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Archiv "Ärzte als inoffizielle Mitarbeiter: Ich habe doch niemandem geschadet" (30.09.2005)

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T H E M E N D E R Z E I T

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eben der Auswertung von Akten des Ministeriums für Staatssicher- heit (MfS) der DDR basieren die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu Ärzten als inoffiziellen Mitarbeitern (IM) der Staatssicherheit auch auf der Analyse mündlicher und schriftlicher Befragungen von ehemaligen IM. Un- ter den Interviewten waren Ärzte un- terschiedlicher Fachrichtungen auf di- versen Tätigkeitsfeldern und Hierar- chiestufen. Die ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter waren zu verschiedenen Zeiten als IM tätig, wodurch sämtliche Untersuchungszeiträume – von den 1950er-Jahren bis 1989 – abgedeckt werden können. Außerdem handelte es sich bei einem Teil dieser Ärzte um

„Aussteiger“, andere wiederum wurden bis zum Herbst 1989 als IM geführt.

Im Folgenden wird näher auf die Mo- tive der ehemaligen inoffiziellen Mitar- beiter für die Zusammenarbeit mit der

Staatssicherheit und die Folgen ihrer konspirativen Tätigkeit in den Jahren nach der „Wende“ eingegangen. Dabei gilt es, sowohl Unterschiede und Ge- meinsamkeiten zwischen Aktenvermer- ken und Gesprächsinhalten zu verdeutli- chen als auch die aus den Interviews hervorgegangenen neuen Erkenntnisse festzuhalten. Das MfS unterschied in Hinblick auf die Motive der IM drei Kategorien: „politische Überzeugung“

oder „Einsicht in die Notwendigkeit“,

„Wiedergutmachung“ und „persönliche Interessen“. Ein Teil der interviewten Ärzte war davon überzeugt gewesen, das MfS unterstützen zu müssen. Sie diffe- renzierten aber in den Gesprächen we- sentlich mehr als ihre Führungsoffiziere in den Aktenniederschriften. So betrach- teten einige das MfS zu DDR-Zeiten faktisch als „Schutzorgan für die Bevöl- kerung“ und ihre Berichtstätigkeit als ei- ne Möglichkeit, Verbesserungen herbei- zuführen. Sie erkannten – wie IM „Kay“

– vorgeblich erst nach 1989, dass eigent- lich das Gegenteil der Fall war.

Für andere blieb die Stasi in der Er- innerung das „Schutzorgan“ der DDR an sich – auch über die „Wende“ hinaus.

In diesem Kontext führte der Führungs- IM „Harald“ seine Erfahrungen als Psychologe im Strafvollzug an. Er ver- tritt nach wie vor die Auffassung, durch die konspirative Weitergabe von Mel- dungen, die er von Sträflings-IM er- hielt, Gefangene vor gefährlichen Aus- einandersetzungen und die Bevölke- rung vor dem Ausbruch gefährlicher Häftlinge bewahrt zu haben. Nur unter Nutzung der von ihm als „kleinen Dienstweg“ bezeichneten Verbindung zum MfS sei dies möglich gewesen. „Ich hatte ja den Auftrag, im Strafvollzug für die Sicherheit zu sorgen. Da habe ich mir gesagt, warum soll ich das nicht auf dem ‚kleinen Dienstweg‘ machen, das ist völlig in Ordnung.“

Ein anderer Arzt war offenbar der

„Legende“ des MfS aufgesessen, dem Staatssicherheitsdienst „im Kampf ge- gen den Klassenfeind“ helfen zu müs- sen, indem er zu verhindern half, dass gut ausgebildete Ärzte aus der DDR abgeworben oder ausgeschleust wer- den. Diese Methode, Druck auf anzu- werbende Ärzte auszuüben, muss – rückblickend betrachtet – als Vorwand für eine beginnende komplette Bespit- zelung der Kollegen bewertet werden.

