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Archiv "Arbeitsplatz Krankenhaus: Stimme aus dem Exil" (04.10.2002)

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A

uf 15 Monate AiP-Zeit in Deutschland kann ich zurückblicken. Was hatte ich nicht alles an guten Vorsät- zen, an Motivation, gutem Wil- len und Überzeugung für mei- nen Beruf! Es wurde zum De- saster. Wie hatte ich mich auf diese Stelle an einer großen Klinik an meinem Studienort in den neuen Bundesländern gefreut, eine Abteilung mit an die 100 Betten und breitem Spektrum, die unter uns Stu- denten einen guten Ruf genos- sen hatte. Die Zeit bis zum Stellenantritt blieb ich nicht untätig, besuchte Fortbildungs- veranstaltungen, beendete meine Doktorarbeit und hospi- tierte an einer Pariser Klinik von internationalem Renom- mee – alles, um gut vorbereitet zu sein! Aber es kam anders.

Am ersten Tag wurde ich der Chefstation zugeteilt. Nun, wie erste Tage so sind, versuch- te ich, mich zurechtzufinden, Organisationsstrukturen zu er- kennen, mich einzuarbeiten.

Zur Seite gestellt wurde mir ei- ne Assistenzärztin, die selbst erst seit vier Wochen dort an- gestellt war. Standort der Rönt- genzettel, der Aufklärungs- bögen und des hausinternen Telefonbuches waren schnell gezeigt,und nach

wenigen Tagen fand ich mich al- lein auf der 30- Betten-Station.

Ich tat, was ich konnte.Aber im-

mer wieder verfing ich mich in Stolperfallen – da gab es Tu- mormeldungen und Qualitäts- sicherungsbögen, ICD und ICPM und ungeschriebene Epikrisen von Patienten, die ich nicht kannte, da sie noch von meinen Vorgängern liegen geblieben waren. „Frau Schiel- ke, das müssten Sie mal ma- chen!“ meinte mein Stations- arzt.Aha.

Nach vier Wochen eine neue Überraschung: Ich sollte mich auf der Wachstation mel-

den. Die Stationsärztin infor- mierte mich, dass ich dort ab der nächsten Woche eingear- beitet werden sollte. Niemand hatte mich davon in Kenntnis gesetzt. Sechs Wochen lang schwitzte ich Blut und Wasser in Erwartung meines ersten Dienstes. Zum ersten Mal nahm sich jemand Zeit, etwas zu erklären: Infusionstherapie, parenterale Ernährung, Dosie- rung der Katecholamine. Ich überstand den ersten Dienst ohne Magengeschwür.

Hatte ich erwähnt, dass ich in der Chirurgie arbeitete?

Nach fünf Monaten beschli- chen mich erste Zweifel. Erst 16-mal hatte ich den OP über- haupt betreten.Als wieder eine Woche ohne OP verstrichen war, fragte ich nach. Der Stati- onsarzt schien nachdenklich:

„Mh, schwierig, nächste Woche operieren wir gar keine Herni- en!“ Dass ich zu anderen Ein- griffen kaum herangezogen wurde, hatte ich schon ge- merkt, und dann auch nur als x-ter Assistent. Zu den großen Eingriffen wurden bevorzugt PJ-Studenten eingeteilt – „die müssen ja auch was lernen“.

Selbst wenn sich mein Name auf den OP-Plan verirrt hatte, gab man ihnen häufig

den Vorzug.

Als ich einmal darauf hin- wies, dass ei- gentlich ich auf dem Plan stehe, erhielt ich zur Antwort: „Frau Schielke, einer muss auf Station bleiben, wir ha- ben da so eine Arbeitstei- lung.“

Trotzdem blieb ich zuversichtlich, stürzte mich mit Eifer in die Stationsarbeit, füll- te Röntgenzettel im Akkord aus, konnte gleichzei- tig Blut abneh- men, Aufklä- rungsgespräche

führen und internistische Kon- sile anmelden. Mein Erfolgser- lebnis wurde ein leerer Zettel- kasten zum Feierabend. Es reichte nicht. Glaubte ich, mein Tageswerk geschafft zu haben, kam der Knüppel:

„Und haben Sie auch die Entlassungen oder Ähnli- ches von morgen vorge- schrieben?“ Als wäre das alles noch nicht genug, wur- de mir noch die Betreuung der PJ-Studenten übertra- gen, wöchentlich hielt ich nun die für sie vorgesehene Fortbildung, da die ande- ren Ärzte ja wegen der Tätigkeit im OP nicht ab- kömmlich waren.

