorberei- tung auf den Beruf tätig sind, den in Absatz 1 und den in Satz 1 Ge- nannten steht nach dem Tode des zur Wahrung des Geheimnisses Verpflichteten ferner gleich, wer das Geheimnis von dem Verstor- benen oder aus dessen Nachlaß erlangt hat." Dem Arzt werden da- mit auch dessen nichtärztliche Er- ben gleichgestellt, die Kenntnis von Geheimnissen aus dem Nach- laß erlangt haben könnten. Die strikte Wahrung des Patientenge- heimnisses als Recht des Patien- ten ist also unter allen Umständen zu sichern.

Die Ausweitung unseres Soziallei- stungssystems, besonders der ge- setzlichen Krankenversicherung, auf heute über 90 Prozent der Be- völkerung hatte besonders wegen der zur Sicherung der Ansprüche und Rechte aller Beteiligten au- ßerordentlich zahlreichen, viel- leicht gar nicht immer notwendi- gen Auskünfte über das Krank- heitsgeschehen Einfluß auf die Beziehung zwischen Patient und Arzt und damit vor allem auf die ärztliche Schweigepflicht. Das auf der Grundlage der sozialen Wert- entscheidungen des Grundgeset- zes entwickelte Sozialgesetzbuch ist deshalb ebenfalls für die Wah- rung der Persönlichkeitsrechte und die Einhaltung von Schweige- pflichten von großer Bedeutung.

Für die verschiedenen Leistungs- träger ist im Sozialgesetzbuch I Allgemeiner Teil vom 11. Dezem-

ber 1975 im § 35 die Einhaltung des .. Sozialgeheimnisses" gere- gelt. Dort heißt es: .. Jeder hat An- spruch darauf, daß seine Geheim- nisse, insbesondere die zum per- sönlichen Lebensbereich gehö- renden Geheimnisse sowie die Be- triebs- und Geschäftsgeheimnis- se, von den Leistungsträgern, ih- ren Verbänden, den sonstigen in diesem Gesetzbuch genannten Vereinigungen und den Aufsicht- behörden nicht unbefugt offen- bart werden. Eine Offenbarung ist dann nicht unbefugt, wenn der Be- troffene zustimmt oder eine ge- setzliche Mitteilungspflicht be- steht." Au.f die Einhaltung des .. Sozialgeheimnisses" hat also .. jeder" Anspruch ... Jeder", das heißt jede natürliche oder juristi- sche Person. Das Sozialgesetz- buch geht insoweit über die Be- stimmungen des Bundesdaten- schutL;gesetzes hinaus, das nur die Daten natürlicher Personen schützen soll. Es ist deshalb für die Wahrung des Patientenge- heimnisses im System der sozia- len Sicherung besonders wichtig. Berufsordnung

und Datenschutzgesetze

Der Arzt muß natürlich auch die Berufsordnung beachten. Der vom Deutschen Ärztetag zuletzt 1976 verabschiedeten Neufassung der Berufsordnung, die inzwischen auf der Grundlage der Kammerge- setze der Länder in allen Ärzte- kammerbereichen in Kraft getre- ten und damit für alle Ärzte in Deutschland verbindlich gewor- den ist, steht ein Gelöbnis voran, das inhaltlich dem 1948 vom Welt- ärztebund in Genf verabschiede- ten Gelöbnis entspricht. Aus- drücklich wird dort unter anderem die Wahrung aller anvertrauten Geheimnisse versprochen. Neben dieser allgemeinen Verpflichtung wird erstmals in dieser Berufsord- nung in den Paragraphen 2 und 11 in einer Reihe von Beispielen kon- kretisiert, was in bestimmten Si- tuationen zur Einhaltung der ärzt- lichen Schweigepflicht beachtet werden muß. Von Interesse so- wohl für die allgemeine Öffentlich-

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Ärztliche Schweigepflicht

keit als auch für die Ärzteschaft ist das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) vom 27. Januar 1977 vor allem wegen der Bestimmungen, die über alle mit der ärztlichen Schweigepflicht verbundenen Fra- gen hinaus die Persönlichkeits- rechte im Zeitalter der elektroni- schen Datenverarbeitung sichern und Mißbrauch personengebun- dener Daten bei der Datenspeiche- rung und Datenverarbeitung ver- hindern sollen. Manche Vorschrif- ten und Begriffe dieses Gesetzes haben in der Ärzteschaft zu Unsi- cherheit geführt. Unter dem Aspekt der Schweigepflicht ist dies allerdings nicht begründet, denn im § 45 des Bundesdaten- schutzgesetzes ist klar festgelegt:

.,Die Verpflichtung zur Wahrung der in § 203 Absatz 1 des Strafge- setzbuches genannten Berufsge- heimnisse, zum Beispiel des ärztli- chen Geheimnisses, bleibt unbe- rührt." Die besondere Erwähnung des ärztlichen Geheimnisses zeigt, welch große Bedeutung der Ge- setzgeber selbst der Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht als Recht des Patienten auch im Zeit- alter der elektronischen Datenver- arbeitung beimißt Der § 203 Ab- satz 1 des Strafgesetzbuches hat also Vorrang. Er wird auch durch weniger stark bindende Bestim- mungen des Datenschutzgesetzes nicht aufgeweicht.

Die grundgesetzlich verankerten Persönlichkeitsrechte scheinen al- so gesichert. Bei näherer Untersu- chung werden jedoch trotz allem viele neue, früher unbekannte Pro- bleme sichtbar, für die noch Lö- sungen ausstehen.

Hauptgründe dafür sind:

...,. die Entwicklung der modernen Gesellschaft zur Massengesell- schaft mit tiefgreifenden Verände- rungen von Arbeitsbedingungen und Arbeitsabläufen, von Kommu- nikationsmöglichkeiten und von Wohn- und Familienstrukturen;

...,. die Entwicklung der elektroni- schen Datenverarbeitung mit bis- her ungeahnten Speicher-, Zentra- Ausgabe AlB DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 25 vom 25. Juni 1982 63

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Ärztliche Schweigepflicht

lisations-, Verbund- und Zugriffs- möglichkeiten und die daraus re- sultierenden Veränderungen von Verwaltungstechnik und Büro- kratie;

..,.. die Entwicklung der Medizin und die damit verbundene Spezia- lisierung, die veränderten Arbeits-

bedingungen der Ärzte, die viel-

fach notwendige Kooperation der Ärzte untereinander und mit einer Reihe anderer Berufsgruppen so- wie neue Möglichkeiten und Not-

wendigkeiten der medizinischen

Forschung;

..,.. die Ausdehnung der sozialen Sicherungssysteme, insbesondere im Bereich der gesetzlichen Kran- kenversicherung, auf über 90 Pro- zent, bei Einbeziehung der priva- ten Krankenversicherung sogar auf fast 100 Prozent der Bevölke- rung.

