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Archiv "Arzt-Patient-Verhältnis: Zusammenprall der Kulturen" (11.03.2005)

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A654 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1011. März 2005

Berliner Kollege Geene sieht auch er ei- nen dringenden Bedarf an staatlich fi- nanzierten Dolmetscherzentren. „Die Unterfinanzierung mindert die Chan- cengleichheit in der Behandlung.“

Unterstützt von der Ausländerbeauf- tragten Barbara John hat zuletzt Berlin ein Programm für Gemeindedolmet- scher initiiert. 60 Muttersprachler bildet der gemeinnützige „Gemeindedol- metscherdienst Berlin“ über zwei Jahre hinweg aus. John erklärte: „Was das Verstehenwollen von Migranten an- geht, ist Deutschland eine Wüste.“ So hätten Ausländer nur bei polizeilichen Verhören und vor Gericht ein gesetz- lich verankertes Recht auf Dolmet- scher. Bei der medizinischen Behand- lung wird dieses Recht nur in Ausnah- mefällen zugestanden. Dabei sind die fachlichen Anforderungen hoch. „Im Gegensatz zu den beeidigten Dolmet- schern sind Gemeindedolmetscher spe- ziell für das Gesundheits- und Sozialwe- sen ausgebildet und können somit eine effektive Verständigung zwischen me- dizinischen Fachkräften und Patienten sicherstellen“, erklärt Fabian Jain, Pro- jektkoordinator des Berliner Gemein- dedolmetscherdienstes (12).

Unsichere Finanzierung

In Hannover, Berlin, Frankfurt und anderen Städten haben sich Projekte zur Vermittlung zwischen ausländischen Patienten und deutschen Ärzten be- währt. Unterstützt und (mit-)finanziert werden sie aus städtischen, Landes- oder EU-Mitteln. Langfristige Sicher- heit bietet das aber nicht. Zwar wird das Berliner Projekt von der Ausländerbe- auftragten mit einer Million Euro geför- dert. Unklar ist, was geschieht, wenn die- se Mittel aufgebraucht sind. John plä- dierte dafür, dass die Krankenhäuser die Kosten für Dolmetscher in ihre Budgets einplanen. Eine Sprecherin des privaten Krankenhausträgers Vivantes, der mit dem Gemeindedolmetscherdienst zu- sammenarbeitet, schloss das jedoch be- reits aus (13). Harald Neuber

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lvira Heinrich ist enttäuscht. Einer der Gründe für die Ausreise nach Deutschland war für die 45-jährige Russlanddeutsche die Hoffnung auf ei- ne bessere ärztliche Versorgung. Jetzt, nach zwei Jahren, findet sie „alle deut- schen Ärzte sehr schlecht“. „Ich habe nur negative Erfahrungen gemacht.

Und meine Freunde und Verwandten auch“, sagt sie. Um zu verstehen, was hinter solchen pauschalen Urteilen steckt, sollte man die Lage russischer Migranten in Deutschland beurteilen.

Die meisten kommen mit sehr hohen Erwartungen auf „ein besseres Leben“.

Doch schon in der ersten Zeit nach der Aussiedlung stellen sie fest, dass alles in der neuen Heimat anders ist als zu Hau- se und vor allem anders als erwartet.

Die alten Werte, Normen und Kultur- standards gelten als altmodisch oder gar nicht. Auch berufliche Qualifikationen und Erfahrungen werden oft zur Maku- latur. Hoch gesteckte Pläne über den Neuanfang scheitern.Viele haben keine andere Wahl, als von der Sozialhilfe zu leben, und empfinden das als Schande.

Mentale Schwierigkeiten, unzureichen- de Deutschkenntnisse und sehr be- scheidene wirtschaftliche Verhältnisse führen dazu, dass vor allem ältere Mi- granten aus den GUS-Staaten die Situa- tion in der alten Heimat verklären.