Eine inoffizielle Mitarbeiterin gab im Gespräch an, mit ihrer Verbindung zum MfS vor allem das eigene Krankenhaus unterstützt zu haben. IM „Angelika Ebert“ erklärte Anlass und Motive ihrer Kooperation so: „Ich wurde von zwei Mitarbeitern des MfS angesprochen [...]

und für die kommende Zeit um Unter- A

A2618 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 39⏐⏐30. September 2005

Francesca Weil

Ärzte als inoffizielle Mitarbeiter

Ich habe doch niemandem geschadet

In Interviews berichten Ärzte, die in der DDR als inoffizielle Mitarbeiter für die Staatssicherheit tätig waren, über ihre Motive und die Folgen für ihr Berufsleben nach der „Wende“.

Foto: DÄ-Montage/CARO

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stützung gebeten bei Problemfällen – personell und materiell in der Einrich- tung. Ich sah keine Notwendigkeit abzu- lehnen, da ich mir positive Auswirkun- gen für das Krankenhaus versprach.“ In den Berichtsakten findet sich eine eher gegenteilige Darstellung. Ihre Treffbe- richtsordner bestehen vorwiegend aus ausführlichen Protokollen über Kolle- gen beziehungsweise aus detaillierten Gutachten zu Patienten.

Das von IM „Peter“ im Interview be- nannte Motiv entspricht ebenfalls nicht dem in der Akte. Er sei keineswegs aus

„politischer Überzeugung“ heraus für das MfS tätig gewesen, wollte jedoch sein Medizinstudium „sichern“, habe deshalb dem MfS nach Rücksprache mit einer Verwandten zugesagt und den Führungsoffizieren bewusst nur Be- langlosigkeiten oder allgemein Be- kanntes berichtet. Diese Aussage lässt sich anhand der eher bedeutungslosen Treffberichtsprotokolle weitgehend nach- vollziehen.

Mancher glaubte auch, sein Verhält- nis zur Staatssicherheit überwiegend selbst bestimmen und prägen zu kön- nen, wie es unter anderem IM „Wolf- gang Krüger“ im Interview eingestand:

„Also, da ich [...] die Spielchen kannte, glaubte ich, ich kann dieses System – zwar nicht beherrschen – [aber] ich kann mich in dem System bewegen; ich kann das machen, was ich für richtig halte, und andere Dinge nicht. Das ist mir bis zu ei- nem gewissen Grad gelungen, dass ich über die Dinge, über die ich nicht reden wollte, auch nicht geredet habe und [...]

mich dann selbst beruhigt habe: Na ja, einen Geheimdienst hat jedes Land.“

Von denjenigen Ärzten, die sich nach Aktenlage aus politischen Gründen als IM anwerben ließen, gaben viele an, an- dere Motive für ihre konspirative Zu- sammenarbeit mit dem MfS gehabt zu haben. Offenbar registrierten die haupt- amtlichen MfS-Mitarbeiter die im Inter- view artikulierten Gefühle nicht oder wollten sie nicht wahrhaben. Die Erwar- tungen des MfS und die der Angeworbe- nen lagen oft weit auseinander, „waren auf beiden Seiten durch unterschiedliche Interessen geleitet“. Zudem mussten sich die Stasioffiziere gegenüber ihren Vorgesetzten dadurch legitimieren, dass sie die Bereitschaft der IM positiv her- vorhoben“ (Müller-Enbergs).

Außerdem lag der Beginn der Tätig- keit für das MfS, insbesondere die An- werbung, oft schon viele Jahre zurück.

Deshalb konnten sich einige offenbar auch nicht mehr so genau an Details der ersten Kontakte erinnern. Fehlende oder durch spätere Erfahrungen modi- fizierte Erinnerungen scheinen jedoch nicht der einzige Grund für diese unter- schiedliche Wahrnehmung. Warum ein IM vom MfS angeworben wurde – so Müller-Enbergs –, habe „er nur erahnen und zum Teil erst nach der Aufdeckung aus der Personalakte entnehmen“ kön- nen. Bei der Beschreibung der Motive gab es zwar oft oberflächlich eine ge-

wisse Übereinstimmung. In den Akten wurden die Beweggründe jedoch wenig differenziert bestimmten Kategorien zugeordnet, wohingegen in den Ge- sprächen die Darstellung der Motive oft einen großen Raum einnahm; denn für die ehemaligen inoffiziellen Mitarbei- ter war es wichtig, besser zu verstehen, warum sie sich hatten anwerben lassen.