Besonders die Entwicklung der Datenerfassungs- und Verarbei- tungstechnik stellt uns vor Proble-

me, die in ihren Dimensionen de-

nen bei der Industrialisierung ver- gleichbar sind, diese vielleicht so- gar übertreffen und die ähnlich tiefgreifende Veränderungen der menschlichen Gesellschaft sowie entsprechende Veränderungen vieler über Jahrhunderte hinweg scheinbar festgefügter Wertvor- stellungen bewirken können oder sogar zwangsläufig bewirken werden.

Die Beziehung des Patienten zum Arzt wird davon in mehrfach-er Hinsicht betroffen. Und immer wieder wird die ärztliche Schwei- gepflicht und dabei ein in den Grundrechten wurzelndes Recht des Patienten berührt. Zweifellos wird aber auch das Verhältnis des einzelnen zur Gesellschaft beein- flußt, also ein Bereich, dem der Arzt bei seiner Tätigkeit aus seiner Aufgabe heraus ebenfalls ver- pflichtet ist. Für den Arzt, den Pa- tienten und die Gesellschaft stellt sich damit die Frage, ob und gege- benenfalls wo einerseits die Gren- zen für die sich berührenden, sich oft überschneidenden, gegensätz-

Iichen oder sich sogar ausschlie- ßenden Rechte und Freiheiten neu gezogen werden müssen und wo andererseits Einschränkungen der Freiheitsrechte und der Persön- lichkeitsrechte nicht geduldet werden können.

Persönlichkeitsrecht hat Vorrang

Der Arzt steht mitten in diesem Spannungsfeld. Für ihn haben die Persönlichkeitsrechte des einzel- nen Kranken zunächst Vorrang vor den Rechten Dritter, also auch vor noch so berechtigten Interes- sen der Gesellschaft und deren Zukunft oder der Freiheit der For- schung. Doch wer soll, wenn eine von diesem Grundsatz abweichen- de Entscheidung getroffen wer- den muß, berechtigt sein, diese zu fällen, und nach welchen Kriterien soll dies erfolgen? Ist eine vom Grundsatz abweichende Entschei- dung überhaupt allgemeingültig zu treffen und in Gesetzen und Verordnungen festzuschreiben?

Der Gesetzgeber ist doch offen- sichtlich mit der Regelung aller zu bedenkenden Details überfordert.

ln der Medizin muß daher der Arzt in jedem Einzelfall unter Berück- sichtigung aller individuellen Um- stände auf der Grundlage gesetzli- cher Rahmenbestimmungen zur Entscheidung befugt sein. Nur sel- ten und nur für wenige Krankheits- gruppen ist eine überzeugende Abgrenzung auf gesetzlicher Ba- sis möglich, wie zum Beispiel bei einigen ansteckenden Krankhei- ten und bei Seuchen, durch die der einzelne zur Gefahr für sich selbst und die Gemeinschaft wer- den kann. ln diesen Fällen ist die Frage sowohl ethisch-moralisch als auch auf der Grundlage des Gesetzes klar zu beantworten.

Sorgen bereitet die immer um- fangreichere Erfassung von Daten in Systemen der sozialen Siche- rung, die angeblich nötig ist, um die erforderlichen Abrechnungen und Kontrollen vornehmen zu können, um Versicherten die ih- nen zustehenden Leistungen zu eröffnen oder Mißbräuche zu ver-

hindern. Durch Meldung oder Wei- terleitung von immer mehr, teil- weise höchst sensiblen Daten an Krankenkassen und Berufsgenos- senschaften, Versicherungen und Versorgungsämter, Krankenhaus- verwaltungen und Krankenhaus- träger, Meldebehörden, Sozialge- richte, Arbeitgeber, Straßenver- kehrsbehörden und andere mehr ist die Schweigepflicht schon heu- te auf gesetzlicher oder vertragli- cher Basis, manchmal auch ledig- lich aus Gründen der administrt$ti- ven Vereinfachung oder aus reiner Gedankenlosigkeit vielfach durch- löchert. Zu Recht hat sich deshalb schon der 84. Deutsche Ärztetag 1981 gegen eine Aushöhlung der ärztlichen Schweigepflicht zur Wehr gesetzt und auch an die Län- derparlamente appelliert, die schutzwürdigen Belange der Bür- ger nicht durch immer neue Aus- nahmen und spezialgesetzliche Regelungen abzubauen oder ein- zuengen.

Als Entschuldigung für die heuti- gen Praktiken der Informations- übermittlung hört man oft die Er- klärung, daß alle mit der Weiterlei- tung und Verarbeitung der Daten Befaßten ihrerseits doch auch der Schweigepflicht unterlägen. Das ist jedoch nicht schlüssig, denn der Kreis der Informierten und an- geblich Schweigepflichtigen ist in anderen Geheimnisbereichen kei- neswegs derart weit. Das zeigt das grundgesetzlich gesicherte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis.

Das zeigt aber auch das Bank-, Betriebs-, Anwalts- oder Beichtge- heimnis. Muß nichtangesichtsder Entwicklung in der elektronischen Datenverarbeitung der Daten- schutz gleichberechtigt neben dem Brief-, Post- und Fernmelde- geheimnis im Grundgesetz gesi- chert werden? Daß Datenschutz auch nicht nur ein nationales, son- dern ein internationales Problem ist, zeigt die Entschließung des europäischen Parlamentes für Re- gelungen auf dem Gebiet des Schutzes personenbezogener Da- ten für den gesamten EG-Bereich.