Zur Behandlung nach Russland

Der erste Schock beim Kennenlernen des deutschen Gesundheitssystems: Die Ärzte machen kaum Hausbesuche. In der Sowjetunion war die Gesundheits- versorgung kostenfrei, die Ärzte arbeite- ten gegen ein Gehalt in den staatlichen Polikliniken. Bei hohem Fieber oder akuten Beschwerden konnte man in sei- ner Poliklinik anrufen und einen Arzt nach Hause bestellen. Jeder Arzt hatte

einen Bezirk, wo er an festen Tagen Hausbesuche machen musste. Je nach Größe des Bezirks waren die Ärzte oft acht Stunden unterwegs – auch zu Fuß.

Ihnen blieben kaum mehr als zehn Mi- nuten pro Besuch, sie verordneten Medi- kamente und zogen weiter. Doch die rus- sischen Migranten haben ihre Ärzte nicht als gestresst und kurz angebunden in Erinnerung behalten, sondern als Menschen, die immer für sie da waren.

Die Tatsache, dass deutsche Ärzte gern medizinische Geräte benutzen, stößt bei den Migranten auf Misstrau- en. Sie interpretieren dies nicht als tech- nischen Fortschritt, sondern als Un- fähigkeit der Ärzte – nach dem Motto, wer den Ultraschall benutzt, hat keine Ahnung. In einem Wuppertaler Kran- kenhaus entfernte ein russischer Arzt die Mandeln, wie es in der ehemaligen Sowjetunion üblich war, unter örtlicher Betäubung. Seine Landsleute reisten sogar aus anderen Städten zu diesem Arzt, weil seine Methode, obwohl schmerzvoll, ihnen vertraut war.

Viele Russlanddeutsche und Kontin- gentflüchtlinge entscheiden sich sogar für eine Reise in ihre ehemalige Hei- mat, um sich dort ärztlich beraten oder behandeln zu lassen – Tendenz stei- gend. „Einige Sozialhilfeempfänger ge- hen sogar das Risiko ein, kein Geld zu erhalten, denn sie verbringen mehrere Monate in Russland, ohne sich abzu- melden. Wenn wir das erfahren, bedeu- tet das die sofortige Kürzung der So- zialhilfe“, sagt eine Sachbearbeiterin des Düsseldorfer Sozialamtes.

Die Begegnungen mit Patienten aus der ehemaligen Sowjetunion erweisen sich aber auch für deutsche Ärzte häu- fig als schwierig. Die Sprachbarriere ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Ver- hältnis zwischen Arzt und Patient ge- staltet sich in Russland anders als in Deutschland. Man erwartet von einem

Arzt-Patient-Verhältnis

Zusammenprall der Kulturen

In Deutschland leben fast drei Millionen Einwanderer aus den GUS-Staaten. Viele misstrauen der deutschen Medizin.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1005 abrufbar ist.

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Arzt, dass er sehr persönlich ist. Gleich- zeitig muss er große Autorität ausstrah- len, eine Art Vaterfigur sein. Es wird meist vermieden, Schwerkranke über ihren wahren Zustand aufzuklären.

Man spricht eher mit den Angehörigen.

Überhaupt war eine ausführliche Auf- klärung noch vor kurzem in Russland eher unbekannt. Das ist aus russischer Sicht Barmherzigkeit. Ein offenes Ge- spräch, wie es in Deutschland üblich ist, wird deswegen von den meisten Russen als indiskret und „hart“ empfunden.

Dank oder Bestechung?

Ein typisches Bild: Angehörige von russischen Patienten „lauern“ den Ärzten in den Korridoren auf und ver- suchen, ihnen in der Hoffnung auf eine Sonderbehandlung Pralinen oder Sonstiges in die Hände zu drücken.

Dabei übertragen sie vertraute Rituale auf deutsche Realität. Denn russische Ärzte sind unterbezahlt und in der Regel hoffnungslos überarbeitet. Also

„kämpft“ man mit Geschenken und Geld um ihre Gunst. Im heutigen Russland ist das gängige Praxis und wird nicht als peinlich angesehen.

Doch was für einen Menschen mit sowjetischem Hintergrund Ausdruck seiner Dankbarkeit ist, ist für einen Deutschen als Bestechung inakzep- tabel. Die Ablehnung ihrer „Kleinig- keiten“ verstehen die Russen jedoch als Gleichgültigkeit oder sogar als

„Unmenschlichkeit“, und so fühlen sie sich in ihren Vorurteilen gegenüber deutschen Ärzten bestätigt.

