Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 43⏐⏐26. Oktober 2007 A2913
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uf die Frage, wer als wahrer Gewinner aus den Verhand- lungen um den neuen Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) hervor- gegangen ist, könnte man „Jürgen Wasem“ antworten. Denn dem Pro- fessor am Lehrstuhl für Medizinma- nagement der Universität Duisburg- Essen ist gelungen, woran manche nicht geglaubt hatten. Wasem hat alsunparteiischer Vorsitzender des Er- weiterten Bewertungsausschusses – sozusagen dem höchsten Schieds- amt aus Vertretern der Krankenkas- sen und der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung (KBV) – eine Eini- gung über die Inhalte des neuen EBM erreicht. Fristgemäß liegt des- sen Grundstruktur nun vor.
Das war knapp und nicht einfach.
Schließlich musste Wasem „zwei völlig konträre Positionen zusam- menzuführen“, betonte der KBV- Vorstandsvorsitzende Dr. med. And- reas Köhler bei der Vorstellung der Verhandlungsergebnisse am 22. Ok- tober. Vielleicht ist der eigentliche Gewinner aber auch das Bundesge- sundheitsministerium. Ulla Schmidt (SPD) hatte einen „ständigen Gast“
in den Ausschusssitzungen plaziert.
„Wir waren von unserer Aufsichts- behörde eng gecoacht“, bemerkte Köhler ironisch.
Fakt ist: Der neue, sogenannte Pauschalen-EBM kann zum 1. Janu- ar 2008 eingeführt werden. „Zufrie- denstellend“ ist aus Sicht der KBV, dass sich eine wichtige Stellgröße für die Honorare verbessern wird.
Der kalkulatorische Arztlohn wird von derzeit 95 553 Euro pro Jahr auf 105 571,80 Euro erhöht. Basis ist ei- ne Arbeitsleistung von 51 Wochen-
stunden. Damit wird die Leistung des einzelnen Arztes um durch- schnittlich zehn Prozent höher be- wertet, die Punktmenge steigt ent- sprechend. Mit dieser Festlegung hat der Erweiterte Bewertungsaus- schuss dem Argument der KBV Rechnung getragen, dass die Gehäl- ter der Ärzte in den Krankenhäusern erhöht worden seien. Auch die Mehr- wertsteuererhöhung auf 19 Prozent konnte die KBV erfolgreich geltend machen.
Dass die Vertragsärzte künftig mehr Honorar benötigten, weil sie wegen der gestiegenen Anforderun- gen in der ambulanten Versorgung mehr Praxismitarbeiterinnen ein- stellen müssten, wurde im Aus- schuss nicht akzeptiert. Auch der Einwand, die sogenannte kalkulato- rische Produktivität der Ärzte sei in den letzten Jahren gesunken, weil die Bürokratie in den Praxen zuge- nommen habe, fand kein Gehör.
Deshalb hält sich die Freude über den Kompromiss bei der KBV in Grenzen. Dazu kommt, dass die rund zehnprozentige Erhöhung der Punktmenge in 2008 nur auf dem Papier einem Honorarzuwachs von rund 2,4 Milliarden Euro entspricht.
Denn sie greift im nächsten Jahr noch nicht. 2008 ist das Honorarvo- Nach oben soll es mit den Honoraren gehen, signalisiert KBV-Vorstand Dr.
med. Andreas Köhler.
Doch das geht erst von 2009 an.
DIE WICHTIGSTEN BESCHLÜSSE ZUM NEUEN EBM FÜR 2008
Mehr Punkte, aber noch nicht mehr Geld
Mit ihren Argumenten für eine bessere Honorierung der Ärzte hat die KBV punkten können – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hat ein Plus von rund zehn Prozent verhandelt. Doch zunächst gibt es nur für extrabudgetäre Leistungen mehr Geld.
Foto:Georg J.Lopata
WERT DER PAUSCHALEN
Punktzahlbewertung im hausärztlichen Versorgungs- bereich je Behandlungsfall
>EBM 2000plus bis zum 31. 12. 2007: 1 289 Punkte*
>EBM 2008 von 1. 1. 2008 an:
– Versichertenpauschale (Durchschnitt) 945 Punkte (Versicherte bis 6 Jahre: 1 000 Punkte;
von 6 bis 59 Jahre: 900 Punkte;
von 60 Jahren an: 1 020 Punkte)
– Morbiditätszuschlag 495 Punkte
(anzusetzen in schätzungsweise 38 % der Fälle)
– zusätzlich 429 Punkte
je Behandlungsfall maximal 1 869 Punkte*
durchschnittlich 1 562 Punkte*
* zuzüglich Kostenerstattungen und Laboratoriumsuntersuchungen
Quelle:KBV
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lumen noch budgetiert. Die Punkt- mengenerhöhung von zehn Prozent führt daher zunächst lediglich dazu, dass der Punktwert im kommenden Jahr um ebenfalls zehn Prozent sinkt. Lediglich bei extrabudgetären Leistungen, beispielsweise Impfun- gen oder Präventionsangeboten, könnte die Mengenerhöhung ins Gewicht fallen. Dementsprechend stellen sich die Krankenkassen für 2008 zunächst nur auf geringe Aus- gabensteigerungen ein.