Mit der Begründung, daß die mo- dernen Technologien ernste Be- 64 Heft 25 vom 25. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe AlB

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Ärztliche Schweigepflicht

drohungen für die Rechte des ein- zelnen, vor allem für das Recht auf Achtung des Privatlebens, mit sich bringen können, wird dort ein Richtlinienentwurf erwogen, der einen Schutz der Daten aller Bür- ger Europas durch allgemeine, gleichwertige und wirksame Be- stimmungen erreichen soll. Das Europäische Parlament ist der An- sicht, daß darüber hinaus geprüft werden soll, ob das Recht auf Schutz personenbezogener Daten als Menschen- beziehungsweise Grundrecht in den Katalog der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ausdrücklich auf- genommen werden kann und soll- te. Offensichtlich können also per- sönliche Geheimnisse nur dann Geheimnisse bleiben, wenn der Kreis der Wissenden so klein wie möglich gehalten wird. Auch unter dem Deckmantel der Administra- tionsvereinfachung darf daher kei- ne Ausdehnung auf ein schließlich unübersehbar großes „Kollektiv der Schweigepflichtigen" erfol- gen!

Nicht alle jeweils weiterzugeben- den Tatbestände sind natürlich

„Geheimnisse". Vieles ist ohnehin für jedermann offenkundig und bedarf daher keines besonderen Schutzes, für manches ist „Diskre- tion", also eine nur mehr oder we- niger taktvolle Zurückhaltung und keine unbedingte Verschwiegen- heit, ausreichend. Es unterliegt im übrigen dem gesellschaftlichen Konsens, was als schutzwürdiges Geheimnis angesehen werden muß und was lediglich der Diskre- tion bedarf, jedermann zugänglich sein kann und was sogar öffent- lich erörtert werden muß. Auf die- sem Gebiet vollzieht sich aller- dings ein steter Wandel. Allge- meingültige, wertfreie und zeitlose Bestimmungen darüber gibt es nicht. Es stellt sich für manche sogar die Frage, ob in einer „voll- informierten" Gesellschaft über- haupt noch Geheimnisse zu ak- zeptieren sind. Dies paßt dann mit dem mehr oder weniger negativen Beiklang zusammen, die manche dem Wort „PRIVAT" unterlegen —

PRIVAT, was im Ursprungssinn heißt: das der Öffentlichkeit, der Herrschaft Beraubte. Öffentlich- keit und Staat dagegen werden dem Privaten gegenüber als be- sonders positiv dargestellt. Er- staunlich nur, wie sich derartiger Staatspositivismus mit der oft gleichzeitig zur Schau getragenen Staatsverdrossenheit verträgt.

Ebenso erstaunlich ist, wie Zentra- lisationen, Kartellabsprachen und Monopole in der Wirtschaft oder die Einführung von Personen- kennziffern in der Öffentlichkeit lautstark abgelehnt werden. Im Gesundheitswesen und damit in einem urpersönlichen Lebens- und Freiheitsbereich jedes einzel- nen Menschen soll die Forderung nach Datenzentralisation in Ein- heitsversicherungen, also nach In- formations- und Herrschaftsmo- nopolen, dagegen besonders

„fortschrittlich" sein.

Technik eröffnet

ungeahnte Möglichkeiten

Über eine Reihe von Krankheiten wird heute in der Öffentlichkeit völlig unbefangen gesprochen.

Krebs ist dafür ein herausragen- des Beispiel. Sollen aber die Be- mühungen zur besseren Integra- tion der Kranken in die Gesell- schaft dadurch erneut in Gefahr gebracht werden, daß mit einem engen Netz von Meldepflichten nach Auflösung von „Krüppelhei- men" und „Irrenhäusern" kranke Menschen nunmehr in „Datenkäfi- gen" gefangen werden?

Veränderungen in der Einstellung darüber, was als „sensibel" zu be- zeichnen ist, hängen sicher mit der ebenso lautstarken wie häufig oberflächlichen Information zu- sammen. Die Nachrichten- und Datenflut führt durch Inflationie- rung zur Entwertung von Einzel- merkmalen und läßt das Interesse daran sinken.

Es geht aber nicht nur darum, was künftig als sensibel und damit als schutzwürdig zu betrachten ist.

Die Normierung und Zentralisie-

rung von Informationen, die tech- nischen Möglichkeiten des Daten- verbundes und der mit Mikropro- zessoren außerordentlich schnell und vielfältig vorzunehmenden Datenverarbeitung eröffnen gera- dezu schwindelerregende neue Möglichkeiten. Sie können einer- seits zweifellos zur Verwaltungs- vereinfachung und zur Steigerung von Effizienz und Effektivität füh- ren, ebenso zu Fortschritten in der Forschung durch Aufdeckung ver- flochtener statistischer Korrelatio- nen oder anderer Zusammenhän- ge. Andererseits gibt es leider ne- ben legaler Nutzung von Daten- sammlungen auch immer unbe- rechtigte Zugriffsmöglichkeiten auf die neue Technik. Weil mit technischen Mitteln Mißbrauch von gespeicherten Daten nicht zu verhindern ist, sind die aus Gedan- kenlosigkeit oder Böswilligkeit entstehenden Gefahren in allen Dimensionen kaum zu übersehen.

Auch ohne Mißbrauchsabsichten können schon die Speicherung personenbezogener Daten und die Möglichkeit ihrer Zusammenfüh- rung nach vorher gar nicht zu überschauenden Gesichtspunkten Nachteile und Gefahren für alle von Computern Erfaßten herauf- beschwören. Ursprünglich harm- lose, offenkundige Informationen können nach Zusammenführung und „Aufbereitung" Schlüsse er- geben, die für den Betroffenen im besten Fall nur unangenehm sind.

Wenn aber erst einmal alle erfaßt sind, ist es trotz aller Bemühungen um Anonymisierung der Daten technisch möglich, Personenbe- züge ohne Schwierigkeiten wie- derherzustellen. So könnte zwar die Durchnumerierung der Ge- samtbevölkerung die Anonymisie- rung sichern; die Folge wäre eine namenlose Gesellschaft von Per- sonen- oder Sozialkennziffern!

Entpersonalisierung durch seelen- lose Maschinen erfolgt anderer- seits auch dann, wenn Wertung und Abwägung unterschiedlicher Rechtsgüter unter Einbeziehung aller individuellen Gegebenheiten nötig sind. Der Computer hat näm- Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 25 vom 25. Juni 1982 67

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Ärztliche Schweigepflicht

lich kein „Gewissen". Er kann dar- um nicht „gewissenhaft" jedem einzelnen „gerecht" werden. Ei- nen kleinen Vorgeschmack darauf geben die bitteren Erfahrungen mit maschinell ausgewerteten Multiple-choice-Examina.

