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A966 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 15½½13. April 2001
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egen Ende des Jahres 2000 konnten die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für ärztliche Behandlungsfehler der alten Bundeslän- der auf ihr 25-jähriges Bestehen zurück- blicken. In dieser Zeit haben sie für die Befriedung gestörter Arzt-Patienten- Verhältnisse große Bedeutung erlangt und den Interessen der Patienten und der Ärzte gleichermaßen gedient. Die neuen Bundesländer haben sich dieser er- folgreichen Form der außergerichtlichen Streitschlichtung rasch angeschlossen.Außergerichtliches Verfahren
In den 70er-Jahren erhoben immer mehr Patienten oder deren Angehörige Scha- densersatzklagen wegen fehlerhafter Heilbehandlung oder erstatteten Straf- anzeige wegen fahrlässiger Körperver- letzung oder Tötung, durch die der Arzt persönlich stark belastet und gelegent- lich auch beruflichen und wirtschaftli- chen Nachteilen ausgesetzt wurde, auch wenn ihn kein oder nur ein geringes Ver- schulden traf. Andererseits war der Pati- ent, der sich oft in Beweisnot fühlte, an der Aufklärung sowie der medizinischen und rechtlichen Würdigung des Sachver- halts, der Sicherung der Beweise sowie daran interessiert, ohne Übernahme ei- nes Kostenrisikos die gegnerische Haft- pflichtversicherung zum Ersatz des gel- tend gemachten Schadens zu veranlas- sen. Arzt und Patient hatten daher über- einstimmend ein Interesse daran, ihren Streit ohne Diskriminierung des Arztes und ohne Kostenrisiko des Patienten außergerichtlich beizulegen. Diesem Zweck dienen die Gutachterkommissio- nen und Schlichtungsstellen seit 25 Jah- ren. Beiden ist gemeinsam, dass sie keine Schiedsgerichte sind, den Streit der Be- teiligten also nicht verbindlich entschei- den, sondern den Rechtsweg zu den Ge- richten offen lassen. Die Gutachterstel- len bestehen aus medizinischen und juri-
stischen Sachverständigen, die sich auf die Frage nach ärztlichen Behandlungs- fehlern und dadurch entstandene oder zu befürchtende Gesundheitsschäden kon- zentrieren, aber nicht mit der Schadens- bemessung befassen. Bei den Schlich- tungsstellen steht dagegen der zivilrecht- liche Schadensersatzanspruch im Mittel- punkt.
Im Jahr 1975 sind in allen Bundeslän- dern Gutachterkommissionen, Schlich- tungsstellen oder Kombinationen bei- der Modelle eingerichtet worden. Nach der Wiedervereinigung haben sich die Ärztekammern in Mecklenburg-Vor- pommern, Brandenburg, Sachsen-An- halt und Thüringen der gemeinsamen Schlichtungsstelle für Norddeutschland angeschlossen, während Sachsen eine eigene Schlichtungsstelle eingerichtet hat. Sämtliche Einrichtungen arbeiten in der 1979 gegründeten Ständigen Konferenz der Gutachterkommissio- nen und Schlichtungsstellen bei der Bundesärztekammer zusammen.
Die Erfolge dieser Institutionen kön- nen am Beispiel der Gutachterkommis- sion für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein näher aufgezeigt werden. Ihre ehrenamtli- chen Mitglieder ermitteln aufgrund des Vortrags der Beteiligten sowie der Do- kumentationen des beschuldigten so- wie der vor- und nachbehandelnden Ärzte den Sachverhalt und würdigen ihn in medizinischer und rechtlicher Hinsicht. Das Ergebnis wird den Betei- ligten in der Regel in einem gutachtli- chen Erstbescheid mitgeteilt, der die Frage beantwortet, ob dem beschuldig- ten Arzt ein Behandlungsfehler vorzu- werfen ist, durch den der Patient einen Gesundheitsschaden erlitten hat oder voraussichtlich erleiden wird. Außer- dem befasst sich die Kommission mit vom Patienten gerügten Aufklärungs- mängeln. Der Bescheid wird von einem Arzt des jeweiligen Fachgebietes ver- fasst und von einem Juristen rechtlich
geprüft. Erhebt ein Beteiligter Einwen- dungen, entscheidet abschließend die Gesamtkommission, die aus einem Ju- risten und vier praktisch und wissen- schaftlich besonders erfahrenen Medi- zinern, nämlich je einem Chirurgen, In- ternisten, Pathologen und Allgemein- mediziner, besteht.
