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Archiv "20 Jahre „Arzt und Christ“" (28.08.1975)

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen Katholische Ärztearbeit

Mütter-Projekte, sondern die Müt- ter in den ersten 15 Monaten soll- ten honoriert werden. Sicherung des familiären Lebensraumes nach innen ist für die Gesellschaft min- destens ebenso wichtig wie ihre Si- cherheitsgewähr nach außen.

In diesem Zusammenhang muß aber auch die Rede sein von der verstärkten Ungeborgenheit bzw.

den intentionalen Lücken in früher Kindheit auch in der leidlich intak- ten Familie, die durch Zivilisations- vorgänge bedingt sind. Die Zivilisa- tion mit ihrem Januskopf wird für viele Kinder Freud und Leid zu- gleich. Unbestreitbar ist der enor- me Erfolg des zivilisatorischen Fortschritts in seinem Einfluß auf die beachtliche Senkung der Quote der Säuglings- und Kindersterb- lichkeit. Die revolutionären techni- schen Veränderungen, denen wir diese Entwicklung verdanken, brachten aber auch bedenkliche Verschiebungen in der Familien- und Gesellschaftstruktur, welche eine bezugsgerechte Erfüllung kindlicher Grundbedürfnisse in de- ren Karriere vom sinnerfüllten Rei- fen zum Erfolgsstreben erheblich gefährden. Der Mangel an Elastizi- tät der Umwelt mit ihren eigenen Nöten verstärken die Bedürfnis- spannungen von Eltern und Kin- dern. Darüber hinaus werden diese Spannungen durch ein Güterüber- angebot noch gesteigert. Verwöh- nung und Verwahrlosung liegen nahe beisammen. Die Schäden durch Familienferne bei Kleinkin- dern, deren Fehlentwicklung sich im wesentlichen zwischen Bett, Tisch und Topf abspielt, vermehren sich mit dem kinderfeindlichen Wohlstandsdenken. Schlafstörun- gen, Ängste, Speistörungen bei Säuglingen, aggressive Unruhe (Kopf durch die Wand!), Kontaktar- mut, Depressionen, nächtliches Aufschreien, vermehrte Masturba- tion finden hier eine zwingende Er- klärung. Als Zivilisationsschaden für das Schulkindalter ist der Fern- sehkonsum, auch in seiner Abreak- tions- oder Lerntheorie, kaum mehr umstritten. Die Bereitschaft des Kindes zur Annahme einer Welt mit vermehrter und krimineller Aggres-

sion als Norm bedingt die Möglich- keit eines unheilvollen zukunfts- trächtigen sozialen Störfaktors.

Ein Zivilisationsphänomen ist aber auch der Entwicklungswandel, vor allem im Sinne der Akzeleration, gleichgültig ob er Folge eines Ur- banisierungstraumas oder der heute veränderten Ernährung ist. Die Konsequenzen dieses säkularen Geschehens im Hinblick auf ge- staltliche, funktionelle und see- lisch-geistige Wandlungen sind er- heblich.

Alle Überlegungen über „kritische Phasen des Kindesalters" münden eigentlich in die Erkenntnis, daß die Zunahme des Leidensdrucks der Kinder an den Eltern, der El- tern an den Kindern, der Ärzte und Pädagogen an den Kindern ein sol- ches Maß angenommen hat, daß es höchste Zeit wird, diese Thematik in die Politik einzubringen. Mit dem Rüstzeug der Ergebnisse pädiatri- scher, psychologischer, psychiatri- scher und soziologischer For- schung muß die Gesellschaft alar- miert werden. Sie muß plakativ und durch alle Medien erfahren, daß viele Verhaltensstörungen aller Altersstufen sowie Fehlentwicklun- gen und neurotische Verwahrlo- sung ihre Hauptursache in früh- kindlicher Fehlbetreuung in gestör- ten und unvollständigen Familien oder in einer Ersatzbetreuung durch Säuglingsheime, Kinderkrip- pen, Tagesmütterheime und ähnli- che Erziehungssurrogate haben.

