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Archiv "Burn-out bei Ärzten: „Die schlimmste Zeit meines Lebens“" (13.02.2009)

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A292 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 7⏐⏐13. Februar 2009

T H E M E N D E R Z E I T

D

er Druck steigt. Unmerklich, aber stetig. Mehr als 15 lan- ge Jahre funktioniert Saskia P. wie ein gut geöltes Rädchen im Getrie- be. Alles läuft scheinbar wie ge- schmiert: Mit 43 Jahren ist sie eine erfolgreiche und angesehene Ärztin, die sich die schönen Dinge im Le- ben leisten kann. Dinge, die sie blenden und ablenken. Die sie nicht spüren lassen, welch hohen Preis sie für ihren immensen Ehrgeiz bezahlt.

Sie schuftet und schuftet, nimmt sich letztlich selbst kaum noch wahr. Bis irgendwann nur noch Schmerzen zu ihr durchdringen.

Mal ist es der Bauch, mal der Kopf, der Rücken oder die Beine. Manch- mal unterbricht sie die Sprechstun- de mittendrin, weil sie Panik kriegt und den Patientenstrom nicht mehr bewältigen kann. Trotzdem arbeitet sie mehr als zehn Stunden täglich.

Als liefe sie in einem Hamsterrad.

Dann, an einem Montag im April 2005, stirbt völlig unerwartet ihr jüngerer Bruder. Herzinfarkt, mit 41 Jahren. Saskia P., Fachärztin für In- nere Medizin, spezialisiert auf Kar- diologie und Angiologie, erlebt mit, wie der Notarzt versucht, ihren Bru- der wiederzubeleben. Vergeblich.

Dieser Tag verändert ihr Leben.

Wieso konnte sie ihm nicht helfen – sie, die Expertin in Sachen Herz?

Schuld und Scham türmen sich in ihr auf, stürzen sie in einen inneren Strudel, der sie immer tiefer in die Verzweiflung treibt. Dass der Tod des Bruders gewissermaßen ihr ei- genes Leben rettet, bis zu dieser un- geheuerlichen Erkenntnis wird es noch einige Monate dauern.

Doch die Uhr tickt. Immer öfter schmerzt das Herz, oder es rast.

Zweimal ruft sie den Notarzt, weil auch sie einen Herzinfarkt fürchtet.

„Das war mir unglaublich peinlich“,

sagt sie leise. Schließlich lebt sie in einer thüringischen Kleinstadt, ist eine bekannte Ärztin am Ort. Die ei- gene Verwundbarkeit vor den Kolle- gen in der Klinik offenzulegen, be- schämt sie. Sie lässt ein Belastungs- EKG machen und später auch ein Computertomogramm von ihrem Herzen. Nichts, kein Befund.

Die Zeit war ein Albtraum Das Herzrasen hört jedoch nicht auf.

Trotzdem hält Saskia P. den Praxis- betrieb monatelang aufrecht. An guten Tagen schafft sie vor Jahres- ende vielleicht noch zehn bis 15 Pa- tienten. Als Weihnachten vor der Tür steht, verkrampft sich das Herz erneut. Sie fürchtet diese gefühlsbe- tonten Tage. Im Januar 2006 geht gar nichts mehr: „Ich habe nur noch im Bett gelegen, zwischen Panik und Depression geschwankt. Die Praxis hat mich genauso angekotzt wie mein Beruf. Nie wieder wollte ich als Ärztin arbeiten.“

Für den Ehemann ist diese Zeit ein Albtraum. Wie ein Häufchen Elend liegt sie im Bett, tagein tag- aus. Bis er ihr eines Abends, nach fast einem Monat, unmissverständ- lich sagt, dass es so nicht mehr wei- tergeht, dass sie Hilfe braucht, weil sie es allein nicht schafft. „Er hat mir sprichwörtlich die Pistole auf die Brust gesetzt. Ich habe plötzlich gespürt, dass auch er nicht mehr kann und unsere Ehe auf dem Spiel steht“, erinnert sie sich. Drei Tage später lässt sie sich ins „Gezeiten Haus“ aufnehmen, eine psychoso- matische Klinik im Rheinland. „Mit der Ankunft dort beginnt mein zwei- tes Leben“, so die Ärztin.

„Werden beruflich stark überlas- tete Ärzte plötzlich mit dem Tod ei- nes nahestehenden Menschen kon- frontiert, kippen sie oft um“, erklärt Manfred Nelting, Ärztlicher Direk- tor des Gezeiten Hauses. Die große BURN-OUT BEI ÄRZTEN

„Die schlimmste Zeit meines Lebens“

Ausgebrannte Ärzte scheuen oft davor zurück, rechtzeitig Hilfe zu suchen.

