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Archiv "Bedrohliche Konsequenzen in den chirurgischen Fächern: Endlich angekommen?" (16.08.2002)

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Academic year: 2022

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Im gegenwärtig an der MHH ent- wickelten Leitbild, das für alle (!) Mit- arbeiter Geltung haben soll, heißt es zum Leitsatz „Wir arbeiten miteinan- der und füreinander an unseren Zie- len“, „Die Zusammenarbeit ist vertrau- ensvoll und von gegenseitiger Anerken- nung und Wertschätzung geprägt . . . “,

„Ein respektvoller, offener und ehrli- cher Umgang zeichnet uns aus“ sowie

„Wir unterstützen die Vereinbarkeit von beruflichen, familiären und priva- ten Zielen“.

Tatsächlich schrumpft die Identifika- tion mit dem Beruf, den Führungsfigu- ren und den Arbeitgebern allerorten – und damit sinkt die Zahl derjenigen, die sich in Deutschland für diesen trotz al- lem schönen und wertvollen Beruf ent- scheiden.

Im Alleingang, so viel ist offensicht- lich, werden auch die Besten diese Pro- bleme nicht bewältigen können. Wir werden daher versuchen, gemeinsam mit den chirurgischen Kollegen in einen konstruktiven Dialog zu treten, um auch auf universitärer Ebene geset- zeskonforme Arbeitsorganisationsmo- delle zu etablieren.

Carsten Hafer, Thomas Weihkopf,Zentrum Innere Medizin,André Schrauder,Zentrum Kinderheilkunde, Humangenetik und Dermatologie,Heiner Ruschulte, Zentrum Anästhesiologie,Mathias Borsutzky, Marti- na Brack, Zentrum Psychologische Medizin, Bernd Haubitz, Stefan Baus,Zentrum Radiologie, MHH, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover

Mehr Kollegialität

Es gibt offensichtlich genügend Kolle- gen, die an einer gewollten Realitäts- störung hinsichtlich des Arbeitsalltags am Krankenhaus leiden – eigentlich lei- den sollten! Nicht die gesetzlichen Rege- lungen bezüglich der Arbeitszeit und de- ren Einhaltung sind der Grund für die Probleme der angestellten Ärzte und der von ihnen versorgten Patienten, son- dern das Verhältnis der Ärzte unterein- ander in einer überholten, arbeits- und menschenfeindlichen Krankenhaushier- archie. Aus eigener Erfahrung an einer deutschen chirurgischen Universitätskli- nik weiß ich, dass das Gros der Patien- tenversorgung und Studentenausbil- dung (die im Artikel bejammert wird) auf die jüngsten Kollegen abgewälzt wird, während Fach-, Ober- und Chefärz-

te zum großen Teil in medizinischen „Ni- schen“ fernab der Patientenversorgung an der Karriere basteln und mit unsagba- rer Überheblichkeit und Arroganz sich zu für das zukünftige Gesundheitssy- stem essenziellen Themen äußern, dass ei- nem die Haare zu Berge stehen. Und das unter Gebrauch eines bedrohlichen Po- pulismus mit falschen Horrorszenarien bezüglich der Patientenversorgung wie im Artikel der Kollegen aus Hannover.

Wer wie ich erlebt hat, wie Patienten an einer deutschen chirurgischen Univer- sitätsklinik von Kollegen zum Teil „ver- sorgt“ werden und wie Vorgesetzte mit Assistenzärzten umspringen, die nicht auf Kommando parieren und bei deren wissenschaftlicher Karriere „mithelfen“, der erkennt früh, worin das eigentliche Problem liegt!

Mit mehr Kollegialität im Kranken- haus und Bewältigung der Patientenver- sorgung durch alle beziehungsweise kein Vorrang von Forschung und damit ärztli- chem Egoismus vor Patientenversor- gung und Lehre gäbe es kein Problem mit der Umsetzung der gesetzlichen Be- stimmungen im Krankenhaus.

Dr. med. Markus Nowakowski, Gundertweg 9, 75365 Calw

Endlich angekommen?

