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Archiv "Versicherungsmedizin und Gentests: Kein Interesse am gläsernen Patienten" (09.03.2001)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 10½½9. März 2001 AA593

sondern um mehr Mittel pro Jahr (rund 800 Millionen DM) zur Verfügung zu haben, um den Personal- und Ressour- ceneinsatz in ihren Praxen zur Betreu- ung der Patienten zu erhöhen.

Der niedrigere Ressourceneinsatz in ostdeutschen Praxen ist – gemessen an der Herausforderung durch eine höhe- re Morbiditätsbelastung ostdeutscher Krankenversicherter – unzureichend.

Obwohl sich viele Ärzte mit der Nie- derlassung als freier Beruf bis zur Gren- ze des wirtschaftlich Tragbaren durch Kredite finanziell belastet haben, ist das Ressourcenungleichgewicht nicht durch falsche Disposition ostdeutscher Praxisinhaber zu verantworten. Das Ungleichgewicht ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass die Kosten für ei- nen notwendigen höheren Ressour- ceneinsatz durch ostdeutsche Praxisin- haber nicht finanzierbar sind, solange die Praxiseinnahmen je Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung durch eine im Vergleich zum Westen wesentlich niedrigere Vergütung in den neuen Bundesländern für das medizi- nisch ambulante Leistungssystem sy- stembedingt niedrig bleibt.

GFazit: Würde man bei der ostdeut- schen Bevölkerung gleiche Morbidität und Mortalität wie im Westen feststel- len, müsste man den niedrigeren Res- sourceneinsatz in Ostdeutschland als Ausdruck höherer Effizienz und Effek- tivität des Versorgungssystems inter- pretieren. Da Morbiditäts- und Morta- litätsgleichheit in Ostdeutschland aber bisher nicht erreicht ist, ist zu vermuten, dass zwischen der Höhe des Ressour- ceneinsatzes und des Abbaus der Un- terschiede in Morbidität und Mortalität ein unmittelbarer Zusammenhang be- steht. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass mit einem auf die Dauer niedrige- ren Ressourceneinsatz in Ostdeutsch- land ein höheres Mortalitäts- und Mor- biditätsniveau abgebaut werden kann.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 590–593 [Heft 10]

Anschrift des Verfassers:

Dr. rer. pol. Gerhard Brenner Geschäftsführer des

Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland

Höninger Weg 115, 50969 Köln

Telefon: 02 21/40 05-1 24, Fax: 02 21/40 80 55 E-Mail: gbrenner@kbv.de

Z

unehmend wird die Öffentlich- keit in den letzten Jahren bei der Diskussion um Gentests mit der Risikoprüfung durch Lebens- und Krankenversicherungen konfrontiert und dadurch auch sensibilisiert. Im Ex- tremfall gipfelt dies in der Forderung an die Politik, den Versicherungen den Zu- gang zu den Ergebnissen von Gentests zu verbieten. Auch unter nicht in der Versicherungsmedizin tätigen Ärzten ist diese Meinung häufig anzutreffen.

Die Beschlüsse auf dem 103. Deutschen Ärztetag in Köln (2000) und entspre- chende Äußerungen des Präsidenten der Bundesärztekammer belegen dies deutlich. Bevor jedoch schwerwiegende Beschlüsse gefasst werden, die nachhal- tige negative Konsequenzen für die ge- samte Lebens- und Krankenversiche- rungswirtschaft nach sich ziehen kön- nen, sollte auch die Position der ande- ren Seite gehört werden. Dabei sind un- ter „der anderen Seite“ nicht nur die In- teressen der Versicherungsgesellschaf- ten zu verstehen, sondern auch die der Versicherten, die ein Interesse daran haben, eine für die gesamte Gesell- schaft überaus wichtige wirtschaftliche Einrichtung funktionsfähig zu erhalten.