Die Problematik der Kommunikati- on mit ausländischen Patienten ist kom- plex. Sie umfasst Aspekte wie das Ver- ständnis von Krankheit, die Einstellung zu psychosomatischen Diagnosen oder das Verhältnis Arzt–Patient. Ärzte, Helferinnen und Krankenhauspersonal können in interkulturellen Seminaren den Umgang mit Einwanderern erler- nen. Dies mindert Stress, spart Zeit und im Endeffekt auch Geld. „Miss- trauen ist ein Zeichen von Schwäche“, sagte Gandhi. Vor diesem Hinter- grund sollte man das Verhalten der russischen Migrantinnen und Migranten deuten. Dann ist der erste Schritt bereits getan. Dr. phil. Daria Boll-Palievskaya

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ie Kinder und Jugendlichen, die wir hier betreuen, werden wohl kaum irgendwann anfangen, Me- dizin zu studieren und später Arzt wer- den“, sagte Sozialpädagoge Jörg Hans.

Der Leiter des Jugendservicecenters CariCasa in Neubrandenburg gibt sich keinen Illusionen hin: „Für uns sind die ganz kleinen Schritte schon große Er- folge.“ Wenn die Jugendlichen ihm oder seinen beiden Kollegen vertrauen und mit ihnen über ihre Probleme reden, erst dann könne man sie ganz behutsam wieder an einen einigermaßen geregel- ten Tagesablauf gewöhnen. CariCasa wurde vor einem Jahr eröffnet und wen- det sich an Schulverweigerer, Drogen konsumierende und straffällige Jugend- liche. „Schulaversion hat verschiedene Gründe“, so Hans, „CariCasa möchte gemeinsam mit den Jugendlichen diese Hintergründe aufarbeiten und sie wie- der in die Schule zurückführen. Denn Jugendliche ohne Schulbildung haben nur geringe Chancen auf eine Berufs- ausbildung. Somit droht ihnen der Weg in die Perspektivlosigkeit.“ Viele junge Menschen leisten in CariCasa auch Stunden ab, die ihnen von Gerichten auferlegt wurden. Die drei Sozial- pädagogen wüssten, wie man Jugendli- che ansprechen und mit ihnen reden müsse, sagt beispielsweise der 17-jähri- ge Sven*, der wegen Körperverletzung zu 58 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden war. Die sind inzwi- schen längst abgeleistet, dennoch kommt Sven immer noch täglich in das Jugendzentrum, um dort seine Freizeit zu verbringen.

Die Sozialpädagogen begleiten Jun- gen und Mädchen in Konfliktsituatio- nen, sie wollen ihnen helfen, ein eigen- ständiges Leben zu führen. Dabei wer- den auch die anderen Dienste im Cari-

tas-Haus wie die „Mobile Jugendar- beit“, die „Hilfe zur Arbeit“ und die Drogenberatungsstelle genutzt. Die Möglichkeit, Angebote, Hilfen und Un- terstützung aus einer Hand anzubieten, habe den Vorteil, dass junge Menschen kontinuierlich begleitet und betreut werden könnten, erläuterte Hans. Das Caritasprojekt wird von der „Aktion Mensch“ mitfinanziert, wodurch dieses zusätzliche Angebot der Jugendhilfe in Neubrandenburg geschaffen werden konnte.

CariCasa ist eine von zahlreichen Einrichtungen in den neuen Bundeslän- dern, in denen sich die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Dia- konie darum bemühen, benachteiligte Familien zu unterstützen. Ein weiteres Beispiel für ihr Engagement ist das Ju- gendhaus Dishley, eine Einrichtung für suchtmittelabhängige und -missbrau- chende Kinder und Jugendliche. Das im Jahr 2001 eröffnete Jugendhaus der Diakonie Stargard befindet sich am

Caritas und Diakonie

Erfolge in kleinen Schritten

Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände bemühen sich darum, die Zu- kunftschancen von sozial benachteiligten Kindern zu verbessern.

*Namen von der Redaktion geändert

Die 15-jährige Lara* aus Hiddensee hat im Jugendhaus ihr Zimmer nach eigener Vorstel- lung dekoriert.

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