A3304 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 48⏐⏐30. November 2007
P O L I T I K
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ls die Leipziger Historikerin Dr. Francesca Weil vor gut drei Jahren gemeinsam mit dem Deut- schen Ärzteblatt, auf Initiative des damaligen Chefredakteurs Norbert Jachertz, eine Studie zu den Ver- strickungen von Ärztinnen und Ärz- ten mit dem Ministerium für Staatssi- cherheit (MfS) der DDR plante, ahnte sie noch nicht, auf welch großes Echoihre Arbeit stoßen würde.* Nun bele- gen überfüllte Räume bei den öffent- lichen Präsentationen ihres gerade erschienenen Buches, Dutzende Ar- tikel in Tageszeitungen sowie Fern- sehbeiträge, dass das Thema auch 18 Jahre nach dem Mauerfall noch elek- trisiert. Das Unrecht, das vielen DDR-Bürgern durch die SED-Dikta- tur angetan wurde, sowie die persön- liche Enttäuschung, durch Freunde oder Kollegen bespitzelt worden zu sein, sitzen offenbar noch immer tief.
Täter waren auch Ärztinnen und Ärzte, zum Teil unter Bruch der
ärztlichen Schweigepflicht. Eine übergroße Mehrheit des weitgehend bildungsbürgerlich geprägten Be- rufstandes wahrte Distanz zum SED-Staat und verweigerte Spitzel- tätigkeiten für den Staatssicher- heitsdienst. Etwa drei bis fünf Pro- zent der DDR-Ärzte arbeiteten den- noch als inoffizielle Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssi-
cherheit der DDR. Der Prozentsatz liegt höher als in anderen Berufs- gruppen. Dies spiegelt das große In- teresse wider, das die Stasi an Be- richten aus der Ärzteschaft hatte.
„Zielgruppe Ärzteschaft. Ärzte als inoffizielle Mitarbeiter des Ministe- riums für Staatssicherheit“ lautet folgerichtig auch der Titel des Bu- ches, in dem Weil die Ergebnisse ih- rer zeithistorischen Forschung zu- sammengefasst hat. Drei Jahre lang analysierte die Historikerin in mü- hevoller Kleinarbeit 493 IM-Akten und führte 21 ausführliche Inter- views. Während dieser Zeit förder- ten das Deutsche Ärzteblatt und sei- ne Herausgeber, die Bundesärzte- kammer und die Kassenärztliche
Bundesvereinigung, der Deutsche Ärzte-Verlag sowie das Hannah- Arendt-Institut für Totalitarismus- forschung in Dresden das Projekt.
„Während meiner Recherche- arbeit habe ich von persönlichen Schicksalen erfahren, die zum Teil sehr an die Nieren gingen und mir schlaflose Nächte bereiteten“, be- richtet Weil. Sie erzählt von der heute als niedergelassene Hautärz- tin tätigen IM „Irina“, die über Jahre hinweg der Stasi auf 470 Seiten de- taillierte Daten über mehr als 1 000 Patienten lieferte, oder von IM „Dr.
Hans Walther“, der für die „gute Qualität seiner Analysen“ insge- samt 28 000 Mark kassierte.
Die Mehrheit der IM-Ärzte (89 Prozent) setzte das MfS Weils Unter- suchung zufolge nicht auf Patienten an, sondern zur Bespitzelung ihrer Berufskollegen. „In der Regel ent- hielten die Berichte Informationen zu politischen, beruflichen und per- sönlichen Belangen“, erklärt Weil.
Ein Großteil der Ärzte hätte aus „po- litischer Überzeugung“ als IM gear- beitet. Einige seien auch erpresst oder als „Wiedergutmachung“ in den Dienst der Stasi gezwungen worden.
Daten über Patienten gaben 28 Pro- zent der in die Studie einbezogenen IM-Ärzte weiter und brachen dabei die in der DDR ebenfalls gesetzlich geregelte ärztliche Schweigepflicht.
„Dies ist unethisch und durch nichts zu rechtfertigen. Das ärztliche Schwei- gen ist eine wichtige ärztliche Tu- gend und die Voraussetzung für ei- ne würdige Ausübung des Berufs“, sagte Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe bei der Buchpräsentation in Berlin.
Er appellierte an die IM-Ärzte, ihr Gewissen zu überprüfen.
Klarnamen werden in dem Buch nicht genannt. „Es geht hier nicht um Denunziation von Ärzten, son- dern um eine zeithistorische Aufar- beitung des Themas“, erläutert Weil. „Für bemerkenswert halte ich es, dass es der Berufsstand selbst war, der die Erforschung eines dunk- len Kapitels der eigenen Geschichte in Auftrag gegeben hat.“ I Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
ÄRZTE ALS INOFFIZIELLE MITARBEITER
Die meisten IM-Ärzte bespitzelten Kollegen
Die vom Deutschen Ärzteblatt initiierte und begleitete Studie von Dr. Francesca Weil ist jetzt als Buch erschienen.
Buchpräsenta- tion „Zielgruppe Ärzteschaft. “:
308 Seiten, 2008, Göttingen, V&R uni- press, 32,90 Euro
Foto:Marco Urban
* Das Deutsche Ärzteblatt hat die Arbeit von Dr. Weil begleitet. Von 2004 bis 2006 erschienen mehrere Beiträge von Weil sowie der Redaktion zum Thema
„Ärzte im Dienst der Staatssicherheit“.
Informationen im Internet unter:
www.aerzteblatt.de/stasi