Ziel der medizinischen Risikoprü- fung in der Lebensversicherung ist die Erstellung einer Langzeitprognose der Sterblichkeit des Antragstellers. Die Freiwilligkeit der Privatversicherung bringt es mit sich, dass sich weit mehr Leute mit verminderter Lebenserwar- tung versichern lassen wollen, als dies dem Durchschnitt der Bevölkerung entspricht. Nicht selten neigen gerade diese Antragsteller dazu, ihr Leben mit

überdurchschnittlich hohen Summen zu versichern. Dieses Phänomen wird als Antiselektion bezeichnet. Aus die- sem Grund ist eine Risikoprüfung er- forderlich, die verhindern soll, dass in einem Versichertenportfolio Personen mit einem Gesundheitsproblem einen für ihr Risiko viel zu niedrigen Preis zahlen. Hier liegt eine der Hauptaufga- ben des Versicherungsarztes. Dabei un- terscheidet sich sein Vorgehen grundle- gend von dem des klinischen Arztes, der ebenfalls mit der Frage seines Pati- enten konfrontiert sein kann, wie der weitere Verlauf einer Erkrankung ein- zuschätzen ist.

Unterschied zur klinischen Medizin

Der Versicherungsarzt oder Risikoprü- fer sieht den Antragsteller für eine Le- bensversicherung nicht als „Fall“, oder als „Patienten“, sondern als „Risiko“.

Die Beurteilung dieses Risikos ge- schieht auch nicht auf Wunsch des An- tragstellers, sondern der Versicherungs- mediziner handelt im Auftrag eines Ver- sicherungsunternehmens. Dabei muss er zu einem Stichtag (Tag der Antrag- stellung) eine verbindliche Aussage über die erwartete Sterblichkeit des An- tragstellers machen, die zudem zu ei- nem späteren Zeitpunkt, wenn neue Gesundheitsdaten oder Befunde (gün- stige wie ungünstige) erhoben werden, nicht mehr korrigiert werden kann.

Grundlage hierfür ist das Versiche- rungsvertragsgesetz, das dem Versicher- ten die Sicherheit gibt, dass ein einmal

Versicherungsmedizin und Gentests

Kein Interesse am gläsernen Patienten

Eine Art „gläserner Antragsteller“ widerspricht dem allge- meinen Zweck von Versicherungen, nämlich der Absicherung von unvorhersehbaren und ungewissen Risiken.

Achim Regenauer

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geschlossener Lebensversicherungsver- trag zu der vereinbarten Prämie über die gesamte Laufzeit unverändert fort- geführt wird. Der Versicherungsarzt muss sich auf Informationen beschrän- ken, die ihm bei der Antragsprüfung vorgelegt werden.

Der Versicherungsarzt betrachtet nicht den Einzelfall für sich allein, son- dern ordnet den Antragsteller auf- grund seiner Gesundheitsmerkmale und Krankheitsvorgeschichte einem Kollektiv mit gleicher mittlerer einge- schätzter Lebenserwartung zu. Im Ge- gensatz zu einer klinischen Individual- prognose kann mit größeren Kollekti- ven eine wesentlich zuverlässigere sta- tistische Aussage erzielt werden.

Sofern bei einem Antragsteller auf eine Lebensversicherung mehrere Er- krankungen vorliegen oder das Versi- cherungsunternehmen auf der sicheren Seite sein will, wird an den Hausarzt ein Fragebogen gesandt, mit dem genauere Informationen über die Krankheitsge- schichte des Antragstellers ermittelt werden. Der Hausarzt wurde zuvor durch eine entsprechende Unterschrift des Patienten im Antragsformular hier- zu ausdrücklich ermächtigt. Im Hin- blick auf die Diskussion über die Ver- traulichkeit von Gentests sei erwähnt, dass Versicherungsgesellschaften strikt an die Schweigepflicht in Bezug auf die Gesundheitsdaten ihrer (potenziellen) Kundschaft gebunden sind. Man spricht auch vom so genannten Versicherungs- geheimnis. Auch unter Ärzten ist die Tatsache weitgehend unbekannt, dass ein Verstoß gegen das Versicherungsge- heimnis ähnliche Konsequenzen haben kann wie ein Verstoß gegen die ärztli- che Schweigepflicht. Die Schweige- pflicht der Ärzte wie auch der Versiche- rung oder der Versicherungsangestell- ten ist im gleichen Paragraphen des Strafgesetzbuches geregelt.

