• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gesundheits- und sozialpolitische Reformprojekte '92: Kein Abschied von sturer Kostendämpfungspolitik?" (06.01.1992)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gesundheits- und sozialpolitische Reformprojekte '92: Kein Abschied von sturer Kostendämpfungspolitik?" (06.01.1992)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Gesundheits- und sozialpolitische Reformprojekte '92

U

nverdrossen verteidigt die seit Februar 1991 amtierende Bundesgesundheitsministe- rin das „Gesundheits-Reformgesetz"

Marke Blüm und die darin veranker- ten komplexen und bürokratischen Steuerungsmechanismen. Das Dog- ma einer politisch verabsolutierten Beitragssatzstabilität soll im ebenso innovativen wie leistungs- und ausga- benexpansiven Dienstleistungssektor Gesundheits- und Krankenhauswe- sen lupenrein angewandt werden.

Als ob sich in diesem kaum mehr ra- tionalisierungsfähigen, beschäfti- gungsintensiven Sektor rein indu- striewirtschaftliche und fiskalpoli- tisch motivierte Parameter — Grund- lohnsumme, Inflationsrate und Ent- wicklung der Lebenshaltungskosten

— als Entwicklungsparameter sinn- voll aktivieren ließen! Von einer in- novativen, entwicklungsoffensiven, konzeptionsorientierten Gesund- heitspolitik ist auch in der „Nach- Blüm-Ara" und nach dem Wechsel der ehemaligen Bundesbauministe- rin auf den Chefsessel im neu for- mierten Gesundheitsministerium nichts zu verspüren.

Erst kürzlich — bei der Vorlage des ersten gesundheitspolitischen Berichtes gemäß § 141 Abs. 4 SGB V

— hat Frau Hasselfeldt Bundestag und Bundesrat ein düsteres Bild der Beitragssatzentwicklung in der Kran- kenversicherung — eben wiederum unter dem verengten Blickwinkel der

Beitragssatzstabilität — gezeichnet.

Ein Gesamtdefizit von vier bis fünf Milliarden DM wird allein für 1991 in der gesetzlichen Krankenversiche- rung prognostiziert — mit wachsender Tendenz im jetzt begonnenen Jahr 1992. In einer Art „Vergangenheits- bewältigung" konstatierte die Mini- sterin allerdings: Der durchschnittli- che allgemeine Beitragssatz, der in den Jahren 1985 bis 1986 um je 0,4 Prozentpunkte gestiegen war, sank von 1989 bis Anfang 1991 von 12,9 Prozent auf 12,2 Prozent. Entspre- chend ging zum 1. Juni 1991 auch der Beitragssatz in der Krankenversiche- rung der Rentner von 12,8 auf 12,2 Prozent zurück. Dies alles — und oh- ne Erwähnung der zahlreichen Selbstbeschränkungsmaßnahmen der Leistungserbringer und der Selbstverwaltungen — hat die Bun- desregierung als wesentlichen Erfolg der Blümschen Gesundheitsreform gefeiert. Sie behauptet sogar, dies sei nur durch eine Konzentration des Leistungskatalogs auf das medizi- nisch Notwendige und sozialpolitisch Erforderliche und die veränderten Zuzahlungsregelungen der Versi- cherten ermöglicht worden .. .

Finanzielle Polster AMZ

Tatsache ist aber auch: Trotz der inzwischen wieder expansiven Ausgabenentwicklung der Kranken-

kassen, die sich im ersten Halbjahr 1991 verstärkt fortgesetzt hat, haben die Krankenkassen Rücklagen und finanzielle Polster in Höhe von ins- gesamt 18 Milliarden DM (wie der Bundesverband der Betriebskran- kenkassen errechnete) aufbauen können. Dieser Fundus dürfte aller- dings rasch wieder abschmelzen, falls auch künftig zwar mit einem Wachs- tum der beitragspflichtigen Entgelte (Grundlöhne) je Mitglied von rund fünf Prozent gerechnet werden kann, sich aber das Wachstum der Lei- stungsausgaben je Mitglied zwischen sechs und über zehn Prozent (je nach Leistungssektor) einpendeln wird.

Dies alles kann dazu führen, wie die Bundesgesundheitsministerin be- fürchtet und wie von Insidern bestä- tigt wird, daß spätestens 1993 weite- re Beitragssatzsteigerungen notwen- dig werden.

Konzeptionslosigkeit

Konzeptionslose, kurzatmige Kostendämpfungsgesetze, die nur palliativ wirken und die nicht die ei- gentlichen Wurzeln der Ausuferung anpacken, bewirken wenig; sie füh- ren nur zu weiteren interventionisti- schen, planwirtschaftlichen Dirigis- men und einer Aushöhlung der Selbstverwaltung. Nullsummenspie- le, Ausweichmanöver, Verteilungs- kämpfe und Gegenreaktionen der Betroffenen sind die Folge. Die Posi- tion der freiberuflich tätigen Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und anderer Heilberufe steht damit auf dem Spiel.

