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Archiv "Gesundheits- und sozialpolitische Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft" (11.07.1974)

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Die „Gesundheits- und sozialpoliti- schen Vorstellungen der deut- schen Ärzteschaft", die heute zur Beratung und möglichst auch zur Verabschiedung vorliegen, sind vom 76. Deutschen Ärztetag im vo- rigen Jahre in München bereits im Grundsatz gebilligt worden.

Alle Anträge und Diskussionsbei- träge sind zur Überarbeitung der Vorlage herangezogen worden, alle vom Ärztetag verabschiedeten Ent- schließungen wurden eingearbei- tet.

Die im Präsidium des Deutschen Ärztetages vertretenen Verbände und die Landesärztekammern hat- ten Gelegenheit, sich erneut zu den einzelnen Kapiteln zu äußern.

Einige Kammern und Verbände ha- ben davon intensiv Gebrauch ge- macht, andere wenig, und die mei- sten haben sich auf die erneute Diskussion im Ausschuß be- schränkt. Als Mitglied des Redak- tionsausschusses möchte ich mich bei allen mit der gleichen Aufrich- tigkeit bedanken, denn jeder hat auf seine Art unsere Arbeit unter- stützt.

Nach gründlicher mehrfacher Überarbeitung, in der einige Kapi- tel ergänzt, einige Aussagen neu

*) Bericht über Diskussion und Beschlüsse zu diesem Tagesordnungspunkt („Das Blaue Papier") im vorderen Textteil dieses Heftes

eingeordnet und fast alle Kapitel redaktionell vervollständigt und präzisiert worden sind, ist die neue Fassung dem großen Ausschuß, in dem alle Organisationen aus dem Präsidium vertreten sein konnten, vorgelegt worden. Dort wurden sie noch einmal durchgesehen und in Einzelheiten korrigiert.

Der Vorstand der Bundesärztekam- mer hat sie dann Mitte Mai ange- nommen und den Delegierten vier Wochen vor diesem Ärztetag zuge- hen lassen.

Im vergangenen Jahre habe ich versucht, in meinem Referat die gesundheitspolitischen, die sozial- politischen, die berufsbezogenen und die allgemein menschlichen Überlegungen darzustellen. Außer- dem wollte ich die Konzeption der Ärzteschaft als Ganzes verstanden wissen, in dem alle Ärzte zur Erfül- lung individueller Aufgaben und bei der Erfüllung von Gemeinschafts- aufgaben zusammenwirken kön- nen, ohne daß dabei die Vielfalt des Angebotes an die gesunden und kranken Menschen verloren- geht und ohne daß Entscheidungs- freiheit und Eigenverantwortung für Patienten und Ärzte noch weiter eingeschränkt werden.

Ich möchte das alles verständli- cherweise nicht wiederholen. Im- merhin ist seitdem nur ein halbes

Jahr verstrichen. Außerdem wird bei der Diskussion des Ärztetages über die einzelnen Abschnitte für die Referenten noch Gelegenheit sein, sich zum Speziellen zu äu- ßern.

Reaktion und Diskussion

Bevor der Ärztetag in die Diskus- sion einsteigt, ist es nicht nur sinn- voll, sondern meines Erachtens auch notwendig, sich der Reaktio- nen zu erinnern, die unsere Ge- sundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen in der Publizistik ausgelöst haben. Das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT hat dankenswerter- weise bereits am 15. November 1973 eine Zusammenfassung von 966 Kommentaren und Berichten veröffentlicht, so daß ich mir Einzel- heiten ersparen kann.

Auf jeden Fall ist deutlich gewor- den, wie notwendig die Aussage des Deutschen Ärztetages war, und zwar für alle diejenigen, die glau- ben, schon mit der Ausarbeitung von theoretischen Konzepten für sogenannte integrierte Versor- gungssysteme könne man die Lei- stungen in der gesundheitlichen Betreuung unserer Mitbürger ver- bessern, für alle diejenigen, die glauben, die Ärzteschaft wäre auch grundsätzlich in sich zerstritten und sie sei sozusagen sturmreif für eine Systemveränderung, und für alle diejenigen, die glauben, die Ärzteschaft hätte die Salamitaktik nicht erkannt, mit der man eine freie Gesellschaftsordnung allmäh- lich liquidieren kann, ohne eine Revolution zu veranstalten.

Der Deutsche Ärztetag hat klarge- macht, daß er die Schlüsselstel- lung einer freien Ärzteschaft für die Erhaltung einer humanen Schutz- zone und daß er die Schlüsselstel- lung der sozialen Sicherung für die Entfaltung bürgerlicher Verantwor- tung und persönlicher Freiheit er- kannt hat. Für die Erhaltung von Schutzzone und Freiräumen in der Gesundheits- und Sozialpolitik wird sich die deutsche Ärzteschaft des- halb mit allen demokratischen Mit-

Gesundheits- und

sozialpolitische Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft

Einleitendes Referat zum Tagesordnungspunkt 2 der Plenarsitzung des 77. Deutschen Ärztetages am 26. Juni 1974 in Berlin*)

Ernst Eberhard Weinhold

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teln einsetzen, und zu diesen de- mokratischen Mitteln gehört auch die Aussage des Deutschen Ärzte- tages.

