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Archiv "Arzt-Patienten-Beziehung: Werte im Wandel" (07.10.2005)

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er Hausarzt als Dienstleister, der Chirurg als Monteur und der Pati- ent als der Kunde im Gesundheits- wesen – das sind Szenarien, die weder Ärztinnen und Ärzte noch Hilfe suchen- de Patientinnen und Patienten Wirklich- keit werden lassen wollen.Trotzdem un- terliegt die Arzt-Patienten-Beziehung in den letzten Jahren ei-

nem Wandel: Der medi- zinische Fortschritt führt zu einer mehr und mehr technisierten Behand- lung, die individuelle Betreuung wird zuneh- mend durch Teamarbeit

von Spezialisten ergänzt und die pater- nalistische Fürsorge des Arztes nahezu vollständig durch den informed consent und ein hohes Maß an Selbstbestim- mung durch den Patienten ersetzt.

Der individuelle Kontakt des Patien- ten zu seinem Arzt oder seiner Ärztin wird deshalb nicht weniger wichtig. „Der Wandel der Arzt-Patienten-Beziehung und das Konzept des mündigen Patien- ten verlangen mehr Gespräch statt weni- ger“, ist Dr. Bernhard Vogel, Minister- präsident a. D., Vorsitzender der CDU- nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, über- zeugt. Die Stiftung stellt den Rahmen für ein Expertentreffen, nämlich den Feri- ensitz von Konrad Adenauer, die Villa La Collina in Cadenabbia am Comer See. Dort diskutieren seit 2002 jährlich auf Anregung des Aachener Chirurgen Prof. Dr. med. Volker Schumpelick Ärz- te, Juristen, Ökonomen, Ethiker und Theologen medizin-ethische Grundsatz- fragen. Die Ergebnisse und Analysen stehen Politik und Gesellschaft in Buch- form zur Verfügung.

In diesem Jahr widmete sich die inter- disziplinäre Expertengruppe vom 15. bis 18. September den Bedingungen und den Folgen einer sich wandelnden Arzt- Patienten-Beziehung. Quintessenz: Der

Wandel von einem paternalistischen zu einem partnerschaftlichen Arzt-Patien- ten-Verhältnis hat sich bereits vollzogen.

Zum reinen Kunden wolle und dürfe der Patient jedoch nicht mutieren. „Patien- ten zeigen zunehmend ein Kundenver- halten“, steht für Prof. Dr. med. Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chir- urgie, fest. Doch weder das Recht auf die Ware

„Gesundheit“ noch ei- ne als Unterlegenheit empfundene Asymme- trie dürfe im Mittel- punkt einer Arzt-Pati- enten-Beziehung stehen. Bauer plädiert stattdessen für die „akzeptierte Abhän- gigkeit“. „Basis dafür ist und kann nur Vertrauen sein“, meint der Chirurg.

Besonders bei kranken Patienten stünde ein asymmetrisches Arzt-Patienten-Ver- hältnis nicht im Widerspruch zur Pa- tientenautonomie. Gerade die Operati- on sowie die prä- und postoperative Phase bräuchten Vertrauen, betont Schumpe- lick. Der Patient, der sich in einer sol- chen Situation völlig ausliefere, könne und wolle nicht als Kunde behandelt werden. Er habe die Sehnsucht, nach ei- ner Operation alsbald zurück auf seine

„Heimatstation“ verlegt zu werden. Dies zeige auch eine an seiner Klinik durchge- führte Studie. So fordern 93 Prozent von 500 befragten Patienten des Univer- sitätsklinikums Aachen Behandlungs- kontinuität durch einen betreuenden Arzt, 69 Prozent lehnen einen Verant- wortungswechsel je nach Stand der Be- handlung ab. Mehr als zwei Drittel wün- schen sich zudem einen Arzt als partner- schaftlichen Ratgeber; das Bedürfnis nach einem professionellen Dienstlei- ster tritt weit in den Hintergrund (unter zehn Prozent der Befragten).