Dann kam der Tag der Wahrheit. Überraschen- derweise fand sich mein Name auf dem OP-Plan, auch noch für eine Whip- ple-OP. Hoffnung keimte in mir auf. Doch nach nicht einmal 30 Minuten OP-Zeit verabschiedete sich mein Kreislauf, und mir blieb nichts anderes übrig als abzutreten.

Wie peinlich! Noch am selben Tag bat mich der Chefarzt

zu einem „AiP-Zwi- schengespräch“. Ich war verblüfft! Was denn eigentlich meine Zukunfts- pläne seien und ob es mir denn hier gefallen würde. Fach- ärztin für

Chirurgie, war meine Antwort, und ich sei ganz zufrieden – das war eine Lüge, klar –, aber, da wäre eine Sache: Ich würde gerne etwas öfter in den OP.

Wie hatte ich dieses Fettnäpf- chen übersehen können! Zu- nächst einmal, er hatte sich ins- gesamt mehr von mir erwartet, nach dem, was mein bisheriger Werdegang erwarten ließ, und außerdem würde ich mich sei- ner Meinung nach sowieso nicht für die Chirurgie eignen, dafür bräuchte es besondere körperliche Voraussetzungen, es ginge nicht, dass man wegen einer Unpässlichkeit vom Tisch abtritt und so weiter. Für mich brach eine Welt zusammen.

Wieso hatte man mich eigent- lich eingestellt?

Trotzdem: Ich gab nicht auf!

Von wegen. Jetzt erst gerade recht! Noch mehr Röntgen- zettel ausfüllen, noch schneller ICD und ICPM codieren, noch mehr Infusionen legen, wurde meine Devise. Ich ar- beitete wie am Fließband.

Hatte ich mein Tagespensum bis 16 Uhr zur Dienstübergabe nicht geschafft, wurde ich streng oberärztlicherseits dar- auf hingewiesen, ich hätte mich an die reguläre Arbeits- zeit zu halten, und wenn ich nicht fertig werde, läge es eben einfach daran, dass ich nicht in der Lage sei, die Stationsarbeit richtig zu organisieren. Als ich einmal darum bat, man möge mir doch um 16 Uhr behilflich sein, die noch anstehenden Ar- beiten auf Station zu beenden, S T A T U S

Arbeitsplatz Krankenhaus

Stimme aus dem Exil

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 404. Oktober 2002 AA2659

Foto:Peter Wirtz

Foto:Archiv

Mein Erfolgserleb- nis wurde ein leerer

Zettelkasten zum Feierabend.

Die Autorin, eine junge Ärztin, „flüchtete“

nach Frankreich, weil sie mit der medizinischen

Ausbildung hierzulande unzufrieden war.

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wurde dies abgelehnt mit der Begründung, man habe den ganzen Tag im OP gestanden und auch noch einen Dienst hinter sich, ich müsse allein zu- rechtkommen.

Die anfallende Mehrarbeit habe ich jedes Mal weisungs- gemäß dokumentiert. Eines Tages wurde ich erneut zu ei- nem Gespräch zum Chefarzt gebeten, der mich mit den Worten empfing, ich sei die fleißigste Mitarbeiterin im Hause mit 70 Überstunden,das wären mehr als die Oberärzte.

Wie es denn dazu käme, ob ich denn gar mehr Stunden auf- schreiben würde als geleistet, und wieso ich eigentlich so sel- ten an den hausinternen AiP- Weiterbildungsveranstaltungen teilnehmen würde.

Die Krankenhauslei- tung habe den schlechten Besuch moniert, und man werde künftig in den Arbeitszeugnissen darauf hinweisen nach der Art „zeigte kein Interesse an hausinterner Fortbil- dung“. Die Weiter-

bildungsveranstaltungen gin- gen künftig vor, auch vor Stati- onsarbeit und Chefvisite, aber ich könne nach 16 Uhr noch bleiben und die Arbeit erledi- gen, das wäre dann „verlagerte Arbeitszeit“ und keine eigent- lichen Überstunden . . .

