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Archiv "Ausländische Patienten: Insellösungen vermeiden" (11.03.2005)

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T H E M E N D E R Z E I T

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A652 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1011. März 2005

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ffektivität, Eigenverantwortung und Rationalisierung – immer strenger wird im deutschen Gesundheitswe- sen auf wirtschaftliches Handeln ge- setzt (1). Ein gefährlicher Trend, der vor allem für sozial schwache Gruppen Fol- gen haben kann. Deutlich wird das im Umgang mit ausländischen Patienten.

Mit „Kostendruck“ wird auf der einen Seite die Notwendigkeit begründet,

„Marktnischen zu besetzen“ und aus- ländische Patienten anzuwerben (2).

Motiviert von der 5. Änderungsverord- nung zur Bundespflegesatzverordnung (3), versuchen seit Anfang 1998 immer mehr Krankenhäuser, solche Leistun- gen budgetunabhängig abzurechnen und damit Gewinne zu erwirtschaften.

Ausländische Patienten sind dieser Lo- gik zufolge aber nur dann interessant, wenn sie sich die Behandlung auch lei- sten können. Wie aber sieht es mit de- nen aus, die teure Eingriffe nicht aus ei- gener Tasche bezahlen können?

Zwölf Prozent der Bevölkerung in Deutschland stammen aus dem Aus- land (4). Die Frage nach einer effekti- ven Gesundheitsversorgung von Mi- granten stellt sich besonders in Groß- städten wie Frankfurt oder Berlin. Mit- unter kommt dort ein Drittel der Pati- enten aus dem Ausland (5). Studien be-

legen, dass 90 Prozent der niedergelas- senen Kinder- und Frauenärzte auslän- dische Patienten betreuen (6). Zugleich beklagen Selbsthilfeorganisationen, dass sprachliche und interkulturelle Missverständnisse im Arzt-Patienten- Verhältnis an der Tagesordnung sind.

Dr. Raimund Geene von der Berli- ner Landesarbeitsgemeinschaft Ge- sundheitsförderung fasst das Problem zusammen: „Einerseits ist die Behand- lung ausländischer Patienten durch sprachliche und kulturelle Barrieren aufwendiger als die von deutschen. Auf der anderen Seite stellt der Staat immer weniger Mittel zur Verfügung, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden.“ Notwendig seien vor allem Dolmetscherdienste und ein struktu- riertes Fortbildungsprogramm für in- terkulturelle Kompetenz im Medizin- betrieb. Wegen der Defizite in diesem Bereich sei „ein Trend zur Ausgrenzung ausländischer Patienten zu beobach- ten“, so Geene.

Dabei gab die Weltgesundheitsorga- nisation (WHO) für Westeuropa schon in der Erklärung von Alma Ata 1978 die Losung „Gesundheit

für alle“ aus. Der An- satz der WHO bein- haltete „sowohl die Forderung nach ge- sundheitlicher Chan- cengleichheit als auch die schrittweise Ent-

wicklung entsprechender Leistungsan- gebote“ – daran erinnerten die Auslän- derbeauftragten von Bund und Län- dern bei einer Tagung im vergangenen Jahr (7). Auch die Verantwortliche der Bundesregierung, Marieluise Beck, stellte wiederholt fest, dass die nationa- le und kulturelle Herkunft bei der me- dizinischen Versorgung in Deutschland keine Rolle spielen dürfe (8). Bereits 1999 hatte die 72. Gesundheitsminister-

konferenz der Länder das Recht auf ei- ne angemessene medizinische Auf- klärung betont – gerade bei ausländi- schen Patienten (9, 10).