Datenverarbeitungsmaschinen können nicht „vergessen", nicht selbsttätig Korrekturen einmal ge- speicherter Irrtümer oder falscher Befunde vornehmen und nicht aus Fehlern lernen. Nach dem Daten- schutzgesetz besteht zwar ein Rechtsanspruch, auf Antrag not- wendige Korrekturen vorzuneh- men, doch wie soll man überhaupt wissen, was alles gespeichert ist und welche Folgerungen daraus schon gezogen sind? Wenn das tatsächlich zu ermitteln wäre, müßten die mit Korrekturen und Löschungen verbundenen techni- schen Schwierigkeiten überwun- den werden — ein von der Menge her wohl aussichtsloses Unterfan- gen. Wer einmal erfaßt ist, hat kei- ne Chance, sich je zu ändern, ein

„neues Leben anzufangen". Er wird immer wieder mit allen „Ju- gendsünden" und darüber hinaus mit allen Fehl- und Kurzschlüssen des Computers konfrontiert und entsprechend behandelt werden.

Rechte auf Wahrung von Indivi- dualität und Persönlichkeit, auf Schutz der Intimsphäre und des Privatlebens sowie das Recht des Patienten auf Verschwiegenheit des Arztes und damit die ärztliche Schweigepflicht sind jedoch nicht nur durch elektronische Datenver- arbeitung gefährdet. Datenverar- beitung ist zwar ein wichtiger, aber doch nur ein Teilaspekt der außerordentlich vielseitigen, kom- plexen Schweigepflichtproblema- tik. Das wird aus folgenden Bei- spielen deutlich.

Die mit der Entwicklung der Medi- zin verbundene Spezialisierung hat Auswirkungen auf die ärztliche Schweigepflicht. Die Behandlung eines Patienten ist oftmals nicht mehr durch einen einzigen Arzt möglich, der den Patienten und seine Familie seit langem kennt,

um seine Arbeit, seine Einstellung zum Leben und vieles andere mehr weiß. Es müssen vielmehr gleichzeitig oder nacheinander weitere, dem Patienten bislang un- bekannte Ärzte mit unterschiedli- chen Spezialkenntnissen tätig werden. Zu ihnen muß der Patient Vertrauen fassen, sich ihnen an- vertrauen. Sie alle erfahren sehr unterschiedliche Dinge, die der Patient geheimzuhalten wünscht.

Schweigepflicht gilt für jeden Arzt

Wenn die ärztliche Schweige- pflicht auch im Verhältnis eines Arztes zu anderen grundsätzlich beachtet werden muß, so kann bei der Behandlung eines Patienten in der Regel davon ausgegangen werden, daß der Patient im Inter- esse eines raschen Heilerfolges die Information auch des anderen mitbehandelnden Arztes je nach den sich aus Diagnostik und The- rapie ergebenden Notwendigkei- ten wünscht und dazu sein Einver- ständnis gibt. Andererseits sind bei der Behandlung eines Patien- ten durch mehrere Ärzte Geheim- nisse denkbar, die der Patient bei nur einem Arzt gewahrt wissen möchte, sei es, daß diese Dinge für die Behandlung durch andere be- langlos sind, sei es aber auch, daß er sich wegen einer besonderen Vertrauensbeziehung nur einem Arzt über bestimmte Dinge öffnet oder nur dieser Arzt von bestimm- ten Dingen Kenntnis erlangt ha- ben kann. Dabei ist von den Ärzten die Schweigepflicht unabhängig davon zu beachten, ob der Patient durch Ärzte in freier Praxis, durch angestellte oder beamtete Ärzte im Krankenhaus, in Betrieben oder Behörden und Verwaltungen betreut wird.

Dies ist von seiten der Ärzte üb- licherweise ohne Schwierigkeiten möglich, weil sie alle unabhängig von ihrem Tätigkeitsort, von ihrer Dienststellung und der Art ihrer Vergütung dem Patienten als Arzt begegnen und auf der anderen Seite der Patient zu Recht erwar- tet, daß er sich in erster Linie zu

einem Arzt begibt und sich ihm anvertraut. Denn den Patienten in- teressieren nicht die institutionel- len Vereinbarungen, die der Arzt mit Arbeitgebern oder Diensther- ren über seine Arbeitsbedingun- gen und Vergütungen getroffen hat. Der Patient sucht ja den Arzt, von dem er Hilfe erwartet und dem er sich deshalb anvertrauen muß.

Er weiß um die ärztliche Schwei- gepflicht und nimmt zu Recht an, daß jeder Arzt die Verpflichtung beachtet.

Auch wegen räumlicher Unzuläng- lichkeiten können bei der Einhal- tung der Schweigepflicht erhebli- che Schwierigkeiten entstehen. In Untersuchungs-, Behandlungs-, Warteräumen und Mehrbettzim- mern gibt es oftmals keine Mög- lichkeit für ein ungestörtes, von Mithörern freies Gespräch. Beson- dere Räume stehen dafür häufig nicht zur Verfügung, oder sie sind zum Beispiel wegen mangelnder Schallisolierung — lediglich durch Leichtbauwände, Vorhänge oder Wandschirme abgetrennt — dafür ungeeignet. Auf Fluren und bei großen Visiten sowie bei der Aus- bildung von Medizinstudenten und der Anleitung noch nicht ge- nügend berufserfahrener Ärzte können Lücken in der Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht entstehen. Sie sind trotz guten Willens und intensiver Bemühun- gen von Ärzten allein häufig nicht zu schließen. Denn sie sind nicht selten Ergebnisse in Beton gegos- sener Planungsmängel und Fehl- entscheidungen.