Nach 15 Monaten habe ich gekündigt, physisch und psy- chisch angeschlagen, und bin zurück nach Frankreich gegan- gen, wo ich zwei Jahre meines Studiums verbracht hatte.

Immer wieder habe ich es ungläubig überprüft – aber ich hatte zu Beginn meines AiP tatsächlich einen „Ausbil- dungsvertrag“ mit der chirur- gischen Abteilung der Klinik abgeschlossen. Die Bilanz mei- ner chirurgischen Ausbildung sieht wie folgt aus:An 68 Tagen habe ich den OP betreten, zieht man davon die Dienst- einsätze ab, verbleiben 45 Ta- ge, an denen ich regulär auf dem OP-Plan stand und auch zur Assistenz herangezogen wurde. In der überwiegenden Zahl Hernien und Strumen, von sechs Eingriffen am Ko- lon, davon zwei Anus-praeter-An- lagen, habe ich kei- nen einzigen wirk- lich von Anfang bis Ende gesehen, ent- weder wurde ich erst später dazu ge- rufen oder musste früher abtreten, damit die Sta- tionsarbeit nicht zu kurz kam.

Ich habe keinen einzigen Blinddarm operiert, keine ein- zige Naht-, Knoten- oder Ana- stomosentechnik gelernt, war aber unschlagbar im Ausfüllen von Röntgenzetteln und auf

dem besten Weg, ein guter In- ternist zu werden.

Seit acht Monaten lebe und arbeite ich nun in Paris und habe zum ersten Mal seit Be- ginn meiner ärztlichen Tätig- keit das Gefühl, ich tue das

Richtige. Die Arbeitszeiten muten zwar geradezu anar- chisch an, elf halbe Tage pro Woche, also inklusive des Samstag vormittags, und auf- grund der Personalsituation (auch hier herrscht Ärzte- mangel) ist es nicht möglich, nach dem Dienst nach Hause zu gehen, auch wenn die Richtlinien des Europäischen Gerichtshofes gesetzlich ver- ankert sind.

Seltsamerweise trifft die neue Regelung des Freizeit- ausgleichs nach dem Dienst bei den französischen Kolle- gen nicht unbedingt auf Ge- genliebe. Das Argument: Je mehr Anwesenheit im Kran- kenhaus, desto mehr Ausbil- dung. Und das System funktio- niert! Denn hier ist wirklich je- de Minute mit Lernen ausge- füllt, den einsamen Wolf auf Station gibt es nicht. Fragen und Diskussionen sind selbst-

verständlicher und hauptsäch- licher Bestandteil des Ausbil- dungsprozesses. Diagnostik und Therapie werden immer wieder aufs Neue hinterfragt.

Trifft man an die Grenzen seines eigenen diagnostischen

und therapeutischen Handlungsvermögens, ist es ausdrücklich er- wünscht, um Rat nach- zufragen, und alle Türen stehen dazu of- fen, auch gerade die des Chefarztes. Mit Geduld werden OP-Techniken erklärt, und schrittweise wird man an das selbstständige Operieren herangeführt – denn niemand wird allwissend geboren. Hier fällt niemandem ein Zacken aus der Krone, der sagt: „Ich weiß es nicht.“ Wie selbstverständlich wird Wissen weitergegeben, es wird nicht wie ein Geheimnis gehütet.

Hier erhalte ich nun endlich eine Ausbildung, die ihren Na- men verdient. Mit Genugtuung betrachte ich den Ärztemangel in Deutschland und den an- schwellenden Anzeigenteil des DÄ und hoffe, dass noch viel mehr jüngere Kollegen ihre Konsequenzen aus der gegen- wärtigen Situation ziehen und sich Alternativen zur klini- schen Tätigkeit in Deutschland suchen – die Welt ist groß, und die Möglichkeiten sind bei- nahe unbegrenzt.

Dr. med. Astrid Anita Schielke S T A T U S

A

A2660 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 404. Oktober 2002

Wie selbstver- ständlich wird Wissen weiter- gegeben, es wird nicht wie ein Geheimnis

gehütet.

Fragen und Diskussionen sind selbstverständlicher und

hauptsächlicher Bestandteil

des Ausbildungsprozesses.

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