Gut fünf Jahre nach dem Beschluss zeigt sich: Das Problembewusstsein ist vorhanden, allein die bundesweite Ko- ordinierung fehlt. Noch immer herr- schen Insellösungen vor. Dr. Ramazan Salman, Leiter des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover, plädiert daher für ein flächendeckendes System von Gemeindedolmetschern (11). Tatsäch- lich hat sich das aus dem angloamerika- nischen Raum stammende Konzept auch in europäischen Staaten wie den Niederlanden bewährt. Salmans Zen- trum wird im Großraum Hannover in- zwischen rege genutzt. Über eine zen- trale Telefonnummer können Kranken- häuser auf rund 200 Dolmetscher mit 52 Sprachen zugreifen. Gefördert wird das Projekt von der niedersächsischen Lan- desregierung und der Stadt Hannover.

Vergleichbare Beispiele finden sich überall dort, wo der Bedarf besonders groß ist. So vermittelt die Universitäts- klinik in Frankfurt am Main Übersetzer auf dem „kleinen Dienstweg“. Der in- terne Dolmetscher- pool kann inzwischen auf die Hilfe von rund 70 Krankenhausmitar- beitern rechnen, die etwa 40 Sprachen be- herrschen. Solche Initiativen sind lo- benswert, sie werden den Ansprüchen aber selten gerecht, weil sie ein zu be- grenztes Wirkungsfeld haben und viele Fragen ungeklärt lassen. Neben der rechtlichen Absicherung für die meist eilends herbeigerufenen Dolmetscher fordert Salman „Prüfungs- und Qua- litätsstandards, eine Honorarordnung und die Kontrolle der psychosozialen Kompetenz der Dolmetscher“. Wie sein

Ausländische Patienten

Insellösungen vermeiden

Bei der medizinischen Behandlung von Migranten ist die fachkompetente Sprachvermittlung nach wie vor selten.

Gut 90 Prozent der niedergelassenen Kinder- und Frauenärzte in Deutschland betreuen ausländische Patienten.

Foto:Barbara Krobath

„Was das Verstehen- wollen von Migranten angeht, ist Deutschland

eine Wüste.“

Barbara John

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A654 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1011. März 2005

Berliner Kollege Geene sieht auch er ei- nen dringenden Bedarf an staatlich fi- nanzierten Dolmetscherzentren. „Die Unterfinanzierung mindert die Chan- cengleichheit in der Behandlung.“

Unterstützt von der Ausländerbeauf- tragten Barbara John hat zuletzt Berlin ein Programm für Gemeindedolmet- scher initiiert. 60 Muttersprachler bildet der gemeinnützige „Gemeindedol- metscherdienst Berlin“ über zwei Jahre hinweg aus. John erklärte: „Was das Verstehenwollen von Migranten an- geht, ist Deutschland eine Wüste.“ So hätten Ausländer nur bei polizeilichen Verhören und vor Gericht ein gesetz- lich verankertes Recht auf Dolmet- scher. Bei der medizinischen Behand- lung wird dieses Recht nur in Ausnah- mefällen zugestanden. Dabei sind die fachlichen Anforderungen hoch. „Im Gegensatz zu den beeidigten Dolmet- schern sind Gemeindedolmetscher spe- ziell für das Gesundheits- und Sozialwe- sen ausgebildet und können somit eine effektive Verständigung zwischen me- dizinischen Fachkräften und Patienten sicherstellen“, erklärt Fabian Jain, Pro- jektkoordinator des Berliner Gemein- dedolmetscherdienstes (12).

Unsichere Finanzierung

In Hannover, Berlin, Frankfurt und anderen Städten haben sich Projekte zur Vermittlung zwischen ausländischen Patienten und deutschen Ärzten be- währt. Unterstützt und (mit-)finanziert werden sie aus städtischen, Landes- oder EU-Mitteln. Langfristige Sicher- heit bietet das aber nicht. Zwar wird das Berliner Projekt von der Ausländerbe- auftragten mit einer Million Euro geför- dert. Unklar ist, was geschieht, wenn die- se Mittel aufgebraucht sind. John plä- dierte dafür, dass die Krankenhäuser die Kosten für Dolmetscher in ihre Budgets einplanen. Eine Sprecherin des privaten Krankenhausträgers Vivantes, der mit dem Gemeindedolmetscherdienst zu- sammenarbeitet, schloss das jedoch be- reits aus (13). Harald Neuber