Angst und Scham verhindern es.

Sind Ärzte stärker als andere gefährdet, an Burn-out zu er- kranken?

Bohn:Diesen Trend gibt es in allen Gesundheitsberufen. Burn- out, Depression, Suchterkran- kungen und Suizid treten in die- ser Gruppe überdurchschnittlich häufig auf. Das idealisierte Selbstbild lässt Hilfe oft nicht zu.

Für mich ist Burn-out allerdings ein klares Zeichen dafür, dass das ganze System nicht funktio- niert. Der Einzelne ist für sich verantwortlich. Aber der Arbeit- geber hat auch eine Fürsorge- pflicht. Auf dem Papier wird be- triebliches Gesundheitsmanage-

ment zwar oft groß geschrieben.

Am Arbeitsplatz herrscht jedoch nicht selten ein Klima, das die Überlastung bagatellisiert oder sogar heroisiert. Der Umgang unter Kollegen spielt hier eine zentrale Rolle.

Wie können Kollegen Betroffenen helfen?

Bohn:Indem sie ein ruhiges und offenes Gespräch mit der betroffenen Person suchen.

Vertraulichkeit ist dabei obers- tes Gebot. Es ist wichtig, Inter- esse an der Zusammenarbeit zu bekunden und die geleistete Arbeit wertzuschätzen. Aber

auch, die wahrgenommene Ver- änderung klar zu benennen und mögliche Risiken aufzuzeigen.

Oft wirkt es entlastend, die ei- genen Belastbarkeitsgrenzen anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Was sollten Kollegen vermeiden?

Bohn:Der betroffenen Person das Gefühl zu vermitteln, über- flüssig zu sein. Sätze wie: „Wir schaffen das schon ohne dich“, wirken nur verstärkend. Es hilft auch nicht, Fehler zu vertuschen oder Symptome zu verharmlo- sen. Das rächt sich meist.

3 FRAGEN AN…

Marion Bohn, Leiterin Krisendienst Berlin-Nord, Ärztin und Supervisorin

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T H E M E N D E R Z E I T

innere Abwehr des eigenen Todes, die Scham darüber zu sprechen und das tabuisierte Eingeständnis, wo- möglich selbst krank zu sein, treibe seiner Ansicht nach viele Ärzte in den Burn-out. Manchmal auch in die Sucht oder in den Suizid, wie Studien längst belegen.

Nelting kennt all die äußeren Gründe, die Ärzte in den Burn-out treiben: der Zeit- und Konkurrenz- druck, die Wissensexplosion, die Grenzen des ärztlichen Handelns, die hohe Verantwortung für die Pati- enten, der Verwaltungsaufwand, die Fremdbestimmung, das starre Sys- tem. Doch wer nur auf andere schielt, verliert sich selbst leicht aus dem Blick. Und genau da sieht Nel- ting ein großes Problem: „Die sozia- le, emotionale und kommunikative Kompetenz ist bei vielen nicht be- sonders ausgeprägt“, resümiert er.

„Die jungen Ärzte werden in der Krankenhausarbeit beinahe militä- risch gedrillt, es zählt nur die Leis- tung. Wer durch diese harte Schule geht, lernt nicht, sich selbst wahr- zunehmen, sich mitzuteilen oder Grenzen zu setzen. Der knickt nicht ein, der drückt höchstens weg und arbeitet weiter.“

Hinzu kommt: Was in psychoso- zialen Berufen seit Langem Routine ist, wird von den meisten Medizi- nern geschmäht. „Keiner meiner Ärztepatienten hatte eine Supervisi- on oder ließ sich coachen. Und Ba- lint-Gruppen – na ja, die sind toll, aber immer nur für die anderen.

Wer’s braucht . . . !“, so Nelting la- konisch. Dabei wirken all diese An- gebote vorbeugend bei Burn-out.

Prophylaxe aber gilt, wenn über- haupt, nur für die Patienten. Die meisten Ärzte rümpfen bei diesem Thema die Nase und wehren ab.

