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Archiv "Ich wollte immer Arzt werden . . ." (15.07.1996)

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Academic year: 2022

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etzte Woche habe ich es er- reicht, das Ziel meiner Träume:

Die volle Approbation wurde mir per Einschreiben zuge- schickt. Ab jetzt darf ich selbständig handeln als Arzt. Ich bin Kinderchir- urg – und 48 Jahre alt. Meine Biogra- phie steht ganz unter dem glücklichen Stern der Medizin.

Wegen überdurchschnittlicher Begabung wurde ich schon mit fünf Jahren eingeschult. Man schrieb da- mals das Jahr 2000. Bereits nach der dreizehnten Klasse konnte ich das Gymnasium mit dem Abitur ab- schließen: Ich war Jahrgangsbester.

So bekam ich über die Warteliste bald einen Studienplatz. Zwischenzeitlich leistete ich meinen Zivildienst ab, der damals noch 24 Monate dauerte.

Mein sechsjähriges Theoriestudi- um an der Medizinischen Fakultät der Horst-Seehofer-Universität zu Bonn absolvierte ich ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Wir waren ein nettes Semester. Obwohl wir zusammenhiel- ten wie Pech und Schwefel, bestanden von meinen 1 249 Kommilitonen nur knapp die Hälfte ihr Abschlußex- amen. Glücklicherweise war ich auch darunter und fand wegen guter Zeug- nisse schon nach vier Monaten eine Stelle als Arzt im Praktikum (AiP) in der Psychiatrie.

Das „AiP“ ging damals noch nicht drei, sondern nur zwei Jahre. Als ich es beendete, zählte ich gerade 29 Lenze. Mit der Teilapprobation in der Tasche bewarb ich mich um eine Stelle als Arzt in Weiterbildung (AiW). Ob- wohl ich Augenarzt werden wollte, war ich für den Posten in der Urologie sehr dankbar. Bis zum zweiten Jahr lief alles gut, dann ging mein Vater in Rente, und ich stand plötzlich mit ei- nem Monatsgehalt von 430 DM brutto auf eigenen finanziellen Füßen.

Nach vier Jahren AiW-Zeit er- gab sich zufällig die Möglichkeit, in der Nachbarabteilung als AiWW, das heißt „Arzt in weiterer Weiterbil- dung“, übernommen zu werden. Ein- zige Bedingung: Ich würde kein Ge- halt bekommen – wegen Geldknapp- heit im Gesundheitswesen. Da ich die fünf Jahre AiWW für die Appro- bation brauchte, blieb mir keine Wahl. Ich mußte den Job an der Pfor- te aufgeben und mich nebenberuflich als Grundstücksmakler einarbeiten.

Die Geriatrie sagte mir weniger zu, aber das spielte keine Rolle. Erst- mals während meiner Aus- und Wei- terbildung durfte ich im Nachtdienst kleine Platzwunden nähen und auch mal einen Venenzugang legen, wenn kein Anästhesiefacharzt erreichbar war, auch wenn das juristisch nicht ganz abgesichert war. Insgesamt hatte ich eine lehrreiche Zeit und war mächtig stolz auf mich, als ich mit 38 Jahren diese Klinik verließ.

Die Provisoriumsapprobation er- laubte mir fortan, selbständig Medi- kamente und Röntgenuntersuchun- gen anzuordnen. Für beides hatte ich auf Spezialkursen den Sachkunde- nachweis erbringen müssen. Der zweimonatige Röntgenkurs, der nur auf Sylt angeboten wurde, schlug al- lerdings eine breite Schneise in mein Jahresbudget, so daß die drei Ur- laubswochen gerade ausreichten, um dieses Loch – am Fließband bei Daim- ler – wieder zu stopfen. An Ultra- schall auf den Kanarischen Inseln war im Moment gar nicht zu denken.

Nahtlos schloß sich die Facharzt- weiterbildung in der Chirurgie an.

Erstmals war ich in einer Steuerklas- se und hatte meine 2 413 DM monat-

lich mit der Allgemeinheit zu teilen.

In den sechs Jahren lernte ich allerlei Nützliches, und allmählich fand das im Studium Gelernte Anschluß an praktische Erfahrung. Da die Weiter- bildungsordnung eine Vollapprobati- on nur vorsieht, wenn man sich sub- spezialisiert, hatte ich noch eine drei- jährige Endstrecke vor mir: Kehl- kopf- oder Kinderchirurg. Diese bei- den Möglichkeiten tat der Vermittler beim Arbeitsamt für mich auf. Ich entschied mich für letzteres, da die durchschnittliche Wartezeit nur fünf- zehn Monate betrug. In dieser ern- sten Phase meiner Karriereplanung konnte ich mich einigermaßen mit Zeitungsaustragen und Schnürsen- kelverkauf an der Haustüre über Wasser halten. Da ich keine abge- schlossene Berufsausbildung nach- weisen konnte, sahen die Wohlfahrts- bestimmungen keine Arbeitslosen- unterstützung vor.

Unerwartet rasch kam der Tag, an dem ich auf der Abteilung für Kin- derchirurgie begann. Um wieder in Übung zu kommen, belegte ich vor- her bei der Volkshochschule einen Kurs „Strümpfestopfen für Hausmän- ner“. Danach konnte ich wirklich nähen.

Inzwischen habe ich mich fast schon an den feudalen Lebensstil ge- wöhnt, den man sich nur vom Partial- Assistenten aufwärts leisten kann:

2 800 DM wollen erst mal ausgegeben sein; bei zwölf Nachtdiensten je Mo- nat und einer durchschnittlichen Wo- chenarbeitszeit von 95 Stunden kein Pappenstiel. Immerhin war ich im dritten Jahr allein für eine Station zu- ständig.

Das Fachexamen war schwierig, aber ich bestand es mit eins minus.

Jetzt bin ich also – nach der Überwei- sung von drei Monatsgehältern an die zuständige Verwaltungsbehörde – im Besitz einer vollen Approbation.

Wenn ich mindestens vier Jahre als approbierter Arzt in meinem Fachbereich tätig war, kann ich die Niederlassung beantragen: eine verlockende Perspektive, die sich mir dann mit 52 Jahren noch auftut. Ob ich lieber in der Klinik durchhalten sollte bis 55 und dann in Frührente ge- hen? – Zuerst will ich mal eine Fami- lie gründen, dann sehen wir weiter . . . Michael Schnur, 58313 Herdecke A-1891 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 28–29, 15. Juli 1996 (35)

T H E M E N D E R Z E I T GLOSSE

Ich wollte immer Arzt werden . . .

Zeichnung: Jörg Spielberg, Kempten

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