Die vielfach geäußerte Befürchtung, dass die Versicherungswirtschaft in Zu- kunft die Durchführung von Gentests zu einer generellen Voraussetzung für einen Lebensversicherungsabschluss machen könnte, erscheint angesichts ei- ner Antragsprüfung, wo selbst Routi- neblutuntersuchungen nur bei hohen Lebensversicherungssummen vorge- nommen werden, als unbegründet. Auf- wendigere ärztliche Untersuchungen

verlangen die meisten Versicherungsun- ternehmen bei Versicherungssummen über 500 000 DM. Verträge in dieser Größenordnung stellen nur einen sehr geringen Anteil (weniger als ein Pro- zent) der jährlich acht Millionen Versi- cherungsverträge in Deutschland dar.

Langzeitprognostische Einschätzung

Zur Einschätzung des Todesfallrisikos orientiert sich der Versicherungsarzt an den Einschätzungsgrundsätzen seiner Versicherungsgesellschaft. In Einschät- zungshandbüchern (Manualen) sind für die jeweiligen Erkrankungen die Extra- mortalitäten (siehe Textkasten) unter Berücksichtigung von spezifischen pro- gnostischen Faktoren aufgeführt. Die Manuale basieren unter anderem auf Statistiken von Rückversicherern, die die Sterbewahrscheinlichkeiten der Versicherten auswerten, und auf medi- zinischen Studien von klinischen Ein- richtungen, Gesundheitsorganisationen oder Epidemiologen. Solche Einschät- zungshandbücher werden seit Beginn

des letzten Jahrhunderts verfasst, ent- sprechend den medizinischen Fort- schritten und Schadenerfahrungen lau- fend aktualisiert. Im Lauf der Zeit ist die Versicherbarkeit der Bevölkerung stetig gestiegen. Wurden Anfang des 20. Jahrhunderts noch 40 Prozent aller Lebensversicherungsanträge abgelehnt (zu jener Zeit galt jeder chronisch Kranke als nicht versicherbar), so ist dieser Anteil heute auf unter zwei Pro- zent gesunken. Lediglich fünf bis sieben Prozent müssen mit einer erhöhten Prä- mie rechnen, und die restlichen 91 bis 93 Prozent werden nach der Risikoprü- fung zu Standardbedingungen ange- nommen. Es besteht kein Grund anzu- nehmen, dass die Berücksichtigung von Gentestbefunden in der Risikoprüfung diesen langjährigen Trend erweiterter Versicherbarkeit in der Lebensversi- cherung umkehren sollte.

In der medizinischen Statistik stoßen wieder zwei verschiedene Welten auf- einander; die der klinischen Medizin und die der Versicherungsmedizin. Ob- wohl beide Medizin als Grundlagenwis- senschaft anwenden und statistische Methoden verwenden, bedeutet ihr je- weiliges prognostisches Endergebnis bei weitem nicht das Gleiche. Hier liegt eine Hauptursache des Missverständ- nisses in Diskussionen mit klinisch täti- gen Ärzten und Hausärzten, die Studi- en zitieren, die angeblich eine ausge- zeichnete Prognose ihres Patienten be- legen, wohingegen die Versicherung – für die behandelnden Ärzte unver- ständlicherweise – eine Erschwerung in der Prämie des Antragstellers vorsieht.

Dabei sollte gut nachvollziehbar sein, dass selbst ein minimal überdurch- schnittliches Todesfallrisiko keinesfalls vernachlässigt werden kann, wenn die Versicherungen nicht mittelfristig deut- liche Verluste riskieren wollen.

Auswirkung der

Extramortalität auf die Prämie

Was bedeutet nun eine 100-prozentige Extramortalität für denjenigen, der ei- nen Versicherungsschutz zu einem er- schwinglichen Preis sucht? Er muss kei- neswegs für sein erhöhtes Risiko eine ebenfalls um 100 Prozent erhöhte Prä- mie bezahlen. Vielmehr wirkt sich der T H E M E N D E R Z E I T

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A594 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 10½½9. März 2001

Extramortalität

Angenommen, ein 50-jähriger Mann leidet unter der Erkrankung Asthma. Die Versicherungsmedi- zin weiß aufgrund von Statistiken, dass von 1 000 Männern mit dem Alter 50 und der An- omalie Asthma im Laufe des nächsten Jahres 14 Männer sterben werden. Diese Zahl ist zwar in- teressant, jedoch für sich alleine betrachtet nicht besonders hilfreich. Konkrete Aussagekraft ge- winnt sie erst durch den Vergleich mit der Bevöl- kerungssterbetafel, die für jedes Lebensalter die Sterblichkeit der Normalbevölkerung angibt.