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lvira Heinrich ist enttäuscht. Einer der Gründe für die Ausreise nach Deutschland war für die 45-jährige Russlanddeutsche die Hoffnung auf ei- ne bessere ärztliche Versorgung. Jetzt, nach zwei Jahren, findet sie „alle deut- schen Ärzte sehr schlecht“. „Ich habe nur negative Erfahrungen gemacht.

Und meine Freunde und Verwandten auch“, sagt sie. Um zu verstehen, was hinter solchen pauschalen Urteilen steckt, sollte man die Lage russischer Migranten in Deutschland beurteilen.

Die meisten kommen mit sehr hohen Erwartungen auf „ein besseres Leben“.

Doch schon in der ersten Zeit nach der Aussiedlung stellen sie fest, dass alles in der neuen Heimat anders ist als zu Hau- se und vor allem anders als erwartet.

Die alten Werte, Normen und Kultur- standards gelten als altmodisch oder gar nicht. Auch berufliche Qualifikationen und Erfahrungen werden oft zur Maku- latur. Hoch gesteckte Pläne über den Neuanfang scheitern.Viele haben keine andere Wahl, als von der Sozialhilfe zu leben, und empfinden das als Schande.

Mentale Schwierigkeiten, unzureichen- de Deutschkenntnisse und sehr be- scheidene wirtschaftliche Verhältnisse führen dazu, dass vor allem ältere Mi- granten aus den GUS-Staaten die Situa- tion in der alten Heimat verklären.

Zur Behandlung nach Russland

Der erste Schock beim Kennenlernen des deutschen Gesundheitssystems: Die Ärzte machen kaum Hausbesuche. In der Sowjetunion war die Gesundheits- versorgung kostenfrei, die Ärzte arbeite- ten gegen ein Gehalt in den staatlichen Polikliniken. Bei hohem Fieber oder akuten Beschwerden konnte man in sei- ner Poliklinik anrufen und einen Arzt nach Hause bestellen. Jeder Arzt hatte

einen Bezirk, wo er an festen Tagen Hausbesuche machen musste. Je nach Größe des Bezirks waren die Ärzte oft acht Stunden unterwegs – auch zu Fuß.

Ihnen blieben kaum mehr als zehn Mi- nuten pro Besuch, sie verordneten Medi- kamente und zogen weiter. Doch die rus- sischen Migranten haben ihre Ärzte nicht als gestresst und kurz angebunden in Erinnerung behalten, sondern als Menschen, die immer für sie da waren.

Die Tatsache, dass deutsche Ärzte gern medizinische Geräte benutzen, stößt bei den Migranten auf Misstrau- en. Sie interpretieren dies nicht als tech- nischen Fortschritt, sondern als Un- fähigkeit der Ärzte – nach dem Motto, wer den Ultraschall benutzt, hat keine Ahnung. In einem Wuppertaler Kran- kenhaus entfernte ein russischer Arzt die Mandeln, wie es in der ehemaligen Sowjetunion üblich war, unter örtlicher Betäubung. Seine Landsleute reisten sogar aus anderen Städten zu diesem Arzt, weil seine Methode, obwohl schmerzvoll, ihnen vertraut war.

Viele Russlanddeutsche und Kontin- gentflüchtlinge entscheiden sich sogar für eine Reise in ihre ehemalige Hei- mat, um sich dort ärztlich beraten oder behandeln zu lassen – Tendenz stei- gend. „Einige Sozialhilfeempfänger ge- hen sogar das Risiko ein, kein Geld zu erhalten, denn sie verbringen mehrere Monate in Russland, ohne sich abzu- melden. Wenn wir das erfahren, bedeu- tet das die sofortige Kürzung der So- zialhilfe“, sagt eine Sachbearbeiterin des Düsseldorfer Sozialamtes.