Die Ärzte müssen sich aufklärend an die Öffentlichkeit wenden, wo immer sich diese stellt, in klarer Erkenntnis, daß alle Ärztearbeit, also nicht nur die „Katholische Ärztearbeit Deutschlands", zur Ret- tung der Zukunft über das Jahr 2000 hinaus denken muß und nicht nur bis zur nächsten Wahl. Das

„Jahr der Frau", das diese auf die Würde und Bürde ihrer ureigenen Berufung sich besinnen lassen sollte eingedenk der neuesten Aspekte von Verhaltensforschung, Psychiatrie und Psychologie, könn- te da dem „Jahrhundert des Kin- des" einen unersetzlichen Dienst erweisen.

Referenten der Tagung: Prof. Dr.

med. H. Harbauer, Frankfurt, Prof.

Dr. med. M. Hertl, Mönchenglad- bach, Dr. med. Nilburg Kindt, Frei- burg, Frau Christa Meves, Uelzen, Prof. Dr. med. J. Pechstein, Mainz, Klinikpfarrer Dr. Artur Reiner, Hei- delberg, Prof. Dr. med. Eduard Seidler, Freiburg. Moderator der Podiumsdiskussion: Prof. Dr.

Schipperges, Heidelberg.

Tagungsleitung: Dr. Robert Schul- te-Beckhausen, Prälat Dr. S. Szyd- zik und Dr. jur. H. Kurth.

20 Jahre

„Arzt und Christ"

Zum zehnjährigen Bestehen der Zeitschrift „Arzt und Christ" im Juli 1965 würdigte der Wiener Erzbi- schof, Kardinal König, das beson- dere Verdienst dieser Vierteljahr- zeitschrift, da „sie die Zusammen- hänge von Medizin und christlicher Ethik beständig behandelt und die orientierende Bedeutung letzterer für die Fachmedizin wie für das rechte Menschenbild herausstellt".

Inzwischen hat „Arzt und Christ" in zwanzig Jahren als führende Zeit- schrift in Fragen aus dem Grenzbe- reich von Theologie und Medizin, in der Behandlung philosophisch-

medizinisch-juristisch-soziologi- scher Probleme mit weit über 200 Orginalarbeiten namhafter Autoren ihr hohes Niveau bewiesen und sich unentbehrlich gemacht für alle jene, die pastoral-medizinische und anthropologische Themen theore- tisch behandeln und sich praktisch damit befassen. Die von Dr. med.

Alf Riegel und Prälat Bernhard Hanssler 1946 gegründete „Katholi- sche Ärztearbeit Deutschlands" hat in dieser Zeitschrift für ihre alljähr- lichen Pfingstkongresse, deren Er- gebnisse jeweils auch im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT referiert werden, ein wertvolles Sprachrohr gefunden. Es ist dem Hauptschrift- leiter Doz. Dr. med. Gottfried Roth, der an der Universität Wien die Pa- storalpsychiatrie vertritt, gelun- gen, „Arzt und Christ" zu der Zeit- schrift der katholischen Ärzte in

2412 Heft 35 vom 28. August 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Katholische Ärztearbeit

Deutschland, in der Schweiz und in Österreich zu entwickeln, die aus der Flut medizinischer Literatur herausragt, gleichsam als Magna Charta für das Gewissen eines christlichen Arztes. Der Otto Mül- ler-Verlag, Salzburg, hat das hohe Verdienst, in all den zwanzig Jah- ren verlegerisch die Chancen des Lebens und Weiterlebens dieser Ärztezeitschrift geboten zu haben.

Mit Kardinal König möchte man

„Arzt und Christ" auch nach 20 Jahren wünschen, daß diese Zeit- schrift weiterhin so erfolgreich bei- tragen möge zur besseren Erkennt- nis, daß auch in der Medizin nicht das gut sein kann, was gegen die Grundsätze der moralischen Ord- nung verstößt, und daß sie, wie bis- her, immer wieder auf Verstöße ge- gen die Ordnung der ärztlichen De- ontologie als Irrwege in der Medi- zin aufmerksam machen möge.