Dieses Verfahren hat sich sehr be- währt. Der Vorwurf ärztlicher Standes- rücksichten ist nicht gerechtfertigt. Im langjährigen Durchschnitt enden 36 Pro- zent der Verfahren mit der Feststellung eines ärztlichen Behandlungsfehlers.
Das unterscheidet sich nicht wesentlich von der Behandlungsfehlerquote bei ge- richtlichen Urteilen. Wird ein Behand- lungsfehler oder Aufklärungsmangel festgestellt, reguliert die Haftpflichtver- sicherung des belasteten Arztes in der Regel den Schaden; bei Nichtfeststel- lung gibt sich der Patient mit der Würdi- gung durch die Kommission meist zu- frieden. Nur in zehn Prozent der Fälle schließt sich eine gerichtliche Auseinan- dersetzung an. Abweichende Gerichts- entscheidungen sind äußerst selten.
Erfolgreiches Wirken
Alle deutschen Kommissionen und Schlichtungsstellen arbeiten sehr erfolg- reich. Das ergibt sich aus der Zusam- menstellung ihrer Evaluationen, die Neumann im Jahre 1998 vorgenommen hat (MedR 1998, 309 ff.). Die Quote der festgestellten Behandlungsfehler lag bei der überwiegenden Zahl der Gut- achterkommissionen und Schlichtungs- stellen über 30 Prozent. Die Eingänge waren regional sehr unterschiedlich.
Deshalb erscheint es nicht angezeigt, allen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen eine einheitliche Verfahrensordnung zu geben. Die neue- ste Evaluation stammt von der nord- deutschen Schlichtungsstelle, die über einen besonders großen räumlichen
25 Jahre Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen
Im Interesse von Ärzten und Patienten
Die institutionalisierte Form der außergerichtlichen Streitschlichtung hat sich bewährt.
Zuständigkeitsbereich verfügt. Ihre Ent- scheidungen haben in 91,4 Prozent der Fälle einen gerichtlichen Arzthaftungs- streit vermieden.
Der Forderung politischer Reformer, Patientenvertreter an der Arbeit der Gutachterkommissionen und Schlich- tungsstellen zu beteiligen, kann nur zum Teil nachgekommen werden. Selbstver- ständlich sind sie als Verfahrensbevoll- mächtigte zugelassen. Dann können sie schriftlich vortragen, erhalten Abschrif- ten der gegnerischen Schriftsätze und der eingeholten Fachgutachten und können in sämtliche Akten Einsicht nehmen. Über den Inhalt der gutachtli- chen Erstbescheide oder abschließen- den Kommissionsentscheide dürfen sie aber nicht mitentscheiden. Das ist schon deshalb ausgeschlossen, weil gegen sie als Vertreter von Patienteninteressen die Besorgnis der Befangenheit bestün- de. Das gestörte Arzt-Patienten-Ver- hältnis kann – wie die Erfahrung ein- deutig gezeigt hat – nur durch unabhän- gige Sachverständige befriedet werden.
Im Übrigen wäre zu befürchten, dass die Haftpflichtversicherungen der Ärz- te den Schaden nicht mehr gütlich regu- lierten, wenn an der Entscheidung über die Feststellung eines Behandlungsfeh- lers ein Patientenvertreter mitwirkte.
