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Archiv "Gesundheitspolitik: Mit kleinen Schritten" (19.04.2002)

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as Wort „Gesundheitsreform“

vermied Bundesgesundheitsmini- sterin Ulla Schmidt. Stattdessen profilierte sie sich am 11. April bei einer Veranstaltung der SPD-nahen Fried- rich-Ebert-Stiftung in Berlin als „Ver- mittlerin im Gesundheitswesen“. Auch Schmidt plädiert für Veränderungen, doch behutsam sollen sie sein. Ihre

„Leitlinien sozialdemokratischer Ge- sundheitspolitik“ unterscheiden sich deshalb auch deutlich von den „Eck- punkten einer neuen Gesundheitspoli- tik“, die 24 Experten des „Gesprächs- kreises Arbeit und Soziales“ der Fried- rich-Ebert-Stiftung unter dem Titel

„Reform für die Zukunft“ ausgearbei- tet haben (dazu DÄ, Heft 15/2002).

Die seit langem von der Stiftung geplante Tagung „Gesundheitssyste- me im internationalen Vergleich“ ent- puppte sich als Schaulaufen für die Gesundheitsexperten, die – unterstützt von internationalen Wissenschaftlern – ihr kürzlich bekannt gewordenes Kon- zept präsentierten. Auch Ulla Schmidt trat auf. Obwohl ihr „Lieblingsberater“, Prof. Dr. Dr. Karl W. Lauterbach, Uni- versität Köln, zu den Verfassern des Papiers gehört, untermauerte sie vor den SPD-Experten ihre von den Ex- perten, einschließlich Lauterbach zum Teil abweichende Position: Sie wolle nichtdie Kassenärztlichen Vereinigun- gen entmachten und den Sicherstel- lungsauftrag den Krankenkassen über- geben, betonte die Ministerin. Dies war eine zentrale Forderung des Experten- papiers gewesen. Die freie Arztwahl und die flächendeckende Versorgung dürften nicht angetastet werden, sagte Schmidt. Diese wichtige soziale Ver- antwortung könnten nur die Kranken- kassen gemeinsammit der Ärzteschaft

übernehmen. Schmidt sprach dabei von einem „geordneten Nebeneinander“, nicht von einem „Entweder-oder“.

Solch radikale Reformpläne hatte ihr einstmals schärfster Konkurrent inner- halb der SPD-Fraktion. Doch der ehe- malige Mainzer Sozialminister Florian Gerster ist (vorerst ?) aus dem Rennen um den Ministerposten. Gerster, dem die Eckpunkte der Gesundheitsexper- ten auf den Leib geschrieben scheinen, muss derzeit in Nürnberg für Ordnung bei der Bundesanstalt für Arbeit sor- gen. Schmidts Konzept soll dagegen dem Vernehmen nach als Grundlage zum Thema Gesundheit für das SPD- Wahlprogramm dienen.

Direktverträge und staatliche Institute

Bleiben die SPD Regierungspartei und Schmidt Gesundheitsministerin, könnte es trotzdem für die Ärzteschaft noch einige unangenehme Überraschungen geben. Denn Hintertürchen hält sich die Ministerin für die Zeit nach der Wahl of- fen: Es stelle sich die Frage, ob man mehr Vertragsfreiheit brauche, sagte sie.

Schmidt kündigte an, neben Kollektiv- verträgen auch Direktverträge von Kas- sen mit einzelnen Ärzten zuzulassen – allerdings ohne zu sagen, wie dies ne- beneinander funktionieren soll. Ein an- derer Einschnitt steht für Schmidt be- reits fest: Nicht mehr die Ärzte und Krankenkassen sollen die Leitlinien für die medizinische Behandlung erstellen, sondern ein neu zu gründendes unab- hängiges „Zentrum für Qualität in der Medizin“ nach englischem Vorbild. Bis- her kommt die Bewertung von Qualität der Selbstverwaltung zu. Diese würde

künftig nur noch die Vergütung der me- dizinischen Leistungen klären.

Reibungspunkte zwischen Schmidt und den SPD-Gesundheitsexperten so- wie den Grünen gibt es auch bei den Fi- nanzierungsfragen. In ihrer Grundsatz- rede lehnte Schmidt die vorgeschlagene Erhöhung der Beitragsbemessungsgren- ze ebenso ab wie die Einbeziehung von Miet- und Zinseinnahmen der Versi- cherten oder eine Erweiterung des Ver- sichtenkreises der Gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV). Die GKV sei das Herzstück des Sozialstaates und müsse bewahrt werden, betonte Schmidt.