Auf erhebliche Bedenken und Wi- derstände der Ärzteschaft muß die zunehmende Tendenz vorgesetz- ter Verwaltungspersonen oder In- stitutionen stoßen, Einsicht in ärztliche Aufzeichnungen zu ver- langen. Zur Berechnung von Über- stunden oder Bereitschaftsdien- sten durch Personalabteilun- gen, Hochschulverwaltungen oder kommunale Personalämter sollen z. B. nicht nur die geleisteten Ar- beitsstunden aufgezeichnet, son- dern aus „Kontrollgründen" auch die Namen der Patienten, ihre Dia-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Ärztliche Schweigepflicht

gnose sowie Zahl und Art der ärzt- lichen Leistungen gemeldet wer- den. Bei Ärzten im werksärztlichen Dienst oder in Justizvollzugsan- stalten wird Einsichtnahme oder Mitteilung aller Befunde verlangt, obwohl die Wiedergabe eines wer- tenden Ergebnisses für den Zweck ausreichend wäre. Arbeitgebern oder Betriebsräten ist doch in der Regel ebensowenig eine eigene Bewertung ärztlicher Befunde oder die Beurteilung der Dring- lichkeit ärztlicher Behandlungs- maßnahmen möglich wie Justizbe- hörden. Wozu hätten sie sich sonst der Mitarbeit ärztlichen Sachverstandes versichert?

Auch wenn Krankenhausträger die Herausgabe sämtlicher ärztlicher Aufzeichnungen verlangen, weil Patienten Ansprüche geltend ma- chen, berührt dies die ärztliche Schweigepflicht. Durch das In- krafttreten des Staatshaftungsge- setzes am 1. Januar 1982 könnten sich Länder und Gemeinden als Krankenhausträger noch häufiger als bisher um ärztliche Unterlagen über Patienten bemühen. Der Pa- tient muß jedoch auch dann in je- dem Fall dazu sein Einverständnis erklären.

Nur er selbst kann beurteilen, wel- che dem Arzt bekannt geworde- nen Einzelheiten über ihn auch dem Kuratorium, dem städtischen Krankenhausausschuß und damit vielleicht einer breiten Öffentlich- keit mitgeteilt werden dürfen und welche nicht. Der Patient hat sich auch im Krankenhaus einem Arzt anvertraut und keiner Behörde, deren komplizierte Kompetenzver- ästelungen er ohnehin kaum über- sehen kann. Die Ärzteschaft wird sich deshalb im Interesse aller Pa- tienten gegen derartige Praktiken zur Wehr setzen.

Auskunftsersuchen von Polizei- dienststellen, zum Beispiel über alle Personen, die sich während einer bestimmten Zeit im Zusam- menhang mit Demonstrationen oder ähnlichem in ärztliche Be- handlung begeben haben, und die Angabe der bei diesen Patienten

festgestellten Diagnosen dürfen grundsätzlich ebenfalls nicht be- antwortet werden. Das auch dann nicht, wenn der Arzt unter Druck gesetzt oder ihm sogar ein Verfah- ren wegen des „Verdachts der Strafvereitelung" angedroht wird, wie dies erst kürzlich geschah. Le- diglich bei ausdrücklicher anderer rechtlicher Regelung, im Interesse höherwertiger Rechtsgüter oder mit Einverständnis des Patienten darf anders verfahren werden.

Ebenso wird der Arzt bei Un- glücksfällen und anderen Notsi- tuationen zu Recht davon ausge- hen können, daß der Patient die Benachrichtigung seiner Angehö- rigen über seinen Verbleib durch Dritte erwartet. Doch auch dann sind Mitteilungen über die genaue Art der Verletzungen zu unterlas- sen. Polizeipressestellen unterlie- gen nämlich nicht der ärztlichen Schweigepflicht.

Arzt muß

gewissenhaft prüfen

Die dem Arzt obliegende Rechts- güterabwägung zwischen den In- teressen des einzelnen und denen der Gesellschaft ist ihm nur für bestimmte Tatbestände durch den Gesetzgeber abgenommen und durch Meldepflichten — bei Seu- chen und Geschlechtskrankheiten

— gesetzlich geregelt. Ebenso sind in der gesetzlichen Krankenversi- cherung Auskunftsrechte festge- legt. Doch trotz gesetzlicher oder vertraglicher Auskunftspflichten kann das Gewissen bei sorgfälti- ger Rechtsgüterabwägung zu ei- nem anderen Handeln zwingen. In derartigen Fällen muß natürlich der Patient, der eine Auskunft nicht wünscht und ausdrücklich untersagt, oder auch der Arzt, der eine Meldung aus Gewissensgrün- den nicht beantworten kann, die daraus möglicherweise resultie- renden Folgen in Kauf nehmen.

Weitergehende Melderechte oder Meldepflichten sind im Interesse des einzelnen Menschen und zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von der Ärzteschaft immer abge- lehnt worden. Mit guten Gründen

werden die Ärzte auch in Zukunft Bestrebungen zur Einführung im- mer weitergehender Meldepflich- ten entgegentreten. Wenn der Pa- tient aus Angst vor Meldungen den Arzt gar nicht erst um Rat zu fragen wagt, könnten unbedingt notwendige Behandlungen ver- säumt werden. Bei verantwor- tungsbewußter Abwägung aller Umstände müssen die Interessen des Patienten gegenüber den An- sprüchen der Gesellschaft mit Si- cherheit immer dann überwiegen, wenn mit der konsequenten Ein- haltung der ärztlichen Schweige- pflicht keine Gefahren für die Ge- meinschaft oder andere Personen verbunden sind. Und daß sich eine Mehrheit von Gesunden aus nicht immer in erster Linie am Wohle des Patienten orientierten Grün- den über die ihr häufig gar nicht bekannten Befürchtungen und Ängste von Kranken hinwegsetzt, sollten nicht nur Ärzte, son- dern alle verantwortungsbewuß- ten Staatsbürger gemeinsam ver- hindern.