Es ist kein Wunder, daß derjenige Teil der Presse- oder Funkverlaut- barungen, der auf sozialistische Verformungen des Gesundheitswe- sens und auf einen noch weiter ge- henden Sozialisierungsprozeß des täglichen Lebens eingestimmt ist, einer sachlichen Diskussion der Vorschläge aus dem Wege ging und seine Kritik in teilweise pole- mischen Angriffen vortrug. Das war zu erwarten, und das zeigte einmal mehr, wie wichtig es ist, die Dinge beim Namen zu nennen.

~ Das ist der Deutsche Ärztetag übrigens auch den Bürgern unse- res Landes schuldig; denn auch sie müssen mehr als bisher die künftige Entwicklung in ihre politi- schen Überlegungen einbeziehen und nicht nur einige vermeintliche Vorteile für den Augenblick. Jede Übertragung von Verantwortung und Pflicht vom einzelnen Men- schen auf die Gemeinschaft kostet ein Stückehen Freiheit.

Die großen Tageszeitungen haben durchweg die Bestrebungen und das Angebot der deutschen Ärzte anerkannt. Daß sie mit dem Verfah- ren auf dem letzten Ärztetag nicht viel anfangen konnten und den Ein- druck hatten, es sollten grundsätz- liche Meinungsunterschiede ver- tuscht werden, kann man ihnen nicht verübeln; zahlreiche Dele- gierte des Ärztetages waren sich ja auch nicht einig. Ob das Verfahren, so wie es beschlossen war, richtig gewesen ist, das wird unter ande- rem die heutige Diskussion erwei- sen.

Gestatten Sie mir noch ein Wort zu der These, die im Plenum des Ärz- tetages und in der entsprechenden Presse vorgetragen wurde:

Mit der in München vorgetragenen Konzeption laufe die deutsche Ärz- teschaft Gefahr, daß die zukünftige gesundheitspolitische Diskussion an ihr vorbei geführt werde.

Gesundheits- und sozialpolitische Vorstellungen

Es wurde in München unter ande- rem darauf geantwortet, das sei ja gar nichts Neues, das geschehe schon seit Jahren. Nach meiner Kenntnis kann man das nicht ver- allgemeinern. Aber es gibt zweifel- los einflußreiche gesellschaftliche Gruppen, in denen diese Diskus- sion schon immer an der Ärzte- schaft vorbei geführt wurde und deren Diskussionsergebnissen man das auch anmerkt.

Einsame Spitze in der Sammlung unsachlicher Kommentare ist die Äußerung in der Zeitschrift "Die

Ernst Eberhard Weinhold: Sein mit starkem Beifall aufgenommenes Refe- rat über die "Gesundheits- und sozial- politischen Vorstellungen der deut- schen Ärzteschaft" ist auf diesen Sei- ten im Wortlaut wiedergegeben

neue Gesellschaft", die Gesund- heits- und sozialpolitischen Vor- stellungen der deutschen Ärzte- schaft seien "ein Schlag ins Ge- sicht der Sozialversicherten". Die Äußerung hat mich darüber be- lehrt, daß das Schillerwort heute noch gilt: "Mit Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens."

Als Angehöriger eines Berufes mit extremer sozialer Verpflichtung und als seit 25 Jahren tätiger Land- arzt verbitte ich mir eine solche

Frechheit im Namen der gesamten berufstätigen Ärzteschaft ln der Sorge für die Sozialversicherten und ihre Probleme braucht die Ärz- teschaft den Vergleich mit keiner anderen Berufsgruppe zu scheuen, einschließlich der Gewerkschafts- funktionäre und der Mitarbeiter der gesetzlichen Krankenkassen. Eben- so wie die berufliche Tätigkeit je- des einzelnen Arztes dienen auch die Ziele der Gesundheits- und so- zialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft dieser Auf- gabe, denn 90 Prozent der uns an- vertrauten Menschen sind Sozial- versicherte.

Allerdings schließt die Beurteilung dieser Vorschläge ein, daß die Kri- tiker ihr Nachdenken nicht sofort einstellen, wenn Alternativen sicht- bar werden, deren Durchführung besonderen politischen Mut erfor- dert.

..,.. Wer "ja" zu Freiheit und Verant- wortung des Bürgers in einer De- mokratie sagt, der darf dabei den Bereich der Gesundheits- und So- zialpolitik nicht ausklammern; denn nichts hilft den Bürgern und schützt die Bürger unseres Landes auf lange Sicht mehr als dieses

"Ja" zur Freiheit und Verantwor- tung.

Zur Traumwelt integrierter Systeme Wer hätte sie nicht schon erträumt, die geordnete Weit, in der alles klappt, ineinandergreift und funk- tionsgerecht ausgeführt wird, bis die rauhe Wirklichkeit mit ihren Forderungen jetzt und heute ihn wieder auf den Boden lebendiger Erfahrungen zurückkehren ließ.

Doch wer diese Wirklichkeit kaum kennt, darf weiterträumen.