Aus ihr kann man entnehmen, dass von 1 000 Männern im Alter von 50 Jahren sieben Männer im Laufe des nächsten Jahres sterben werden.

Diese Zahl wird als Normalsterblichkeit bezeich- net. Wenn man die Sterblichkeit beider Gruppen – die der Asthmatikergruppe und der normalen Gruppe – miteinander vergleicht, so differieren die Sterblichkeiten in diesem Beispiel um das Doppelte (14/7), das heißt, es sterben 100 Pro- zent mehr als in der gesunden Vergleichsgruppe.

Diese zusätzliche Sterblichkeit wird als Über- sterblichkeit oder Extramortalität bezeichnet und ist die statistische Maßzahl, die die Pro- gnose der erhöhten Risiken bestimmt. Sie wird immer in Prozent der Normalsterblichkeit ausge- drückt. Es besteht also in diesem Beispiel eine Übersterblichkeit von 100 Prozent.

Textkasten

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Zuschlag nur auf den Risikoanteil der Prämie aus und bemisst sich nach dem Alter des Antragstellers, der Art der Versicherung und ihrer Laufzeit. Bei ei- ner 100-prozentigen Extramortalität liegt der jährliche Zuschlag für eine ge- mischte Lebensversicherung mit einer Laufzeit von 20 Jahren, bei der im Erle- bensfall das angesparte Kapital zuzüg- lich des garantierten Zinses und der Gewinnanteile ausgezahlt wird, bei rund einem Promille der abgeschlosse- nen Versicherungssumme. Durch die- ses Zahlenbeispiel wird deutlich, dass die immer wieder geäußerte Vermu- tung, die Versicherungswirtschaft versi- chere erhöhte Risiken nur widerstre- bend, nicht zu halten ist. Die Versiche- rung verfolgt lediglich das legitime In- teresse, eine risikogruppengerechte Prämie verlangen zu können, um sich und letztlich auch die Versicherten vor Antiselektion zu schützen.

Ist ein Verzicht auf Gentests möglich?

In der öffentlich geführten Gentestde- batte wird immer wieder die Sorge geäußert, dass sich die Versicherungen Zugang zu genetischen Daten verschaf- fen könnten und damit Einblick in den persönlichen Bereich der Antragsteller erhielten. Dieser Gedanke ruft bei vie- len ein deutliches – und auch nachvoll- ziehbares – Unbehagen hervor. Die Versicherungen fühlen sich missver- standen und streiten eine solche Ab- sicht energisch ab.

Um den Begriff des Gentests ranken Vermutungen und Assoziationen, die sich bisweilen weit von der Realität ent- fernt haben. Um eine gemeinsame Dis- kussionsbasis zu schaffen, ist deshalb unbedingt eine begriffliche Klarstel- lung nötig. Im Gegensatz zu der enga- giert geführten Debatte über Gentests in der Versicherung spielen diese Tests bis heute in der Risikoprüfung der Le- bens- und Krankenversicherung so gut wie keine Rolle. Ob dies in Zukunft weiterhin der Fall sein wird, lässt sich nicht absehen, da die Märkte der mole- kularen Medizin gerade erst entstehen.

Ein allgemeiner Gentest, der Aussagen über die Lebenserwartung eines Men- schen macht, existiert nicht und wird es

nach Meinung renommierter Genom- forscher aus dem Humangenomprojekt auch in Zukunft nicht geben.