Erhebliche Bedenken müssen auch gegen Pläne angemeldet werden, flächendeckende Krebs- register einzurichten und ihnen al- le Tumorfälle namentlich zu mel- den. Selbstverständlich ist die Ärz- teschaft dringend daran interes- siert, möglichst rasch die Ursa- chen dieser Krankheit ebenso wie die vieler anderer aufzuklären und wirksame Behandlungsmethoden zu entwickeln oder noch besser von vornherein das Entstehen von Krankheiten zu vermeiden. Doch angesichts der. Notwendigkeit epi- demiologischer Forschung, die vielleicht zur Klärung beitragen könnte, dürfen grundlegende Per- sönlichkeitsrechte nicht dem ebenfalls grundgesetzlich garan- tierten Recht auf Freiheit der For- schung untergeordnet werden, ganz davon abgesehen, daß hier Freiheit von staatlicher oder son- stiger Reglementierung gemeint war, nicht die Freiheit, sich im Na- men der Wissenschaft über per- sönliche Grundrechte hinwegset- zen zu dürfen. Wie in einem Schreiben des Bundesministe- Ausgabe A/B DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 25 vom 25. Juni 1982 71

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Ärztliche Schweigepflicht

riums für Jugend, Familie und Ge- sundheit an die GesundMitsmini- ster und Senatoren der Länder zur Begründung für das Muster eines Gesetzes über ein Krebsregister vom 8. Februar 1982 zu lesen ist, geht es aber genau um diesen Grundsatzkonflikt. Bereits die Konferenz der für das Gesund- heitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder (GMK) am 19. und 20. März 1980 hatte die Einrichtung von Krebsregistern für erforderlich gehalten und auf die Notwendigkeit der Erfassung personenbezogener Daten hinge- wiesen. Hauptziele des vorgeleg- ten Mustergesetzentwurfes sind, die „Belange des Datenschutzes und die ärztliche Schweigepflicht in Einklang zu bringen mit den Er- fordernissen der epidemiologi- schen Forschung". Obwohl es schon bei den Vorarbeiten nicht gelungen ist, alle Auffassungen in Einklang zu bringen, soll jetzt mit Mehrheitsbeschlüssen versucht werden, die grundgesetzlich ge- schützten Persönlichkeitsrechte der betroffenen Patienten der Not- wendigkeit der Krebsbekämpfung oder der Freiheit der Forschung nachzuordnen. Die Persönlich- keitsrechte der Patienten müssen und können hierbei aber meines Erachtens unbedingt gewahrt blei- ben. Krebsbekämpfung und Krebsforschung ist bei entspre- chender Organisation und Rück- fragemöglichkeit bei den die not- wendigen Daten und Befunde mit- teilenden Ärzten auch mit anony- misierten Daten ohne Verletzung der Schweigepflichten möglich.

Wenn man sich vorstellt, daß für die Krebsentstehung außer den bislang schon vermuteten oder er- mittelten Faktoren auch psychi- sche Ursachen diskutiert werden, könnte ein personenbezogenes Krebsregister vielleicht sogar Mel- depflichten von Ärger oder von Zufriedenheit am Arbeitsplatz oder in der Familie und Freizeit erforderlich erscheinen lassen.

Und nach der Totalerfassung zu- nächst aller Kranken folgt später vielleicht die der noch Gesunden, um das Umfeld der Kranken zu

erfassen oder Erkrankungen aus- lösende oder begünstigende Fak- toren zu erkennen? Der Schritt zu Reglementierungen aller Art bei erkanntem „Fehlverhalten" wäre dann nicht mehr weit. Weitere Krankheiten werden folgen, deren ursächliche Klärung tatsächlich ebenso dringlich ist oder im Inter- esse der Forschung, der Gesell- schaft, der Politik oder aus Ko- stengründen als durch Namens- meldung untersuchungsbedürftig dargestellt werden. Man denke nur an Rheuma, Diabetes, Herz- und Gefäßkrankheiten, Bluthoch- druck, Stoffwechselleiden oder

„Verschleißkrankheiten". Keiner der immer als mündig bezeichne- ten Bürger könnte sich den einmal

„freigelassenen" Erfassungsgelü- sten entziehen.

Orwells Visionen:

Die Totalerfassung

Die bei den Krankenkassen zu er- richtenden „Mitgliederverzeich- nisse", in denen nach den Vorstel- lungen des Bundesarbeitsministe- riums alle Diagnosen, Behand- lungsmaßnahmen, Krankheitsfälle usw. gespeichert werden sollen, und die Möglichkeit des Datenver- bundes zu Einwohnermeldeäm- tern, Finanzbehörden, Steuer- oder Kraftverkehrsämtern würden jeden Versuch des Entrinnens von vornherein aussichtslos machen.

Es bestehen wohl kaum Zweifel, daß derartige Totalerfassungen und Totalentblößungen des Bür- gers mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sind. Die Orwell- schen Visionen für das Jahr 1984 würden durch die Diktatur der Computer in einem „totalitären Datenstaat" weit übertroffen!

Bereits 1969 hat sich das Bundes- verfassungsgericht mit dem Pro- blem von „Erfassungen" beschäf- tigt und in den Beschlußgründen vom 16. Juli 1969 ausgeführt: „Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen. Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch

nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Be- standsaufnahme in jeder Bezie- hung zugänglich ist. Ein solches Eindringen in den Persönlichkeits- bereich durch eine umfassende Einsichtnahme in die persönli- chen Verhältnisse seiner Bürger ist dem Staat auch deshalb ver- sagt, weil dem einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum' verbleiben muß, in dem er ,sich selbst besitzt' und ,in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt' (Wintrich, die Probleme der Grundrechte, 1957, 15 f.). In diesen Bereich kann der Staat unter Umständen bereits durch eine — wenn auch bewer- tungsneutrale — Einsichtnahme eingreifen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den psy- chischen Druck öffentlicher An- teilnahme zu hemmen vermag."

Bei einer Reihe von „Forschungs- vorhaben", zum Beispiel aus dem

„Programm der Bundesregierung zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dienst der Ge- sundheit", zur Entstehung von Herz- und Kreislaufkrankheiten, zur Entwicklung der Gesundheits- versorgung für ältere Personen oder aus dem Modellprogramm zur Reform der Versorgung im psychiatrischen und psychothera- peutisch/psychosomatischen Be- reich und bei den dazu entwickel- ten umfangreichen Fragebögen sind mehr als ernste Zweifel ange- bracht, ob sich solche Forschung mit der ärztlichen Schweigepflicht vereinbaren läßt. Wenn man im Forschungsauftrag des Bundesar- beitsministeriums zum Thema

„Untersuchungen zur Schichten- spezifität der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und der Krankheitsverläufe in der sozialen Krankenversicherung" liest, daß 72 Heft 25 vom 25. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Ärztliche Schweigepflicht

fehlende Auskünfte durch „Haus- besuche" eingeholt werden sol- len, weil „in mündlicher Befra- gung hohe Antwortbereitschaft ohne Sanktionen erreicht werden kann", kann man sich vorstellen, wohin der Weg führt. Diese For- schungsmethodik ist sicher nicht geeignet, wissenschaftlich ein- wandfreie Ergebnisse zu erbrin- gen. Mit angeblich sozialempiri- scher Forschung wird vielmehr Meinung durch Umfrage zu „Fak- ten" umgeschmolzen! Ideologisch begründete politische Zielvorga- ben werden so durch „For- schungsprogramme" pseudowis- senschaftlich „untermauert".