Nichts von den Argumenten der in Klinik und Praxis tätigen Ärzte hat den Vizepräsidenten des Bundes- gesundheitsamtes, Professor Erwin Jahn, Mitautor der "WSI-Studie zur Gesundheitssicherung in der Bun- desrepublik Deutschland", davon überzeugen können, daß am Ende so verplanter Systeme die Verbüro- kratisierung steht. ln der Gliede-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 28vom 11.Juli 1974 2185

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rung in Regionen, Subregionen, medizinisch technische Zentren, zentrale lnformationssysteme, al- lerlei Teams in abgestuften Funk- tionen und ihrer diagnostischen Kapazität entkleidete Ärzte in Pra- xis und Klinik, Gesundheitsämtern und Sozialmedizinischen Diensten sieht er den Schlüssel zu optimaler - weil zwangsweiser - Koopera- tion aller Teilbereiche der Gesund- heitssicherung für seine Mitmen- schen.

Dabei ist das größte Problem der Gesundheitssicherung in den mo- dernen Industriestaaten nicht etwa die mangelnde Kooperation oder die mangelnde medizinische Kapa- zität, sondern die Wandlung der medizinischen Einrichtungen zu di- stanzierten Dienstleistungsappara- ten. Zwangsweise Kooperation durch Teilung der Verantwortung, von Diagnose, Therapie und Be- zugspersonen führt zu einem Sta- fettensystem in der medizinischen Versorgung der Menschen, das die bereits vorhandenen Tendenzen zum Abbau einer persönlichen Pa- tientenführung noch verstärkt.

..,.. Alle uns bekannten Beispiele für ähnliche integrierte Systeme einer ärztlichen Versorgung haben den Zug zur Inhumanität verstärkt, weil sie die selbstverantwortliche Part- nerschaft zwischen Patient und Arzt abbauen oder sogar beseiti- gen.

..,.. Den Menschen mit ihren höchst unterschiedlichen Eigenschaften und Reaktionen können nur vom Einzelfall her flexibel gestaltete Kooperationsformen gerecht wer- den. Dementsprechend müssen auch die Möglichkeiten in der me- dizinischen Versorgung gestaltet sein.

Schon der Aufbau im Modell mit deutlichen Merkmalen einer Behör- denstruktur, geteilten Kompeten- zen und mit frustrierendem Warten des einen auf den anderen läßt ah- nen, daß sich dabei Eigengesetz- lichkeilen entwickeln werden. Die- se Eigengesetzlichkeilen werden nicht nur zur Insuffizienz der Teil-

bereiche führen, sondern auch die optimistische Voraussage einer Kostenersparnis ins Reich der Träume zurückverbannen.

..,.. Nach den Vorstellungen der Deutschen Ärzteschaft werden die für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung wesentlichen Fortschritte schneller, wirtschaftli- cher und ohne Zwang erreicht wer- den.

Zum wunderlichen Papier der Orts- und

Betriebskrankenkassen

Obwohl im Oktober 1973 mit den

"Gesundheits- und sozialpoliti- schen Vorstellungen der deut- schen Ärzteschaft" ein in sich ge- schlossenes und logisches Pro- gramm der Weiterentwicklung der ärztlichen und medizinischen Ver- sorgung der Bürger in der Bundes- republik Deutschland vorgelegt wurde und obwohl die Kassenärzt- liche Bundesvereinigung mit ihrer

"Dokumentation zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung"

alle erforderlichen Informationen über den derzeitigen Stand und die zukünftige Planung erteilt hatte, haben die Bundesverbände der Orts- und Betriebskrankenkassen Forderungen zur Änderung des Kassenarztrechtes erhoben.

Gerade jetzt, da die Kassenärztli- chen Vereinigungen die ersten Er- folge ihrer Bemühungen um eine Verbesserung der Struktur der ärzt- lichen Versorgung feststellen kön- nen, erheben Kassenverbände For- derungen, die diesen Erfolg in Zu- kunft in Frage stellen. Dabei wur- den weitere, in die Zukunft rei- chende Planungen längst mit den jeweiligen Vertragspartnern in der Peripherie erörtert, so daß von ei- nem Mangel an Mitwirkung oder Information keine Rede sein kann. Das muß den Anschein erwecken, daß weniger sachliche Erwägun- gen dieser Aktion zugrunde lagen als vielmehr der Wunsch, die Vor- machtstellung der Krankenkassen gegenüber den Kassenärzten wie-

derherzustellen. Der soziale Friede, den das Kassenarztrecht von 1955 durch das Junktim von Sicherstel- lungsauftrag an die Kassenärztli- chen Vereinigungen und Verzicht auf vertragslose Zustände als Mit- tel des Arbeitskampfes den Ver- tragspartnern beschert hat, würde leichtsinnig aufs Spiel gesetzt, wenn der Gesetzgeber den Wunsch der Krankenkassen nach einer Einschränkung des Sicher- stellungsauftrages erfüllte und Konkurrenzverträge mit Kranken- hausambulatorien zuließe.

..,.. Diese Forderung ist um so un- verständlicher, als weder die per- sonellen Voraussetzungen an den Krankenhäusern dafür vorhanden sind noch eine Verbesserung der Struktur der ärztlichen Versorgung damit verbunden wäre. Denn gera- de dort, wo heute Ärzte besonders nötig gebraucht werden, sind auch keine Krankenhäuser vorhanden.

