ARZT-PATIENT-BEZIEHUNG
Vertrauen über Jahrzehnte weggespart
Vor rund 20 Jahren hielt der Wettbewerb in das deutsche Gesundheitswesen Einzug. Jahre später offenbart sich eine Nebenwirkung: Neben Kosten wurde auch das Vertrauen in die Arzt-Patient-Beziehung weggespart.
K
ann ich meinem Arzt vertrau- en oder nicht? Ist die Thera- pie sinnvoll oder durch wirtschaftli- che Interessen bestimmt? Diese Frage stellen sich inzwischen offen- bar einige Patienten. „Viele Men- schen in Deutschland bekommen geradezu Angstzustände bei dem Gedanken, ins Krankenhaus zu müssen“, behauptete Sonia Mikich auf einer Tagung der Robert-Bosch- Stiftung zum Thema „Das Patien- ten-Arzt-Verhältnis im Schatten des Marktes“ in Berlin. Der Fernseh- journalistin jedenfalls ist im Laufe ihrer Leidensgeschichte „das Urver- trauen in Andere“ abhanden gekom- men. Mit diffusen Bauchschmerzen wird sie im Sommer 2011 in ein Krankenhaus eingeliefert und erlebt einen Strudel aus Diagnosen, Ope- rationen, Bevormundung, mangeln- der Information und Kontrollverlust – ihren „persönlichen Ground Ze- ro“, wie sie es nennt.Der Fehler liegt im System
Mikich ist sich sicher, dass sie nicht einfach nur Pech gehabt hat. „Alle Gespräche und Korrespondenzen zu diesem Thema haben denselben Kammerton: Im Krankenhaussys- tem läuft etwas gewaltig schief“, sagte sie. Der Journalistin geht es, wie sie sagt, nicht um „Ärzte-Bash - ing“. Sie sieht den Fehler im Sys- tem. Einem System, das „parado- xerweise auf der einen Seite finan- zielle Anreize für ein Übermaß an medizinischen Leistungen bietet und andererseits durch Budgetie- rung verhindert, dass alle Patienten eine sinnvolle und notwendige Be- handlung erhalten“, sagte Prof. Ro- bert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung. Einem System, das die Basis einer jeden Behandlung, nämlich die Patienten-Arzt-Bezie- hung, ins Wanken bringt.
Viele Patienten fühlen sich ent- mündigt und allein gelassen mit der Unsicherheit, wie es weitergeht.
Ärzte, die ihre Profession mit dem Anspruch antreten, Menschen zu heilen und Leben zu retten, sind mitunter überfordert und fügen sich resigniert den ökonomischen Zwängen. Das ist die vorläufige Bilanz einer Entwicklung, die nach Ansicht Jüttes ihren Anfang vor 20 Jahren genommen hat.
Mehr Markt und Wettbewerb
Tatsächlich markierte das Gesund- heitsstrukturgesetz aus dem Jahr 1992 einen gesundheitspolitischen Paradigmenwechsel, mit dem ver- stärkt wettbewerbliche Steuerungs- instrumente in das Gesundheitswe- sen eingeführt wurden. „Besonders unglücklich war es, dass im Vor- feld eine relevante gesellschaftli- che Debatte über die Einführung des Wettbewerbs in das deutsche Gesundheitswesen nicht stattgefun- den hat“, kritisierte Dr. Wolfgang Klitzsch, Geschäftsführer der Ärz- tekammer Nordrhein.Das Gesetz von 1992 schaffte die Grundlage für einen weiteren be- deutenden Einschnitt im Gesund- heitswesen: Die Einführung der Diagnosis Related Groups, kurz DRGs, für den klinischen Bereich zehn Jahre später im Jahr 2003.
„Im DRG-System ist jede Lücke im organisatorischen Ablauf, die früher auch der Begegnung, der Kommunikation und der Beglei- tung gewidmet werden konnte, un- ter dem Gesichtspunkt eindimen-
sionaler Effizienzsteigerung ver- schwunden“, sagte Klitzsch.
Aus Sicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med.
Frank Ulrich Montgomery, reicht die Entwicklung hin zu mehr Markt und Wettbewerb im Gesundheits- wesen noch weiter zurück, in die 70er Jahre. Mit den späteren Refor- men hätten sich die Prozesse ledig- lich bestätigt und intensiviert. Er warnte aber davor, die Ökonomie grundsätzlich zu verteufeln. „Es ist naiv, einer vernunftorientierten Ökonomie ihre Berechtigung abzu- sprechen. Ohne Ökonomie kann es keine gute Medizin geben“, sagte der BÄK-Präsident bei der Tagung der Robert-Bosch-Stiftung.
Montgomery identifizierte aber auch mit der Ökonomisierung ver- bundene Tendenzen, die seiner An- sicht nach zu einer Deprofessionali- sierung des Arztberufs führen und die von Vertrauen und Verantwor- tung geprägte Patienten-Arzt-Be- ziehung zerstören würden.
Zeit für den Patienten
Die Chance, die Patienten-Arzt-Be- ziehung schlagartig zu verbessern, sieht Sonia Mikich im Gespräch.
„Gute Ärzte sind nicht Bausteine eines wirtschaftlich getriebenen Systems. Beratung sollte das Fun- dament ihres Handelns sein. Das heißt: ausreichend Zeit zu investie- ren und sich der faktischen Asym- metrie zwischen Arzt und Patient bewusst sein“, forderte sie. Solange aber vor allem Operationen am bes- ten vergütet würden, werde die Zeit dort eingespart, wo sich am wenigs- ten verdienen lässt: beim Patienten-
gespräch.
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Eugenie Ankowitsch
A 1940 Deutsches Ärzteblatt