Nicht selten entsteht das Unbehagen darüber, den Versicherungen den Zu- gang zu Gentests zu gewähren, aus der Befürchtung, dass Rückschlüsse auf die Identität eines jeden Menschen gewon- nen werden könnten. So hat jeder Mensch seinen eigenen unverwechsel- baren Genotyp, der ihn einzigartig macht. Bereits heute wird dieses Wissen in einigen Ländern im Gerichtswesen angewendet (zum Beispiel DNA-Fin- gerprinting in den USA). Es stellt sich die Frage, ob da nicht auch die Versi- cherungsunternehmen an diesen Infor- mationen interessiert sein könnten. Die Antwort ist ein klares Nein. Versiche-

rungen werden diese Informationen mit Sicherheit nicht verwerten oder gar aus- werten, denn sie sind für den Versiche- rungsabschluss völlig uninteressant.

Versicherungsrelevante Informationen zur Identität eines Antragstellers lassen sich einfacher und preiswerter – etwa anhand eines Personalausweises – er- mitteln. Nur aus Neugier oder „zur Si- cherheit“ werden die Versicherungen keinen Blick in das Genom ihrer neuen Kunden werfen wollen, geschweige denn in das der bereits Versicherten.

Nicht nur, dass das ihre Kapazität und ihr Potenzial überfordern würde,

sondern es ergäbe vor allem auch gar keinen Sinn: Eine Art „gläserner An- tragsteller“ widerspricht nämlich dem allgemeinen Zweck von Versicherun- gen, dem zugrunde liegenden Versiche- rungsprinzip und somit den Geschäfts- interessen der Versicherungsgesell- schaften. Der eigentliche Zweck von Versicherungen ist ja gerade die Absi- cherung von unvorhersehbaren und un- gewissen Risiken.

Antiselektion bei Zurückhalten relevanter Daten

Allerdings müssen Versicherungen über alle relevanten Faktoren des zu versichernden Risikos, beispielsweise Krankheiten, bei Antrag- stellung informiert werden, sofern diese Faktoren dem Antragsteller bekannt sind.

Die so genannte Anzeige- pflicht des Antragstellers ist in § 16 des deutschen Ver- sicherungsvertragsgesetzes (VVG) geregelt. Unter- bleibt die Anzeige auch nur teilweise, sei es durch ein Zurückhalten relevanter Daten durch den Antrag- steller, sei es durch eine ge- setzliche Einschränkung, dann ist Antiselektion mit nachteiligen Folgen für die Versichertengemeinschaft zu erwarten. Daher beste- hen die Versicherungen auf der uneingeschränkten Bei- behaltung der Informati- onspflicht. Dazu gehören auch bereits vor Antragstel- lung durchgeführte Gentests, die un- strittig risikorelevante Informationen enthalten. Zwei Kriterien sind also für die Informationspflicht bei Gentests wesentlich: Die Tests müssen bereits vor Antragstellung durchgeführt worden sein, und die gewonnenen Informatio- nen müssen für das jeweilige Risiko re- levant sein. Die Ergebnisse solcher Tests beziehen sich lediglich auf einen millionsten Bruchteil des gesamten menschlichen Genoms. In der Risiko- prüfung interessieren in erster Linie die Indikation, mit der dieser Test ausge- führt wurde, und das Testergebnis.

Nur aus Neugier werden Versicherungen keinen Blick in das Genom ihrer neuen Kunden werfen wollen. Foto: Peter Wirtz

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Eventuelle Nebenschlüsse oder zusätz- liche Schlussfolgerungen aus einem Gentest sind für die Versicherungswirt- schaft nicht interessant. Was der An- tragsteller nicht weiß, interessiert auch die Versicherung nicht.

Das Recht auf Nichtwissen bleibt al- so erhalten, sofern beide Seiten (Versi- cherung und Antragsteller) „gleich un- wissend“ sind.

Ein auffälliger Gentest wird in öffent- lichen Diskussionen fast immer mit ei- ner potenziellen Ablehnung in der Le- bens- und Krankenversicherung gleich- gesetzt. Zum Teil wird sogar die Bildung

einer sozialen Gruppe befürchtet, die aufgrund positiver Ergebnisse von Gen- tests für Lebens- und Krankenversiche- rungen nicht mehr versicherbar ist. Dass bereits heute – ohne die Verwendung von Gentests in der Antragsprüfung – nicht alle Interessenten versicherbar sind, wird oft übersehen. Die Befürch- tung, dass Gentests die Ablehnungs- quoten erhöhen würden, ist verständ- lich, aber ihre Verwirklichung höchst unwahrscheinlich. Die Versicherungs- wirtschaft erwartet eher das Gegenteil.