Was das vom MfS als „persönliches Interesse“ deklarierte Motiv angeht, so wurden in den Interviews mit IM

„Erich“ und IM „Barbara“ die Ak- teninhalte prinzipiell bestätigt und nur um einige wenige Details ergänzt. Auch die Gespräche, die mit ehemaligen IM T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 39⏐⏐30. September 2005 AA2619

Gegenüberstellung der Motive der IM auf der Grundlage der jeweiligen Akten und der Interviews

Fachrichtung Inoffizieller Motiv laut MfS Motiv laut IM im Interview Zeitraum der

Mitarbeiter in der Akte IM-Tätigkeit

Allgemein- IM Wiedergut- frühzeitige Haftentlassung, 1975–1981 medizinerin „Sabine“ machung komplizierte Familiensituation

Sport- IM Wiedergut- frühzeitige Haftentlassung, 1975–1986 mediziner „Gustav Sonntag“ machung „Ausnutzen“ der Stasi

Allgemein- IM Wiedergut- Angst, Approbation zu verlieren Seit 1966 mediziner/ „Dr. Freund“ machung

Polizeiarzt

Allgemein- IM Politische Unterstützung des MfS Seit 1974 mediziner/ „Schneider“ Überzeugung

Betriebsarzt

Psychologe/ IM Politische Unterstützung des MfS Seit 1979 Strafvollzug „Harald“ Überzeugung als „Schutzorgan“

Chirurgin/ IM Politische Unterstützung des MfS Seit 1974 Universität „Kay“ Überzeugung als „Schutzorgan“

Psychiaterin/ IM Politische Unterstützung für Seit 1974 Chefärztin „Angelika Ebert“ Überzeugung das Krankenhaus

Allgemein- IM Politische Bestandteil der Funktionen Seit 1974 mediziner/ „Wolf“ Überzeugung eines Kreisarztes

Kreisarzt

Medizin- IM Politische Medizinstudium sichern 1984–1985

student „Peter“ Überzeugung

Medizin- IM Politische Angst, Abenteuerlust 1958–1961

student „Fichtner“ Überzeugung

Psychiater/ IM Politische Karriere, Angst vor Haft, Seit 1958 Chefarzt „Horst“ Überzeugung Medizinstudium sichern

Serologe/stv. IM Politische Angst 1972–1984

Ärztlicher „Herz“ Überzeugung Direktor

Chirurg IM Einsicht in die Karriere, Angst Seit 1982

„Wolfgang Krüger“ Notwendigkeit

Dermatologin IM Politische Persönliches Anliegen Seit 1983

„Barbara“ Überzeugung, persönliches Interesse

Psychiater/ IM Persönliches „Ausnutzen“ des MfS (im Interesse 1981–1987 Chefarzt „Erich“ Interesse eines Patienten und von Kollegen)

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geführt wurden, die mit der Staatssi- cherheit aus „Wiedergutmachungs- gründen“ zusammengearbeitet hatten, gaben die Darstellung der Führungsof- fiziere in den Akten weitgehend wieder.

Allerdings kommen die Gefühle der Angst, Hilflosigkeit, des Ausgeliefert- seins und der Ohnmacht in den Inter- views viel mehr zum Ausdruck als in den MfS-Unterlagen.

Beispielsweise war IM „Sabine“

1975 „wegen staatsfeindlicher Hetze in-

haftiert“ worden und sollte eine Strafe von zwei Jahren und acht Monaten ver- büßen. Parallel dazu – so die ehemalige inoffizielle Mitarbeiterin im Gespräch – habe ihr geschiedener Mann das Sorge- recht für den Sohn beantragt und es in einem Folgeprozess auch tatsächlich er- halten. Ihr sei lediglich mitgeteilt wor- den, dass dies nicht mit ihrer „Straftat“

zusammenhinge, sondern dass sie ob- jektiv nicht in der Lage sei, das Sorge- recht auszuüben. IM „Sabines“ Mutter habe dann bei einem Besuchstermin ge- sagt, sie solle alles tun, um das Sorge- recht in einem Berufungsprozess wie- derzubekommen. Ihr damaliger Anwalt rechnete ihr dafür nur Chancen aus, wenn sie innerhalb der Berufungsfrist aus der Haft entlassen würde. Sie sollte deshalb – so sein Ratschlag – alle Ange- bote annehmen, die ihr das MfS unter- breiten würde. Man habe ihm schon vorab signalisiert, „dass es da Möglich-

