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ie schwierige Finanzlage der Ge- setzlichen Krankenversicherung – Bundesgesundheitsministerin Ul- la Schmidt (SPD) wird nicht müde, das zu betonen – ist die Folge langjähriger Fehlsteuerungen und erheblicher Struk- turmängel. Zurzeit beläuft sich das De- fizit der Kassen bundesweit auf rund 4,9 Milliarden DM und liegt damit dop- pelt so hoch wie im Vorjahreszeitraum.Während den Kassen im Westen fünf Milliarden DM fehlen, verzeichnet die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Osten ein leichtes Plus von 200 Millionen DM.
Der von dieser Finanzentwicklung ausgehende Druck auf die Beitragssät- ze ist „nicht allein in diesem
Jahr entstanden“, erklärte die Ministerin, als sie am vergan- genen Mittwoch in Berlin die Halbjahresbilanz der GKV vorstellte. Die Ausgaben für Arzneimittel sind mit einer Steigerungsrate von elf Pro- zent die echten Spitzenreiter gegenüber denen anderer wichtiger Leistungsbereiche.
Zum Vergleich: Die Ausga- benzuwächse bei Kranken-
hausbehandlungen und der ambulanten ärztlichen Versorgung lagen mit 0,3 be- ziehungsweise 1,6 Prozent unterhalb des Grundlohnanstiegs. Dieser ver- zeichnete bundesweit einen Zuwachs von 1,9 Prozent.
Es besteht Handlungsbedarf, um den enormen Anstieg der Arzneimittelaus- gaben, den Schmidt unter anderem auf Innovationen in der Aids- und Krebs- therapie zurückführte, zu bremsen.
Zunächst kündigte die Ministerin „Ge- spräche mit den Marktbeteiligten“ an.
Zur Diskussion stehen unter ande- rem die Distribution sowie die Arz- neimittelpreisverordnung, und hier ins-
besondere die Preisbildung bei Innova- tionen. Es gebe deutliche Hinweise darauf, so Schmidt, dass den Mehrko- sten von Innovationen nicht immer ein entsprechender Nutzen für die Pa- tienten gegenüberstehe. Weiteren Auf- schluss über Sparpotenziale bei Arznei- mitteln erwartet sie von einem Sonder- gutachten, das der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Ge- sundheitswesen noch in diesem Herbst vorlegen wird.
„Wir tun alles, um die Ausgabenent- wicklung zu steuern“, betonte Schmidt.
Wenn allerdings einige Krankenkassen kurzfristig ihre Beiträge erhöhten, kön- ne sie das nicht verhindern. Von einer
„Beitragssatzexplosion“, wie von der Opposition behauptet, könne aber kei- ne Rede sein. Zum 1. Juli habe der durchschnittliche Beitragssatz bundes- weit bei 13,6 Prozent und damit auf dem Niveau von 1998 gelegen. Durch den Ost-West-Finanzausgleich sei es zudem gelungen, die Finanzen der GKV in den neuen Ländern zu konsolidieren. Der Abstand zwischen dem Beitragssatzni- veau in West (derzeit 13,59 Prozent) und Ost (derzeit 13,66 Prozent) habe Anfang 1998 noch rund 0,4 Beitrags- satzpunkte betragen und sei jetzt auf unter 0,1 Beitragssatzpunkte zusam- mengeschrumpft.
Trotz des Milliarden-Lochs gab sich Schmidt optimistisch. Für das gesamte Jahr rechne ihr Haus mit einem Defizit von weniger als vier Milliarden DM, da die Kassen im 2. Halbjahr durch so ge- nannte Einmalzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld Mehreinnahmen verbuchen könnten. Außerdem habe sie wichtige Weichenstellungen vorge- nommen, um die GKV zu stabilisieren.
Einsparungen im Arzneimittelbereich, die sich möglicherweise schon in der zweiten Jahreshälfte niederschlagen könnten, versprächen die Neuregelung der Festbeträge und die Zielvereinba- rungen zwischen Kassenärztlichen Ver- einigungen und Krankenkassen vor dem Hintergrund der Budgetablösung.
Darüber hinaus verbesserten die Re- form des Risikostrukturausgleichs und die damit verbundenen Disease-Man- agement-Programme die Versorgung chronisch Kranker. Mit der Einführung von Fallpauschalen im Krankenhaus komme man ferner „weg von der Fi- nanzierung von Bettgestellen“, und die Einführung des Wohnortprinzips ge- währleiste eine gerechtere Vergütung der Kassenärzte im Osten. Fazit der Mi- nisterin: „Das, was wir hier haben, istei- ne große Gesundheitsreform.“
Das sieht die Opposition freilich an- ders. „Die Ministerin handelt fahrläs- sig, wenn sie die Probleme der Gesund- heitspolitik weiter schönredet und -rech- net“, urteilte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Dieter Thomae. Erforderlich sei jetzt ein Gesamtkonzept für eine Ge- sundheitsreform, nicht ein ständiges
„Klein-Klein“. „Ulla Schmidt läuft Ge- fahr, sich mit ihrer Tatenlosigkeit in ei- ne Sackgasse zu manövrieren“, warnte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolf- gang Lohmann, angesichts des Kassen- defizits. Um einen Beitragssatzanstieg in der GKV kurzfristig zu verhindern, forderte er, den Mehrwertsteuersatz auf Medikamente zu halbieren und versi- cherungsfremde Leistungen aus Steuer- mitteln zu finanzieren. Dergleichen lehnte die Bundesgesundheitsministe- rin jedoch erneut strikt ab. Das sei nur eine „Scheinlösung“, denn die dafür er- forderlichen sieben bis acht Milliarden DM müssten vom Steuerzahler aufge- bracht werden. Heike Korzilius P O L I T I K
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A2314 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 37½½½½14. September 2001
Halbjahresbilanz der Krankenkassen
Das Fünf-Milliarden-Loch
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat sich das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen verdoppelt. Die größten
Steigerungsraten verzeichnen die Arzneimittelausgaben.
´ TabelleCC´
Gesetzliche Krankenversicherung
Ausgaben 1. Halbjahr 2001
West Ost Bund
in Mrd. DM zusammen
Einnahmen insgesamt 108,4 20,3 128,7 Ausgaben insgesamt 111,3 22,3 133,6 davon:
Ärztliche Behandlung 18,6 2,9 21,5
Arzneimittel 17,5 4,1 21,6
Krankenhausbehandlung 35,7 7,6 43,3