Um deren Finanzierung zu sichern, will sie gut Verdienende jedoch nicht mit höheren Beiträgen belasten. Die Grup- pe zahle heute schon hohe Beiträge. „Ich halte aber etwas davon, dass wir auf Dauer den Versichertenkreis erhalten – und zwar auch mit den so genannten gu- ten Risiken“, sagte die Ministerin. Dazu plant sie, an der Stellschraube „Versiche- rungspflichtgrenze“ zu drehen. Durch de- ren Anhebung will sie junge gut ver- dienende Versicherte künftig länger an die GKV binden und die vermehrte Ab- wanderung in private Krankenkassen eindämmen. Nach Schmidts Angaben wechselten im vergangenen Jahr 212 700 Versicherte von der Gesetzlichen in die private Krankenversicherung.

Eine Aufteilung in Pflicht- und Wahl- leistungen wie es die Union fordert, lehnte Schmidt erneut strikt ab. Dies nütze nur den Gesunden, belaste aber die Kranken und die Kassen. „Eine soli- darische Wettbewerbsordnung basiert auf einem einheitlichen und gemeinsa- men Leistungskatalog, der das medizi- nisch Notwendige für alle sicherstellt“, betonte Schmidt. Mehr Qualität und mehr Effizienz seien stattdessen die P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 16½½½½19. April 2002 AA1059

Gesundheitspolitik

Mit kleinen Schritten

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ist gegen eine radikale Reform.

Der Sicherstellungsauftrag soll bei den Ärzten bleiben, Direktverträge jedoch möglich werden.

Höherverdienende sollen nicht stärker zur Kasse gebeten,

der Wechsel zur privaten Krankenversicherung soll jedoch erschwert werden.

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Antworten auf die derzeitigen Proble- me im Gesundheitswesen. Darauf müsse der Wettbwerb gerichtet sein. In diesem Punkt ist sich Schmidt mit den SPD-Ex- perten einig und forderte ebenso wie sie verbindliche Behandlungsleitlinien auf der Basis allgemein anerkannter Stan- dards für die großen Volkskrankheiten.

Diese sollen eine qualitätsgesicherte Versorgung gewährleisten. „Leitlinien- gesicherte Medizin ist kein Widerspruch zu individueller Therapie“, betonte Schmidt. Leitlinien richteten sich nicht gegen die Ärztinnen und Ärzte, sondern unterstützten diese, indem sie ihnen ei- ne Richtschnur an die Hand gäben.

Als weitere Eckpfeiler ihrer Gesund- heitspolitik nannte Schmidt die Ver- zahnung von ambulanter und stationä- rer Versorgung und die Stärkung der Hausärzte als Lotsen im Gesundheitssy- stem. Diagnosebezogene Fallpauscha- len im ambulanten fachärztlichen Be- reich und modifizierte Kopfpauschalen im hausärztlichen Bereich seien sinnvoll und notwendig. Schmidt bekräftigte ih- re Pläne, ab 2003 die elektronische Pati- entenkarte auf freiwilliger Basis einzu- führen, die Prävention zu stärken sowie für vermehrte Transparenz bei der Arz- neimittelversorgung zu sorgen.

Beim Thema „Arzneimittel“ schloss sich die Ministerin den Vorschlägen der SPD-Experten an und plädierte für ein unabhängiges Institut, das nach einem gesetzlich festgelegten Verfahren den Arzneimittelpreis im Verhältnis zum Nutzen bewerten soll. „Zehn Prozent mehr Nutzen und ein dreihundertpro- zentig höherer Preis dürfen nicht sein“, sagte Schmidt. Mehr Transparenz will sie auch bei der Rabattpraxis. Forde- rungen nach Arzneimittel-Inspekteuren nach niederländischem Vorbild, die Ver- günstigungen der Pharmaindustrie an Ärzte und Apotheker überprüfen, griff Schmidt in ihrer Grundsatzrede jedoch nicht auf. „Überholte Strukturen“ will sie aber abschaffen, wie die Preisbin- dung und die Preisspannenverordnung, die die Handelsspannen für die Apothe- ken vorgibt. Zudem soll der Versand- handel von Medikamenten zugelassen werden. Schmidt erhofft sich von den Maßnahmen, die steigenden Arzneimit- telausgaben in den Griff zu bekommen, die sie für die Finanzmisere (mit-)ver- antwortlich macht. Dr. med. Eva A. Richter