„Viele Menschen spüren, dass die in- dividuelle Vertrauensbeziehung zwi-

schen Arzt und Patient an Boden ver- liert. Ich glaube, dass diese Beobach- tungen weitgehend stimmen“, meint Prof. Dr. med. Eggert Beleites, Jena. Al- lerdings seien die Vorteile, die mit zu- nehmender Spezialisierung und Ratio- nalisierung erreicht werden könnten, dagegenzuhalten. Als kritische Begleit- erscheinungen des Wandels der Arzt- Patienten-Beziehung sieht der Präsi- dent der Landesärztekammer Thürin- gen, der zum vierten Mal an den Cade- nabbia-Gesprächen teilnahm, in einer

„fremdnützigen bürokratischen Über- forderung der Ärztinnen und Ärzte“, einer unpersönlichen Behandlung und der Vernachlässigung der ganzheitli- chen Medizin. „Es besteht durchaus die Gefahr, dass wir ärztliche Tätigkeit im- mer mehr als reine Reparaturaufgabe ansehen und empfinden.“ Dem Prinzip

„Patient als Kunde“ widerspricht Belei- tes aber energisch: „Patienten sind al- lein deshalb keine Kunden, weil sie sich das ,Konsumgut Krankheit‘ weder hin- sichtlich Art noch nach der Größe aus- suchen können und weil wir bislang glücklicherweise medizinische Behand- lung noch solidarisch finanzieren.“

Primat der Administration

Brisanz birgt die sich wandelnde Arzt- Patienten-Beziehung bereits länger:

„Gesundheit ist ein hohes Gut, aber sie ist keine Ware – Ärzte sind keine An- bieter, Patienten keine Kunden. Die medizinische Versorgung darf nicht auf eine Dienstleistung reduziert werden“, betonte Johannes Rau, Bundespräsi- dent a. D., zur Eröffnung des 107. Deut- schen Ärztetages 2004 in Bremen. Seit- dem lassen Rufe nach mehr Wirtschaft- lichkeit im Gesundheitswesen die Frage einer Grenzziehung zwischen Arzt und Dienstleister sowie Patient und Kunde immer drängender werden. Als größte Bedrohungen für das Arzt-Patienten- Verhältnis gelten für viele Ärztinnen und Ärzte dabei Ökonomie und Ratio- nierung. „Die Fallpauschalen, das damit einhergehende Kostendiktat, eine Be- schleunigung der Abläufe sowie Leitli- nien beeinträchtigen die Individualität der Ärzte. Sie werden zu Instrumenten des Systems“, sagt Prof. Dr. med. Her- bert Neumann, Bochum. Unter dem T H E M E N D E R Z E I T

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A2694 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 407. Oktober 2005

Arzt-Patienten-Beziehung

Werte im Wandel

Sind Patienten nur noch Kunden im Wettbewerb der Leistungs- anbieter? Experten diskutierten kontrovers in Cadenabbia.

„Gesundheit ist ein hohes Gut, aber sie ist keine Ware – Ärzte sind

keine Anbieter,

Patienten keine Kunden.“

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Primat der Administration würden Pa- tienten zu „Nutzern“ degradiert. Einen Widerspruch zwischen Ökonomie und Bemühungen um „Kundenservice“ so- wie einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen Arzt und Patient sieht Ralf Heimbach von den Sana-Kliniken GmbH dagegen nicht. „Bei uns dreht sich alles um die Patientenzufriedenheit“, erklärt er. Spareffekte würden durch den Ein- satz von medizinischen Behandlungs- leitlinien, eine Entlastung des Arztes von der Routine und die Nutzung der Telemedizin erreicht.

„Der Patient ist Mitmensch“

„Der Patient ausschließlich als Kunde – diese Befürchtung ist juristisch nicht an- gelegt“, sagt Prof. Dr. jur. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesjustizminister a. D., Universität Kiel. Zumindest die Juristen und Medizinrechtler sind sich in Cadenabbia einig: Zwischen Arzt und Patient besteht zwar ein Dienstvertrag, der Arzt ist jedoch weder ein Dienstlei- ster, noch der Patient ein Kunde. Die so- ziale Funktion des Arztberufes habe bereits der Europäische Gerichtshof klargestellt, betont Richter Prof. Dr. jur.