Grenzen der Forschung

Derartige Versuche sind nicht neu.

Sie waren schon im antiken Grie- chenland zu Zeiten des Hippokra- tes bekannt. Was sonst hätte So- krates als Zeitgenossen des Hip- pokrates veranlassen können, im- mer wieder hartnäckig nach der Wahrheit zu fragen, um Scheinar- gumente zu entlarven. Und mit Recht hat dazu der Bundespräsi- dent, Prof. Carstens, in seiner Festansprache aus Anlaß des 450jährigen Bestehens des alten Gymnasiums zu Bremen — seiner alten Schule — im November 1978 ausgeführt: „Es gibt keine schär- fere Absage an jede Art von Ideo- logie als die sokratische Philoso- phie. Mir scheint, daß auch unsere Zeit diese Skepsis gegenüber The- sen und Lehren, die im Mantel der Wissenschaft einhergehen, drin- gend braucht: Bei allen großarti- gen Ergebnissen, die wir der Wis- senschaft verdanken, laufen wir doch zunehmend Gefahr, uns von wissenschaftlich präsentierten Thesen benebeln und in unserem Urteil irremachen zu lassen."

Fortschritt resultiert selbstver- ständlich immer aus dem Über- schreiten vorher scheinbar end- gültiger Grenzen, aus dem Mut, Neues, Unerprobtes zu wagen.

Dennoch scheint sich die Entwick- lung in bestimmten Bereichen

Grenzen zu nähern. Aus humanitä- ren und ethischen Überlegungen muß daher gefragt werden, ob tat- sächlich alles gemacht werden darf, was wissenschaftlich und technisch möglich ist. Forschung darf sich gerade in der Medizin nicht allein vom Ehrgeiz des For- schers leiten lassen und kranke Menschen als „Patientengut" zu Arbeits- und Versuchsmaterial ma- chen oder sie als der eigenen Kar- riere förderliche „Werkstücke" be- trachten.

Forschung ist natürlich zur Gestal- tung und Sicherung der Zukunft lebensnotwendig, darüber besteht bei Ärzten kein Zweifel. Ebenso zweifelsfrei muß sich besonders epidemiologische Forschung der Möglichkeiten moderner elektro- nischer Datenverarbeitung bedie- nen können. Dabei muß allerdings das Interesse des Patienten auf Verschwiegenheit berücksichtigt werden. Schon 1981 haben wis- senschaftlicher Beirat und Vor- stand der Bundesärztekammer

„Empfehlungen zur Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht bei der Verarbeitung personenbezo- gener Daten in der medizinischen Forschung" verabschiedet. Dieser 85. Deutsche Ärztetag wird auf breiter Basis das Thema „Daten- schutz und Schweigepflicht" erör- tern. Ein dazu erarbeiteter Ent- schließungsentwurf wird von Herrn Osterwald ausführlich erläu- tert und begründet werden. Die von den 250 Delegierten als ge- wählten Vertretern der über 171 000 deutschen Ärzte zu bera- tende und zu verabschiedende Stellungnahme soll jedem Arzt als Entscheidungshilfe dienen kön- nen. Falls dann noch Zweifelsfra- gen bleiben, ist auch für den Be- reich der medizinischen For- schung mit Hilfe der elektroni- schen Datenverarbeitung die Bil- dung von Ethik-Kommissionen zu erwägen, analog den Kommissio- nen, die die Ärzteschaft für Fragen der biomedizinischen Forschung auf der Grundlage der Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki aus dem Jahre 1964 und Tokio aus dem Jahre 1975 gebildet hat.

Gleichzeitig könnte damit eine weitere Deklaration des Weltärzte- bundes aus dem Jahre 1981 in Lis- sabon berücksichtigt werden, in der Grundrechte für die Patienten festgelegt sind. Es heißt dort:

„Der Patient hat das Recht, von einem Arzt behandelt zu werden, der seine klinischen und ethi- schen Entscheidungen frei und ohne Einfluß von außen treffen kann." Und weiter: „Der Patient hat das Recht zu erwarten, daß der Arzt über seine medizinischen und persönlichen Daten Schweigen bewahrt."

Kritisches Hinterfragen

Forschungsansätze und For- schungsergebnisse dürfen also nicht kritiklos und ohne exakte Überprüfung zur Grundlage ärztli- chen oder politischen Handelns gemacht werden. Der Arzt darf sein Gewissen nicht damit beruhi- gen, daß er auf gesetzlicher Grundlage das Recht oder sogar die Pflicht hat, unter Hintergehung des Vertrauens des Patienten auf Verschwiegenheit die ärztliche Schweigepflicht zu brechen. Bei allen Gesetzesvorhaben ist kri- tisch zu fragen, ob sie mit den im Grundgesetz verankerten Grund- rechten, insbesondere den Per- sönlichkeitsrechten zu vereinba- ren sind und ob gesetzliche Rege- lungen sich an ethischen Normen messen lassen können. Denn we- der geltende Gesetze noch beab- sichtigte Neuregelungen bewirken eine Lösung des Regelungsberei- ches aus den durch die Ethik ge- setzten Grenzen.

Perfektionistische Gesetze und ih- re praktische Handhabung bewir- ken dagegen oftmals lediglich einen „Verantwortungsverlage- rungsmechanismus". Es wird da- mit entweder eine Kriminalisie- rung Ertappter bewirkt, oder es werden denjenigen Scheinargu- mente geliefert, die nicht willens oder in der Lage sind, sich an jahr- hundertelang bewährte ethische Grundnormen zu halten. Beides Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 25 vom 25. Juni 1982 75

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Ärztliche Schweigepflicht

muß auch bei allem Streben nach Gerechtigkeit und Justitiabilität vermieden werden.