Wann Sie „abgeflogen“ sind, geehrte Kollegen der akademischen, univer- sitären Chirurgie der MHH Hannover, bleibt unklar. Dass Sie „angekommen“

sind, beweist Ihr Beitrag im DÄ, in dem viel Richtiges steht, zu dem aber etli- ches klarzustellen bleibt; möglicherwei- se sind Sie mit einem Piloten geflogen, der seine höchstzulässige tägliche Flug- zeit längst überschritten hat und darum sein Flugziel ziemlich deutlich verfehlt und eine möglicherweise desaströse

„Bruchlandung“ nur knapp verhindert hat. Seit 1996, als das Arbeitszeitgesetz (AZG) für die Krankenhäuser Gültig- keit erlangte, mühten sich viele Ärzte, zahlreiche Ärztetage und auch der Marburger Bund, auf die „bedrohlichen Konsequenzen“, allerdings für alle Kli- nischen Fächer, hinweisend. Nicht die

„rigorose und unkritische Umsetzung des AZG (wo fand dies denn überhaupt statt?) erzeugt einen . . . Ausbeutungs- mechanismus mit zahlreichen Implika-

tionen . . .“, sondern die Tatsache, dass der Gesetzgeber nahezu zeitgleich mit dem AZG die Budgetierung der Ausga- ben für die Krankenhäuser gesetzlich und auf dem Weg der Verordnung fest- schrieb und damit allen Kliniken die (personal-)wirtschaftlichen Grundla- gen zur Umsetzung des AZG entzog.

Die Situation in den Versorgungskran- kenhäusern zeigte sich dabei als noch viel bedrohlicher, da für sie kaum Mög- lichkeiten bestanden wie in univer- sitären Einrichtungen, durch Drittmit- telstellen oder Forschungsmittel perso- nelle Engpässe auszugleichen.

Ihre Erklärung, mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten zu wollen und den permanenten Gesetzesverstoß auch noch vergütet haben zu wollen, erinnert an den Slogan: „Freie Fahrt für freie Bürger mit Autos ab 250 PS aufwärts“.

Wie schlecht müssen die Arbeitsbedin- gungen eigentlich noch werden, wie hoch kann der Druck auf ärztliche Mit- arbeiter eigentlich noch ansteigen, bis unisono alle Krankenhausärzte der Po- litik, den Kostenträgern und den Kran- kenhausträgern ein klares „Stopp“,

„Nein“ oder „Halt“ entgegensetzen?

Alle Appelle mit Hinweisen auf das ärztliche Ethos (manchmal missbräuch- lich verwandt, da geht’s nur um Karrie- re und Geld), auf Motivation, auf die Qualität der Weiter- und Fortbildung, auf entmenschlichte, „entseelte“ Medi- zin, auf den „Tod auf der Warteliste“ ha- ben nichts gebracht, sind vielmehr oft dazu missbraucht worden, unzumutba- re Arbeitsbedingungen, die sich nicht nur am AZG festmachen lassen, zu ze- mentieren. Diese zynisch anmutende Ausbeutung ärztlicher Arbeitskraft (Sie bezeichnen es als „Leistungsbereit- schaft und Motivation“) ist längst be- kannt und setzt sich bis in jüngste Zeit fort, wie die Einführung von DRG und des Fallpauschalengesetzes beweist.

Was bedeuten denn in Ihrer Klinik die gesetzlich zugesagten 0,2 Prozent Bud- getsteigerungen für 2002/2003, die nur dann beansprucht werden können, wenn das AZG vor Ort völlig umgesetzt und weitere Einsparungen in 2003 er- zielt werden?

Natürlich haben Sie Recht mit Ihrer Befürchtung, dass die „Patientenver- sorgung beeinträchtigt“ wird, oder wenn Sie vom „Gefühl des Verlassen- T H E M E N D E R Z E I T

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seins beim Patienten“ sprechen, nur ist das alles nicht gerade neu. Wer von uns hat andererseits denn schon mal Patien- ten beim Einsatz für bessere Arbeitsbe- dingungen, Arbeitszeiten für ihre Ärzte erlebt? Machen wir es doch anderen Berufsgruppen nach: Nehmen wir doch einmal unseren „Altruismus“, unser ärztliches Ethos zurück, den uns viele eh schon nicht mehr so recht abnehmen (wir brauchen’s ja nicht völlig beiseite zu legen), und fordern wir ganz einfach für uns, im eigenen Interesse, mit Rück- sicht auf unsere Familien bessere Ar- beitsbedingungen und Arbeitszeiten, bessere Vergütungen und Weiterbil- dungsmöglichkeiten usw.

