Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4431. Oktober 2003 AA2859
B R I E F E
Medizin in der Krise
Zu dem Beitrag „Gedankenlose Ärzte – sprachlose Patienten“ von Harald Kamps in Heft 37/2003:
Deutlich Finger in die Wunde gelegt
Der Beitrag von Harald Kamps legt deutlich den Fin- ger in die Wunden unseres kranken Gesundheitssystems;
er gehört mit zum Besten, was ich in der letzten Zeit auch über (Un-)Sinn und Ziel(-lo- sigkeit) der Medizin gelesen habe. Die Un-Früchte der Fehlentwicklung sind zahl- reich; Aporie, Ratlosigkeit zur Finanzierbarkeit, ist nur eine Folge von vielen.
Solange unser Tun von Leitli- nien, Überlebensraten, NNTs bestimmt werden muss, die ju- ristische Implikation jeder un- serer Entscheidung uns an die Fersen geschmiedet ist, wird sich an der „Defensiv-Medi- zin“ mit Myriaden von Befun- den, aber ohne Sinn, nichts än- dern können. Ab welcher NNT soll eine lebenserhalten- de Therapie verzichtbar sein?
Ab welcher Risikoreduktion ist teuerste Medikation (CSE- Hemmer, Heparin, Clopido- grel . . .) gerechtfertigt? Soli- darische Fürsorge pervertiert in omnipräsente Vergewalti- gung, die Entwicklung führt zu einem Sackgassen-Monster.
Dies alles resultiert aus einer Weltanschauung, deren Credo Effektivität und Profitmaxi- mierung (auch bzgl. des indivi- duellen Lebensentwurfes) lau- tet. Die Lebensumgebung, das
„Environment“, ist hierfür nur Mittel zum Zweck und wird so zwangsläufig geplündert, da sie kein Wert an sich ist.
Änderung geschieht, wenn das
„Environment“ als geschenkte Schöpfung gesehen und emp- funden werden kann, das Le- ben als (Auf-)Gabe eines ver- schenkenden Schöpfers. Franz von Assisi hat seinen Sonnen- gesang fern von strahlender Gesundheit geschrieben! Im biblischen Gleichnis der „Ar- beiter im Weinberg“ werden alle gleich entlohnt. Ganz ge- nauso ist es: Ob lang oder kurz gearbeitet, lang oder kurz
gelebt, der Lohn ist der glei- che; unterschiedlich aber, wie dieser Lohn empfunden wird, je nach Erwartung und An- spruchshaltung. Verzicht ist oftmals Genussverstärker.
Wenn Heilung zum Gleichnis und nicht zum Entscheiden- den wird, kann die Binsen- weisheit (auch eine der Wahr- heiten unseres Gesundheitssy- stems) ertragen werden: dass Krankheit zum Leben gehört, dass das Lebensrisiko unver- meidlich und vom Betroffenen selbst zu verantworten ist, dass der Tod gewiss und das Leben endlich ist – und auch die Fi- nanzierbarkeit unseres Ge- sundheitswesens.
Dr. Alexander Ulbrich, Birkheckenstraße 1, 70599 Stuttgart
Glückwunsch
Glückwunsch zu diesem Arti- kel. Es kommt zu selten vor, dass schreibende Kollegen sich vom Tunnelblick ihrer Ei- geninteressen lösen, ein paar Schritte zurücktreten und das Ganze im solidarischen Überblick betrachten. Das ist hier erfolgreich geschehen.
Wilfried Deiss,
Uhlandstraße 50, 57074 Siegen
Arbeitszeit
Forderung nach einer Zeitreform:
48-Stunden-Tag einführen
Wer von uns Ärzten die regel- mäßige Teilnahme an zertifi- zierten Fortbildungen, Qua- litätszirkeln, ordnungsgemäße Dokumentation für DMP, Si- cherstellung der medizini- schen Versorgung rund um die Uhr und nun auch noch die türsteherisch anmutende Ent- gegennahme der uns aufok- troyierten Praxisgebühr fordert, sollte ein Gesetz verabschie- den, nach dem der Tag nicht mehr nur 24, sondern 48 Stun- den hat, damit wir als Ärzte auch noch etwas Zeit für das Wichtigste, nämlich unsere Patienten, haben.
Thomas Kurek,
Wanheimer Straße 50, 47053 Duisburg