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Archiv "Arzt-Patienten-Verhältnis: Zwischen Individualisierung und Standardisierung" (01.04.2005)

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as Arzt-Patienten-Verhältnis ist der Ort, an dem einerseits der Pa- tient seine Beschwerden dem Arzt berichtet und andererseits der Arzt das Leiden des Patienten in sein medizinisches Wissen übersetzt und zu einer Diagnose macht. Mit dem Schlüs- sel der Diagnose gewinnt der Arzt Zu- gang zum Stand des wissenschaftlich gesicherten Wissens. Dieses Wissen über Krankheit setzt der Arzt dann in die Behandlung des Patienten, in dessen individuelles Kranksein um.

Die Empfehlungen des Arztes kön- nen vom Patienten angenommen, verändert oder abgelehnt werden.

So konstituiert sich im Arzt-Patien- ten-Verhältnis eine asymmetrische Beziehung zwischen dem Patienten als Experten für sein individuelles Kranksein und dem Arzt als Exper- ten für das Wissen über die Krank- heit und die Erfahrung mit vielen Kranken.

Damit ist das Arzt-Patienten- Verhältnis gekennzeichnet durch ein unauflösbares Spannungsverhält- nis: Zum einen werden Eigenheiten und Erfahrungen des Patienten wie auch des Arztes unvermeidlich wirk- sam und im notwendigen Eingehen aufeinander auch wirksam gemacht;

die Beziehung zwischen Patient und Arzt ist also individuell und wird indivi- dualisiert. Zum anderen folgt die Um- setzung gesicherten Wissens auf den einzelnen Patienten bestimmten Re- geln, die kontinuierlich differenziert und vermehrt werden; sie standardisie- ren die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Das Verhältnis zwischen Indi- vidualisierung und Standardisierung des Arzt-Patienten-Verhältnisses un- terliegt ständiger Spannung, die oft als ein Gegeneinander erlebt wird.

Individualisierung kann an verschie- denen Aspekten der Kommunikation zwischen Patient und Arzt verdeutlicht werden:

> an der Struktur des diagnostischen Gespräches von der offenen und ernst nehmenden Anhörung des Patienten bis zum gezielten Nachfragen;

> an den Möglichkeiten und Schwie- rigkeiten der Sprache, denn der Patient spricht die Sprache des Krankseins, des

Leidenden, des „Pathischen“, des Indi- viduellen, und zwar in den Ausdrucks- möglichkeiten der Alltagssprache – der Arzt spricht die Sprache der Krankheit, des „Ontischen“, der Regelhaftigkeit, wie sie in einer standardisierten Wissen- schaftssprache Ausdruck findet;

> an den erforderlichen kommunika- tiven Fähigkeiten; denn Kommunikati- on zwischen Patient und Arzt besteht keineswegs nur im Austausch von In- formationen über krankheitsbezogene Fakten, sondern ebenso auch über per- sönliche Interessen, Wünsche und Wert- vorstellungen. Gerade darin kommt die Individualität des Patienten zum Aus- druck, und der Arzt respektiert den Pa- tienten, indem er dessen Erfahrungen, Überzeugungen und Haltungen als we-

sentliche Komponenten seines individu- ellen Personseins ernst nimmt.

Verschiedene Situationen und Stadi- en des Krankheitsverlaufes sowie die Individualität des Patienten erfordern eine jeweils angemessene Akzentu- ierung verschiedener Fähigkeiten, Fer- tigkeiten und Haltungen des Arztes.

Standardisierung soll der Rationalität, Transparenz und Vergleichbarkeit medi- zinischer Interventionen und durch Opti- mierung des Einsatzes begrenzter Mittel auch der Gerechtigkeit dienen. Sie soll die Qualität der Gewinnung medizini- schen Wissens, der Bewertung seiner Si- cherheit und vor allem seiner Umsetzung für den einzelnen Kranken sichern und kontrollieren. Standards haben sich im Rahmen des Fortschrittes der wissen- schaftlichen Medizin herausgebildet und wurden in Leitlinien für Interventionen bei Krankheiten konkretisiert. Erhebli- che Diskussionen über viele dieser Leitli- nien verdeutlichen, dass ihr bisheriger Entwicklungsstand unbefriedigend ist. Ihre Verbindlichkeit ist deshalb für viele Ärzte fragwürdig. Also be- darf auch die Entwicklung von Leitli- nien der Standardisierung, um ihre Qualität so zu verbessern, dass sie als verbindliches Hilfsinstrument ärztli- chen Handelns akzeptiert werden können. Dies gilt ebenso für die Ein- führung von Leitlinien, die zudem in bestimmten Abständen überprüft werden sollen, um ihre Aktualität si- cherzustellen. Erst recht ist die Eva- luation der Wirksamkeit von evidenz- basierter Therapie im Hinblick auf die Qualität ärztlichen Handelns ein noch weitgehend uneingelöstes Postulat.

Deshalb muss die Vorläufigkeit von evi- denzbasierten Leitlinien im Bewusstsein verankert werden,um den für eine indivi- duell optimale Therapie unverzichtbaren erfahrungsbegründeten Ermessensspiel- raum des Arztes offen zu halten. Dies er- fordert allerdings auch die Anstrengung des Arztes, diesen Ermessensspielraum durch rational begründbare Entschei- dungen zu verteidigen.

Prof. em. Dr. med. Hanfried Helmchen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Charité – Universitätsmedizin Berlin T H E M E N D E R Z E I T

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A886 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 131. April 2005

Arzt-Patienten-Verhältnis

Zwischen Individualisierung und Standardisierung

Ein erfahrungsbegründeter Ermessensspielraum des Arztes muss offen gehalten werden.

Die Langfassung ist abrufbar unter www.aerzteblatt.de/

aufsaetze/0503.

Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist mehr als der Austausch krankheitsbezogener Fakten.

Foto:Ute Grabowsky

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