Wenn Frau Hasselfeldt mit dem Anspruch antritt, anstehende Re- formmaßnahmen müßten die „im Sy- stem angelegten kostenwirksamen Faktoren" vollends beseitigen, so wird sich dies nicht so leicht und im Konsens der Beteiligten erledigen lassen. Die Ministerin muß sich an ihren eigenen Ansprüchen und Wor- ten

messen lassen, will sie tatsächlich

eine Neubesinnung in der Gesund- heitspolitik bewirken und die struk- turellen Rahmenbedingungen so än-

Kein Abschied von sturer Kostendämpfungspolitik?

Auch im neuen Jahr wird es voraussichtlich keine Entwarnung an der Ausgaben- und Kostenfront im Gesundheitswesen geben. Zu sehr haben sich die Bundesregierung und die zunehmend empfind- lich, ja allergisch und gereizt reagierende Bundesgesundheitsmini- sterin Gerda Hasselfeldt (CSU) auf das auch im „Gesundheits-Re- formgesetz" (Sozialgesetzbuch V) verankerte Postulat der Beitrags- satzstabilität und auf die Verteidigung der einnahmenorientierten Ausgabenpolitik der Krankenkassen eingeschworen.

Dt. Ärztebl. 89, Heft 1/2, 6. Januar 1992 (17) A1-17

(2)

dem, daß tatsächlich die Finanzie- rung des Gesundheitswesens mittel- und langfristig gesichert und keine einseitigen Belastungen und Sparop- fer eingefordert werden müssen — weder bei den Versicherten und Pa- tienten, noch bei den Leistungser- bringern und Finanziers.

Pflichtpensum

Das Pflichtpensum der Bundes- regierung bei der Weiterentwicklung und der Reformpolitik im Gesund- heitswesen ist ebenso umfangreich wie problemgeladen. So will die Re- gierung dafür sorgen, daß kurzfristig einzelne wichtige, aber teilweise mißratene und bisher nicht ange- wandte Vorschriften des Gesund- heits-Reformgesetzes „wirkungsvol- ler" gefaßt werden. Der Selbstver- waltung der Krankenkassen und der Leistungserbringer will die Ministe- rin Beine machen, damit sie die vie- len noch brachliegenden, weil nicht praktikablen Vorschriften des GRG möglichst rasch und kostendämp- fungspolitisch zielgerecht anwenden.

Dies gelte insbesondere für die wei- tere Festsetzung von Festbetrags- gruppen und Festbeträgen für Arz- nei- und Hilfsmittel, Richtgrößen für Wirtschaftlichkeitsprüfungen für ärztliche Leistungen und Wirtschaft- lichkeitskontrollen auch für das Krankenhaus.

Falls die Selbstverwaltung nicht

„spuren" sollte und die insgesamt 307 Paragraphen des Sozialgesetzbu- ches V nur zögerlich oder überhaupt nicht gesetzeskonform angewandt werden sollten, sollen über gesetzli- che Vorschriften die (behaupteten) Wirtschaftlichkeitsreserven „in eige- ner Regie" ausgeschöpft werden.

Wie das mit dem Ausschöpfen par ordre du mufti geht, hat das Blüm- sche Reformgesetz zur Genüge er- wiesen. Von der ursprünglich zum

„Gesundheits-Reformgesetz" vorge- legten Finanzrechnung mit einem Einsparvolumen von 14 Milliarden DM stehen noch 6 Milliarden DM aus.

Inzwischen sucht eine im No- vember 1991 unter Vorsitz von Frau Hasselfeldt einberufene Koalitions- kommission nach weiteren Einspar-

und Reform-Maßnahmen, die späte- stens zum 1. Oktober 1992 greifen und die bis dahin getroffenen Über- gangsmaßnahmen ablösen sollen.

Gedacht wird an eine zaghafte Revi- sion der Krankenhausfinanzierung (Bundespflegesatzverordnung), um manchen schlecht gemanagten Krankenhäusern über einige markt- wirtschaftliche Steuerungselemente mehr Kostenschliff zu verleihen. Er- wogen wird ein obligatorischer Kata- log von bis zu 180 Sonderentgelten und gesondert kalkulierten Abtei- lungspflegesätzen sowie eine verur- sacher- und verantwortungsgerechte Gliederung des Gesamtbudgets in mehrere interne Teilbudgets. Auch soll mit weiteren alternativen Finan- zierungs- und Abrechnungsformen (etwa diagnosebezogenen Fallpau- schalen) experimentiert werden, oh- ne das „Grundgesetz" der geltenden Krankenhausfinanzierung, das Kran- kenhausfinanzierungsgesetz, zu re- formieren.