keiten gebe, und alles andere müsste sich hinterher finden“. Dann sei das MfS mit dem Angebot auf sie zugetre- ten, sie unter einer Voraussetzung zu entlassen: Sie müsse Einsicht zeigen und beweisen, dass sie sich verändert habe. Diese könne sie unter Beweis stel- len, indem sie sich zu Gesprächen über eventuelle Missstände im Gesundheits- wesen bereit finde. Nur dann dürfe sie sowohl im Beruf weiterarbeiten als auch ihr Kind behalten. Daraufhin habe IM „Sabine“ eine Bereit- schaftserklärung unterschrie- ben, durch die sie sich einver- standen erklärte, mit dem MfS ohne zeitliche Begren- zung zusammenzuarbeiten.

IM „Gustav Sonntag“ be- schrieb seine Beweggründe für eine konspirative Zusam- menarbeit mit dem MfS seit Mitte der 70er-Jahre wie folgt: „Ich habe also Flucht- beihilfe geleistet und bin dafür ein Jahr im Gefängnis einvernommen worden. Man mutmaßte, dass ich auch durch meine Kontakte zum westdeutschen Sport [...]

Spionage betrieben habe. Da- mit war das Ganze während der Inhaftierung und der Ver- höre in eine ganz andere Dimension gerückt. Ich habe [...] zu meiner Flucht- beihilfe vier Vernehmungen und zu der sportpolitischen [...] Fragestellung un- gefähr dreißig Vernehmungen gehabt.

Darin sieht man die Dimension, die dem einzelnen Fragenkomplex beige- messen worden ist. Und damit hat man mich dort psychisch in die Mangel ge- nommen. [...] Aus [vielen Gründen] ha- be ich befürchtet, dass ich also abge- schoben werde, was ich nicht wollte. Ich habe unter diesen Umständen dann ge- sagt, dass ich bereit bin ‚mitzuhelfen‘.

[...] Diese Geschehnisse und auch das Erleben in dem Gefängnis selber mit der Staatssicherheit [...] war etwas, [...]

was einem schon Angst einjagen konn- te. Und dann wusste ich, wenn ich also hier bleiben will, dann musste ich mich irgendwie schützen. Wie kann man sich am besten schützen? Indem man sich mit dem an den Tisch setzt, von dem ei- nem Gefahr droht. Das war meine Her- angehensweise.“

IM „Dr. Freund“ dagegen sei Mitte der 1960er-Jahre „plötzlich mal abends ins Neue Rathaus gebeten“ worden. Er habe überhaupt keine Ahnung gehabt, was dort passieren sollte. Im Rathaus sei er schließlich von zwei Herren mit den Worten empfangen worden: „Also, wir wissen viel über Sie, und wir wollen jetzt eine Beichte von Ihnen, was Sie so auf dem Kerbholz haben.Wir sind in der La- ge, Ihnen sofort ihre Approbation zu entziehen und Sie ins Gefängnis zu stecken.“ Dem IM-Kandidaten fiel dar- aufhin ein, dass es sich nur um gemein- sam mit Kollegen vorgenommene spezi- elle Eingriffe handeln konnte, die da- mals noch strafbar gewesen waren. Ihm sei daraufhin sofort klar gewesen, dass seine Existenz tatsächlich auf dem Spiel stand. „Natürlich ganz schön geschockt“

habe er die Verpflichtungserklärung un- terschrieben. Die nächsten Wochen ha- be er „um sich herum nur Leute gesehen, die ihn immer beobachten würden“. In den letztgenannten Fällen wurden die in den Akten notierten Fakten zwar in den Interviews bestätigt, aber wiederholt Gefühle und hauptsächlich Ängste vor der Stasi-Bedrohung und vor den sich nicht auszumalenden Konsequenzen für das Berufs-, aber vor allem für das Pri- vatleben hervorgehoben.