Es käme also nur zur Verstärkung des Angebots in ohnehin gut ver- sorgten Gebieten.

Das alles ist auch den Bundesver- bänden der Orts- und Betriebs- krankenkassen bekannt.

Der politische Gehalt der Vorschlä- ge wird deutlich in der Forderung nach Einschränkung des Wettbe- werbs der Krankenkassen unter- einander, der sich nach aller Erfah- rung nur zum Nachteil der Versi- cherten auswirken kann. Die damit zum Ausdruck kommende Tendenz zur Beseitigung von Wahlmöglich- keiten ist gegen die pluralistische Struktur unserer Gesellschaft ge- richtet. Dieser Vorgang erfordert höchste Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund ähnlicher Bestrebun- gen in anderen Bereichen der Ge- sellschaft und Wirtschaft.

Bei der Neufassung der Gesund- heits- und sozialpolitischen Vor- stellungen der deutschen Ärzte- schaft sind diese Vorschläge sorg- fältig geprüft worden und waren Anlaß, in einigen Aussagen dazu Stellung zu nehmen. C>

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Bericht und Meinung

Gesundheits- und sozialpolitische Vorstellungen

Was ist fortschrittlich?

Daß politische Gruppen mit diame- tral entgegengesetzten Zielvorstel- lungen den Fortschritt für sich ge- pachtet zu haben glauben, erfahren wir jeden Tag. Was in Zentralafrika ein Fortschritt sein würde, kann in Zentraleuropa ein Rückschritt sein.

Patentrezepte, die in aller Weit gleich wirksam sind, gibt es nicht, zumal dann nicht, wenn man ganz verschiedene Krankheiten damit behandeln will. Praktizierte Politik hat viel mit Rezepten gemein. Im Begriff des Fortschrittes ist der Aufbau auf bisher Erreichtem ent- halten; eine Neuordnung von Grund auf hat ihre Bewährung noch vor sich - in ihr ist der Fort- schritt nicht mehr als eine Hoff- nung.

Deshalb sei hier noch einmal fest- gestellt:

..,.. Die Ärzteschaft betrachtet sich in dieser Diskussion als die gesell- schaftliche Gruppe mit dem mei- sten Sachverstand, und sie führt diese Diskussion in erster Linie aus dieser Position heraus. Die Ärzte wissen, daß einflußreiche po- litische Kräfte ihre Stellungnahme als Interessenvertretung abtun möchten, denn sie stören die Kon- zeption einer stufenweisen Macht- ergreifung in Teilbereichen der Politik.

Gerade diese Tatsache verpflichtet die Ärzteschaft zu einer unmißver- ständlichen Aussage.

Das glasklare und politisch konse- quente Programm der marxisti- schen Gruppen erfordert eine ebenso klare und konsequente Stellungnahme derjenigen, die an- derer Meinung sind. Mit Pragmatis- mus wird keine Alternative sicht- bar; und wer kann letzten Endes den Pragmatismus vom Opportu- nismus abgrenzen. Wir sind alle Menschen, und niemand kennt die Schwächen der Menschen besser als die Ärzte.

ln den vergangenen Jahren wurde den Ärzten immer wieder vorge- worfen, sie litten an einer Art Ver- folgungswahn. Niemand wolle ihre Freiberuflichkeit, ihre Selbstverwal- tung und ihre Vertragsfreiheit als Grundlagen ihrer beruflichen Un- abhängigkeit antasten, jedenfalls niemand, der sich aus der Position staatlicher Legislative oder Exeku- tive dazu geäußert habe.

Schützt der Staat die berufliche Unabhängigkeit?

Die erste Gelegenheit, den Worten Taten folgen zu lassen, war mit der Krankenhausgesetzgebung ge- kommen. Was aber ist geschehen?

überall dort, wo die Ausdehnung staatlicher Machtfülle und gesell- schaftlicher Majorisierung ange- strebt wurde, sind freiberufliche Elemente systematisch abgebaut worden, so auch bei den Kranken- hausärzten. Der umgekehrte Weg wäre angesichts der zweifelhaften Erfolge mit der Vergesellschaftung von Dienstleistungsbereichen ei- gentlich logisch gewesen.

Wenn der Deutsche Ärztetag den eingeschlagenen Weg für falsch hält, dann muß er das auch sagen, auf die Risiken hinweisen und et- was Besseres vorschlagen. Nicht der Trend darf die Richtung einer politischen Diskussion bestimmen, sondern das Ergebnis der Diskus- sion den Trend.

Berufliche Unabhängigkeit und Bereitschaft, besondere Verantwor- tung zu tragen, sind eng mitein- ander verbunden; beides ist in un- serer oder auch in jeder anderen Gesellschaftsordnung nicht im Überfluß zu haben.

Das Engagement muß erhalten bleiben!

Die Ärztinnen und Ärzte in Praxis und Klinik, in Stadt und Land sol- len und wollen ihren Mitbürgern in allen möglichen Situationen per- sönlichen Unglücks bis hin zu menschlichen Katastrophen zur Verfügung stehen. Ein Privatleben

2188 Heft 28 vom 11.Juli 1974 DEUTSCHES ARZTEBLATT

kennen sie kaum, und sie leben darüber hinaus mit einer kaum ver- gleichbaren Gewissenslast

Gerade die für die Gesundheitspo- litik und die Sozialpolitik Verant- wortlichen in Staat und Gesell- schaft sollten die Bemühungen der Ärzteschaft um eine diesem berufli- chen Leitbild entsprechende Tätig- keitsform nach Kraft unterstützen.