Gentests führen kein Eigenleben in der Medizin, sondern sind sowohl in der klinischen als auch in der Versiche- rungsmedizin immer in einem Gesamt-

zusammenhang zu sehen. Das heißt:

Nur die kritische Wertung aller Befun- de zu einem Krankheitsbild erlaubt ei- ne zuverlässige prognostische Einschät- zung. Hierzu gehören Blutbefunde, bildgebende Verfahren (Röntgen, So- nographie, Szintigraphie und andere), Anamnese, Familienanamnese, Opera- tionsberichte, Histologie und – theore- tisch – auch Gentests. Das komplexe Zusammenspiel dieser Faktoren, das schließlich zur analytisch-korrekten Sicht des Krankheitsbildes führt, er- laubt mit Sicherheit auch in Zukunft kein „chirurgisches“ Herausschneiden

sämtlicher Informationen, die mit gene- tischen Daten in Verbindung stehen. Es sei daran erinnert, dass der Antrag auf eine private Versicherung in der Regel freiwillig gestellt wird. Somit erfolgt ei- ne versicherungsmedizinische Risiko- prüfung letztlich mit Billigung des An- tragstellers.

Der medizinische Fortschritt geht ungebremst weiter. Oft wird allerdings vergessen, dass dieser stetige Erkennt- niszuwachs auch den Kunden der Versi- cherungswirtschaft zugute kommt. Am Beispiel von Hepatitis B lassen sich re- trospektiv Entwicklungen in der Versi- cherungsmedizin zeigen, die eindeutig zugunsten der Antragsteller gehen:

1930 wurden die Hepatitiden nicht erkannt. Nur solange der Ikterus währ- te, wurden Antragsteller zurückgestellt oder abgelehnt. Der Rest wurde wohl angenommen – in Unkenntnis darüber, dass unter den Antragstellern häufig chronische Hepatitiden waren. Dies ist eine Tatsache, die versicherungsmedizi- nisch durch eine relativ hohe Sterblich- keitserfahrung in der Normalprämie berücksichtigt werden musste.

Um 1950 ermöglichte die Bestim- mung der Transaminasen eine einiger- maßen genaue Differenzierung zwi- schen chronischer und akuter Hepatitis.

Antragsteller mit einer chronischen Form galten damals als unversicherbar und wurden allgemein abgelehnt.

Tendenz zu erweiterter Versicherbarkeit

Erst die Einführung der Hepatitissero- logie mit ihrem erweiterten Spektrum Ende der 80er-Jahre ermöglichte eine weitergehende Differenzierung in He- patitis A, B, C, D mit ihren akuten und chronischen Formen. Dadurch wurde eine immer genauere Risikodifferen- zierung möglich. Dank der genaueren Erfassung der klinischen Verläufe und therapeutischen Fortschritte kann heu- te die Mehrzahl der Antragsteller mit chronischer Hepatitis in der Lebensver- sicherung angenommen werden.

Beispiele dieser Art gibt es viele: Der medizinische Fortschritt führte dazu, dass heute viele Krankheiten in der Le- bensversicherung und privaten Kran- kenversicherung gedeckt werden kön- nen, die früher abgelehnt werden muss- ten. Warum sollten nun Gentests mit ihrem Potenzial einer neuen Krank- heitstaxonomie und somit kleineren prognostischen Untergruppen und Dif- ferenzialtherapie in ferner (?) Zukunft diesen Trend zu einer erweiterten Ver- sicherbarkeit wieder umkehren?

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 593–596 [Heft 10]

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Achim Regenauer Mitglied der Direktion und Chefarzt Geschäftsbereich Leben

Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107

80791 München T H E M E N D E R Z E I T

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A596 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 10½½9. März 2001

Versicherte Summe des jährlichen Neuzugangs bei privaten Lebensversicherungen in Milliarden DM in den Jahren 1991 bis 1999. Mit geschätzten 451 Milliarden Mark im Jahr 1999 liegt diese Summe 14 Prozent über der des Vorjahrs, die Zahl der neuen Kontrakte erhöhte sich im gleichen Zeitraum um sechs Prozent.

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