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Archiv "Humanität im Großklinikum: Eindrücke eines Arzt-Patienten" (20.08.1982)

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Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 33 vom 20. August 1982

Humanität im Großklinikum

Eindrücke eines Arzt-Patienten

Wilhelm Föllmer

Die Humanisierung der Krankenhausmedizin wird seit langem beschworen. Die amtliche Kostendämpfungs- politik, der Rotstift, der auch das Hospital regiert, die weithin sichtbaren finanziel- len und personellen Engpäs- se lassen den Streß am Bett zum Krankenhausalltag wer- den. Ein Schlaglicht auf die Situation wirft der folgende Report. Aus der Feder eines Insiders ist er gewiß „aus dem Leben gegriffen".

Wenn ein Patient erstmals ein Großklinikum betritt, so ist er be- eindruckt von der Maßlosigkeit der Architektur, in deren Umge- bung das Individuum Mensch ver- schwindend klein wirkt. Es ist der- selbe Effekt, der durch die alt- ägyptischen Bauten erreicht wird.

Der einzelne Mensch fühlt sich plötzlich als unbedeutendes Sand- körnchen, verloren in der Weite der Wüste.

Betritt der Patient die Aufnahme, so wird er mit seinen Personalien und seiner Vorgeschichte vom Computer „erfaßt". Damit ist die Verwandlung geschehen. Nicht mehr ein „kranker Mensch", son- dern ein „beschädigter Organis- mus" wurde im Krankenhaus auf- genommen. Aufgabe der Klinik ist es, den Schaden möglichst schnell zu diagnostizieren und ebenso möglichst schnell zu be- heben.

Willig unterwerfen sich die mei- sten Patienten allen diagnosti- schen und therapeutischen Maß- nahmen, denn auch sie betrachten die Krankheit als Betriebsfehler.

Arzt und Staat sind verpflichtet, ihn in kürzester Zeit zu beheben.

Religiöse oder einfach menschli- che Gedanken wie: Krankheit kön- ne eine Buße sein oder eine innere Läuterung bewirken oder Beginn eines neuen Lebensabschnittes mit anderen Vorzeichen sein, sol- che naheliegenden Gedanken

werden bei der erdrückenden Technik nicht mehr gedacht. Es fällt auch das Fehlen der wirk- lich mitmenschlichen Betreuung durch Ärzte und Pflegepersonal den meisten Patienten erst nach einiger Zeit auf.

Die Patienten sind beeindruckt von der medizinisch-technischen Behandlung. Und diese Behand- lung ist wirklich einzigartig gut.

Vorzügliche Ärzte, denen modern- ste Apparate und Methoden zur Verfügung stehen, betreiben eine Diagnostik und Therapie, die kaum zu übertreffen ist. Sie sind stets einsatzbereit, menschlich korrekt und hilfsbereit und strah- len Können und unerschütterli- ches Vertrauen aus.

Wenn allerdings eine technische Assistentin täglich in bunkerarti- ger Umgebung durchschnittlich bei hundert Patienten ein Elektro- kardiogramm durchführen muß, kann von ihr kaum jemand verlan- gen, daß sie persönliche Anteil- nahme für den einzelnen Patien- ten zeigt.

Das gleiche gilt praktisch für die dort tätigen Ärzte. Sie sind weithin überfordert, denn zu zahlreiche und schwerkranke Patienten wer- den hier behandelt. Die Zahl der Patienten kann aber kaum herab- gesetzt werden. Die hochqua- lifizierten teuren Einrichtungen müssen ausreichend genutzt wer- den .. .

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 33 vom 20. August 1982 41

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Humanität im Großklinikum

So wird auch die Verweildauer der Patienten bei stationärer Behand- lung so kurz wie nur möglich ge- halten werden. An dem Tage, an dem die Fäden aus der Opera- tionswunde entfernt werden, wird der Patient entlassen. Eine Ein- stellung, die wir früher nur aus Amerika kannten, deren Gültigkeit aber jetzt auch bei uns nicht mehr aufzuhalten ist.

Die Entpersönlichung des Patien- ten wird, fast unbemerkt von der Bevölkerung, in so großen Klini- ken zunehmend wirksam. Zur glei- chen Zeit wird überall die Forde- rung: „Humanisierung der Kran- kenhäuser" erhoben.

In diesen hochgezüchteten medi- zinisch-technischen Anstalten ist diese Forderung besonders wäh- rend der Phase der akuten Dia- gnostik und akuten Therapie fehl am Platze. Allerdings könnte da- nach im stationären Bereich vieles getan werden, falls dafür die Zeit bis zur Entlassung ausreicht.