..,.. Von daher ist es unverständlich, warum gerade die bestehende Ord- nung im Gesundheitswesen so hef- tig angegriffen wird. Diese Angriffe haben auch nicht nachgelassen, nachdem die Bürger selbst sich in wiederholten Meinungsumfragen in ihrer weit überwiegenden Mehrheit positiv über die Leistungen inner- halb dieser Ordnung ausgespro- chen haben. Es bestehen Anlässe, vieles zu verbessern; aber es wäre mehr als leichtfertig, den Lei- stungsstandard mit gesellschafts- politisch begründeten Reformen aufs Spiel zu setzen.

Natürlich werden auch Fehler gemacht

Daß in dem in Deutschland prakti- zierten System der ärztlichen Ver- sorgung Fehler gemacht werden, wird kein vernünftiger Mensch, also auch kein Arzt, bestreiten. Sie sind Ausdruck der menschlichen Unvollkommenheit; von ihnen blei- ben die freie Praxis oder die Kran- kenhäuser ebensowenig verschont wie das öffentliche Gesundheitswe- sen. Fehler werden um so häufiger auftreten, je weniger persönliche Gewissenslast mit ihnen verbunden ist. Das ärztliche Engagement ist so vielen individuellen Einflüssen unterworfen, daß jede Regelung von außen entweder zu einer un- sinnigen Verzettelung von Kräften führen muß oder zur Zurückhaltung

vom

Engagement überhaupt.

Die Menschen seien, hat Goethe einmal gesagt: " ... strebsam, Göt- ter zu erreichen, und doch ver- dammt, sich immer selbst zu glei- chen", und die Ärzte sind da keine

Ausnahme. C>

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Aber diese Strebsamkeit freizuset- zen und zu fördern ist auch eine Aufgabe der Gesellschaftspolitik.

Das wird zur Zeit in der Hingabe an Vorstellungen wie Chancen- gleichheit und sozialer Gerechtig- keit nicht im erforderlichen Umfan- ge gewürdigt. Die Folge kann nur eine Erstarrung in Mittelmäßigkeit sein, die jeden Fortschritt in geisti- ger oder technischer Hinsicht hemmt. Nichts anderes würde die Entkoppelung von freier Initiative und beruflicher Verpflichtung im ärztlichen Alltag bewirken.

Wer kontrolliert wen?

Zweifellos ist es wünschenswert, einen Weg zu finden, der den Miß- brauch einer so auf persönlichem Vertrauen aufbauenden und verant- wortlichen Tätigkeit wie der ärztli- chen verhindert. Diese Forderung gilt ganz allgemein für alle verant- wortlichen Funktionen, zum Bei- spiel auch für Politiker im Zentrum der Macht. Dabei erheben sich im- mer wieder dieselben Fragen: Was kann man überhaupt kontrollieren, und wer soll kontrollieren?

Sie werden vermutlich denken:

„Möglichst alles, was bezahlt wird."

Und wer? „Natürlich der Deutsche Gewerkschaftsbund." Damit wären zwar die Kompetenzen geregelt, aber nicht der Sachverstand, und es bliebe offen, wer nun den DGB kontrolliert. Das könnte dann viel- leicht der Hartmannbund überneh- men.

Integrierte Kontrollsysteme pflegen sich nachteilig auf die Entfaltung von Initiativen auszuwirken, denn keine Fehler macht nur der, der überhaupt nichts tut; aber das ist dann meistens ein entscheidender Fehler. Institutionalisierte Kontroll- systeme bedeuten — in aller Regel

— eine Kontrolle der Unprodukti- ven über die Produktiven, und die- se Tatsache erweist sich rasch als einschneidender Störungsfaktor.

Für den Arzt heißt die Alternative:

klare Verantwortlichkeit gegenüber dem Patienten, und soweit dessen

Kontrollmöglichkeiten dafür nicht ausreichen, kollegiale offene Dis- kussion zur Selbstkontrolle und Verbesserung des Informations- standes bei allen Menschen. Hier besteht zweifellos ein Nachholbe- darf, für dessen Befriedigung die Fortbildungseinrichtungen der Lan- desärztekammern sorgen werden.

Von der Praxis her werden die Kooperationsmodelle zwischen freipraktizierenden Ärzten und Krankenhausärzten am schnellsten wirksam werden.

Eine der Grundlagen für die Ver- wirklichung der Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft bedarf — und ich muß betonen, leider — ei- ner nochmaligen besonderen Er- wähnung: Das Problem der Förde- rung des Interesses an der allge- meinärztlichen Tätigkeit.

Ohne die Allgemeinmedizin geht es nicht!

