Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3712. September 2008 A1875
P O L I T I K
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an kann den Gesundheits- fonds der Krankenkassen ablehnen, schuld daran, dass die ge- setzlich Krankenversicherten insge- samt gesehen künftig mehr Geld für ihren Krankenversicherungsschutz ausgeben müssen, ist dieser wohl nicht. Denn die Beitragssätze wären im kommenden Jahr auch ohne- hin kräftig gestiegen. Dies legt die Halbjahresbilanz 2008 der gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) nahe (Grafik).Demnach erwirtschafteten die Krankenkassen ein Defizit von rund 940 Millionen Euro. In den Mona- ten Januar bis Juni sind die Ausga- ben je Mitglied um 4,5 Prozent ge- stiegen. Großen Anteil daran haben die Arzneimittelausgaben, die ohne Impfkosten um 5,7 Prozent gegen- über 2007 angewachsen sind. Der Anstieg bei den Krankenhausausga- ben lag im ersten Halbjahr 2008 bei drei Prozent je Mitglied. Die Aus- gaben für die ambulante ärztliche Behandlung schlugen mit einem Plus von 3,5 Prozent zu Buche.
Zwar wird sich die Einnahmesi- tuation im Laufe des Jahres stabili- sieren. Die höheren Lohnabschlüsse und das Weihnachtsgeld wirken erst im zweiten Halbjahr, sodass für das gesamte Jahr mit einem ausgegli- chenen Haushalt gerechnet werden kann. Damit sind die Kassen aber immer noch weit von ihrem positi- ven Jahresabschluss 2007 (plus 1,8 Milliarden Euro) entfernt. Wegen etlicher Mehrbelastungen (die aber nicht dem Fonds geschuldet sind) wird der Finanzbedarf im nächsten Jahr kräftig steigen. Experten rech- nen mit einem Einheitsbeitragssatz von etwa 15,8 Prozent.
Die höheren Honorare für Ver- tragsärzte inklusive der Grundlohn- summensteigerung (plus 2,7 Milli- arden Euro) sind bei diesen Mehr-
ausgaben nur ein Kostenblock. So muss der GKV-Schätzerkreis bei der Ermittlung des Einheitsbeitrags- satzes unter anderem Preissteige- rungen für Arzneimittel sowie die von der Politik bereits fest zugesag- ten Finanzhilfen für die Kliniken einbeziehen. Im November will die Regierung den Einheitsbeitragssatz beschließen. Bis dahin wissen die Kassen auch, wie hoch in etwa ihre Zuweisungen aus dem neuen mor- biditätsorientierten Risikostruktur- ausgleich ausfallen werden.
Ob das Geld für die Kassen rei- chen wird – darüber wird seit Wo- chen spekuliert. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Politik den Fonds am Anfang mit Diskussionen um eine Unterdeckung belasten will“, urteilte Barmer-Vorstand Dr.
Johannes Vöcking kürzlich. Mehr Sorgen macht ihm ein mittelfristig herbeigeführter Systemwandel.
Sein Szenario dafür: Eine künf- tige Bundesregierung verzögert die notwendige Finanzanpassung für den Fonds und ändert mithilfe ihrer Parlamentsmehrheit die Vorgaben zum Finanzierungsrahmen und zur Höhe der Zusatzprämie. Dafür ge- nügt ein Gesetz, dem der Bundesrat nicht zustimmen muss. Dann wür- den die Zusatzprämien erhöht. So ließe sich Vöcking zufolge eine stär- kere Privatisierung im System um- setzen. Teurer wird es sowieso: In den nächsten drei bis vier Jahren würden alle Krankenkassen Zu- satzprämien erheben, prognostizier-
te Vöcking. I
Samir Rabbata, Sabine Rieser
GRAFIK
Zahnersatz (ZE) 1,84 % Zahnärztliche Behandlung
ohne ZE 5,02 %
Ärztliche Behandlung 15,06 %
Sonstige Ausgaben 6,53 %
Nettoverwaltungs- kosten 4,95 %
Häusliche Kranken- pflege 1,55 %
Vorsorge- und Reha- maßnahmen 1,57 %
Fahrtkosten 1,99 %
Krankengeld 4,15 %
Arzneimittel aus Apotheken und v. Sonst. zus. 18,20 %
Hilfsmittel 2,96 % Heilmittel 2,46 %
Krankenhausbehandlung insgesamt 33,73 % Ausgabenanteile erstes Halbjahr 2008 Bund (alte und neue Länder)
GKV-HALBJAHRESBILANZ