P O L I T I K

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A1060 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 16½½½½19. April 2002

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ie psychosoziale Versorgung im Akutkrankenhaus ist nach An- sicht der Teilnehmer des Runden Tisches psychosozialer Fachgesellschaf- ten im Akutkrankenhaus nach Ein- führung der DRGs (Diagnosis related Groups) gefährdet. In einer Resolution fordert die vor einem Jahr gegründete Initiative das Bundesgesundheitsmini- sterium, die Deutsche Krankenhausge- sellschaft und das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und In- formation auf, den Stellenwert psycho- sozialer Versorgung zu definieren und psychosoziale Komplikationen bei der Ermittlung des Gesamtschweregrades angemessen zu gewichten. Die Resolu- tion wird inzwischen von etwa 80 Fach- gesellschaften sowie Berufs- und Pati- entenverbänden unterstützt.

Bisher unberücksichtigt

„Leider wird in den derzeitigen Diskus- sionen zur neuen Krankenhausfinan- zierung ab 2003/2004 die psychosoziale Versorgung im Akutkrankenhaus nicht ausreichend berücksichtigt und somit aus der Finanzierung herausgedrängt“, erläutert Dr. rer. nat. Oliver Krauß, Ko- ordinator der Initiative. Der Psycholo- ge am Institut für Arbeits- und Sozial- medizin der Universität Leipzig for- dert, dass die psychosozialen Neben- diagnosen in der akutmedizinischen Behandlung zumindest grundsätzlich als behandlungsbedürftig und schwe- regradsteigernd anerkannt werden.

„Die psychische und soziale Belastung

körperlich Erkrankter wird häufig nicht als ökonomisch relevante Komplikati- on erachtet“, berichtet Prof. Dr. med.

Reinhold Schwarz, Leiter der Ab- teilung Sozialmedizin der Universität Leipzig. Zudem würde die gesetzlich vorgeschriebene Dokumentation der psychosozialen Betreuung so undiffe- renziert erfolgen, dass die Vergütung nicht angemessen geschätzt werden könne.

Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, sich in die Kostenerhebungen durch eine gesetzliche Regelung ein- zumischen. Dies erklärte der Staats- sekretär im Bundesgesundheitsministe- rium, Dr. Klaus Theo Schröder, auf ei- ne Anfrage des CDU/CSU-Abgeord- neten Dr. med. Hans Georg Faust, Klinikarzt aus Goslar, im Februar. „Die Bundesregierung geht davon aus, dass die erforderliche psychosoziale Be- treuung auch künftig von den Kran- kenhäusern gewährleistet wird“, beton- te Schröder. Für die Entwicklung und Einführung des DRG-Fallpauschalen- systems sei die Selbstverwaltung zu- ständig.

Kalkulation festgelegt

Diese hat sich bereits auf ein Kalkulati- onsverfahren und damit zunächst auf 600 bis 800 DRGs geeinigt. Bis zum Herbst sollen Relativgewichte für alle Leistungen im Krankenhaus gebildet werden. Dazu übermitteln ausgewählte 260 Krankenhäuser bis zum Juli ihre Ist-Kosten. „Das Feststellungsverfah- ren wird bei einer Stichprobe von Kran- kenhäusern durchgeführt, in der nur zu einem verschwindend geringen Teil psychosoziale Leistungen erbracht wer- den“, bemängelte Krauß. „Somit wer- den die entsprechenden Kostengewich- te nicht realistisch ermittelt.“ Dass qua- litätssichernde Maßnahmen im An- schluss an das Feststellungsverfahren Mängel bei der psychosozialen Versor- gung im Akutkrankenhaus beheben könnten, hält der Psychologe prinzipiell für möglich. Doch: „Wenn zunächst gute psychosoziale Versorgungseinrich- tungen abgebaut und später wieder aufgebaut werden müssen, verliert die Medizin an Glaubwürdigkeit“, meint

Krauß. ER

Psychosoziale Versorgung

Sorge um

Finanzierung

Kritik an der Kostenermitt- lung: Die Stichprobe aus- gewählter Krankenhäuser ist nicht repräsentativ.

Die Resolution ist im Internet unter www.aerzteblatt.de abrufbar.

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