Während nahezu überall in den hier zusammengefaßten Vorschlä- gen und Plänen eine Übereinstim- mung mit den medizinischen Fakul- täten besteht, ist das bei der Ein- gliederung der allgemeinmedizini- schen Lehre in das Medizin- studium nicht der Fall. Aus gu- tem Grund wird deshalb. die Forde- rung nach der Errichtung von Insti- tuten für Allgemeinmedizin an den deutschen medizinischen Fakultä- ten wiederum ausdrücklich erho- ben. Gerade weil mit Lehraufträgen allein, gleichgültig ob aus perso- nellen Gründen oder wegen der Gegebenheiten an den Hochschu- len kein entscheidender Fortschritt erreicht worden ist, müssen jetzt konkrete Vorschläge für eine Insti- tutionalisierung im Mittelpunkt der Beratungen stehen. Aus dem Provi- sorium muß eine Dauereinrichtung werden, die der Vermittlung allge- meinmedizinischer Kenntnisse und Erfahrungen eine organisatorische Basis geben kann.

Angesichts der Bedeutung der All- gemeinmedizin für die ärztliche Versorgung der Bevölkerung soll-

ten alle Universitätslehrer ihren Kollegen in der Allgemeinmedizin auch persönlich nach Kräften hel- fen, sich an den Hochschulen ein- zurichten und einzuleben. Solange die Allgemeinmedizin kein Pflicht- fach ist, wird es auch der ständi- gen Hinweise auf diese Lehrveran- staltungen durch die Lehrer in den traditionellen Fächern bedürfen. Es handelt sich um eine Aufgabe der medizinischen Fakultäten, für die zwar eine Adaptionsphase von mehreren Jahren notwendig sein wird, die aber in enger Zusammen- arbeit mit den ärztlichen Organisa- tionen und den Allgemeinärzten selbst durchaus erfolgreich gelöst werden kann.

Nach der erklärten Zurückhaltung des Deutschen Medizinischen Fa- kultätentages ist es notwendig, hier deutlich zu sagen, daß die Resi- gnation nichts bessert, sondern nur neue Schwierigkeiten mit sich bringt. Schwierigkeiten werden uns dabei schon von anderer Seite ge- nügend gemacht, die mit der Al- ternative multidisziplinär besetzter fachärztlicher Ambulatorien einen entscheidenden Schritt zur Ände- rung der Struktur der ärztlichen Versorgung überhaupt anstrebt.

Es sind dieselben Kräfte, denen eine ärztliche Versorgung, die auf persönlicher Zuwendung und per- sönlichem Vertrauen basiert, po- litisch hinderlich ist. Die dadurch eingeleitete Partnerschaft von Pa- tient und Arzt paßt nicht in das Konzept des allmählichen Wandels der pluralistischen in eine kommunistische Gesellschaftsord- nung.

Viel weniger wichtige Teilbereiche der medizinischen Lehre haben in- zwischen an den Hochschulen ih- ren Platz gefunden, obwohl auch deren wissenschaftliches Funda- ment keineswegs vollständig aus- diskutiert war. Die Vorbereitungen für die allgemeinmedizinische Leh- re sind über die Anfänge längst hinaus und international in der Dis- kussion. Auch hier wird sich das wissenschaftliche Fundameht stän- dig verbreitern, wenn erst Lehre

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Bericht und Meinung

Gesundheits- und sozialpolitische Vorstellungen

und Forschung ihren festen Platz an den Hochschulen gefunden ha- ben.

Das Gerede von der Krise

Das Gerede von einer Krise im Ge- sundheitswesen der Bundesrepu- blik Deutschland halte ich für poli- tisches Geschwätz. Es ist nur be- dauerlich, daß sich Politiker in ver- antwortlichen Positionen daran be- teiligen.

Es gibt ernsthafte Schwierigkeiten bei der Versorgung psychiatrisch Kranker, die zu überwinden die An- strengungen aller erfordert, natür- lich des Staates und der Ärzte, aber auch der Familien der Kran- ken und der sonstigen sozialen Umwelt. Es gibt Strukturunter- schiede in der ärztlichen Versor- gung in Stadt und Land und auch zwischen verschiedenen Stadttei- len. Das dürfte übrigens mit allen Dienstleistungsberufen, Handwer- kern und Geschäften ebenso sein. Niemand ist bisher darauf gekom- men, deshalb dort von einer Krise zu reden.

Die neuerdings so häufig zitierte gleichmäßige Versorgung ist je- denfalls nicht mit der Wiederein- führung von Verhältniszahlen bei der Kassenzulassung zu erreichen.

Das ist ganz einfach zu begründen, denn Ansprüche, Angebot und Lei- stung stehen in einer direkten Be- ziehung zueinander. Außerdem ar- beitet der eine zwölf bis vierzehn Stunden sehr intensiv und versorgt dreitausend Menschen ausgezeich- net, ein anderer ist anders veran- lagt und erschöpft sich bereits in der Versorgung von weniger als der Hälfte. Das ist keine These, das ist Realität. Merkwürdigerweise wird auch nirgends im Zusammen- hang mit den strukturellen Unter- schieden der Gedanke eines Über- angebotes diskutiert. Wenn man schon auf die normalen Steue- rungsmechanismen für die Inan- spruchnahme von persönlichen Dienstleistungen in der Gesund- heitssicherung verzichtet, ist keine Bedarfsanalyse mehr möglich.