Ärztetag: Kein Tribunal kontra EDV

Sicher ist es kein Zufall, daß sich der Deutsche Ärztetag 1952 nach dem Wiederaufbau der ärztlichen Selbstverwaltung nach dem tota- len Zusammenbruch von 1945 und der vorangegangenen schreckli- chen Mißachtung menschlichen Lebens und ethischer Grundwerte ausführlich gerade mit dem The- ma „Ärztliche Schweigepflicht"

auseinandergesetzt hat. Die Auf- fassung der Ärzteschaft wurde nach einem Grundsatzreferat des damaligen Präsidenten, Prof. Dr.

Neuffer, in einer Entschließung niedergelegt. Ein Kernpunkt die- ser Entschließung lautet: „Auf der ärztlichen Schweigepflicht grün- det sich das Vertrauen zwischen dem Arzt und seinen Kranken. Nur wenn dieses gegenseitige Vertrau- en unverbrüchlich gewahrt bleibt, ist die Voraussetzung für eine er- folgreiche Behandlung gegeben."

Das gilt trotz oder gerade wegen des seitdem eingetretenen wissen- schaftlichen und technischen Fortschrittes ebenso unverändert wie in mehr als 2000 Jahren zuvor.

Ich bin sicher, daß auch der 85.

Deutsche Ärztetag bei seinen Be- ratungen zum Thema „Daten- schutz in der ärztlichen Praxis"

sich des Vertrauens würdig erwei- sen wird, das die Mehrheit der Pa- tienten auch heute zu ihren Ärzten hat.

Der Deutsche Ärztetag versteht sich dabei nicht als Tribunal zur

Verdammung der elektronischen Datenverarbeitung. Er will viel- mehr Regeln erarbeiten, damit auch bei Nutzung all dieser techni- schen Möglichkeiten die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.

Nur dann wird auch die revolutio- näre Technik der elektronischen Datenverarbeitung ethische Grundnormen ärztlichen Han- delns nicht erschüttern können. ❑

BEKANNTMACHUNGEN

Kassenärztliche Bundesvereinigung

Änderung der Anlage 5 des Bundesmantelvertrages — Ärzte

Durch Beschlußfassung des Be- wertungsausschusses nach § 368 1 Abs. 8 RVO am 8. Juni 1982 ist die Anlage 5 des Bundesmantelvertra- ges — Ärzte und damit der BMÄ '78 mit Wirkung ab 1. Juli 1982 wie folgt geändert worden:

Änderung der Leistungslegende der Nr.

4a:

4a Beratung an Samstagen ab 12 Uhr, auch mittels Fernsprecher. . 114 Punkte

Streichung der Nr. 1797 aus dem Kata- log zu Nr. 102 und Einfügung in den Katalog zu Nr. 100:

Die Nr. 1797 wird aus dem Katalog zu Nr.

102 gestrichen und in den Katalog zu Nr.

100 aufgenommen.

Änderung der Präambel zu Kapitel C IV.

— Kontrastmitteleinbringungen

Die zur Einbringung des Kontrastmittels erforderlichen Maßnahmen wie Gefäßka- theterismus, Injektionen, Punktionen, Präparationen, Sondierungen sowie ggf.

die Entfernung des Kontrastmittels gehö- ren zum Inhalt der Leistungen hach den Nrn. 340 bis 372, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Einführung der Nr. 372:

372 Einbringung des Kontrastmittels in ein oder mehrere Wirbelgelenk(e)

330 Punkte

Änderung der Leistungslegenden der Nrn. 491 und 494:

491 Infiltrationsanästhesie großer Bezir- ke, auch ein- oder beidseitige Paracervi- kal-Anästhesie 121 Punkte

494 Leitungsanästhesie, endoneural, auch ein- oder beidseitige Pudendus-An-

ästhesie 121 Punkte

Einführung der Nr. 519:

519 Schulung und Anleitung eines Anus- praeter-Patienten zur Darmentleerung mit der Irrigator-Methode . . 160 Punkte

Einführung der Nr. 524:

524 Massage(n) zur Aknebehandlung 45 Punkte

Änderungen im Kapitel F — innere Medi- zin, Kinder, Haut:

603 Bestimmung des Atemwegwider- standes (Resistance) nach der Oszilla- tionsmethode oder der Verschlußdruck- methode, ggf. einschl. Phasenwinkelbe- stimmung und ggf. einschl. fortlaufender Registrierung 90 Punkte 604 Bestimmung des Atemwegwider- standes (Resistance) nach der Oszilla- tionsmethode oder der Verschlußdruck- methode vor und nach Applikation phar- makodynamisch wirksamer Substanzen einschl. Kosten, ggf. einschl. Phasenwin- kelbestimmung und ggf. einschl. fortlau- fender Registrierung 160 Punkte 605 Spirographische Untersuchung mit Bestimmung von mindestens

Vitalkapazität,

Vitalkapazität bei forcierter Ausatmung, absoluter Sekundenkapazität,

relativer Sekundenkapazität,

Atemstromstärken im Bereich unter- schiedlicher Lungenvolumina

mit Dokumentation (graphische Regi- strierung oder Ausdruck bei digitaler An-

zeige) 200 Punkte

606 Spiroergometrische Untersuchung (einschl. vorausgegangener Ruhespiro- graphie), ggf. einschl. Oxymetrie

379 Punkte 608 Spirographische Teiluntersuchung (z. B. Vitalkapazität, Atemstoßtest), ins-

gesamt 76 Punkte

609 Bestimmung der absoluten und rela- tiven Sekundenkapazität vor und nach Inhalation pharmakodynamisch wirksa- mer Substanzen, einschl. Kosten

181 Punkte 610 Ganzkörperplethysmographische Bestimmung des intrathorakalen Gasvo- lumens und des Atemwegwiderstandes (Resistance), ggf. mit Bestimmung der Lungendurchblutung . . . . 580 Punkte 612 Ganzkörperplethysmographische Bestimmung des intrathorakalen Gasvo- lumens und des Atemwegwiderstandes (Resistance), vor und nach Applikation pharmakodynamisch wirksamer Sub- stanzen einschl. Kosten, ggf. mit Bestim- mung der Lungendurchblutung

725 Punkte

Einführung der Nrn. 885, 886 und 887:

885 Eingehende psychiatrische Untersu- chung bei Kindern oder Jugendlichen

76 Heft 25 vom 25. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A/B

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