Wir sind uns in vielem einig, um nur einige Punkte aufzuzählen: Unser Beruf muss wieder Freude machen, Leistungs- bereitschaft und Motivation müssen wieder gefördert werden, die Patienten müssen sich wieder auf uns und unsere Qualifikation „verlassen“ können, die Vergütung muss im gesellschaftlichen Kontext angemessen sein, und wir brau- chen Rahmenbedingungen, in denen wir Arbeitsbedingungen selbst gestal- ten und Arbeitszeiten unseren Bedürf- nissen und den lokalen Anforderungen entsprechend gestalten können. Was wir nicht wollen können, ist, dass wir uns (freiwillig?) außerhalb des gesetzli- chen Rahmens stellen; denn damit wer- den wir erpressbar. Aber wir können versuchen, durch unsere Einflussnahme die gesetzlichen Rahmenbedingungen in unserem Sinne zu verbessern.

In diesem Sinne freut sich der Mar- burger Bund bis hin zum Landesver- band Bayern künftig auf Ihre aktive Mitarbeit.

Dr. Christoph Emminger,

Vorsitzender des Marburger Bundes, Landesverband Bay- ern, Bavariaring 42, 80336 München

Haarsträubender Unsinn

Durch die Reduzierung der Arbeitszeit auf die gesetzlich zulässigen 48 Stunden steigt die Arbeitbelastung der Ärzte ins Unermessliche, weil Sie die bisher in 70 bis 80 Stunden geleistete Arbeit zukünftig in etwa der halben Zeit erle- digen müssen. Diese Meinung vertritt Herr Dr. med. Harald Schrem in seinem Artikel.Welch ein haarsträubender Un-

sinn! Wenn es möglich wäre, die gleiche Arbeit in diesem Bruchteil der Zeit zu erledigen, so hätten die Ärzte dieses si- cherlich getan und die gewonnenen 22 bis 32 Stunden pro Woche lieber mit ih- rer Familie verbracht. Die konsequente Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes bringt sicher keine weitere Konzentra- tion der Arbeit (denn die ist gar nicht mehr möglich), sondern eine längst überfällige Entlastung der Ärzte von unmenschlichen Arbeitsbedingungen und einen Schutz der Patienten vor den Fehlern völlig übermüdeter Chirurgen.

Wie kann es aber sein, dass sich die gewählten Assistentenvertreter der MHH laut Dr. Schrem für längere Ar- beitszeiten einsetzen? Wer die „norma- le“ Arbeitsbelastung der Assistenzärzte kennt, für den muss diese Feststellung mehr als absurd klingen. Auch für solch unverständliches Verhalten gibt es natürlich plausible Erklärungen. Was derzeit durch den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und durch das Ar- beitszeit-Urteil des Europäischen Ge- richtshofes passiert, wird gravierende Umwälzungen zur Folge haben, die zum Teil schon angefangen haben.

Bei solch umfangreichen Verände- rungen gibt es natürlich neben den Ge- winnern (den bisher ausgebeuteten Ärzten) auch Verlierer. Das werden vor allem wohl die Krankenhausträger und Chefärzte sein, die sich wohl von der lieb gewonnenen Gewohnheit verab- schieden müssen, Assistenzärzte und AiPler als eine moderne Art von Skla- ven auszubeuten. Schon jetzt ist die Trendwende in der Marktsituation deutlich zu spüren.

Vor drei oder vier Jahren wäre ein AiP, der bei seinem Einstellungsge- spräch mehr als die üblichen rund 2 000 DM gefordert hätte, sicher ausgelacht worden. Vor einigen Monaten hörte ich dagegen zum ersten Mal von einem AiP, der in Deutschland nach drei Mo- naten ein volles Assistentengehalt be- kommen hat. Mittlerweile sind schon viele Stellenangebote zu sehen, die übertarifliche Bezahlung anbieten.

Dieser Trend wird sich mit der zuneh- menden Umsetzung der gesetzlichen Arbeitsschutzbestimmungen rasant ver- stärken, da immer weniger Ärzte für die erforderlichen Neueinstellungen bereitstehen. Trotzdem besteht kein

Grund zur Panik, dass die neuen Stel- len nun gar nicht mehr besetzt werden können. Wenn wieder menschenwürdi- ge Arbeitsbedingungen für junge Me- diziner geschaffen werden, wird der ho- he Prozentsatz derer, die wie ich nach erfolgreichem Studium der deutschen Medizin den Rücken zugekehrt haben, wieder zurückgehen . . .