Die Begegnungen mit Patienten aus der ehemaligen Sowjetunion erweisen sich aber auch für deutsche Ärzte häu- fig als schwierig. Die Sprachbarriere ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Ver- hältnis zwischen Arzt und Patient ge- staltet sich in Russland anders als in Deutschland. Man erwartet von einem

Arzt-Patient-Verhältnis

Zusammenprall der Kulturen

In Deutschland leben fast drei Millionen Einwanderer aus den GUS-Staaten. Viele misstrauen der deutschen Medizin.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1005 abrufbar ist.

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Literatur

1. Eine Abwägung des marktwirtschaftlichen Umge- staltungsprozesses versucht der Krankenhausreport 2002 des Wissenschaftlichen Institutes der AOK vor- zunehmen. Im Internet einsehbar unter: www.wi- do.de/Krankenhaus/Krankenhausreport/Re- port2002/index.html.

Mörsch M: Die ökonomische Funktion des Wettbe- werbs im Gesundheitswesen: Anspruch, Realität und wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf. Gesund- heitsökonomie und Qualitätsmanagement 2002; 7:

155–60.

Greenberg W:The health care marketplace. New York:

Springer 1998.

2. Clade H: Krankenhäuser: Ausländische Patienten ge- fragt. Dtsch Ärztebl 2000; 97: A-2147 [Heft 33].

3. Im Internet einzusehen unter: www.pkv.de/downlo- ads/Bundespflegesatzverordnung.pdf (10/2004).

4. Razum O, Geiger I, Zeeb H, Ronellenfitsch U: Gesund- heitsversorgung von Migranten. Dtsch Ärztebl 2004;

101: A-2882 [Heft 43].

5. Richter EA: Versorgung von Migranten: Mangel an kulturellem Verständnis. Dtsch Ärztebl 2001, 98: A- 3421 [Heft 51–52].

6. Yildirim-Fahlbusch Y: Türkische Migranten: Kulturelle Missverständnisse. Dtsch Ärztebl 2003; 100: A-1179 [Heft 18].

7. Stark S, Wolter H: Die Zukunft der interkulturellen Öffnung im Gesundheitswesen. In: Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Inte- gration (Hrsg.): Gesunde Integration. Dokumentation der Fachtagung für die Ausländerbeauftragten in Deutschland am 20./21.02.2003 in Berlin. Berlin; 92 ff.

8. Borde T, David M (Hrsg.): Gut versorgt? Migrantinnen und Migranten im Gesundheits- und Sozialwesen.

Frankfurt/Main: Mabuse Verlag 2003; 5.

9. www.aqs.de/gmk/gmk_patientenrecht.htm (10/2004).

10. Auch nach einem Urteil des OLG Düsseldorf fallen Dolmetscherkosten bei einem stationären Eingriff in den Pflegesatz, was jedoch nicht für Arztbesuche gilt:

OLG Düsseldorf AZ.: 8U 60/88.

11. Ein eigentlich ungenauer Begriff, der sich inzwischen aber eingebürgert hat. „Gemeindedolmetscher“ ar- beiten weder für die Stadtverwaltung noch für eine Kirchengemeinde. Am treffendsten, aber bislang kaum verbreitet, ist wohl der Ausdruck „medizinisch- sozialer Dolmetscher“.

12. www.infodienst.bzga.de/migration/angebo- te/08_03/dolmetschberlin.htm (10/2004).

13. www.taz.de/pt/2003/02/18/a0233.nf/text.

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Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1011. März 2005 AA1

Ausländische Patienten

Insellösungen vermeiden

Bei der medizinischen Behandlung von Migranten ist die fachkompetente Sprachvermittlung nach wie vor selten.

Literaturverzeichnis Heft 10/2005:

Referenzen

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