Die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen haben sich große Verdienste erworben. Durch ihre unab- hängige Würdigung von Konflikten ha- ben sie Patienten, Ärzten, Versicherern und Gerichten viele schwierige und teu- re Prozesse erspart, ohne den Steuer- zahler zu belasten. Dafür wollen sie auch künftig uneigennützig und mit überwiegend ehrenamtlichem Engage- ment arbeiten. Diesen Willen sollte der Staat nicht lähmen, sondern nach be- sten Kräften fördern. Dass sich politi- sche Reformen durchsetzen, welche ih- re Arbeit belasten und ihre Erfolge ge- fährden würden, muss gerade im Inter- esse der Patienten verhindert werden.
Anschriften der Verfasser:
Präsident des Oberlandesgerichts a. D.
Dr. jur. Heinz Dieter Laum Vorsitzender
Prof. Dr. med. Lutwin Beck
Geschäftsführendes Kommissionsmitglied
Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein
Tersteegenstraße 31, 40474 Düsseldorf
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ür die Krankenhäuser wird es ernst:Nach den gesetzlichen Vorgaben des § 17 b des Krankenhausfinanzie- rungsgesetzes (KHG) sollen bis zum 31. Dezember 2001 Fallgruppendefini- tionen und DRG-Relativgewichte sowie Zu- und Abschläge des ab dem 1. Januar 2003 einzuführenden DRG-Vergütungs- systems vereinbart werden. Auch wenn der Stichtag am 31. Dezember 2001 auf- grund der zu knappen gesetzlichen Ter- mingestaltung mit einer sachgerechten Lösung nicht vereinbar scheint, kann nicht ausgeschlossen werden, dass zu- mindest ein Teil der Krankenhausdaten des Jahres 2001 schon mit als Grundlage für die Umrechnung des Fallerlösanteils des historischen Krankenhausbudgets in ein DRG-Budget herangezogen wird.
Damit kann die Qualität der Falldoku- mentation des laufenden Jahres für jedes einzelne Krankenhaus bereits darüber mitentscheiden, ob es die Einführungs- phase des neuen Vergütungssystems als Gewinner oder Verlierer verlässt.
Dieser Aspekt hat zu einer erhebli- chen Verunsicherung an den Kranken- häusern geführt, weil die wesentlichen Einflussgrößen des künftigen Vergü- tungssystems und die sich daraus für die Falldokumentation ergebenden Anfor- derungen noch immer unklar sind. Viele Krankenhäuser behelfen sich im beste- henden (Ver-)Zweifel(n)sfall daher mit dem Grundsatz, dass alles zu codieren und zu dokumentieren ist, was eben geht. Die resultierende Überdokumen- tation belastet überwiegend die hiermit beauftragten Krankenhausärzte. Die Dokumentation eines Falles bindet in der Regel zwischen 12 und 20 Minuten ärztlicher Arbeitszeit. Das geflügelte Wort „Wer schreibt, der bleibt“ dürfte sich daher zur Zeit primär im vermehr- ten Anfall dokumentationsbedingter ärztlicher Überstunden niederschlagen.
Auch die Kostenträger stehen vor der Aufgabe, aus den ihnen übermittelten Entlassungsdaten, die je Fall zum Teil 200 und mehr Diagnosen- und Proze-
´ Tabelle 1CC´
Gruppierungsrelevante Kriterien des AR-DRG-Systems
AR-DRGs – Gruppierungsrelevante Kriterien Im §-301-Datensatz enthalten Haupt- und Nebendiagnosen (ICD-10-AM-Band 1) ✓(ICD-10-SGB-V 2.0) Haupt- und Nebenleistungen (ICD-10-AM-Band 3) ✓(OPS-301 2.0)
Alter ✓
Geschlecht ✓
Geburts- bzw. Aufnahmegewicht ✓
Verweildauer ✓
Nicht explizit enthalten, aber
Tagesfallstatus aus Aufnahme- und Entlassungsdatum
des §-301-Datensatzes zu ermitteln Beatmungsstundenzahl Abbildung über den OPS-301 (8-718 –
Dauer der maschinellen Beatmung) Status der psychiatrischen Zwangseinweisung Weder nach § 301 SGB V noch
nach der ICD-10-SGB-V darstellbar
Entlassungsart ✓