Heiko Siebert,

Prinz-Eugen-Straße 11, 79102 Freiburg

Bemerkenswerte Kreativität

Die Kreativität, mit welcher in Hanno- ver versucht wird, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Chirurgi- schen Universitätskliniken zu erwirken, ist bemerkenswert. Die Ansätze sind durchaus interessant und diskussions- würdig. Warum nennen sie aber das Kind nicht beim Namen? Dieses Ge- druckse, dass durch eine Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes die Forschungslei- stung abnehme und die Identifikation mit den beruflichen Erwartungen auf- gegeben werde, entbehrt doch jeder Realität. So ist es doch beispielsweise kaum glaubwürdig, dass die Mitarbeiter der Chirurgischen Kliniken der MHH nach 70 oder 80 Stunden nach Hause gehen und sich anschließend voller Kraft und Tatendrang der Wissenschaft widmen, während Kollegen, die 48 Stunden arbeiten, zu Hause keine Zeit mehr für die Forschung finden.

Es geht um etwas anderes! Es ist die schlechte Bezahlung der ärztlichen Tätigkeit, die gerade in den Kliniken ja fast ausnahmslos durch die Zahl der ge- leisteten Überstunden beziehungsweise Dienststunden aufgewertet wird. Hier besteht dringend Handlungsbedarf. Hier haben die ärztlichen Standesvertreter in den zurückliegenden Jahren vollständig versagt! Gerade im universitären Be- reich mit den zusätzlichen hohen Anfor- derungen an die Forschungsleistung ist ein Umdenken unumgänglich. Es ist nicht mehr zeitgemäß, nach anstrengen- den 12-Stunden-Tagen zu Hause vor dem Computer irgendwelche Statistiken hin und her zu drehen, bis sich irgend- welche nichtigen Signifikanzen ergeben.

Die Neuregelung der ärztlichen Arbeits- zeit, die zweifellos früher oder später kommen wird, bietet gerade an den Uni- T H E M E N D E R Z E I T

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versitäten die einzigartige Chance, end- lich auch die wissenschaftliche Tätigkeit zeitlich zu erfassen und adäquat zu ver- güten. Gerade mit einer klaren und auch vom zeitlichen Arbeitsrahmen vertret- baren Lösung zur Forschungstätigkeit könnten viele Ärzte und hier besonders wohl auch Ärztinnen gewonnen werden, welche sich angesichts der unzumutba- ren Arbeitszeitbelastung trotz Interesses bislang nicht an die Universitäten trau- ten. Denn wer kennt sie nicht, die Kom- militoninnen, die immer alles wussten und sich schließlich nach Studienab- schluss, trotz wissenschaftlichen Talents und Interesses, in die Kreiskrankenhäu- ser verzogen? Die Einrichtung von Ar- beitszeitkorridoren, welche ausschließ- lich für die wissenschaftliche Tätigkeit genutzt werden dürfen, wäre eine denk- bare Lösung . . .

Dr. med. Joachim Oertel,

Klinik für Neurochirurgie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Ferdinand-Sauerbruch-Straße 8, 17487 Greifswald

Cui bono?

Die Äußerung der vier Assistenzärzte der MHH verdiente es wenigstens, den Leitern der Staatlichen Ämter für Ar- beitsschutz in allen Bundeländern zur Kenntnis gebracht zu werden. Hinter der Fassade einer scheinbar sachlich- kritischen Auseinandersetzung blitzt hier eine merkwürdige Mischung aus Larmoyanz (wir dürfen nicht so viel arbeiten, wie wir wollen; „Mehrarbeit“

wird „kriminalisiert“; in der For- schung können wir nicht mehr kon- kurrieren), pharisäischem Altruismus (wer Patienten helfen will, darf keine festgelegte Arbeitszeit haben), Rea- litätsblindheit (wer gezwungen wird, nur 48 Stunden zu arbeiten, wird aus- gebeutet, wer hingegen 80 Wochen- stunden arbeiten muss, wird nicht aus- gebeutet) und Horrorszenarios auf (wenn Chirurgen nur 48 Stunden ar- beiten, wächst der „Tod auf der Warte- liste“).