Schon haben die Krankenkassen prophezeit, daß mit reiner Finanzie- rungskosmetik keine nachhaltigen Spareffekte im stationären Sektor zu erzielen sind. Mit geänderten Ab- rechnungsverfahren und Kosten- splitting lassen sich keine Kosten wegzaubern. Hier muß schon eine gravierende Systemumstellung be- wirkt werden, etwa eine Abkehr oder Auflockerung des bisher von den Krankenhausträgern zäh verteidig- ten (modifizierten) Selbstkostendek- kungsprinzips und eine weitgehend entstaatlichte Krankenhausplanung.

Daß sich am Dogma des Selbst- kostendeckungsprinzips und der Länder-Krankenhausplanung das Schicksal der Krankenhausfinanzie- rung und der strukturellen Weiter- entwicklung im kostenexpansiven Kliniksektor entscheiden wird, weiß auch die Hasselfeldt-Administration, wie Staatssekretär Baldur Wagner öffentlich kundtat.

Klinikkosten-Boom

asomm

So wird es zumindest kurzfristig dabei bleiben, daß die Kosten in je- nen Sektoren weiter expandieren, in denen es zu keinen radikalen Sy- stemumstellungen kommt. Das dürf-

te bei den Krankenhauskosten, die inzwischen auf 35 Prozent des Ge- samtetats der Kassen gestiegen sind, der Fall sein. Schon sind für 1992 in diesem Sektor zweistellige Ausga- bensteigerungen angekündigt, zumal die tariflichen und strukturellen Verbesserungen in Höhe von neun Prozent im Jahr 1992 voll auf die Budgets und damit die Krankenkas- senetats durchschlagen werden. Hin- zu kommt . Spätestens Mitte 1992 soll die „Personalverordnung Pflege" in Kraft treten, die einen Kostenschub von bis zu 5 Milliarden DM im Jahr auslösen dürfte. Dabei sind neue lei- stungsbezogene Anhaltszahlen für den ärztlichen Dienst in den Kran- kenhäusern ebenfalls überfällig. Die Krankenkassen sind längst aufgeru- fen worden, ihr Scherflein zur Besei- tigung des tatsächlichen oder nur vermeintlichen „Pflegenotstands"

beizutragen.

Überkapazität

Daß das Hasselfeldt-Ministeri- um über ein Bonus-Malus-System nachdenkt, um „sparsame Arznei- mittelverordnungen der Ärzte durch Vergütungsanreize" zu belohnen, mag zwar originell klingen. Mit sol- chen allenfalls nur marginal wirken- den „Reform"-Schritten dürfte das gesamte System aber weder zu evolu- tionieren noch zu revolutionieren sein. Schon gar nicht lassen sich durch erhoffte „Kompensationsef- fekte" in der Krankenversicherung so viele Gelder mobilisieren, um das ehrgeizige Projekt einer gesetzlichen Pflegepflichtversicherung zu realisie- ren (Kostenpunkt in der Startphase mindestens 25 bis 27 Milliarden DM).

Wie die Probleme des Abbaus der Überkapazitäten, des Zugangs zur Kassenarztpraxis, die Qualitäts- fragen und die Neuordnung der ge- sundheitspolitischen Prioritäten ge- löst werden können, steht ebenfalls in den Sternen des Jahres 1992 wie die bereits in der Koalitionsvereinba- rung vom 17. Januar 1991 für diese Legislaturperiode avisierte Organi- sations- und Strukturreform der Krankenkassen...

Dr. Harald Clade A1-18 (18) Dt. Ärztebl. 89, Heft 1/2, 6. Januar 1992

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Henke stellt dem Modell Best- noten aus: „Kapitalbildung, mehr Wettbewerb und eine Grundabsiche- rung mit Kontrahierungszwang sind für ein zukunftsorientiertes

— die Zusammenarbeit mit dem Arzt dadurch gewährleistet sein muß, daß vor Durchführung einer Psychotherapie eine fachkundige ärztliche Untersuchung stattfin- det, um

Walter Groß (der un- mittelbar nach der Gleichschal- tung der alten Standesführung verdeutlichte, daß sie nicht mehr gebraucht werde); Groß wird Lei- ter des bei den

Vilmar betonte, daß gerade Montecatini Terme beson- ders für das intensive Gespräch zwischen Referenten und Teilneh- mern und für die interdisziplinäre Verständigung geeignet ist

Wie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Köln, unter Zitierung einer soeben erschienenen Schrift mit dem Ti- tel „Fehlzeiten — ein internationa-

Für die prinzipiell im Umlagever- fahren finanzierte Zusatzversor- gung im öffentlichen Dienst und die öffentlich finanzierte Beamten- versorgung dürften sich ähnliche

Zurzeit beläuft sich das De- fizit der Kassen bundesweit auf rund 4,9 Milliarden DM und liegt damit dop- pelt so hoch wie im Vorjahreszeitraum.. Während den Kassen im Westen

Die Krankenkassen werden sich, so Kaula, dabei auch auf die Empfehlungen des Koordinierungsausschus- ses für den Vertrauensärzt- lichen Dienst bei der Arbeits- gemeinschaft