FORUM

„Jede Ideologie ist lebensfeindlich"

Gedanken zu den ideologiebehafteten Begriffen

„Reaktion" und „Fortschritt"

Wilhelm Lösche

Alle Ideologen arbeiten mit vereinfachenden Begriffen, um die Wirk- lichkeit an ihre Vorstellungen anzupassen. Doch die belebte Natur kennt solche Simplifizierungen nicht. Auch das Grundgesetz unse- res Landes geht nach Auffassung des Verfassers von Lebensvielfalt aus, lehnt also ideologische Verkürzungen ab. Es verlangt Eigenin- itiative und konkretes Handeln als Wege zu praktischem Fortschritt.

Doch wo endet dieser verfassungskonforme Fortschritt?

Anschrift des Verfassers:

Hannes Sauter-Servaes 77 Singen (Hohentwiel) Hegaustraße 24

ECHO

Zu: „Der Wiedergewinn der Hoff- nung" von Dr. med. Erwin Theiss in Heft 24/1975, Seite 1841 ff.

Lourdes-Pilger

„Verlegen und mit Skepsis reagieren die meisten Ärzte, wenn ein schwerkranker Pa- tient um ein Attest für den Pilgerzug in den südfranzösi- schen Wallfahrtsort Lourdes bittet. Indes sollten die Ärzte den Leidenden diesen Wunsch nicht abschlagen, appelliert in der jüngsten Aus- gabe des DEUTSCHEN ÄRZ- TEBLATTES Dr. Erwin Theiss, Chefarzt im Herz- Jesu-Krankenhaus in Lindlar bei Köln und als Pilgerarzt selbst Begleiter der Schwer- krankenzüge nach Lourdes, an seine Kollegen... (Westfä- lische Rundschau, Dortmund)

Die Ideologieneigung der Jugend ist verständlich, weil kollektive Ge- borgenheit noch nicht entbehrt werden kann und Solidarisches da- her vorrangig begeistern muß, ohne daß eigene Folgeerfahrungen schon bremsen könnten. Die .Rich- tung nach links ist nicht verwun- derlich, weil der Weg nach rechts historisch blockiert ist. Aus der Sicht des Grundgesetzes freilich sind alle Ideologen, auch die „fort- schrittlichen", die eigentlichen Re- aktionäre, denn sie alle wollen an einen leidvollen Geschichtsab- schnitt wieder anknüpfen, unter den unser Grundgesetz bewußt und endgültig einen Schlußstrich gezogen wissen wollte. Nicht mehr die Vorprogrammierung durch ir- gendeine Ideologie, sondern der Mensch als Mensch sollte danach endlich den Vorrang haben, ganz unabhängig von seiner Program- mierung und Kapazität. Was schon seit mehr als 2000 Jahren Grundla- ge ärztlicher Ethik ist, sollte end- lich und endgültig Verfassungs- recht sein.

Die Ideologen sind durch diese Tat- sache hierzulande unter einen fast tragischen Zwang geraten, der ob- jektiv dargestellt werden muß, weil er keine Ideologie ausnimmt und

einsehbare Gründe hat: Das Be- zwingende jeder Ideologie ist, daß sie mit einer bestimmten Logik ar- beitet. Wegen dieser logischen Ge- schlossenheit allein kann sie über- zeugen und mitreißen. Doch Logik muß mit Begriffen arbeiten, die gleiche Einheiten voraussetzen.

Solche Simplifizierung aus Grün- den der Logik kennt die belebte Natur nicht. Im Gegenteil, sie über- wältigt gerade durch den Reichtum an Individuen, die — so unvorstell- bar es ist — alle ungleich sind.

Schon deshalb ist jede Ideologie, selbst wenn sie auf das Gegenteil zielt, im Keime wie in der Konse- quenz lebensfeindlich.

In der praktischen Politik muß der Ideologe entweder die Wirklichkeit seiner Ideologie anpassen, also fortgesetzt gleichmachen, was nicht gleich ist und auch nicht gleichbleiben kann, oder aber ein- gestehen, daß seine Ideologie zwar logisch, aber gerade deshalb falsch ist. Weil aber dieses Eingeständnis ein unzumutbares „Scheitern"

wäre, bleibt nur der Zwang zu ge- waltsamer Durchsetzung seiner Vorstellungen. Inquisitionen und das unfaßbare Liquidieren von Angehörigen des eigenen Volkes und von Individuellem gab es also

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 35 vom 28. August 1975 2413

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