Außerdem soll ja alles immer bes- ser und vollkommener werden bis der Platz Nr. 1 in der Weltrangliste auf allen Gebieten erreicht ist. Mit gesetzlich geregelter Nahrungszu- fuhr, dem Verbot von Genußmit- teln, Volksläufen als dienstlicher Veranstaltung, Zwangsimpfungen und strengen Quarantänebestim- mungen auch für Fußpilzerkran- kungen würde man der Sache schon ein wenig näher kommen.

..,.. Ob eine Krise im öffentlichen Ge- sundheitsdienst eintreten wird, ist abhängig von der Einsicht des Staates, die Besonderheiten von Aufgaben und Laufbahn auch fi- nanziell entsprechend zu würdigen.

Die Ärzteschaft kann sich hierzu nur sachverständig äußern und gleichzeitig Hilfe durch Zusammen- arbeit anbieten.

Daß volle Wartezimmer oder Pan- nen im Notdienst, die übrigens sehr selten vorkommen, Zeichen für eine Krise sind, kann wohl im Ernst niemand behaupten. Schließ- lich gibt es auch leere Wartezim- mer oder weniger volle, und das beweist einmal mehr, wie unwirk- sam ein Dirigismus nach Schlüs- selzahlen wäre.

Volkswirtschaftliche Begründungen für eine solche Krise sind höchst zweischneidig, denn der Kostenan- teil der Gesundheitssicherung ist eine direkte Folge der von Staat und Gesellschaft gesetzten Priori- täten. Solange diese Prioritäten woanders lagen, war das nicht in der Diskussion. Außerdem ist von den zahlreichen Dienstleistungsbe- reichen unserer Gesellschaft der des Gesundheitswesens doch rela- tiv produktiv und vergleichsweise billig.

Darüber hinaus bieten längst nicht nur die Krankenhäuser, die ·freien Praxen, die Krankenkassen und die Krankenversicherungen interessan- te Arbeitsplätze in großer Zahl, sondern es leben auch ganze Ort- schaften, nämlich die Heilbäder, von dieser Priorität in der Politik.

Das Gejammer über die hohen Ko- sten ist also widersinnig.

2190 Heft 28 vom 11.Juli 1974 DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

..,.. Die Behauptung von einer Krise hält einer sachlichen Nachprüfung nicht stand.

..,.. Die festgestellten Störungen und Strukturmängel können durch die Vorschläge der Ärzteschaft kurzfri- stig oder auf lange Sicht beseitigt werden.

Dürfen wir resignieren?

Wie ernst es den Ärzten mit der Verteidigung ihrer beruflichen Grundlagen ist, mag jeder ermes- sen, der wachen Sinnes die Ent- wicklung in bereits verstaatlichten Dienstleistungsbereichen beobach- tet. Schon heute sind vergleichbare Tätigkeiten im öffentlichen Dienst mit allen Vorteilen und Sicherun- gen zumindest unter Berücksichti- gung der Arbeitszeit, nicht schlechter bezahlt als die ärztliche Arbeit in freier Praxis. Das kann man ganz leicht nachrechnen, wenn man von Durchschnittswer- ten ausgeht.

Die Verteidigung der gesellschaftli- chen Position als freier Beruf dient also nicht dem Vorteil der Ärzte im Sinne einer bequemeren Lebens- führung bei besseren Verdienst- möglichkeiten. Viel einfacher wäre es, angesichts der Tendenz zur Ar-

beitnehmer-Gesellschaft zu resi-

gnieren und den Gesundheitspla- nern die Verantwortung für den Verlauf ihrer Experimente aufzu- bürden.

Aber wir leben in einer freiheitli- chen Demokratie, und diese Ge- sellschaftsordnung entläßt unseren Berufsstand nicht aus der Verant- wortung. Nicht nur die Ärzte nach uns, auch die Patienten von mor- gen haben einen Anspruch auf den Einsatz der heute im Beruf stehen- den Ärztegenerationen für das, was diese für richtiger und besser hal- ten.

Die Ärzteschaft muß also alle ge- sundheitspolitischen Forderungen, von wem auch immer sie aufge- stellt werden, auf ihren Sinn, auf ihren sachlichen Gehalt und auf

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ihre Durchführbarkeit untersuchen.

Gesundheitspolitik kann nur le- bensnah bleiben, wenn sie auch die Erfahrungen der Ärzte im Um- gang mit den gesunden und kran- ken Menschen berücksichtigt.

Dazu gehört die Erkenntnts, daß diese Menschen verschieden sind, erst recht die kranken Menschen, deren Kraft zur Anpassung gestört

odersogarau~ehobeni~.

So wie es die Kunst einer humanen Gesellschaftspolitik ist, der indivi- duellen Vielfalt Lebensraum zu schaffen, ohne dadurch das Zu- sammenleben der Menschen zu gefährden, so ist es die Kunst einer humanen Gesundheitspolitik, diese Vielfalt zu schützen und die Wie- derherstellung der Gesundheit des einzelnen auch im Sinne der Erhal- tung seiner Eigenart zu fördern. Die Möglichkeiten der medizini- schen Wissenschaft, des techni- schen Fortschrittes und die Orga- nisationsformen in allen Bereichen der Krankenbehandlung und Ge- sundheitssicherung müssen die- sem Ziel entsprechend ausgestal- tet werden. Das erfordert die Erhal- tung von Freiräumen für die Entfal- tung menschlicher Zuwendung für alle in diesem Dienst Tätigen und für die ärztliche Kunst.