„Selbst Balint hat den bedrohlichen Geruch des Psychischen“, weiß der Facharzt und fährt fort: „Die Kon- frontation mit sich selbst gehört si- cher zu den schwierigsten Heraus- forderungen im Leben.“

„Als Schulmedizinerin habe ich mich nie damit beschäftigt, dass Körper, Geist und Seele im Gleich- gewicht sein müssen. Dass der Kör- per Symptome zeigt, wenn die Seele krank ist und die sich nicht einfach mit Pillen heilen lässt“, sagt die

Fachärztin Saskia P. „Die ersten drei Wochen in der Klinik waren die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich habe an allem gezweifelt: an meiner Ehe, meinem Beruf, meinem Leben, an mir selbst. Und dann diese Angst zu sterben, vielleicht Krebs zu krie- gen, die Panikattacken . . .“ Doch die Körperarbeit in der Klinik, die Ein-

zel- und Gruppengespräche lösen ihre inneren Blockaden auf, setzen neue Energie frei. Sie beginnt, über sich zu sprechen, achtsam mit sich zu sein, sich nach Grenzen und Freiräumen zu sehnen.

Nicht zum früheren Leben zurück

Heute arbeitet sie wieder als Fach- ärztin für Innere Medizin, bildet sich fort in traditioneller chinesi- scher Medizin. Ihren Job macht sie wieder gern. Allerdings nicht mehr als Kassenärztin. „Ich will keine Dreiminutenmedizin mehr, will mit meinen Patienten in Kontakt sein und Zeit für sie haben.“ Während sie früher bis zu 1 200 Patienten im Quartal durchgeschleust hat, sind es heute um die 600. Die Ärztekolle- gen in der thüringischen Kleinstadt beäugen ihren Wandel derweil eher skeptisch bis ablehnend. Kaum ei- ner überweist ihr Patienten. Kon- kurrenz, Neid, Abwehr? Saskia P.

hebt ratlos die Schultern. Ob ihr neues Praxiskonzept aufgehen wird, bleibt noch eine Weile ungewiss. Ei- nes weiß sie jedoch ganz sicher: „Zu meinem früheren Leben will ich nie wieder zurück.“

Auch Chefarzt Manfred Nelting erlebt bei Burn-out-Vorträgen vor Ärzten häufig, wie schnell sich die Mediziner in ihr Schneckenhaus zurückziehen. Auf die Frage, wie er sich selbst vor Burn-out schütze, er- zählt er von seiner intakten Ehe, sei- nen Kindern und Freunden. „Meine Antwort enttäuscht viele. Denn sie selbst haben zu ihrem nahen Umfeld

bereits den Kontakt verloren. Da- bei sind erfüllende Beziehungen die beste Energiequelle“, so Nelting.

Oder er berichtet davon, wie er im- mer wieder versucht, sich eigene Schwächen einzugestehen. Doch dieser Weg ist vielen zu heikel. Lie- ber machen sie weiter und brechen irgendwann zusammen.

„Ich musste auf die Schnauze fal- len“, erklärt Saskia P. energisch.

„Von keinem Kollegen und von kei- nem Ehemann . . . Eine Freundin hat mir mal gesagt: ,Wenn du nichts änderst, wirst du als alte, verbitterte Schrumpel enden.’ Das wollte ich aber nicht hören, ich habe mich von ihr abgewandt.“

Nelting bestätigt, dass die meis- ten Ärzte viel zu spät in die Klinik kommen. Gleichwohl glaubt er an einen baldigen Wandel: „Burn-out bei Ärzten verbreitet sich wie ein Flächenbrand. Noch spricht kaum jemand offen darüber. Doch was wie Granit aussieht, wird bröckeln.

Zu viele sind am Limit.“ n Petra Meyer

LITERATUR

1. Beschoner P, Braun M: Das Burnout- Syndrom bei Ärzten in Deutschland. Ein Überblick mit Fokus auf die Psychiatrie.

Nervenheilkunde 2007; 26: 125–33.

2. Maslach C, Jackson SE: Maslach Burnout Inventory Manual. 2ndEd. Palo Alto:

Consulting Psychologists Press 1986.

3. Wegner R, Kostova P, Poschadel B, Baur X:

Weniger Stunden, mehr Arbeit. Arbeitsbelas- tung und Beanspruchung von Hamburger Krankenhausärzten. Hamburger Ärzteblatt 2007; 11: 515–8

4. Braun M, Schönfeldt-Lecuona C, Kessler H, Beck J, Beschoner P, Freudenmann RW:

Burnout, Depression und Substanzgebrauch bei deutschen Psychiatern und Nervenärzten.

Nervenheilkunde 2008; 27: 800–4.

Auswahl privater Burn-out-Kliniken www.caduceus.de

www.gezeitenhaus.de www.heiligenfeld.org www.oberbergklinik.de www.privatklinik-zwischenahn.de www.systelios.de

Ich habe nur noch im Bett gelegen, zwischen Panik und Depression geschwankt.

Die Praxis hat mich genauso angekotzt wie mein Beruf.

Saskia P., Fachärztin für Innere Medizin

Referenzen

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