Die Patienten wurden früher „ar- beitsfähig" oder „nicht arbeitsfä- hig" entlassen. Stets waren sie aber „umwelt-fähig", das heißt, sie waren den täglichen Anforderun- gen des häuslichen Lebens ge- wachsen.

Von den großen Kliniken wird der Zustand des Patienten bei der Ent- lassung jetzt als „klinische Be- handlung nicht mehr erforderlich"

bezeichnet.

Der noch pflegebedürftige Patient wird jetzt also seiner eigenen Ver- antwortung oder der Verantwor- tung der Familie überlassen. Das ist — obwohl unbeabsichtigt — mit Einschränkungen zu begrüßen, denn es könnte hierdurch wieder die Vorstellung von der sozialen Aufgabe der Familie belebt, ja auf- gewertet werden.

Für viele Unverheiratete und Al- leinstehende, besonders in der Großstadt, bedeutet dieses Ver- fahren aber eine unzumutbare Härte. Eine Einweisung wegen des

gleichen Leidens in ein anderes Krankenhaus ist sehr erschwert.

Eine Zwischenlösung muß hier ge- funden werden. Sozialstationen können hier manchmal Härte mil- dern.

Preußische Einfachheit

Der Patient bedauert es trotzdem nicht, das Klinikum auch schon vorzeitig zu verlassen, denn die tägliche Umgebung auf der Sta- tion läßt alle Gemütlichkeit ver- missen.

Nicht preußische Einfachheit, son- dern Uniformismus beherrscht das Lebensmilieu auf den Statio- nen und anderer Aufenthaltsräu- me. Angeblich aus hygienischer Notwendigkeit sind nur Sperrholz- Stahlrohr-Möbel ohne Polsterung, keine Tischdecken, keine Zahn- putz- oder Trinkgläser, sondern nur Pappbecher und ähnliches vorhanden.

Das Essen trägt alle Kennzeichen der Großkantinen-Herstellung und wird auf ungedeckten Plastikta- bletts freudlos serviert. Und doch haben die Mahlzeiten für das psy- chische Wohlbefinden der Patien- ten sehr große Bedeutung. Sie stellen die einzige angenehme Ab- wechslung während des sonst so gleichförmigen Krankenhausallta- ges dar. Ist das Essen enttäu- schend, so ist für den Patienten auch vieles andere im Kranken- haus enttäuschend,

Der Uniformismus erstreckt sich auch auf die Ein- und Zweibett- Zimmer. Der nicht unerhebliche Aufpreis, der dafür bezahlt wird und den die Verwaltung sehr schätzt, bezieht sich nur auf die vermehrte Anzahl Kubikmeter Luft, die dem Patienten jeweils zur Verfügung steht. Alles an- dere entspricht der allgemeinen Klasse!

Wenn das Klinikum trotzdem durchschnittlich zu 90 Prozent be- legt ist, die Patienten aber zum

frühestmöglichen Termin das Krankenhaus verlassen, so spricht das nur für die vorzügliche Arbeit der Ärzte und des medizinischen Hilfspersonals. Ihnen wird die Ar- beit dabei nicht leicht gemacht, da die Organisation im Krankenhaus in vielem zentralisiert ist.

Dazu nur ein Beispiel:

Der Krankentransport wird von ei- ner Zentrale geleitet. Etwa 30 Mann stehen zur Verfügung, um die Patienten von den Statio- nen zu diagnostischen Einrichtun- gen oder zur Behandlung zu brin- gen.

Der Patientenfluß zwischen den Stationen und den Behandlungs- räumen und damit das reibungslo- se Arbeiten der verschiedenen hochqualifizierten Ärzte-Gruppen wird also allein von dem prompten Arbeiten dieses an sich unterge- ordneten Krankentransportes be- stimmt. Der „Erfolg": Häufig tre- ten Engpässe auf.

Die Verlegung eines Patienten von einem Operationssaal in den an- deren verzögert sich, das betroffe- ne Operationsteam muß wertvolle Zeit wartend verbringen,

Den Architekten und den Kranken- hausplanern wird jedenfalls für die Zukunft etwas einfallen müssen, damit den Menschen wieder ein menschenwürdiges Kranksein er- laubt ist.

Und Politiker werden darauf ach- ten müssen, daß nicht unter dem Motto: „Moderne Techniken ver- langen modernes Management"

vermehrt sozialistische Vorstellun- gen in neue Groß-Krankenhäuser eingeführt werden.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Wilhelm Föllmer Frauenarzt Poststraße 34

2408 Timmendorfer Strand

42 Heft 33 vom 20. August 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B

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