Es ist ein Skandal, dass die Verwal- tung der MHH – und in dieser Verwal- tung sind außer Nicht-Medizinern, die gewinnorientiert wirtschaften, auch Mediziner tätig – von dem zuständigen Staatlichen Amt für Arbeitsschutz un- ter Androhung von Bußgeldern ge-

zwungen werden muss, das Arbeits- zeitgesetz endlich umzusetzen. Dass das Urteil des Europäischen Gerichts- hofes, der Prozess vor dem Bundesar- beitsgericht in Erfurt und die vielen Urteile von Arbeitsgerichten, die sich gegen eine zum Teil nicht bezahlte Ar- beitszeit von 70 bis 80 Wochenstunden (das nämlich ist „Ausbeutung“) ausge- sprochen und Klinikverwaltungen ge- zwungen haben, „humane“ Arbeits- zeiten einzuhalten, zur Abwanderung von Patientenströmen ins Ausland führen werde, ist eine absurde Be- hauptung. In Anbetracht einer solch undifferenzierten oder nur an falscher Stelle differenzierenden Initiative stellt sich laut und offen die Frage

„Cui bono?“. Die eigentliche Lösung, von der alle sprechen, nämlich die Ein- stellung weiterer Ärzte, wird in nur ei- nem kurzen Satz erwähnt, gleichzeitig aber als „unrealistisch“ verworfen – und zwar wegen der Arbeitsmarktsi- tuation, die aber wohl primär durch die in der Vergangenheit entstandenen Ausbeutungsmechanismen beeinflusst worden ist.

Dr. H. Scholz,

Viktoriastraße 7, 44575 Castrop-Rauxel

Gratulation

Als Leiter einer universitären Abtei- lung für Herz-, Thorax-, Gefäßchirurgie in den neuen Bundesländern kann ich den Autoren des Artikels nur herzlich gratulieren, dass sie im Umfeld der zu- nehmenden Diskussion um das Arbeits- zeitgesetz auf ein schwieriges Problem in der universitären Medizin, und zwar insbesondere in den chirurgischen Fä- chern aufmerksam gemacht haben.

Wir unterstützen den aus Hanno- ver gemachten Vorstoß nachhaltig, da nur durch ihn eine Basis geschaffen wird, das Problem ansatzweise zu lö- sen. Sollte der Gesetzgeber keine Sonderregelung im Sinne des vorge- stellten Vorschlages für die Univer- sitätskliniken schaffen, so wird es zu einer nachhaltigen Verschlechterung der Patientenversorgung kommen, der Qualität in der Forschung als auch der Stellung von Deutschland im Rah- men der Spitzenmedizin, wie der Transplantationschirurgie.

Kein anderes Berufsumfeld, in dem Höchstleistungen erbracht werden, ist derart limitiert, wie es die engagierten jungen Ärzte und Oberärzte in einer Universitätsklinik sind, die in der Grau- zone von inadäquater Bezahlung und Fehlverhalten gemäß den gängigen ge- gebenen gesetzlichen Auflagen arbeiten müssen. Hoch qualifizierte Medizin, so wie sie derzeit an den Universitätsklini- ken erbracht wird, hat ihren Preis, kostet personengebundene Zeit und bedingt einen weiten Hintergrund von Rahmen- bedingungen, wie sie in dem Artikel be- schrieben werden. In diesem Sinne kann man es dem Gesetzgeber nur dringend anraten, dass eine Sonderregelung ge- schaffen wird, oder man verabschiedet sich in der Bundesrepublik von einer hochleistungsfähigen Medizin, so wie sie derzeit unter kaschierten Bedingungen noch aufrechterhalten wird.

Diese Situation ist gerade in den neu- en Bundesländern noch dadurch aggra- viert, dass hier nur 90 % der Westbezah- lung für Ärzte gezahlt wird, obwohl 40 Stunden Basis-Wochenarbeitszeit er- bracht werden müssen. Somit ist die Si- tuation eines Arztes in den neuen Bun- desländern sowohl unter Zeitgesichts- punkten als auch unter finanziellen Ge- sichtspunkten deutlich schlechter. Der Gesundheitsstatus der Patienten ist aber oftmals reduzierter und erfordert hiermit einen deutlich höheren Einsatz der Ärzteschaft, um eine gleichwertige Versorgungssituation zu erzielen.