Konsequenzen nach 1989/90

Bei weitem nicht alle interviewten ehe- maligen IM mussten sich nach der

„Wende“ zwangsläufig mit diesem Teil ihrer Vergangenheit auseinanderset- zen. Die IM-Akte und die Beschäfti- gung mit ihrem Inhalt spielten nach ei- ner Niederlassung in der eigenen Praxis oder bei der Aufnahme von Tätigkeiten in einer Privatklinik keine Rolle (mehr). Bis dahin konnte es jedoch die Etablierung im Berufsleben hinauszö- gern, wie beispielsweise bei IM „Peter“

geschehen. Andere wurden nach der Überprüfung durch die BStU aus dem öffentlichen Dienst entlassen, zogen sich danach entweder völlig aus dem Berufsleben zurück, kamen in Privatkli- niken unter oder erarbeiteten sich nach langjähriger Arbeitslosigkeit und Wei- terbildung einen Neustart im Beruf. Ei- nem Arzt gelang es, in einem Arbeitsge- richtsprozess nachzuweisen, dass er T H E M E N D E R Z E I T

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Nur vier der 15 befragten Ärzte glaubten, aufgrund der IM-Tätigkeit Schuld auf sich ge- laden zu haben. (Titel DÄ 48/2004)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 39⏐⏐30. September 2005 AA2621

nicht inoffiziell mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet hätte, was zur Wiedereinstellung in dessen ehemalige Klinik führte.

Drei der Interviewten bedauerten es, sich infolge ihrer ehemaligen IM-Tätig- keit nicht mehr (berufs-)politisch enga- gieren zu können. So vermochte es IM

„Sabine“ nicht, sich wie gewollt in den Vorstand einer Landesärztekammer einzubringen. IM „Gustav Sonntag“

musste auf ein sportpolitisches Engage- ment und IM „Wolfgang Krüger“ auf die avisierte Mitarbeit in einer Partei verzichten: „[Das] ist ja nun der Nach- teil dieser ganzen Geschichte, dass ich mich in [der heutigen] Zeit auch nicht politisch einbringen kann. Ich meine, da habe ich Schuld auf mich geladen. Und ich kann auch jetzt nicht sagen: das wi- sche ich weg, das ist nicht gewesen, und ich gehe wie unbefleckt in eine politi- sche Sache hinein.“

Nur vier der 16 befragten Ärzte spra- chen davon, in der DDR aufgrund ihrer IM-Tätigkeit eine „Täterrolle“ gespielt oder – auch nur teilweise – Schuld auf sich geladen zu haben oder sich zu schä- men. IM „Sabine“ beispielsweise setzte sich spätestens seit Mitte der 1990er- Jahre intensiv mit diesem Teil ihrer Ver- gangenheit auseinander. Sie habe in diesem Zusammenhang die Erkenntnis gewonnen, dass man nie nur Opfer, son- dern immer auch irgendwo Täter sei.

Schließlich seien ihr damals zwei Mög-

lichkeiten geboten worden, und sie ha- be sich so entschieden, wie sie es damals offenbar verkraften konnte. Sie hätte aber auch „nein“ sagen können und alle Folgen konsequent ertragen müssen.

Ihr haben persönliche Reflexionen und Gespräche im Familienkreis geholfen, damit fertig zu werden. Sie beurteilt die Folgen ihres damaligen Verhaltens heute so: „Was hast du deiner Familie ange- tan? Du hast über Kollegen berichtet, du hast dich mit dem MfS eingelassen, du musst eben heute auch für diese Sei- te der Medaille geradestehen.“

Die meisten ehemaligen IM beruhi- gen sich mit der Annahme, niemandem geschadet zu haben, obwohl sie die The- matik nach wie vor beschäftigt. Sie su- chen noch immer nach einer Erklärung für ihre inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS und hofften auf Unter- stützung durch das Interview, das heißt, durch ein Gespräch mit einer Person, die zwar ihre Akte kennt, aber distan- ziert genug erscheint. Dafür wurden ih- nen die besten Bedingungen geboten:

Anonymität, Diskretion und eine ihnen bis dato unbekannte Person, die sie und ihr Verhalten weder moralisch bewer- ten noch rückblickend beurteilen woll- te. So kam es zu folgenden Äußerungen vor, während und nach den Interviews:

„Ich möchte mich mit diesem Gespräch endgültig selbst rehabilitieren.“ „Ei- gentlich übernehmen Sie die Rolle ei- ner Psychotherapeutin.“ „Sie haben

mir sehr geholfen, indem Sie einfach nur zugehört haben.“ „Jetzt geht es mir besser.“ „Jetzt kann ich das Thema viel- leicht doch für mich abschließen.“

Indes kann die Denunziation im Auf- trag einer Institution tatsächlich die Il- lusion entstehen lassen, für sein eigenes Verhalten nicht verantwortlich zu sein.