..,. Es wird also weniger darauf an- kommen, die zwischenmenschli- chen Vorgänge durch soziologi- sche Analysen zu relativieren, als darauf, ihrer intuitiven Kratt in der praktischen Medizin zur Wirkung zu verhelfen. Auch deshalb ist eine totale, verplante Systematik in die- sem Bereich völlig ungeeignet, die Verhältnisse zu verbessern, denn sie setzt eine Abgrenzung von Kompetenzen und Funktionen vor- aus, die den Erfordernissen indivi- dueller Gegebenheiten nicht ge- recht werden kann.

Freilich schließt eine mit vielen Freiräumen für persönliche Ent- scheidungen ausgestattete Dienst- leistungsstruktur das Risiko unter- schiedlicher Wirksamkeit und ge- ringerer zentraler Einwirkungsmög- lichkeiten ein. Nach meiner Über- zeugung muß das aber in Kauf ge-

nommen werden, denn für den Pa- tienten sind persönliche Zuwen- dung und selbstverantwortliches Engagement wichtiger als der Vor- rang für eine Kontrollierbarkeit im Detail.

Immerhin ist es auch heute noch so, daß ein Arzt - zumindest in der freien Praxis - das Risiko sei- ner beruflichen Existenz als ständi- gen Ansporn für seine Leistung und deren Qualität in seine Tätig- keit einbringen muß. Nur wer die Bürde täglicher Entscheidungen in eigener Verantwortung kennt, kann ermessen, welche Rolle das Wis- sen um dieses Risiko spielt. Der ärztliche Beruf braucht Kraft und Mut zu dieser Verantwortung; bei- des muß Bestandteil des Berufsbil- des bleiben und bereits für diejeni- gen Beweggrund sein, die sich die- sem Beruf zuwenden wollen. Es wird eine wichtige Aufgabe für Psy- chologen und Ärzte sein, auch die- ses Kriterium bei der Auswahl der Studienbewerber zur Geltung zu bringen.

Wege zum Fortschritt

Mit diesen einleitenden Worten habe ich versucht, auch gegenüber der anwesenden Öffentlichkeit, noch einmal einige Tendenzen un- serer Vorlage zu unterstreichen.

Natürlich kann diese Zusammen- stellung von Leitsätzen, Vorschlä- gen und Folgerungen keinen An- spruch auf Vollständigkeit erheben.

Schon die Auswahl war schwierig.

Über jedes der fünf Kapitel könnte ein Handbuch geschrieben werden und über jedes der 32 Unterthemen

zumindest ein Buch. Das ist allen,

die daran mitgewirkt haben, auch bei der zweiten Überarbeitung klar gewesen.

Es wäre verlockend gewesen, in

die Diskussion der Aussagen, hi-

storische, kulturelle und philoso- phische Betrachtungen einzubezie- hen, besonders in Stellungnahmen zur Bedeutung der freien Berufe, zur Konfrontation gesellschaftli- cher Lehren, zur Wechselwirkung zwischen sozialer Sicherung und

schöpferischer Kraft und zum Pro- blem des genetischen Verfalls im Werden und Verblühen der Kultur- völker.

Wir mußten uns darauf beschrän- ken, die Probleme in Kurzform dar- zustellen und, wo dies möglich ist, Wege zu ihrer Lösung aufzuzeigen.

Die Diskussion dieses Ärztetages wird noch vieles anklingen lassen, wie das bei einer so großen Zahl engagierter Sachverständiger gar nicht anders sein kann. Damit wird sich das Mosaik der Meinungen und Begründungen noch vervoll- ständigen.

Auf den Bereich der stationären Krankenversorgung bin ich nicht besonders eingegangen. Ihm wird das Korreferat von Herrn Vilmar (es ist im Wortlaut auf den Sei- ten 2192 bis 2203 veröffentlicht) ausführlich Beachtung schenken.

Namens des Redaktionsausschus- ses bedanke ich mich besonders bei den Herren Deneke, Zickgraf und Hess, die bei der Neufassung entscheidend mitgeholfen haben.

..,. Wir alle sind nicht der Meinung, daß es sich dabei um ein interes- senorientiertes Konzept handelt, dessen Hauptanliegen es ist, alles so zu lassen, wie es ist; im Gegen- teil, es werden Wege aufgezeigt, wie man Fortschritte realisieren kann, ohne deshalb Bewährtes auf- geben zu müssen.

..,. Gegenüber der Öffentlichkeit bekennt sich die deutsche Ärzte- schaft erneut zu ihren Aufgaben, wohl wissend, daß ihre Bewälti- gung nicht nur der tätigen Mitar- beit jedes einzelnen Arztes bedarf, sondern auch der wirksamen För- derung durch die verantwortlichen Politiker in den Parteien und der Unterstützung der gesetzgebenden Organe des Staates.

Um diese Unterstützung der Vor- schläge des Deutschen Ärztetages möchte ich jetzt schon bitten.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Ernst Eberhard Weinhold 2851 Spieka I>

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