Dies wird belegt durch Untersuchun- gen von Herrn Dr. Bruckenberger (Konferenz der Leitenden Ministerial- beamten), dass gerade die Situation in den neuen Bundesländern dahinge- hend charakterisiert ist, dass die Patien- tenklientel im Vergleich zu den westli- chen Bundesländern ausgeprägter krank ist. Nachweislich besteht eine höhere Inzidenz von koronarer Herz- krankheit, Myokardinfarkten sowie Nebenerkrankungen, gerade bei den zu operierenden Patienten in der Herz-, Thorax-, Gefäßchirurgie.

Ein weiterer Punkt, der in der Ar- beitszeitdiskussion außer Acht gelassen wird, ist der der patientenbezogenen Verantwortlichkeit, der gerade in der Chirurgie eine besondere Bedeutung hat. Jeder, der schon einmal Patient ge- wesen ist, weiß, dass man in der Situati- T H E M E N D E R Z E I T

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on seiner Krankheit – und gerade auch einer Herzkrankheit – seinen Arzt am Krankenbett haben möchte, so lange, bis man wieder gesund ist. Darüber hinaus möchte man von einem hoch qualifizier- ten Operateur versorgt werden, der die- se Operation mit einem hohen Erfah- rungsrückhalt durchführt. Verkoppelt ist dies mit dem Wunsch, dass die Opera- tionstechnik dem internationalen Stan- dard entspricht und zeitgerecht durch- geführt wird. Die operateursbezogene Verantwortlichkeit, so wie wir sie als chirurgische Lehrer noch erfahren ha- ben, kann und wird es in Zukunft nicht mehr geben. Das Arbeitszeitgesetz kon- terkariert den Ansatz der individuali- sierten Betreuung in allen Aspekten, denn die auch in meiner Abteilung willi- gen und engagierten Ärzte dürfen nicht arbeiten. Außerdem wird ihr Berufsbild durch die limitierte Bezahlung, die gera- de in den östlichen Bundesländern nur durch Überstunden und Dienste finan- ziell gegenkompensiert werden kann, in seiner Perspektive der gesellschaftli- chen Anerkennung relativiert.

Damit sind leistungsbereite Ärzte und Oberärzte gerade an Universitäts- kliniken besonders benachteiligt, und zwar im Vergleich zu engagierten jun- gen Menschen in anderen Berufsfel- dern, in denen ein gesetzlich unlimitier- ter Einsatz möglich ist, wie dem Ma- nagement, der Wirtschaft, Ärzte in der Niederlassung etc.

Zusammenfassend müssen wir als Gesellschaft definieren, ob wir unseren Anspruch an Versorgung durch Univer- sitätskliniken zurücknehmen wollen und ob wir durch die derzeit gegebenen Limitationen in die – international ge- sehen – akademische Mittelmäßigkeit abrutschen wollen oder Sonderregelun- gen schaffen für Ausnahmebereiche, in denen Ausnahmeleistungen erbracht werden.

Prof. Dr. Th. Wahlers,

Klinik für Chirurgie, Klinikum der Friedrich-Schiller-Uni- versität, Bachstraße 18, 07740 Jena

Rückschritt

Ohne Zweifel wird in Universitätsklini- ken unter anderen Bedingungen als in kleineren Häusern gearbeitet, was sich ja auch regelmäßig in überdurchschnitt-

lich guter personeller Besetzung in die- sen Abteilungen widerspiegelt. Bei al- lem Verständnis für die Abhängigkeits- verhältnisse der nach Habilitation stre- benden „akademischen“ Chirurgenkol- legen empfinde ich die Darstellung der Autoren als einen bedauernswerten Rückschritt in die gänzlich falsche Richtung. Endlich findet eine Diskussi- on über adäquate Arbeitsbedingungen für Ärzte statt, endlich hat man zumin- dest ansatzweise das Gefühl einer stei- genden Solidarisierung der jungen Ärz- tegeneration für bessere Arbeitsbedin- gungen, da treten die Universitätskolle- gen an die Öffentlichkeit und fordern wieder längere Arbeitszeiten. Dass nun schon die Ärzteschaft selber faden- scheinige Zusammenhänge zwischen einer Normalisierung der ärztlichen Ar- beitszeiten in den Kliniken und Horror- Szenarien wie verspäteten Krebsopera- tionen und Transplantationswartelisten herstellt, wird Arbeitgeber und Kran- kenkassen in Verzückung versetzen.