Man habe schließlich einer bestimmten Aufgabe gedient,wodurch sich die Schuld der Ideologie, der Politik, dem System beziehungsweise der Institution, in die- sem Fall dem MfS und seinen haupt- amtlichen Mitarbeitern zuweisen lässt.

Die ehemals staatlich sanktionierte po- sitive Bewertung von Denunziationen, zum Beispiel durch das Argument, dass man damit dem Frieden und dem ge- rechten Kampf gegen den Kapitalismus diente, hätte zum Zeitpunkt der Denun- ziation durchaus zur Folge haben kön- nen, dass Scham- oder Gewissensein- flüsse kaum verhaltenskontrollierend wirkten. Noch Jahre später kann das Abtreten von Entscheidungskompe- tenz und Eigenverantwortung an über- geordnete Instanzen bewirken, dass man im Rückblick wiederum die Schuld an diese Behörden „abdelegiert“. In diesem Kontext erklärte beispielsweise IM „Kay“: „Ich habe gedacht, dass in ei- ner Arbeiter- und Bauerndiktatur ver- nünftige Leute, also Arbeiter und Bau- ern, also normale Menschen das Sagen haben, aber das war eine Illusion. Aus heutiger Sicht würde ich dem Ministeri- um für Staatssicherheit weder helfen noch irgendwelche Erklärungen geben, sondern ich würde sie [...] regelrecht in die Wüste schicken, aus heutiger Sicht.

Erstens weil sie Dinge begangen haben und sich damit nicht an die Verfassung der DDR [...] gehalten haben. Und zweitens wegen ihres ausgesprochen schäbigen Verhaltens jetzt.“

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2618–2621 [Heft 39]

Literatur

1. Müller-Enbergs H (Hrsg.): Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Richtlinien und Durchführungsbestimmungen. Berlin: Ch. Links 1996.

2. Süß S: Politisch missbraucht? Psychiatrie und Staatssi- cherheit in der DDR. Berlin: Ch. Links 1999.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. phil. Francesca Weil

Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V.

an der Technischen Universität Dresden Mommsenstraße 13, 01062 Dresden Die auch als Leitfadengespräche bezeichneten

Interviews gliederten sich entsprechend eines vorbereiteten Fragenkatalogs. In den Interviews dominierte trotzdem generell ein erzählender Duktus, da meistens nicht nur kurz und knapp, sondern mittels detaillierter Schilderungen ge- antwortet wurde. Zur Kontrolle der Intervie- wergebnisse wurde ein standardisierter Frage- bogen erstellt, den die Gesprächspartner im Anschluss an das Interview ausfüllten. Bei der Auswertung teilstrukturierter Interviews unter qualitativen Aspekten galt es, die hinreichend bekannten Probleme bei Zeitzeugenbefragun- gen zu berücksichtigen: Es wurden subjektive Sichtweisen und Erfahrungen vorgetragen; die Personen berichteten aus der Erinnerung her- aus. So gab es neben unwillkürlichen Erinne- rungsverlusten auch Veränderungen in der Er-

innerung durch Werte- wie Meinungsänderun- gen, Verdrängungsprozesse und vieles andere mehr.

Aber auch bei der Auswertung von IM-Ak- ten ist Quellenkritik geboten. Die Informa- tionssammlungen des MfS bilden sicherlich

„ein Gegengewicht zur allgemein schönfär- benden Tendenz der nicht-konspirativen poli- tischen Berichtssysteme der DDR“, was den Quellenwert der MfS-Unterlagen gerade für sozialwissenschaftliche Forschungen nicht unmaßgeblich erhöht. Andererseits muss da- bei bedacht werden, dass mittels der Stasiak- ten nicht versucht wurde, „Menschen gerecht zu werden“. Sondern es ging darum, „zu de- nunzieren, Vertrauliches auszuspionieren, für Erpressungen nützliches Material auszu- schlachten“.

Interviews, Akten und Probleme bei deren Analyse

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