Die Hausärzte können nach An- sicht Köhlers gleichwohl mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden sein. 75 Euro pro Quartal werden sie im Jahr 2008 allerdings noch nicht bekommen. Nach Angaben der Krankenkassen lag der durch- schnittliche Punktwert zuletzt bei rund 3,7 Cent. Damit würde ein Hausarzt im nächsten Jahr knapp
58 Euro für die Behandlung eines Patienten erhalten (siehe Kasten
„Wert der Pauschalen“). Würde bei einem Versicherten der volle Morbi- ditätszuschlag angerechnet, wären es circa 70 Euro. Sinkt der Durch- schnittspunktwert jedoch um rund zehn Prozent, dann würde ein Haus- arzt nur rund 52 Euro erhalten.
Köhler leugnete bei der Präsenta- tion der Verhandlungsergebnisse nicht, dass man vom Wunschergeb- nis der Hausärzte im nächsten Jahr noch entfernt sei. Aus durchschnitt- lich 1 562 Punkten müsse man erst noch 80 oder 85 Euro für das Jahr 2009 verhandeln, sagte er. Aber die
Grundlagen sind seiner Meinung nach gelegt. Denn der Erweiterte Bewertungsausschuss hat der Ein- führung eines Morbiditäts-/Chroni- kerzuschlags zugestimmt. Ihn darf der Hausarzt künftig dann abrech- nen, wenn er einen Patienten mit ei- ner oder mehreren schwerwiegen- den Erkrankungen behandelt. Kas- sen und KBV beziehen sich dabei auf die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, in der definiert wird, was eine schwerwiegende chronische Erkrankung ist.
Die Hausärzte hatten zudem 13 Zuschläge für zusätzliche Investi- tionen und/oder Qualifikationen – wie beispielsweise Sonografie oder Kleinchirurgie – gefordert. Nun ist beschlossen, dass der Qualitätszu- schlag Psychosomatik übernommen wird, der Zuschlag kindgerechte Hilfen jedoch in der Versicherten-
pauschale aufgeht. Für alle übrigen Zuschlage gilt: Sie werden einge- führt, versehen mit einer Qualitäts- sicherungsvereinbarung, aber erst mit Wirkung zum 1. Juli 2008.
Die Fachärzte werden nach An- sicht der KBV von der Steigerung der Punktmenge profitieren, wenn auch in unterschiedlichem Umfang (siehe Kasten „Auswirkungen für Fachärzte“). Im Detail wurden für die Fachärzte unter anderem folgen- de Veränderungen beschlossen:
GFür strahlentherapeutische Leis- tungen wird es von Januar 2008 an eine Bundesempfehlung zur extra- budgetären Vergütung geben.
GFür die Betreuung von Patienten mit onkologischen Erkrankungen wird eine Zusatzpauschale eingeführt.
Allerdings werden die Grundpau- schalen angepasst, weil die Kassen eine punktzahlneutrale Einführung verlangt hatten. Mit der Onkologie- Vereinbarung werden sich die Leis- tungsinhalte nicht überschneiden.
Köhler weiß, dass sich manches Verhandlungsdetail schwer vermit- teln lässt. So wird zwar in Zukunft vor allem mit Hilfe von Pauschalen abgerechnet. Doch sowohl den Kran- kenkassen wie auch der KBV ist daran gelegen, dass das Leistungs- geschehen transparent bleibt. Denn das Misstrauen ist groß. Die Kassen argwöhnen, dass die Ärzte in Zu- kunft nicht nur pauschal abrechnen, sondern pauschal weniger tun als bisher. Die KBV sorgt sich, dass sie bei Honorarverhandlungen schlech- te Karten haben könnte, wenn sie die tatsächlichen Leistungen der Vertragsärzte nicht belegen kann.
Deshalb wird eine sogenannte Teil- leistungsdokumentation eingeführt.
Vereinfacht dargestellt, sollen die Ärzte in Zukunft mithilfe einer ent- sprechenden Abrechnungssoftware anklicken, ob sie nur den bislang ob- ligatorischen Inhalt einer Leistung erbracht haben oder auch den fakul- tativen Teil.
Was er Ärztinnen und Ärzten für 2008 raten könne, wurde Köhler ge- fragt. Eines auf jeden Fall, antwor- tete der, nämlich „ alle ihre erbrach- ten Leistungen zu dokumentieren“.
Unter dem Budgetdeckel hätten Ärzte in manchen Fällen darauf ver- zichtet, Leistungen zu dokumentie- ren, weil sie sie sowieso nicht mehr abrechnen konnten. Doch die um- fassende Auflistung sei als Vorbe- reitung auf das Jahr 2009 wichtig, wenn wieder einzelne Leistungen an Bedeutung gewönnen.
Die KVen, räumte er ein, sehen das möglicherweise anders. Denn egal wieviel und was die Ärzte do- kumentieren, mehr Geld gibt es 2008 ja noch nicht. Diesen Wider- spruch werden die KVen über die Honorarverteilungsmaßstäbe austa- rieren müssen. Keine leichte Aufga- be, denn die führen auch so schon seit Jahren zu Konflikten. I Martina Merten, Sabine Rieser
AUSWIRKUNGEN FÜR FACHÄRZTE
Anpassungen des durchschnittlichen Leistungsbedarfs in Punkten
>alle Facharztgruppen + 5,38 %
>Orthopädie + 0,15 %
>Pathologie – 13,77 %
>Radiologie + 10,16 %
>Strahlentherapie + 32,88 % (de facto niedrigeres Ergebnis, weil die Steigerung zum Teil kompensiert wird durch eine Anpassung der Kostenpauschale 40840)
>Neurologie + 5,65 %
>Psychiatrie + 6,86 %
>KJPP + 14,65 %
>Psychotherapie + 16,30 %
>Psychosomatische Medizin + 14,34 %
KJPP: Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie
Quelle:KBV