Auch die Sorge vor einer „Stechuhr- mentalität mit zeitlich begrenzten Zu- ständigkeiten und folgendem Gefühl des Verlassenseins der Patienten“ ist überzogen. Keiner fordert ernsthaft die regelhafte Ablösung von Operateuren während einer Operation. Ob aller- dings „Indikationsstellung, Operation und postoperative Nachsorge“ in der heutigen Zeit durch denselben Arzt er- folgen muss, ist mehr als fragwürdig.

Gerade an Universitätskliniken ist auf- grund der hohen Assistentenzahl und zahlreichen Nebentätigkeiten wie Kongressbesuchen, Forschung, Lehre u. ä. eine kontinuierliche Betreuung durch einen Arzt doch ohnehin die Aus- nahme. Die Forderung nach verbesser- ter Grund- und Überstundenvergütung bei allerdings geregelter Arbeitszeit ist selbstverständlich zu unterstützen und die einzige Möglichkeit, die Attrakti- vität des Arbeitsplatzes Krankenhaus zu steigern.

Auch nach intensiver Auseinander- setzung mit diesem Artikel ist mir wei- terhin nicht klar, was die Kollegen da- mit bewirken wollten. Es bleibt zu hof- fen, dass es sie zumindest bezüglich ih- rer Habilitationsabsichten an der MHH vorangebracht hat.

Dr. med. Tim Hülskamp,

Eimsbütteler Straße 100 b, 22769 Hamburg

Keine Überstunden, sondern mehr Ärzte

Die Missstände im Krankenhaus hin- sichtlich der ärztlichen Arbeitszeit werden vom Verfasser zutreffend be- schrieben, jedoch werden die falschen Konsequenzen gefordert!

Es ist unsinnig und polemisch, den Patienten ein Horrorszenario mit dro- hendem Vorenthalten notwendiger medizinischer Versorgung – den so ge- nannten Tod auf Raten – darzustellen, nein, das Problem muss an der Wurzel angepackt werden. Hierzu gehören nicht längere Arbeitszeiten für über- arbeitete Ärzte, sondern eine Verbes- serung der Arbeits- und Ausbildungs- bedingungen im Krankenhaus! Die so gesteigerte Attraktivität würde wieder mehr Kollegen in die Akutmedizin streben lassen. Wir brauchen keine Überstunden, sondern mehr Ärzte, so- dass endlich wieder mehr Zeit für die notwendige Ausbildung bleibt. Außer- dem ist dringend eine Säuberung des ärztlichen Aufgabenbereiches von nichtärztlichen und bürokratischen Tätigkeiten anzustreben, da ein durch- schnittlicher Assistenzarzt heutzutage fast den größten Teil des Tages mit Verwaltungs- und PC-Arbeit ver- bringt und diese ärztliche Zeit dem Patienten verloren geht! Warum gibt es in Deutschland keine hauptamtli- chen Verschlüssler wie in Australien?

Auch die Ausbildungs- und Organi- sationskompetenz der Chefärzte muss in diesem Zusammenhang kritisch be- leuchtet werden, da das altherge- brachte Chefarztsystem in Anbetracht des Wandels im Gesundheitssystem nicht mehr zeitgemäß ist, weil den Chefärzten häufig die erforderliche Ausbildung und Zeit fehlt.

Dr. med. Christian Weithe, Schwarze Heide 36, 31199 Barienrode T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 33½½½½16. August 2002 AA2173

Internet-Forum „48 + 12“

Der Beitrag „Bedrohliche Konsequenzen in den chirur- gischen Fächern“ von Dr. med. Harald Schrem et al.

hat eine Fülle von Leserbriefen ausgelöst, von denen eine Auswahl in diesem Heft veröffentlicht wird. Um dem Leser einen Überblick über sämtliche Zuschriften zu geben, hat sich die Redaktion entschlossen, ein In- ternet-Forum „48 + 12“ einzurichten. Unter www.

aerzteblatt.de, Rubrik „Foren“ laden wir ein, die Dis- kussion fortzusetzen. Den Autoren werden wir ab- schließend Gelegenheit zu einem Schlusswort geben.

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