Winfried Kluth, Universität Halle. Den- noch sei es heute beinahe selbstver- ständlich, dass es sich bei der Arzt-Pati- enten-Beziehung um ein Rechtsver- hältnis handele, das auch eine Strafan- drohung einschließt. Die Dokumenta- tion der Behandlung diene nicht mehr nur als Gedächtnisstütze, sondern unter Umständen als Beweis für Aufklärung und korrekte Therapieanweisungen.

„Der Patient ist kein Vertragspartner, sondern ein Mitmensch. Grundlage des Verhältnisses ist die Gottebenbildlich- keit des Menschen“, betont Prof. Dr. Jo- sef Schuster von der Philosophisch- Theologischen Hochschule St. Georgen, Frankfurt/Main. Einige „medizinische“

Leistungen im Bereich Wellness ver- wischten jedoch die Grenze zwischen therapeutisch und nichttherapeutisch und veränderten das Verhältnis von Arzt und Patient, räumt Schuster ein.

Wo diese Grenze verläuft, wollen die Ex- perten im nächsten Jahr diskutieren.

Hauptthema soll dann Allokation, Ver- teilungsgerechtigkeit im Gesundheits- wesen, sein. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann

T H E M E N D E R Z E I T

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A2696 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 407. Oktober 2005

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heophrastus Bombastus von Ho- henheim, genannt Paracelsus (1493/

94–1541), war ein großer Arzt und Gelehrter. Zweifelsohne trifft für die Be- schäftigung mit ihm, seinen Schriften, seinem Wirken und seiner Zeit das Zitat des zeitgenössischen Philosophen Hans- Georg Gadamer (1900–2002) zu: „Zu- kunft ist Herkunft“. Gleiches gilt für die Medizin. Neben allen notwendigen Leit- linien einer naturwissenschaftlichen Fundierung ist und bleibt sie immer auch eine Erfahrungsheilkunde, die den Blick zurück in ihre eigene Geschichte we- sensnotwendig braucht, um an und aus ihr zu lernen. „Wer sich nicht an die Ver- gangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“, sagte der ameri- kanische Geschichtsphilosoph George Santanaya (1863–1952).

Wissen aus erster Hand

Es darf – neben der grundsätzlichen Bei- behaltung universitärer Medizinge- schichte unter dem zunehmenden Primat der Ökonomie (1) – in der medizinhisto- rischen Forschung keine „Gesichtsfeld- einengung“ dergestalt geben, dass man bestimmte historische Personen, Phasen

oder Epochen unter dem Mäntelchen des vermeintlich Unwichtigen ab- oder gar ausblendet. Ein Aspekt wurde in der Medizingeschichte aber bisher nicht recht beachtet: Viele Gründerväter und Protagonisten aktueller medizinischer Disziplinen lebennoch und sind teilweise noch sehr aktiv. Beschäftigt man sich mit der jüngsten Medizingeschichte und in- terviewt Protagonisten eines Fachgebiets persönlich („Oral History“), so hat man die oft einmalige Chance, „Wissen aus er- ster Hand“ zu erhalten.

Durchkämmt man die aktuellen For- schungsberichte der medizinhistorischen Institute in Deutschland im Hinblick auf die bearbeiteten Jahreszahlen, so zeigt sich neben bestimmten Schwer- punkten eine beachtliche quantitative Ausdünnung für die Zeit nach 1945 (2).

Zwischen 2000 und 2003 befassten sich an 31 medizinhistorischen Universitäts- instituten nur wenige Arbeiten mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, einer Zeit des Neuanfangs, die für einen Groß- teil des heute allgemein-verbindlichen medizinischen Wissens so entscheidend war und ist: 1953 entdeckten James Wat- son und Francis Crick die Doppelhelix- struktur der DNS (Nobelpreis für Medi- zin oder Physiologie 1962), 1955 klärte

Medizingeschichte

Paracelsus ist tot

Ein Plädoyer für die jüngste Medizingeschichte

Vieles hätten sie zum Beispiel erzählen können über die jüngste Medizingeschichte in ihren Strömungen, Schulen und Netzwerken: E. Derra, H. Hoepke, H. Schauwecker, H. W. Knipping, H. E. Bock (von links) – Träger der Paracelsus-Medaille 1976.

Foto:Bohnert-Neusch

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